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Hinter Mittenwald markierte eine Zollburg die Grenze zwischen dem Bistum Freising und der Grafschaft Tirol. Wagemutig thronte sie auf einem Felsvorsprung über der Römerstraße nach Süden. Jetzt, da die Schatten in dem schluchtartigen Tal länger wurden, hob sich der Bergfried schwarz vor den rotgoldenen Gipfeln ab. Ungeniert begafften die Waffenknechte Eva und Anna, und sie waren froh, dass Steffen und die Kinder sie begleiteten. Die Aussicht auf die vollen Tische von Kloster Neustift hatte die Gaukler überzeugt: Sie waren mitgekommen. Obwohl Anna noch immer ab und zu Lust hatte, Steffen mit ihrem Schuh zu erschlagen, konnte sie sich kaum noch vorstellen, sich eines Tages von ihren Freunden zu trennen.

Sie erkannten das Wappen von Freising auf dem Waffenhemd des einen Reisigers. Das rotweiße des anderen zeigte einen goldenen Löwen auf blauem Grund. Ein Humpen Bier und Würfel unter dem niedrigen Dach der Schutzhütte verrieten, wie sie sich die Zeit vertrieben. Offenbar hatten sich die Grenzer in dieser Einsamkeit zu einem Spielchen getroffen.

Während sie den Zoll bezahlten, sah Anna nach Süden. Irgendwo weit dort im Süden lag das Bergkloster, von dem Falconet die geheimnisvollen Lieder hatte. Vielleicht würde sie nun endlich erfahren, was es damit auf sich hatte. Sie wusste nicht viel von Tirol, in das Freisings Besitztümer entlang der Römerstraße und dem Isartal wie eine Nadel hineinragten.

»Nehmt euch vor den Bären in Acht!«, grinste der Reisiger, der mit schmutzgeränderten Fingern das Geld nachzählte. »Sie fressen gern hübsche Frauen. Wie ich.«

»Das macht nichts«, lachte Anna. »Wir ziehen ihnen einen Ring durch die Nase und lassen sie auf den Märkten tanzen!«

Innsbruck lag in einem langgestreckten Tal, umgeben von einem gerodeten Kranz von Krautfeldern. Bewundernd bestaunte Anna die schlanken Kirchtürme, die eng aneinanderliegenden Häuser und die wehrhaften Tore am Inn. Schon draußen brüllten Weiber Gemüse aus, wurden Vieh und sogar kostbare Glaswaren feilgeboten. Es wirkte, als sei Innsbruck eine bedeutende Stadt, dabei lebten die Bewohner vor allem vom Zoll.

Gleich hinter dem Tor gab es ein Badehaus. Eva sagte, sie sei nicht schmutzig, aber Steffen kam mit, um einen Medicus zu suchen. Der alte Hexenschuss war ihm wieder in die Glieder gefahren. Nicht einmal den fahrenden Huren am Kreuzweg schenkte er mehr als einen bedauernden Blick.

Die Badestube war beengt und so voll heißem Dampf, dass Anna im ersten Moment kaum etwas erkennen konnte. Sie hörte Lautenmusik und roch Kräuter. Allmählich schälten sich die Konturen der hölzernen Podeste heraus, auf denen die Zuber aufgestellt waren. Über einige waren mit Tellern und Schüsseln beladene Bretter gelegt. Männer tranken Bier und stritten mit heftigen Gesten über den König und den neuen Papst Johannes XXII. Zufrieden bemerkte Anna, dass Männer und Frauen hier nicht getrennt waren. Das erleichterte ihr Vorhaben.

Manche Wannen waren durch über Stangen gehängte Tücher vor Blicken geschützt, doch die meisten Leute waren weniger zartfühlend: Wenn die Bademägde in ihren leichten Hemdchen mit dem Bottich vorbeikamen, wurden sie von den Gästen offen befingert. Beim Anblick von Annas roter Cotte und offenem Haar drehten sich alle Männerköpfe herum. Jedermann wusste, dass sich Gauklerinnen ihr Badegeld oft als Gelegenheitshuren verdienten. Steffen grinste ihr trotz der Schmerzen zu. Schon oft hatten sie dieses Spiel zusammen gespielt.

Der Bader kam ihnen entgegen und fragte misstrauisch nach der Bezahlung. Anna suchte sich einen älteren Mann, der allein im Zuber saß. Als er herübersah, lächelte sie ihm zu und legte alles bis auf ihr Unterkleid ab.

Sie war noch immer mager, aber dank dem Koch des Sendlingers hatte sie weiblichere Formen als die meisten wandernden Huren. Ihr Haar, auch wenn es ungewaschen war, glänzte, und ihre Zähne waren weiß, weil Anna sie mit dem Hölzchen reinigte wie eine Dame. Der Kaufmann schien zufrieden: sogar im Voraus bezahlte er alles. Dann wollte er sie in eines der Nebengemächer ziehen.

»Der Bocksgeruch soll Euch doch nicht das Vergnügen verleiden«, zierte sie sich mit dem verführerischsten Lächeln, das sie angesichts seiner nassen Bruche zustande brachte. Ob er seine Männlichkeit unter dem Bauch noch sehen, geschweige denn benutzen konnte, war ohnehin fraglich.

Er ließ sich überreden. Widerwillig überließ er ihr den Zuber, um sie aus einiger Entfernung zu beobachten. Anna ließ sich in ihrem leichten Hemd ins Wasser fallen, nicht ohne dabei kokett das Gewand über die Unterschenkel zu heben. Um sich die Zeit zu vertreiben, ließ er sich Braten und Wein kommen. Einige junge Leute scharten sich um ihn.

»Pass auf, die bescheißt dich!«, hörte sie ein altes Weib flüstern.

»Ach wo, das ist eine Hur!«, widersprach ein Mann. »Sie lässt sich das Bad zahlen. Was soll so eine schon anders sein?«

Unter gesenkten Lidern sah Anna nach Steffen, der sich wie ein großer Herr vom Leibkneter traktieren ließ. Seine Bruche hätte auch ein Bad vertragen, dachte Anna. Er stöhnte unter den kräftigen geölten Händen, während der Arzt seine Schröpfköpfe im Feuer erhitzte. Nun kam es darauf an, sich nicht in das Nebengemach zerren zu lassen, bis sie fertig waren.

Anna schlug einem allzu neugierigen Vierzehnjährigen auf die Finger. Der Bader packte den Burschen am Kragen. Unter dem lauten Gelächter der Badegäste warf er ihn zu seinem kräftigen Badeknecht hinüber. Der setzte den zeternden Burschen ohne viel Federlesens an die Luft.

Als der Arzt den ersten Schröpfkopf ansetzte, brüllte Steffen und versetzte ihm eine Ohrfeige. Anna lachte verstohlen, ließ den Hinterkopf ins Wasser sinken und schloss die Lider.

Die Geräusche des Badehauses schläferten sie ein, im warmen Wasser entspannten sich ihre kälteverkrampften Muskeln. Ein herber Duft mischte sich plötzlich in die Gerüche nach Kräutern, Essen und Wein. Der Duft eines ungewöhnlichen Männerparfüms, fremd, aber angenehm. Ein Duft, den sie nie vergessen würde.

Anna fuhr hoch. Hastig wischte sie das Wasser aus den Augen. Mit selbstsicheren Bewegungen legte der Mann seine Kleider ab. Niemand hinderte ihn, vermutlich wegen des schweren Anderthalbhänders, den er locker gegen die Wanne gelehnt hatte. Ein ironisches Lächeln lag auf Raouls Lippen, als er schamlos zu ihr in den Zuber stieg.