»Holzschwerter! Schilde und Lanzen für die Ritter von morgen!«
»Bunte Bänder, in den Farben der Kämpfer!«, überschrie eine Frau mit braunem Kopftuch die anderen Händler. Ihre Ware in einer Bauchlade, drängte sie sich durch die Zuschauer am Turnierplatz. Zwischen den Kleidern der Menschen hingen die Gerüche nach Stall, Knoblauch und Bier, und vermutlich holte sie sich Wanzen und Flöhe. Aber es lohnte sich, wie Eva neidisch bemerkte. Die Bänder in Schwarz, Weiß, Rot, Blau und Grün verkauften sich wie warme Brote.
Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass dieser Tag nicht friedlich enden würde. Steffen war sofort mit den Neuigkeiten herausgeplatzt. Ulrich war nirgends zu sehen, das war kein gutes Zeichen. Ihr kamen tausend Gedanken, was er mit Anna anstellen konnte, und keiner war besonders erfreulich. Außerdem konnte Raoul ihn nicht besiegen, wenn er fehlte.
Schwarze Wolken zogen von Westen heran. Ein böiger Wind fegte das Stroh vom Platz und trieb faule Blätter darüber. Aber noch hing die warme Luft zwischen Burg und Turnierplatz, und so hatte der König den Tag eröffnet. Die Königin fehlte auch heute. Aber ein älterer Mann in der Tracht der Deutschherren drängte sich auf die Tribüne. Offenbar wimmelte es hier von geistlichen Herren, die nichts auf das Turnierverbot gaben.
Endlich konnte Eva Raouls schwarzen Waffenrock ausmachen. Ihr fiel auf, dass er ein anderes Pferd ritt als sonst.
»Bringen sie sich jetzt um?«, fragte ein Kind mit einem Holzschwert. Die Mutter versetzte ihm einen Klaps. »Heute wird nur mit stumpfen Waffen gekämpft – à la plaisance.«
»Aber wenn sie vom Pferd fallen«, wandte das Kind erwartungsvoll ein, »können sie zertrampelt werden.«
Die Worte trugen nicht gerade zu Evas Beruhigung bei. Die Ritter hatten sich schon aufgestellt, als sich die gekreuzten Lanzen der Herolde noch einmal öffneten. Ein überraschtes Seufzen ging durch die Menge, das Tuscheln wurde zu einem unruhigen Summen. Neugierig drängten sich die Menschen beiseite.
Ein Ritter im rotgoldenen Waffenrock sprengte auf den Platz. Das Gesicht war hinter einem glänzenden Helm verborgen, aber der Wimpel auf seiner Lanze zeigte ein rotes Wappen mit drei goldenen Schafscheren. Eva fiel seine gute Haltung auf, er musste ein adliger Herr sein. Er neigte die Waffe vor dem König und ließ den Wimpel abnehmen.
Sifrid von Kühlenthal machte eine überraschte Bewegung und rief etwas, und auch der Graf von Dießen musterte den Ankömmling nachdenklich. Obwohl keiner von ihnen darauf bestand, das Wappen des Kämpfers zu prüfen, hatte offenbar niemand mit einem neuen Teilnehmer gerechnet. Nur der Turniervogt wechselte einen Blick mit dem König. Als hätte er es erwartet, winkte er dem roten Ritter, zu den anderen zu reiten. Der Tag der Tjoste war eröffnet.
Es war unüblich, das Lanzenbrechen auf den zweiten Tag des Turniers zu legen, dachte Raoul, während die Ritter an der Schmalseite des Platzes warteten. Aber es half ihm, denn so konnte er sich als Herr von Kaltenberg empfehlen. Es gelang ihm nur schwer, seinen Hass auf Ulrich zu beherrschen. Seit er wusste, dass derselbe ungezügelte Hass seinem Vater zum Verhängnis geworden war, fiel es ihm leichter. Unwillkürlich suchte er nach dem weißen Ordenshemd in der Menge und fand es. Als er den besorgten Gesichtsausdruck seines Vaters bemerkte, lächelte er, und Stolz erfüllte ihn. Unwillkürlich hob er leicht die Lanze. Konrad von Haldenberg würde nichts bereuen.
Anna war noch nicht zu sehen, dachte er, während er das unruhige Pferd zügelte. Er war genauso angespannt wie alle Kämpfer. Aber wenn er daran dachte, wie sie ihn vorhin berührt hatte, als sie ihm in die Rüstung half, war er auch unendlich glücklich. Schon heute Abend würde sie niemand mehr eine Hexe nennen. Er musste siegen, und es würde ihm gelingen.
Sifrid von Kühlenthal trat als Erster in die Schranken, und Raouls Aufmerksamkeit richtete sich nur noch auf ihn. Wenn er Erfolg haben wollte, musste er den Stil seiner Gegner kennen.
Die Gaukler fiedelten, trommelten und flöteten, was das Zeug hielt, Pferde schnaubten, und die Zuschauer tauschten sich vernehmlich über die Kämpfer aus. Ungerührt von Krach und Getöse trabte der Schimmel des Kühlenthalers an die Schmalseite entlang der Tilt – der farbigen Mittelplanke, welche die Reitbahn längs teilte. Obwohl dies keines der großen Turniere war, wo Könige gegeneinander antraten, hatte man nicht darauf verzichtet. Aus gutem Grund, allzu leicht konnte ein Kämpfer seinen gestürzten Gegner niederreiten.
In gestrecktem Galopp rasten die Tiere aufeinander los, und krachend barst die erste Lanze. Der Kühlenthaler schwankte und stürzte aus dem Sattel. Mühsam kam er auf die Beine und klopfte sich den Staub aus dem Waffenrock. Mit schmerzverzerrtem Gesicht betastete er seine Brust. Er hinkte zum Rand der Reitbahn, wo ihn seine besorgten Knechte empfingen. Als der Medicus seine Schulter berührte, schrie er vor Schmerz auf. Die nächste Lanze würde er kaum noch gerade halten können.
Ungeduldig verfolgte Raoul auch die nächsten Tjoste. Dann gab er seinem Rappen die Sporen und galoppierte an der Reihe der anderen vorbei. Mit der Lanze schlug er gegen einen Schild nach dem andern – die offizielle Herausforderung zum Kampf.
Stille breitete sich aus. Selbst auf der Königstribüne herrschte Schweigen. Überrascht sahen sich die Kämpfer an, die Zuschauer begannen zu tuscheln. Regen setzte ein, aber niemand wäre jetzt gegangen.
In einem Bogen umrundete Raoul die Tilt und streckte die Hand nach der Lanze aus. Ein Grieswärtel reichte ihm die mit Bändern umwickelte Waffe. Ihm gegenüber trat der Graf von Dießen in die Schranken. Es war gut, dachte Raoul, dass man einem gepanzerten Gegner nicht in die Augen sah. Zu gut wusste er, dass auch ein Stoß mit der stumpfen Lanze tödlich sein konnte.
Auf das Zeichen gab er seinem Pferd die Sporen. Der Dießener brüllte etwas und donnerte mit vorgeneigtem Oberkörper, die blaugelb umwickelte Lanze über dem Arm, auf ihn zu. Nasses Stroh, Schlamm und Erde spritzten unter den Hufen auf. Unter der Panzerung und mit dem Zacken vorn auf der Stirn wirkte das Tier noch gewaltiger. Der Regenschleier erschwerte die Sicht und drohte die Pferde straucheln zu lassen. Raoul senkte das Ende mit dem eisernen Turnierkrönlein. Er traf den Schild.
Der Aufprall nahm ihm den Atem und schleuderte ihn nach hinten weg, einen Augenblick hatte er das Gefühl, seine Rippen würden bersten. Der ohrenbetäubende Krach ließ ihn unwillkürlich den Kopf zur Seite werfen, um keinen Lanzensplitter ins Auge zu bekommen. Fast taub von der Wucht der gegnerischen Lanze, hielten seine Finger den Schild nur mühsam. Ein Stück Holz flog gegen seine Schulter, aber die Brechscheibe schützte die Hand. Es gelang ihm, sich wieder aufzurichten. Der Graf schwankte, griff haltsuchend nach dem Kastensattel, doch zu spät. Er stürzte ins Stroh.
Jubelgeschrei tönte Raoul entgegen, als er das andere Ende erreichte und sein Pferd ruckartig zum Stehen brachte. Die regenschwere Pferdedecke klatschte gegen seine Beinschienen, und sogar unter den Helm waren durch das Visier Regentropfen gedrungen, die jetzt unangenehm juckten. Waffenrock und Kettenpanzer drückten durch das durchnässte wollene Untergewand, und er fror, aber er kümmerte sich nicht darum. Abrupt wendete er das Tier und streckte die Hand nach einer neuen Waffe aus.
Wieder brachen die Lanzen, wieder brüllten die Leute ihm zu. Raoul war wie besessen. Längst war sein Nacken von dem ständigen Aufprall steif, aber er spürte Schmerz und Kälte nicht mehr. Dass er von Kopf bis Fuß schlammbespritzt war, merkte er nicht einmal. Noch nie hatte er mit einer derartigen Entschlossenheit gekämpft. Er musste den Turniersieg zugesprochen bekommen – für Anna. Wenn er an ihren wilden Trotz dachte, an ihre leidenschaftliche Stimme, wenn sie von den Carmina sprach, schien ihm alles wertlos ohne sie. In Akkon hatte er eine Frau geliebt und verloren. Damals hatte er nicht geglaubt, je wieder diese Gefühle empfinden zu können. Anna würde er nicht ver lieren.
Donnernd jagte der letzte Gegner auf ihn los. Längst hatte der Regen den Boden schwer und klumpig gemacht, aber keinen der beiden Reiter störte es. Auch der andere spornte sein Pferd zu aberwitziger Geschwindigkeit an.
»Er ist ja verrückt!«, schrie jemand. »Er bricht ihm das Genick, wenn er nicht den Schild trifft!«
Raoul bemerkte, dass sein Gegner die Lanze leicht erhoben hielt – offenbar wollte er seinen Hals treffen. Er sah die hellen Augen hinter dem Visier und wusste plötzlich, dass es Ulrich war.
In grimmiger Entschlossenheit schlug er seinem Rappen die Sporen in die Seite. Brüllend jagten sie aufeinander zu. Im letzten Augenblick warf sich Raoul nach vorn und riss den Schild hoch.
Krachend brachen die Lanzen. Raouls Waffe hatte einen Wimpernschlag vor der seines Gegners ihr Ziel erreicht und Ulrich aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Stoß wurde nach oben abgelenkt, der Rohrbacher schwankte und stürzte.
Triumphierend sah Raoul sich um.
Feuchtes Stroh und Schlamm spritzten, als sich Ulrichs Fuß im Steigbügel verfing und er hinter dem Pferd hergeschleift wurde. Einer der wuchtigen Hufe traf ihn, und er krümmte sich brüllend und rollte zur Seite weg.
Fluchend kam er auf die Beine. Er schien nicht schwerer verletzt zu sein, nur sein Helm hatte sich gelockert, denn er zerrte wütend an dem Lederband. Das Waffenhemd war schlammbespritzt, doch er machte keine Anstalten aufzugeben. Er winkte dem Grieswärtel, ihm wieder in den Sattel zu helfen, griff zum Schwert und setzte Raoul nach – auf dessen Seite der Tilt.
Raoul zog das Schwert aus der Scheide und galoppierte Ulrich entgegen. Die Zuschauer schrien überrascht auf, als er so dicht an ihnen vorbeijagte, dass seine Satteldecke die vordersten streifte. Schwitzend prallten die Pferdeleiber aneinander. Mit seinem ganzen Körpergewicht warf sich Raoul in die verkeilten Klingen. Obwohl seine Arme wie taub waren, führten sie die Hiebe wie von selbst. Beide Waffenröcke waren völlig durchnässt und meißelten die Körper in den Kettenhemden heraus. Der Regen nahm ihnen die ohnehin knappe Sicht. Ihr stoßweise gehender keuchender Atem mischte sich in das Klirren der Waffen, die Pferde stampften, die Leute riefen irgendetwas, selbst die Musik spielte weiter. Aber nichts davon nahmen sie wirklich wahr. Sie näherten sich dem Holzgestell. Um Platz zu gewinnen, wendete Ulrich plötzlich sein Pferd und jagte die Stufen zur Tribüne hinauf.
Kreischend brachten sich die Damen am hinteren Rand in Sicherheit. Der König und seine Ritter waren teils über die Tribüne herabgesprungen, wo sie zwischen den Gauklern oder den Grieswärteln landeten. Andere hatten sich mit den Damen an den hinteren Rand zurückgezogen. Raoul sprengte auf die andere Seite und kam ebenfalls die Treppe heraufgeritten. Er hatte seine leichte Überlegenheit gespürt, und es beflügelte ihn. Ulrich würde bereuen, was er ihm und Anna angetan hatte.
Unter dem hölzernen, mit Wimpeln geschmückten Dach scheuten die Pferde und bäumten sich auf. Die Hufe dröhnten hohl auf den Bohlen, ständig schlugen sie aus und tänzelten, als die flatternden bunten Fahnen ihre Leiber berührten. Wieder prallten die Schwerter aufeinander. Mit einem Aufschrei drängten die Damen rechts und links die Treppen hinunter. Hinter ihnen trieb Ulrich sein Pferd zurück auf den Platz. Raoul folgte ihm. Mit gnadenlosen, sternförmig geführten Hieben brachte er ihn zusehends in Bedrängnis. Plötzlich fegte er ihn mit einem kräftigen Schlag aus dem Sattel.
Ein Aufschrei ging durch die Menge, er fühlte alle Augen auf sich gerichtet. Eine Flöte hatte einen schrillen Misston von sich gegeben. Der schwarze Helm musste bei einem Stich nach dem Hals einen Riemen eingebüßt haben, er saß nicht mehr fest. Wütend riss sich sein Träger den nutzlosen Schutz vom Kopf. Ulrichs blondes Haar kam darunter zum Vorschein.
Der Wind zerrte an der rotgoldenen Satteldecke seines Gegners und ließ das Pferd größer erscheinen. Die Zuschauer raunten und flüsterten. Erst jetzt begriffen sie, wem die Farben Rot und Gold gehörten, die Ulrichs Gegner trug. König Ludwig musste es gewusst haben – nur ein König konnte den illegitimen Spross der Haldenberger anerkennen und ihm gestatten, das Wappen seiner Familie zu führen.
Der Ritter in Rotgold war vom Pferd gesprungen. Langsam nahm auch er den Helm ab, und darunter warf Raoul die durchnässten schwarzen Locken zurück.
Überrascht und erleichtert lachten die Leute. Insgeheim hatte der unbekannte Fremde längst ihre Sympathie gehabt, aber nun, da sie sein Gesicht kannten, zeigten sie es offen. Raoul war zu erschöpft, um zu begreifen, dass er es war, dem sie zujubelten. Mit wutverzerrtem Gesicht kam Ulrich auf die Beine und griff von neuem an.
Er nahm die Klinge auf, ließ den Griff seines Schwerts nach oben schnellen und konterte mit einem schnellen Sturzhau. Sein Hass war jetzt völlig verschwunden, er spürte nur noch die gnadenlose Entschlossenheit zu gewinnen. Unerbittlich trieb er seinen Gegner vor sich her auf den Rand des Kampfplatzes zu. Plötzlich fuhr der Rohrbacher herum. Ehe Raoul begriff, hatte Ulrich einem nichtsahnenden Herold die Fackel aus der Hand gerissen und stieß das glühende Ende nach ihm.
Raoul wich vor dem gelben Flammenbündel zurück. Wütende Rufe kommentierten den Bruch der Regeln. Der Turniervogt gebot Einhalt, aber keiner der beiden Kämpfer hörte auf ihn. Der Grieswärtel versuchte die Kämpfenden mit seiner Stange zu trennen, doch Ulrich stieß die Fackel auch in seine Richtung. Raoul riss nun seinerseits eine Fackel aus ihrer Halterung unterm Dach der Tribüne.
Völlig durchnässt und mit triefendem Haar nahmen die beiden Männer nichts mehr um sich herum wahr. Ihre Waffenröcke waren regendunkel und klebten zerfetzt an den Körpern. Beide bluteten aus kleineren Wunden. Schweiß und Wasser rannen über ihre Gesichter, sammelten sich auf Lippen und Bart und tropften auf die Brust.
Plötzlich warf Ulrich die Fackel nach Raoul. Dieser duckte sich darunter hinweg, tauchte unter Ulrichs Klinge und stieß zu.
Kettenhemd und Harnisch fingen die stumpfe Waffe ab, dennoch genügte es, um Ulrich den Atem zu rauben. Aufspritzend landeten die Fackeln im nassen Schlamm und verlöschten. Raoul trat seinem Rivalen die Beine weg. Ulrich stolperte, stürzte, und Raoul stand über ihm.
Aufgeregt drängten sich die Leute an den Kampfplatz. Der König war aufgesprungen. Selbst Jutha war bleich geworden. Totenstille breitete sich aus.
Der Wind zerrte an Raouls rotgoldenem Waffenhemd, überall auf dem Stoff waren kleinere Blutspritzer. Nur der silberne Gürtelbeschlag glänzte bleich. Auf einmal trat er zurück und wandte sich an den König. »Es ist genug Blut zwischen unseren Familien geflossen«, keuchte er. In der plötzlichen Stille war seine Stimme dennoch klar vernehmbar. Mit dem Ärmel wischte er sich das triefende Haar aus dem Gesicht. Langsam ging er auf den König zu. »Sprecht Ihr mir den Sieg zu?«
Ein erleichtertes Raunen ging durch die Menge, als Ludwig von Baiern den Sieger zu sich befahl. Die endgültige Entscheidung oblag den Damen, aber er schien keinen Zweifel zu haben, wie sie ausfallen würde.
Raoul bemerkte den rötlich flackernden Schein über den Bäumen, wo die Burg lag. Aber er war zu erschöpft, um gleich zu begreifen. Ein Knecht, der von der Burg herabgerannt kam, brach den Bann. Wild immer wieder etwas rufend, bahnte er sich den Weg durch die Menge.
»Feuer!«, verstand Raoul endlich, was er brüllte. »Die Burg brennt!«