Anna fuhr so heftig zusammen, dass das Wasser kleine Wellen schlug. Ihr Herz raste so, dass ihr übel wurde. Ihre Finger klammerten sich so fest um die Ränder des Zubers, dass ihre Knöchel weiß wurden. Raoul war ein Verbündeter des Fraß, jagte es durch ihren Kopf, und er hatte sie von Anfang an gewollt. Aus Hass wegen ihres Verrats war er ihr gefolgt, um da weiterzumachen, wo Heinrich von Wolfsberg aufgehört hatte. Panisch flogen ihre Blicke über den fast nackten Männerkörper. Sie hatte das Gefühl zu ersticken.
Die Scheu der Menschen vor ihm war mit Händen zu greifen. Die Gespräche waren verstummt. Flüsternd raunten sie sich Bemerkungen zu, die Augen der Frauen hingen halb bewundernd, halb furchtsam an ihm. Ungerührt ließ er sich ins Wasser sinken.
Ihre Panik ließ etwas nach, und sie betrachtete ihn genauer. Raoul war heller als zuletzt, als wäre er krank gewesen, doch die tiefe Bräune seiner südlichen Heimat war noch zu erahnen. Die Lederbänder am Griff seines Schwerts waren glatt vom häufigen Gebrauch, der eiserne Knauf schartig. Auch die Narben auf Brust und Oberarmen bewiesen, dass er gekämpft hatte, und um seine Lippen lag ein harter Zug. Aber die nachtdunklen Augen waren klar und kalt wie damals. Das Spiel seiner Muskeln unter der glatten Haut verriet eine Lebenskraft, die an Unverschämtheit grenzte. Annas Nacken prickelte vor Hass.
»Ich stehe im Dienst des Bischofs von Freising«, warnte sie. Im selben Moment fiel ihr ein, dass er sich davon kaum beeindrucken lassen würde. Mehr als einmal hatte er bewiesen, was er von Ehre und Lehnstreue hielt. »Und ich habe einen Beschützer.«
Raoul blickte nach dem feisten Kaufmann, der sich das Fett von den Fingern leckte. Der Mann war aufgestanden, und sein Froschmaul verzog sich missbilligend. Aber er wirkte kaum, als wollte er einen kampferprobten Ritter in der Luft zerreißen. Steffen stöhnte unter den Schröpfköpfen und schonte seinen unteren Rücken. Anna wandte sich von ihrer eindruckgebietenden Leibwache ab.
»Ein hübsches Spiel«, spottete Raoul. Anna zuckte zusammen. Sie hatte fast vergessen, wie fesselnd diese tiefe Stimme war. »Ich habe unterwegs hin und wieder davon gehört: Du versprichst den Männern deinen Körper, und sie bezahlen dir das Bad. Irgendwann lenkt dein Kumpan sie ab, und wenn sie nicht hinsehen, bist du verschwunden. Natürlich ohne deinen Teil der Abmachung zu erfüllen.« Er lehnte sich an den Rand des Zubers und breitete die Arme aus. Die schmalen schwarzen Brauen hoben sich, als er ihre Aufmerksamkeit bemerkte. Unwillkürlich musste Anna an die spitzen Brauen des Teufels denken.
»Ich kann es dir nicht einmal verdenken. Diese Kerle stinken wie die Böcke.« Die groben Worte standen in seltsamem Widerspruch zu seiner klangvollen Stimme. »Nun, kein Wunder, Reinlichkeit scheint nicht unbedingt der Sinn eurer Badehäuser zu sein.«
Anna ertappte sich bei dem frommen Wunsch, Ulrich hätte ihn damals erschlagen. »Offenbar habt Ihr noch nicht genug Badestuben von innen gesehen, da Ihr den Unterschied zum Hurenhaus nicht kennt«, hielt sie dagegen.
Raoul lachte abfällig. Anna spürte seine unterdrückte Wut deutlicher, als wenn er sie angeschrien hätte. Wider Willen blieben ihre Augen an ihm hängen. Schultern und Brust waren von Natur aus breit und muskulös, aber er war sehr schlank. Sicher waren auch an ihm die Hungerjahre nicht spurlos vorübergegangen. Umgekehrt musterte er sie mit wenigen schnellen Blicken. Seine dunklen Augen schienen in ihr Inneres dringen zu wollen, bis sie es freiwillig vor ihm ausbreitete. Wie damals hatte sie das beunruhigende Gefühl, einem Mann mit geschlossenem Visier gegenüberzusitzen. Sie musste sich zwingen wegzusehen. Immerhin schien er nicht vorzuhaben, sie zu töten oder zu schänden, zumindest nicht jetzt und hier.
»Habt Ihr mich gesucht?«, fragte sie entschlossen.
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Das hieße dir dann doch ein wenig zu viel Ehre antun. Nein, ich stehe im Dienst des Grafen von Tirol. Ich bin zurückgekommen, denn Hermann von Rohrbach behauptet, ich hätte keinen Anspruch auf Kaltenberg. Mein Vater sei …« Er unterbrach sich. »Ein gehängter Mörder.«
Anna erinnerte sich, dass Ulrich ihr gesagt hatte, Raouls Vater sei ein Mörder. »Aber Euer Vater wurde nicht hingerichtet«, sagte sie mehr zu sich selbst. Sie erinnerte sich so lebhaft an den glücklichen Moment in Freising, dass sie alles Wort für Wort hätte wiederholen können. »Es hieß, er sei nach Tirol geflohen.«
Raoul beugte sich so rasch vor, dass er sie beinahe berührte. »Was sagst du da? Er könnte noch leben?« Ein fieberhafter Glanz trat in seine Augen. Seine Stimme verlor jede Überlegenheit. Er packte ihren Arm, dass das Wasser kleine Wellen schlug. »Wie ist sein Name?«
Anna biss schmerzhaft die Zähne zusammen. Dann befreite sie sich so heftig, dass das Wasser aufspritzte. »Woher soll ich das wissen?« Sie rieb sich den schmerzenden Arm. Selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte sie es ihm sicher nicht verraten.
Raoul starrte sie an. Das schwarze Haar umrahmte sein bleiches Gesicht, und unwillkürlich dachte Anna wieder an die Mär, er sei mit dem Teufel im Bund. »Zieh dich an und hol deine Sachen. Du wirst mich zum Grafen von Tirol begleiten.« Er gewann die Gewalt über sich zurück. »Ich hatte ohnehin vor, dich mitzunehmen.«
Anna erschrak zu Tode. Sie wich an den hintersten Rand der Wanne zurück und schüttelte das nasse rote Haar. »Niemals!«
»Ich biete dir meinen Schutz«, heuchelte er. Er beugte sich leicht vor, und Anna fiel wieder auf, dass er schöne, sinnlich geschwungene Lippen hatte. Mit dem Kopf wies er auf die jungen Männer, die sich neben dem Kaufmann drängten und sie aus sicherer Entfernung begafften. »Wenn ich jetzt gehe, fallen diese stinkenden Kerle über dich her. Eine Gauklerin, die kein Gesetz schützt …« Seine Blicke glitten schamlos über ihren Körper, der sich unter dem nassen Hemd deutlich abzeichnete.
Anna schlug wieder die Arme vor die Brust und zog die Beine an. »Das lasst ruhig meine Sorge sein«, erwiderte sie. »Mit denen werde ich schon fertig.«
Ein gefährlicher Zug legte sich um seinen Mund. »Glaub nicht, dass ich viel Federlesens mit dir mache.«
»Warum sollte ich?« Aber während sie dem Blick der nachtdunklen Augen standhielt, jagten sich ihre Gedanken. Vielleicht sagte er die Wahrheit und er hatte sie nicht gesucht. Aber zweifellos würde er sich nun an ihr für den Verrat rächen. Mit wütender Verzweiflung bemühte sie sich, ihn ihre Angst nicht spüren zu lassen. Steffen brüllte unter den Schröpfköpfen, von ihm war keine Hilfe zu erwarten. »Ich werde nicht mitgehen«, widersetzte sie sich. »Außerdem müsstet Ihr dann mein Badegeld bezahlen.«
»Ich ziehe es dir vom Lohn ab.« Er schöpfte sich Wasser über den Kopf und erhob sich. Das Wasser rann aus dem schwarzen Haar und Bart über seine Brust und seine Hüften. Anna wollte wütend erwidern, er werde es noch bereuen, da lächelte er. »Ich kann es doch nicht darauf ankommen lassen, dass du mich noch einmal verrätst.«
Raoul dachte natürlich nicht daran, Annas Badegeld zu bezahlen. Er erlaubte ihr kaum, das nasse Hemd mit der Cotte zu vertauschen. Das blanke Schwert in der Hand, stieß er sie an den Wannen vorbei ins Freie. Den neugierig gereckten Köpfen und den Bademägden, die ihre Bottiche und Reisigbüschel abstellten, schenkte er keinen Blick. Und auf die Frage von Annas enttäuschtem Freier, wer ihm nun das entgangene Vergnügen ersetzen würde, erwiderte er trocken, er nehme nur einen der beiden Betrüger mit: der andere stünde zu seiner Verfügung.
Steffen setzte einen Ausdruck auf wie ein Henker kurz vor dem Zuschlagen. Anna machte ihm eine wütende Geste, doch er hob nur entschuldigend die Hände. Sie verschluckte einen Fluch. Verzweifelt bettelte der Bader, ihm nicht die Einrichtung zu zerschlagen, erst letzte Woche hätte er eine Schlägerei gehabt. Aber gegen den schweren Anderthalbhänder wagte ohnehin niemand etwas zu unternehmen. Und schon hatte Raoul sie ins Freie geschoben und zu sich aufs Pferd gehoben. Sie hielt den Atem an, als sie seine Arme um den Leib spürte. Dann sprengte er mit ihr davon.