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»Warmes Wasser!«

Die Kindsmagd lief zur Tür, erleichtert, einen Augenblick aus dem Zimmer gehen zu können. Königin Beatrix schrie den Namen der heiligen Cäcilia, als die Wehe sie durchlief. Wie durch einen Schleier hörte sie die Hebamme rufen, sie solle pressen. Aber der Gebärhocker gab ihr keinen Halt mehr. Auf die beiden Mägde gestützt, biss sie die Kiefer aufeinander. Die Hebamme kroch irgendwo zu ihren Füßen herum, um im rechten Moment zuzugreifen. Hinter ihr faselte der Astrologe etwas, und sie hörte die Hebamme erwidern: »Zum Teufel mit Eurem guten Stern! Schaut, dass Ihr rauskommt … gut so!«

Kraftlos sank Beatrix wieder in die Arme der Mägde. Die nächste Wehe rollte an, sie brüllte den Namen des heiligen Stefan. Mit jeder Wehe hatte sie einen Heiligen hergebetet, wie sie es gelernt hatte. Obwohl sie kaum noch die Kraft hatte, aufrecht zu sitzen, presste sie. Einen Augenblick fühlte sie sich, als würde sie zerreißen. Dann sank sie keuchend in den Stuhl zurück. Auf einmal hörte der Schmerz auf.

»Ein Junge!«, rief die Hebamme. Beatrix’ ganzer Körper klebte vor Schweiß, sie zitterte vor Schwäche, doch sie war unendlich erleichtert. Keuchend drückte sie das warme atmende Bündel an sich, aber sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Nach sechs Geburten fühlte sie sich zu Tode erschöpft.

»Ein schönes Kind, Hoheit. Und die Geburt war viel schneller als die anderen fünf.« Die Hebamme zog ruckartig an der Nabelschnur, um den Ausstoß der Nachgeburt zu beschleunigen. Die Kindsmagd verzog angeekelt das Gesicht, als sie den blutigen Klumpen auf einem Teller entgegennahm. Es war das erste Kind, bei dem das Mädchen helfen musste. Bei der letzten Geburt hatte ihre Vorgängerin noch gelebt.

Geübt wie eine Bäuerin bei ihrer Kuh schnitt die Wehmutter die Nabelschnur durch. Dann wusch sie sich die großen, knochigen Hände, richtete Beutel und Schere an ihrem Gürtel und ging vor die Tür. Beatrix hörte sie dem Astrologen eine Zahl zurufen und auf das abergläubische Pack schimpfen, das der Natur nicht ihren Lauf lassen konnte. Es war nicht ihre Idee gewesen, einen Sternkundigen herzuholen, aber es wurde gerade Mode.

Langsam nahm die Königin ihre Umgebung wieder wahr. Im Hintergrund des abgedunkelten Schlafgemachs stand ihr hölzernes Bett mit dem seidenen dunkelgrünen Baldachin. Neben ihrem Stuhl stand der Wasserbottich, über dem einige Tücher hingen, und auf dem Tisch waren sogar noch die Reste des Essens. Als die Wehen losgegangen waren, hatte Beatrix noch auf ihrem Zimmer speisen wollen, aber viel hatte sie nicht heruntergebracht. Sie sah in den Spiegel, den ihr die Kindsmagd vorhielt. Ihr blondes wirres Haar umrahmte ein vollkommen erschöpftes Gesicht. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, und die Haut war von einer durchscheinenden Blässe.

Die Zofe begann, ihr das Haar wieder zu flechten. Es war, wie alle Knoten im Haus, gelöst worden, um die Geburt zu erleichtern – man sagte, Flechten ließen eine Kreißende länger in den Wehen liegen.

»Das Wasser ist zu warm!«, brüllte die Hebamme draußen die Knechte an. »Nutzloses Gesindel! Ich hatte euch doch gesagt, dass Jungen kälter gebadet werden! Ich brauche Tücher, um ihn einzuwickeln. Und wo zum Teufel ist die Amme, soll der Prinz verhungern?«

Sonst überließ Beatrix nur widerstrebend ein Neugeborenes ihren Dienern. Auch den kleinen Stefan hatte sie im Arm gehalten und zärtlich mit dem Finger das Mündchen gekitzelt. Aber erschöpft, wie sie war, war sie nun doch froh, allein zu sein. Sie hatte gerade die Augen geschlossen, als sich die Tür noch einmal öffnete. Ihr Widerwille über die Störung wich der Überraschung. Sie richtete sich im Bett auf. »Ludwig?«

Die freudige Nachricht von der Geburt eines neuen Sohnes schon auf den Lippen, betrachtete sie ihn näher. Sie erschrak. Er war schmutzig, seine Hände kalt und steif, und die Augen lagen in den Höhlen, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.

»Um Gottes willen, was ist geschehen?« Sie schlug die Decke zurück und wollte aufstehen, aber er kam heran und hielt sie zurück. Erschrocken betastete Beatrix sein Gesicht. Es war schmaler als sonst, Bartstoppeln kratzten ihre Handflächen, und die Lippen waren farblos und zerbissen.

»Es wurden die schrecklichsten Gerüchte erzählt«, stieß sie hervor, als sie ihn halb lachend, halb weinend umarmte. »Niemand wollte mir etwas sagen, aus Angst, das Kind würde zu früh kommen, wenn ich mich aufrege. Ich weiß nur, dass du in Regensburg warst und dass es wieder keine Schlacht gab.«

Er sah stumm vor sich hin, und befremdet unterbrach sie sich. In den Jahren ihrer Ehe war er oft aufbrausend und nicht immer rücksichtsvoll gewesen. Sie hatte ihn laut lachen und weinen sehen, aber noch nie so teilnahmslos. Lächelnd drehte sie seinen Kopf zu sich herum. »Habt Ihr Euren Sohn Stefan gesehen, mein Herr?«

Er bejahte, doch es wirkte geistesabwesend. Sie griff nach seiner Hand. Im Frühjahr war ihre fast dreijährige Tochter gestorben, und sie beide hatten es noch nicht verwunden. Ludwig hatte die kleine Anna besonders geliebt.

»Es wird eine Entscheidung geben«, redete sie ihm zu. Sie richtete sich auf, um sich noch ein Kissen in den Rücken zu stopfen. Sie konnte nun ohnehin nicht mehr schlafen. »Aber du wirst Friedrich zwingen müssen. Er brennt lieber Dörfer nieder, als seine Pferde aufs Spiel zu setzen oder gar seinen eigenen hübschen Kopf. Und du hast ihn vor Jahren bei Gammelsdorf schon einmal besiegt.«

Ludwig schien nicht einmal zu hören, was sie sagte. Schweigend saßen sie nebeneinander, als er plötzlich flüsterte: »Er wollte mich töten.«

Beatrix schlug das Kreuz. »Was ist geschehen?«

Er antwortete nicht. Sie schüttelte ihn heftig. »Was?«, schrie sie.

Endlich hatte sie das Gefühl, dass er sie wieder wahrnahm. »Leopold hat mir Mörder ins Heer geschickt. Deshalb haben wir nicht gekämpft. Ich wusste nicht, wem ich trauen kann.«

»Gütiger Gott!« Beatrix berührte sein Gesicht, seine Arme, seine Brust. Er ließ es geschehen. Stumm umarmte sie ihn und hielt ihn so fest, als könnte sie ihn so noch nachträglich vor seinen Feinden beschützen. Nur widerwillig ließ sie ihn los. »Warum bist du nicht gleich hergekommen?«

»Das Isartor ist noch nicht fertig. Ich war mir nicht sicher, ob die Befestigungen standgehalten hätten. Und eine Belagerung so kurz vor deiner Niederkunft …«

Sie wollte etwas einwenden, aber er redete weiter, als würde es ihn unendlich erleichtern, es frei aussprechen zu können: »Meine Ratgeber werfen mir vor, dass ich zu viel Geld für die Städte verschwende. Aber diese Wochen haben gezeigt, wie wichtig die neue Stadtmauer ist. Meine Verbündeten laufen mir davon. Immer wieder höre ich, dass ich mich mit dem neuen Papst verständigen soll. Aber dieser Johannes ist ein Krämer«, sagte er wütend. »Eine Marionette der französischen Könige. Seine Kollektoren würden noch mehr Geld aus den Leuten herauspressen und den Handel zum Erliegen bringen. Die Bauern wissen doch jetzt schon kaum, wie sie über den Winter kommen sollen. Nicht einmal ich kann meine Ritter noch bezahlen.«

Ludwig sprang auf und lief im Zimmer herum. Er zog sich einen Scherenstuhl heran und ließ sich hineinfallen. »Vielleicht ist dieser ganze Krieg Sünde.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Vielleicht hat Gott das Urteil gesprochen, und ich sollte aufgeben.«

Das verzweifelte Gesicht war genauso müde und bleich wie ihr eigenes. Beatrix wusste, dass diese Schwermut nicht seine Art war. Vier Jahre Krieg und Hunger hatten ihn ebenso zermürbt wie seine Bauern. »Rudolf fehlt mir«, sagte er leise.

Seit Monaten hatte er nicht von seinem älteren Bruder gesprochen. Beatrix wusste, wie sehr ihm der ewige Zwist zu schaffen gemacht hatte. Ein Dutzend Mal hatten sie sich versöhnt und wieder entzweit. Keiner dieser beiden bairischen Sturköpfe hatte es fertiggebracht nachzugeben. Und im August war Rudolf schließlich ohne Versöhnung gestorben.

Ein Windstoß rüttelte an den Fensterläden und löschte die einzige Kerze. Endlich schob sie zögernd ihre Hand über die Bettdecke auf seine.

Ludwig blickte nicht auf. Aber seine Finger schlossen sich so fest um ihre, dass sie beinahe aufgeschrien hätte. Und dann, endlich, brachen die Tränen aus ihm heraus, die er im Leben nie um seinen Bruder geweint hatte.

Zur gleichen Zeit stand Jutha im zugigen Torhaus von Kaltenberg und sah den Reitern auf der Brücke entgegen. Es wurde kühl, dachte sie. Die Männer wirkten steif vom Reiten und von den Nächten im Freien. Kein Wunder, dass Ulrich ihr seine Ankunft hatte melden lassen. Er wollte alles vorbereitet finden: das warme Feuer, ein sauberes Bett und einen Becher heißen Wein. Jutha erschien die Aussicht, ihm die tagelang getragenen Stiefel auszuziehen, weit weniger behaglich. Eigentlich hatte sie ihn noch nie besonders vermisst. Und seit dem Krieg in der Hohenlohe tat sie es noch weniger. Er hatte sich verändert, vielleicht lag es an den Kopfschmerzen, die ihn seitdem manchmal quälten. Unvermittelt konnte er furchtbar aufbrausen – wie jemand, der damit einen anderen, tieferen Schmerz überspielte. Oder wie jemand, der sich vergewissern wollte, dass er überhaupt noch Gefühle hatte.

Ihre Zurückhaltung verflog auch nicht, als sie sich an dem schweren Eichentisch gegenübersaßen. Die wenigen Schritte von einem Ende der Tafel zum anderen schienen unüberwindlich. Selbst die Magd huschte wortlos und scheu von einem zum andern und beeilte sich, wieder aus dem Zimmer zu kommen. Ulrichs blondes Haar war gewachsen, und die hellen Augen waren verhangener als sonst. Er schien in Gedanken abwesend zu sein. Mit keinem Wort lobte er, dass seine Frau die Vorräte zusammengehalten hatte, dass Vieh und Gesinde bei Kräften waren – anders als auf den meisten kleinen Burgen. Auch hier im Warmen bewegte er sich vorsichtig, als hätte er Schmerzen. Trotzdem befahl er sie nach dem Essen in die Kemenate.

Jutha hatte das erwartet und schon das Schaffell auf ihr Bett breiten und den Kamin anheizen lassen. Ihr getäfeltes Schlafzimmer war schlicht, beinahe wie eine Klosterzelle. Einziges Schmuckstück war das hölzerne Bett. Vermutlich hatte ihm der König die Mahnung ihres Vaters eingeschärft: Sie musste endlich wieder schwanger werden.

Sie legte alles bis auf ihr Unterkleid ab und wartete, während er sich aus seiner Cotte schälte. Mit Genugtuung stellte sie fest, dass ihm der lange Ritt noch in den Knochen saß.

»Nimm dieses Ding ab«, befahl er und wies auf ihr Gebende. »Ich habe keine Lust, eine Nonne zu beschlafen.«

Jutha verschluckte ihre Enttäuschung. Nachdem diese Anna endlich verschwunden war, hatte er sie eine Weile fast täglich genommen. Er hatte ihr sogar das Gefühl gegeben, sie zu begehren. Aber wahrscheinlich hatte er sich nur trösten wollen. »Bist du die Kopfbedeckung einer anständigen Frau nicht mehr gewohnt?«, stichelte sie. »Richtig – Bademägde und Gauklerinnen tragen ihr Haar offen.«

»Was soll das heißen?« Der Jähzorn, den sie an ihm zu fürchten gelernt hatte, blitzte in seinen Augen auf, als er herankam.

Widerwillig schob Jutha ihn von sich weg. »Wenn du meiner überdrüssig bist, verstoße mich.«

Ulrich warf den Kopf zurück und lachte. Sie hasste dieses trockene Lachen, weil es sie spüren ließ, dass er sie nur duldete. »Damit mir dein Vater eine Fehde hierherträgt und alles zunichtemacht, wofür ich gekämpft habe? Außerdem brauche ich einen Erben. Raoul lebt.« Er beobachtete sie genau.

Jutha ließ sich nichts anmerken. Heimlich hatte sie sich schon vorgestellt, Raoul hier zu empfangen. Aber nie hätte sie einem Mann von sich aus gezeigt, dass sie ihn begehrte. Ihre Keuschheit war alles, was sie besaß.

»Wie dem auch sei, bis zum Turnier sollten wir die Angelegenheit hinter uns gebracht haben.« Er machte eine Kopfbewegung. »Leg dich aufs Bett!«

Jutha verschlug es den Atem. »Welches Turnier? Erfahre ich überhaupt nichts mehr?«, fragte sie wütend.

Widerwillig seufzte Ulrich. »Du machst es mir wirklich nicht leicht.«

Sie setzte sich aufs Bett, ohne ihn anzusehen. Für einen Augenblick wünschte sie sich den Mann zurück, dem sie in der Kapelle ihr Jawort gegeben hatte. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, es gut getroffen zu haben. Aber bald hatte sie bemerkt, wie er der rothaarigen Tochter des Schmieds nachsah. Von Kind an hatte man ihr eingeschärft, züchtig die ehelichen Pflichten zu erdulden, die Burg zu verwalten und ansonsten Frieden im Gebet zu suchen. Von schönen Bauernmädchen und schamlosen Gauklerinnen hatte ihr niemand erzählt. Am liebsten hätte sie dieser kleinen Metze die Nase abschneiden lassen.

»Ein Turnier!«, stieß sie hervor. »Und natürlich werde ich diejenige sein, die den ganzen Ärger damit hat. Handwerker holen, Reitknechte anwerben, mit den Gauklern und Badern streiten, die ihre Buden aufstellen, womöglich willst du auch noch eine Tribüne. – Hast du überhaupt eine Vorstellung, was das kostet?«, schrie sie.

Seine Augen waren kühl. »Da wir vom Geld sprechen – ich höre, dass der Töpfer gestorben ist. Du hättest von seiner Witwe längst das Besthaupt einfordern müssen.«

Jutha zog die Beine an. »Die Frau kann ihre Kinder doch schon mit der Sau kaum über den Winter bringen. Wenn du ihr das beste Stück Vieh nimmst, läuft sie weg oder verhungert. Das hast du früher selbst nicht oft genug sagen können.«

»Darauf kann ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen.« Er setzte sich neben sie. »Im Herbst gehe ich nach Litauen«, sagte er ruhiger. »Der Deutsche Orden führt jeden Winter seine Kreuzzüge gegen die Heiden im Osten. Dort ist leichte Beute zu machen. Man kann als reicher Mann von dort zurückkommen.« Er bemerkte ihren Ausdruck und lachte. »Mach dir keine Hoffnungen: Die Heiden sind Bauern, die werden mich nicht erschlagen.« Er legte seine Hand auf ihre kleine Brust und wollte sie aufs Bett drücken. »Dem König laufen die Verbündeten davon. Mit dem Turnier will er sie wieder an sich binden. Und ich stehe bei ihm in besserem Ansehen denn je, meine Liebe.«

Jutha schob ihn wieder von sich weg. »Ohne mich und meine Familie bist du gar nichts!«, stieß sie verächtlich hervor. »Das weißt du auch, daher diese grenzenlose Ruhmsucht. Du wirst uns noch zugrunde richten, nur um deinem Vater zu beweisen, dass du ihm ebenbürtig bist!«

»Lass meinen Vater aus dem Spiel!« Ulrich packte ihren Arm und riss sie zu sich herauf. Jutha lachte trocken.

»Ich werde dich nicht bewundern wie deine Bauernweiber. Mir kannst du nicht den Ritter vorspielen. Du bist nichts als ein erbärmlicher Speichellecker!« Sie wollte aufstehen.

Ulrich warf sie zurück aufs Bett. Er hob die Hand, wie um sie zu schlagen. »Du wirst mich lieben, wenn ich es dir befehle«, zischte er.

Jutha erstarrte. Sie wehrte sich nicht, aber alles in ihr war reglos und kalt. Sie dachte an die Nacht, als sie ihr Kind verloren hatte. Und er schien dasselbe zu denken. Ulrichs Lippen begannen zu zittern. »Schenk mir einen Sohn!«, stieß er hervor. Fieberhaft schob er ihr Unterkleid über die Schenkel und liebkoste sie gehetzt. »Dann werde ich keinen Anlass mehr zur Sünde haben. Ich schwöre es!«