O fortuna velut luna – von der Fußball-WM über den Soundtrack großer Hollywood-Blockbuster wie Excalibur bis hin zur Werbung: Jeder hat schon einmal die Carmina Burana gehört, vielleicht ohne es zu wissen. In der Vertonung des bayerischen Komponisten Carl Orff kamen sie zu Weltruhm, aber immer wieder greifen auch moderne Musikgruppen auf die Texte zurück. Vor zweihundert Jahren war die geheimnisvolle Handschrift die einzige ihrer Art. Heute gehören ihre Lieder zu den bekanntesten Texten des Mittelalters.
Carmina Burana – das bedeutet Lieder aus Benediktbeuern. Aber bis heute weiß man nicht, wie sie eigentlich dorthin gekommen sind. Als im Jahre 1803 alle bayerischen Klöster ihre Tore der Säkularisation öffneten, fand man das Buch in der Klosterbibliothek. Gegenwärtig wird es in der Staatsbibliothek München verwahrt. Und bis heute gibt es Rätsel auf.
Das meiste, was aus dem Mittelalter überliefert ist, stammt aus gebildeten Kreisen, also von Klerikern. Das bedeutet: von einem Bruchteil der Gesellschaft, der ausschließlich männlich war. In den Carmina geht es um das, was die anderen 99 Prozent getan haben: Sie entführen zu Bauerntänzen, zu Wirtshausschlägereien und Verliebten. In ihnen kommt eine Lebensfreude und eine Körperlichkeit zum Ausdruck, die völlig im Gegensatz zur angeblichen Jenseitsbezogenheit des Mittelalters steht.
Auch viele Lieder der Carmina Burana stammen von Klerikern wie dem Archipoeta. Aber das sind keine Bischöfe oder Äbte, sondern Subdiakone, »Lotterpfaffen«, Studenten. Spielmannslieder sind darunter, Liebeslieder und deftige Tavernenszenen. Einige Lieder werden übrigens auch einem gewissen Freidank zugeschrieben.
Anfangs glaubte man, die Carmina seien dort entstanden, wo sie gefunden wurden: in Benediktbeuern. Heute nimmt man aufgrund der Malereien wie auch sprachlicher und inhaltlicher Merkmale an, dass sie zwischen 1225 und 1230 an der Südgrenze des bayerischen Sprachraums aufgeschrieben wurden: im Kloster Neustift bei Brixen in Südtirol, am Hof des Bischofs von Seckau in der Steiermark oder in Kärnten.
Die Zeit, als die Carmina niedergeschrieben wurden, ist eine Zeit großer Veränderungen. Der Zusammenbruch des Stauferreichs brachte Umwälzungen mit sich, die das Gesicht Europas veränderten. Eine davon war die Entstehung der Grafschaft Tirol. Von Anfang an waren die Grafen von Tirol bestrebt, ihr Gebiet nach Kärnten auszuweiten, was ihnen wenige Jahrzehnte später auch gelang. Das Augustiner-Chorherrenstift von Neustift hatte mit großer Wahrscheinlichkeit Kontakt zu seinen Bruderhäusern – unter anderem gab es Augustiner-Chorherren auch in Seckau und in Maria Saal in Kärnten. Es liegt nahe, dass sich Schreiber und Maler austauschten oder auch einmal einen Winter in einem Bruderhaus verbrachten. 1225 ist eine Stiftung des Grafen Albert von Tirol an das Kloster belegt – vielleicht auch der Dank für eine Dienstleistung wie die Niederschrift eines Buches? Albert hatte erst 1221 eine Fehde mit dem Bischof von Brixen beigelegt. Es könnte sein, dass die Carmina in diesem Zusammenhang entstanden. Der Anhang der Handschrift stammt vom Anfang des
14. Jahrhunderts, der Zeit der »Gauklerin von Kaltenberg«.
Wie kamen die Lieder nach Benediktbeuern? Die Wittelsbacher, Herren von Bayern, und die Grafen von Görz-Tirol waren eng miteinander verwandt. Gerade unter Ludwig dem Bayern und Heinrich von Görz-Tirol wurden diese Beziehungen immer enger und gipfelten schließlich in der Heirat der Tiroler Erbtochter Margarethe »Maultasch« mit Ludwigs Sohn. Es ist wahrscheinlich, dass die Carmina irgendwann in dieser Zeit nach Bayern gelangten. Aber ihr endgültiges Geheimnis werden die Carmina Burana vielleicht nie preisgeben.
Kaltenberg hat mich von jeher fasziniert, und es wunderte mich nicht, dass die Burg eine so bewegte Geschichte hat. Die Familienfehde um Burg Kaltenberg ist historisch, erfunden habe ich lediglich Raoul und Ulrich. Auch der Raubritter Heinrich von Wolfsberg, der »Fraß«, ist eine historische Figur. Ob sein Name ein Spitzname war oder die Herren von Fraß (Frazz) wirklich so hießen, ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Nur von einem Turnier erzählen die spärlichen Quellen der Zeit nichts.
Ludwig der Bayer ist vielleicht einer der ersten modernen Herrscher in Europa. In einer Zeit, als der Templerorden unter dem Vorwand der Ketzerei brutal zerschlagen wurde, machte er sich vom Papst und seiner Inquisition weitgehend unabhängig – ein Grund, warum er exkommuniziert und sein Andenken verdammt wurde. Ludwig setzte auf starke Städte und Orden, um den Handel zu fördern. Mehrfach beschützte er die jüdischen Bürger vor den in dieser Zeit so häufigen Ausschreitungen. Im Rahmen des Thronstreits mit seinem Vetter Friedrich von Österreich gab es tatsächlich zweimal Gerüchte um ein Mordkomplott gegen ihn, 1319 vor Mühldorf und 1320 bei Straßburg. Der Krieg um die Macht wurde mit allen Mitteln geführt.
Aber ist das verwunderlich? Europa stand in diesen Jahren auf Messers Schneide. Im täglichen Überlebenskampf, gerade in einer Hungersnot, wie sie für den Anfang des 14. Jahrhunderts bezeugt ist, zeigte sich die ganze Bandbreite menschlicher Charaktere – von skrupelloser Brutalität bis zu kaum vorstellbarer Großzügigkeit.
Es ist das Vorrecht der Gaukler, über Begebenheiten der Vergangenheit zu spotten. Und das Vorrecht historischer Romane, sie wieder zum Leben zu erwecken.