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»Bringen wir es zu Ende«, sagte Ulrich. Mit einem abfälligen Blick streifte er die schlichte dunkle Cotte seines Gegners. »Ein Zweikampf auf Leben und Tod – das ist mehr, als ein Bastard erwarten kann.«

Raoul hielt dem Blick kalt stand. Jahrelang hatte er auf diesen Moment gewartet. Langsam hob er sein Schwert auf. Als er die Klinge hob, lief ein Funke darüber.

Mit gleitenden Schritten umkreisten sie sich. Immer wieder zerrte ein Windstoß an ihren Cotten und ließ die Fackeln auflodern. Abschätzend musterte jeder die Bewegungen seines Feindes. Raoul setzte die Beine gewandt wie ein Tänzer übereinander, doch Ulrich hatte dazugelernt. Er erkannte die Absicht, ihn auf eines der Zelte zuzutreiben. Außerdem trug er heute keinen Helm, der seine Sicht einschränkte.

Die Klingen schleiften auf dem Boden vor den beiden Kämpfern, so nahe, dass sich ihre Spitzen beinahe berührten. Mit einem plötzlichen Druck der Linken ließ Raoul das Schwert hochschnellen, gleichzeitig verstärkte er die Bewegung mit einem Schritt nach vorn. Ulrich hatte die Bedrohung bemerkt. Eisen klirrte, ein Funken spritzte von der Schneide. Er warf sich gegen die ineinander verkeilten Waffen, um Raoul den Knauf oder das eigene Kreuz ins Gesicht zu stoßen. Dieser spürte den Druck und warf den Kopf zur Seite. Mit einer kräftigen Schulterbewegung schleuderte Ulrich seinen Gegner zurück.

Raoul taumelte, das Haar flog ihm ins Gesicht und behinderte seine Sicht, dann fand er das Gleichgewicht wieder. Die Fackeln beleuchteten Ulrichs Fischaugen, und er wusste, dass seine eigenen genauso unbewegt waren. Ihre Wut und ihr Hass waren der eisernen Entschlossenheit gewichen, den anderen zu töten.

Anna hatte Raoul vergeblich gesucht. Müde und durstig hatte sie sich irgendwann in die fahrende Taverne am Rand des Lagers gesetzt. Es war nicht mehr als ein Holzschuppen. Die eine Seite war offen und bildete die Theke, an welcher der Wirt lehnte. Zwischen den jungen Buchen, umwölkt vom Rauch der nahen Feuer, standen einfache Bänke, aber das Bier war trinkbar. Noch war nicht viel los, nur eine Gruppe Spieler hockte am Boden. Sie wirkten wie gewiefte Betrüger. Einer war lahm, hatte aber die Finger voll glänzender Ringe, der andere musste der abgerissenen geistlichen Kleidung nach ein fahrender Scholar sein. Der dritte war ein Ritter, der offenbar schon einige Turniere hinter sich hatte: Seine Lippe war auf der linken Seite gespalten und hing unten in schlecht vernarbten Fetzen herab.

»Gewonnen!«, rief der Scholar. »Her mit den Kleidern!«

Der Angesprochene wollte sich weigern, aber seine Freunde forderten ihn mit Zurufen auf. Grimmig entledigte sich der Spieler seiner Kleider und fluchte Racheschwüre. Unter Hohngelächter machte er sich aus dem Staub. Die anderen hatten Anna an ihrem roten Kleid als Gauklerin erkannt. Lautstark verlangten sie Musik. Sie hatte lange genug auf der Straße gelebt, um sich die Gelegenheit, ein paar Pfennige zu verdienen, nicht entgehen zu lassen.

»Kramer, gib mir Schminke, damit ich die jungen Männer verführe, ob sie wollen oder nicht

Unwillkürlich hatte sie das Lied gewählt, das sie an ihrem letzten Abend in Neustift gesungen hatte. Sie sah alles wieder vor sich: Raouls wunderschöne Augen unter den markant geschwungenen Brauen, in denen all die ungesagten Zärtlichkeiten zwischen ihnen standen. Seine bebenden Lippen, als sie ihn anschrie. Der kaum spürbare Lederduft, der noch in seinen Kleidern hing, und dann dieser Kuss im Föhnsturm. Sein Gesicht so dicht über ihrem, dass sie im Halbdunkel den Flaum seines Haaransatzes an den Schläfen sehen konnte. Anna erinnerte sich, wie sie ihn mit den Fingern berührt hatte, um sich zu vergewissern, dass er wirklich war. Für einen Moment vergaß sie, dass sie ihn hassen musste, selbst, warum sie hier war. Sie machte weiter, als könnte sie ihn so herbeisingen.

Leute kamen herüber und blieben stehen. Der Scholar schien das Lied zu kennen und brummte einen falschen Bass dazu. Aber sie war schon schlechter begleitet worden.

»Seht mich an, junge Männer, lasst mich euch gefallen!« Sie warf den Kopf in den Nacken und ging von dem Lied in eine Folge von schnell wechselnden Jodelfolgen über. Die hohen, jubelnden Töne befreiten sie.

Und die Leute ließen sich anstecken: Eben noch geduckt und betreten, begannen sie jetzt wie verrückt zu schreien. Selbst zwei vornehme Mädchen ließen sich herumschwenken. Wer keine Tanzschritte konnte, stampfte und klatschte einfach mit und fegte die Becher von den Tischen. Ein Mädchen stürzte dem Scholaren in den Arm, riss ihn mit zu Boden, und lachend machten die andern Witze darüber. Die frisch gewaschenen Locken flogen um Annas Gesicht, längst hatte sie erhitzt das Kleid über den nackten Armen hochgeschoben, und warf die Hüften zur Seite. Sie tanzte und sang sich in einen Rausch, wie um alles Schreckliche, das sie je erlebt hatte, zu vergessen.

»Gelobt sei der Herr, du bist hier!«, rief jemand.

Taumelnd kam Anna zum Stehen. Eine Frau hatte sich durch die Bänke gedrängt. Sie kannte sie.

»Komm schnell!«, rief Eva.

Das späte Licht, das durch die Bäume fiel, verwirrte die kämpfenden Männer. Beide bluteten aus kleineren Verletzungen. Raouls dunkle Cotte machte ihn schwerer zu treffen, aber der blitzende Silberbeschlag seines Gürtels bot ein Ziel. Dank seiner Gewandtheit gelang es ihm immer wieder auszuweichen. Aber der Rohrbacher war größer und hatte mehr Reichweite. Ihre Kräfte waren ausgeglichen.

Raoul machte einen Schritt nach vorn, im letzten Augenblick fegte Ulrich die Klinge weg. Er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden, da stieß Raoul mit vorgestreckten Armen zu.

Mit einem Schrei sprang Ulrich zur Seite. Er war unverletzt, der Stoß, der ihm ins Gehirn gefahren wäre, hatte ihn knapp verfehlt. Einen Herzschlag lang sah Raoul Angst in seinem Gesicht. Wieder dachte er daran, wie Ulrich im Verlies auf ihn eingeschlagen hatte. Mit der ganzen jahrelang angestauten Wut drang er erneut auf ihn ein.

Der Rohrbacher hatte sich wieder in der Gewalt und trieb ihn nun seinerseits zurück. Immer öfter musste Raoul kraftraubende Schritte zur Seite machen. Jetzt rächte es sich, dass er den kürzeren Arm hatte.

Raoul ließ sich zu Boden fallen, um einem waagrechten Hieb auszuweichen. Er rollte sich ab, kam wieder hoch, knirschend glitt die Klinge ab. Körper an Körper standen sie sich keuchend gegenüber, die Waffen ineinander verkeilt, die behandschuhten Fäuste aneinandergepresst.

Einen Herzschlag lang starrten sie sich schwer atmend an. Die Gerüche nach Eisen und dem Wollfett von den Klingen mischten sich mit Schweiß. Raoul spürte Ulrichs Körperwärme, die unerbittliche Kraft, mit der dessen Handgelenk dem Druck standhielt. Ulrichs blutbefleckter Ärmel beschmierte seine Cotte, die ebenfalls auf der Brust feucht war. Nur noch abgrundtiefer Hass stand in den Augen seines Feindes, die Lippen waren erbarmungslos. Er wusste, dass sein eigenes Gesicht denselben Ausdruck hatte.

Am Leib seines Gegners rollte er sich zur Seite ab. In derselben Bewegung riss er die Waffe über den Kopf, so dass die Spitze auf Ulrich zeigte. Sein Todfeind tat dasselbe. Beide hielten die Schwerter nun in dieser Haltung, die man den Ochs nannte. Mit gleitenden Schritten begannen sie wieder, sich zu umkreisen. Der Jähzorn, der es früher leicht gemacht hatte, Ulrich zu beherrschen, war völlig verschwunden.

»Ihr habt noch keinen Erben«, versuchte Raoul ihn zu reizen. »Nicht einmal einen Bastard habt Ihr zustande gebracht.«

Ulrich griff mit einem Schlag von unten an, und er parierte mit einer blitzschnellen Drehung. Seine behandschuhten Finger spielten mit der Waffe und beherrschten jede Bewegung.

»Ich kenne jetzt den Namen meines Vaters«, fuhr Raoul fort. »Wenn Konrad von Haldenberg mich anerkennt und ich Euch im Turnier besiege, wird niemand mehr sagen, ich sei verflucht. Wagt Ihr es, Burg Kaltenberg als Preis in diesem Kampf einzusetzen?«

Ulrich lachte hart. »Euer Vater wird Euch nie seinen Sohn nennen. Und was meine eigenen Bastarde betrifft, bin ich zuversichtlich. Ich habe die rothaarige Gauklerin oft genug auf den Rücken gelegt. Sie war ja ganz verrückt danach.«

Raoul verlor so schnell die Beherrschung, dass er selbst davon überrascht wurde. Mit einem wuchtigen Schlag ging er auf Ulrich los. Verblüfft sprang dieser zurück. In lautloser Wut setzte Raoul nach und drang auf ihn ein. Der Rohrbacher nahm die Klinge auf. Raoul wurde von der Wucht des eigenen Hiebs herumgerissen und taumelte an ihm vorbei. Unwillkürlich ließ er sich fallen und rollte sich über die Klinge ab. Ulrichs Schwert zischte haarscharf über seinen Kopf hinweg.

»Hört auf!«

Keuchend fuhr Raoul auf. Die tief in die Stirn hängenden Locken versperrten ihm einen Moment die Sicht. Seine Hände klammerten sich fester um den Griff. Obwohl er mit der Schulter auf einen Stein gefallen war, spürte er den Schmerz nicht.

Totenbleich starrte Anna von ihm zu Ulrich. Hinter ihr trat Eva langsam zurück. In Annas weit aufgerissenen Augen war ein Ausdruck, dass Raoul am liebsten die Waffe weggeworfen hätte. Seine Hände bebten bei der Erinnerung daran, wie ihn diese Augen unter halbgeschlossenen Lidern angesehen hatten. Wie sie seufzend den Hals geneigt hatte, als er sie dort küsste, wie sie gezittert hatte, als seine Hände über die sanfte Rundung ihrer Schultern glitten. Hätte Ulrich jetzt zugeschlagen, er hätte nicht einmal den Arm heben können.

Ulrich bemerkte es. Seine Brust hob und senkte sich keuchend, und die fischartigen Augen glitten zwischen seinem Feind und seiner früheren Geliebten hin und her. Langsam senkte er die Waffe. Ein herausfordernder Blick traf seinen Rivalen.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Euch vor aller Augen zur Hölle zu schicken«, zischte er. »Also gut: Ihr werdet trotz Eurer niederen Herkunft am Turnier teilnehmen. Wir entscheiden es im Angesicht des Königs!«

Dann griff er nach Annas Arm und zog sie mit sich.