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»Wo ist dein Mann?«

Lena, die in der kahlen Scheune im Erdgeschoss hockte und Hopfen verlas, sah dem kräftigen, sonst so wortkargen Burgknecht Alois entgegen. Zu ihren Füßen spielte ihre Schwester, die vierjährige Klara, mit einer Holzpuppe. Der bittere, aromatische Duft des Hopfens erfüllte den ganzen Raum, und im Halbdunkel waren die Dolden zu luftigen Bergen aufgetürmt. Die anderen Frauen, die gerade Frucht und Kraut getrennt und dabei gelacht hatten, verstummten. Mit dem üblichen Widerwillen der einfachen Leute gegenüber den Burgknechten erwiderte Lena: »Woher soll ich das wissen? Für mich muss er keine Frondienste leisten, bis ihm der Rücken zerspringt.«

»Willst du frech werden, Frau?«, fuhr er sie an. Sein rundes Gesicht mit den schwarzen Augen wurde noch röter. Ein Junge, der zwei panisch gackernde Hühner kopfunter vorbeischleppte, zog den Kopf ein. Alois war bekannt dafür, dass er das, was er von seinem Herrn bekam, direkt an die weitergab, die unter ihm standen. Der Burgknecht wies auf Klara. »Die Kleine sollte sich doch um die Gänse kümmern, was lungert sie hier herum? Vorhin hab ich die Viecher schon wieder im Gemüsegarten gesehen.«

Lena flüsterte Klara etwas zu, und diese war sichtlich dankbar, sich zu den Gänsen trollen zu dürfen. Erleichtert sah Lena den Männern entgegen, die aus dem Kuhstall herüberkamen.

»Der Herr sagt, ihr sollt heute bis zum Abend bleiben«, empfing sie Alois. »Morgen braucht er euch auch noch, der Zaun am Turnierplatz ist zusammengebrochen«, sagte er. »Und bringt noch ein paar Leute mit.«

»Der Bruder meiner Frau ist krank«, erwiderte Peter. »Er hat Fieber und kann sich kaum bewegen. Er kann das Haus und unsere Tiere nicht allein versorgen.«

»Was schert mich das?«, erwiderte Alois. »Der Herr braucht dich, also tu, was dir gesagt wird!« Er bemerkte, dass er sein Gegenüber vom Frühstück weggeholt hatte: Peter hatte Roggenfladen und eine halbe Zwiebel noch in der Hand. Abfällig setzte Alois nach: »Zum Fressen hast du ja Zeit.«

Die Frauen kamen neugierig herüber, und Peters Freunde hatten sich hinter ihm aufgebaut. »Was will er noch alles von uns?«, beschwerte sich Kaspar. »Ein Ferkel dafür, dass unser Vieh auf dem verpfändeten Grund weiden darf, zehn Maß Bier, die Arbeit auf dem Hof und im Wald, und das alles, während unsere eigenen Höfe verkommen und unsere Kinder hungern! Er hat sich mit dem verdammten Turnier zu viel vorgenommen.«

»Hast du am Herrn etwas auszusetzen?«, fuhr Alois ihn an.

Kaspar schwieg und biss sich auf die Lippen. Nur heimlich wagte er einen trotzigen Blick unter seinem dunkelblonden Haarschopf und der tief ins Gesicht gezogenen Bundhaube hervor. Niemand sprach aus, was alle dachten: dass sie Ulrich längst abgrundtief hassten. Sehnlichst wünschten sie, er möge das Turnier verlieren und Burg und Herrenrecht an einen anderen abtreten müssen. Jeder wäre ihnen recht gewesen, selbst der schwarze Ritter.

Alois kam langsam heran. Er griff nach der Reitpeitsche an seinem Gürtel und schlug sie Kaspar mit voller Wucht übers Gesicht. Dann drehte er sich im Kreis und schlug mit der Peitsche in die flache Hand. »Noch einer da, der die göttliche Ordnung in Frage stellt?«

Irgendwoher aus der Gruppe der Leibeigenen kam ein wütender Schrei. Die anderen Männer brüllten ebenfalls auf, sie kamen ihrem Freund zu Hilfe. Und in ihrer Wut stürzten sich zwei von ihnen auf den Knecht.

Alois wollte den Dolch aus dem Gürtel ziehen. Die Helfer des Burgknechts wurden vom Geschrei angelockt, und innerhalb weniger Augenblicke hatte sich ein hitziges Handgemenge entsponnen.

Panisch rannten die allgegenwärtigen Hühner durcheinander. Die Hunde bellten und zerrten an ihren Ketten. Einer der Knechte flog rücklings in einen Berg mit luftigen trocknenden Hopfendolden, der Karren mit den Körben fiel um und verstreute den Inhalt auf dem Boden. In ihrem Rachebedürfnis schlugen die Männer wie wild auf die Knechte des Burgherrn ein. Die angestaute Unterdrückung machte sich Luft: wie ein einziger Funke, der jahrelang ausgetrockneten Zunder aufflammen ließ.

»Seid ihr verrückt?«, schrie Lena und versuchte einen am Kittel zu packen. Sie war die Älteste und musste ihre Geschwister durchbringen. Wenn Peter etwas zustieß, hatte sie niemanden mehr. »Der Herr wird euch umbringen!«

Der Mann befreite sich, und sie taumelte an die Bretterwand. »Er lässt euch alle hängen!«, schrie sie verzweifelt. Zu gut erinnerte sie sich an den Gaukler letztes Jahr, der ihnen von den Aufständen in Flandern erzählt hatte. Grausam hatten sich die Herren an ihren widerspenstigen Bauern gerächt.

Die Männer schlugen mit allem, was griffbereit war, auf die verhassten Burgknechte ein, Heugabeln und Dreschflegel. Peter taumelte mit blutendem Kopf zurück, und empört schrie Lena auf. Sie packte den nächsten Dreschflegel in ihrer Reichweite und schlug nun auch auf die Knechte ein. Irgendwie gelang es Alois, einem Jungen zuzurufen: »Lauf zur Burg! Hol die Waffenknechte!«

Inzwischen war Steffen mit brummendem Kopf aufgewacht. Er tastete nach der Bademagd, mit der er die Nacht verbracht hatte – ihren fremdartigen Namen konnte er sich nicht merken, er klang italienisch.

Das Mädchen war nirgends zu sehen. Schwankend kam der Goliarde hoch und fasste sich dorthin, wo er unter dem blonden Haarfilz seinen Kopf vermutete. Nur langsam nahm der Stall Gestalt an. Das aufgetürmte Heu, in dem sie es getrieben hatten, die hohe Decke, das fahle Licht. Steffen sprang hoch und war auf einmal hellwach. Fluchend suchte er den Lederbeutel an seinem Gürtel. Er war verschwunden.

Verdammtes Dreckstück!, fluchte er stumm. So gut war die Nacht nun auch wieder nicht gewesen. In hilfloser Wut drosch er die hölzerne Heugabel gegen die Wand, aber abgesehen von einem Splitter, den er sich einzog, brachte das auch nichts. Resigniert über die Falschheit der Weiber stapfte er zum Zelt seines Herrn.

Es passte zu seiner Stimmung, dass von Raoul keine Spur zu sehen war. Die Bettstatt war, wie er zur Kenntnis nahm, beneidenswert zerwühlt. Raouls Kleider und Waffen fehlten, aber er fand Annas Gürtel. Achselzuckend steckte er ihn ein und zog den Kopf zwischen die breiten Schultern. Das Wetter wurde schlechter.

Das Fell am Eingang wurde zurückgeschlagen. Maimun kam herein, er wirkte angespannt. »Wirkt die Salbe, die ich dir für deinen Zahn gegeben habe?«, fragte er. Steffen wollte erwidern, dass er ihn noch einmal entlausen sollte, aber der Maure hörte gar nicht zu. Seine dunkle Haut glänzte, und seine schlanken Hände hoben fahrig die wenigen Dinge im Zelt. »Gleich geht das Turnier los, da wird es wieder Verletzungen geben. Hast du mein Medizinbuch gesehen?«

»Was soll ich mit Euren sarazenischen Zaubersprüchen?«, erwiderte Steffen voller Selbstmitleid. Die Welt wurde wirklich immer schlechter. »Überlegt Euch lieber, mit wem Ihr die Nacht verbracht habt. Hier gehen die Weiber einem Mann an die Bruche, nur um seinen Beutel abzuschneiden.«

Als sie aus dem Zelt kamen, spielte eine Gruppe Kinder zwischen den Zelten mit Holzschwertern. Ein Mädchen, das sich offenbar langweilte, rannte zu ihnen herüber. »Wenn Ihr die Hexe mit den roten Haaren sucht, die hat der Herr Ulrich mitgenommen.«

Steffen und der Sarazene sahen sich an. »Was ist mit ihr?«, fragte Maimun endlich.

»Der Burgherr will sie verbrennen«, erwiderte das Kind eifrig. »Kommt Ihr dann auch und seht zu?«

Steffens dumpfer Kopf verschwand so schnell, dass er selbst überrascht war. »Ich laufe zum Turnierplatz und suche Raoul«, stieß er hervor. »Wenn er die Zweikämpfe gewinnt und seinen Anspruch auf Kaltenberg behauptet, ist er Annas Herr!«

Maimun sah ihm nach, wie er einen Händler achtlos beiseitestieß, der soeben sein Leintuch auf die Pfosten spannte, um seine Ware auszulegen. »Ich fürchte, so einfach ist es nicht«, sagte er zu sich selbst. Ulrich hatte Anna selbst einmal geliebt. Dass sie seinem Todfeind gehörte, würde er nicht hinnehmen. Umso mehr, als Raoul kein Geheimnis aus seinen Gefühlen für sie machte. Seit Maimun ihn kannte, hatte er ihn noch nie so glücklich gesehen wie in den letzten Tagen. Wenn Ulrich das auch aufgefallen war, würde es Anna das Leben kosten.