“If the doors of perception were cleansed,
every thing would appear to man as it is infinite.”
(William Blake 1757–1827)
Der Konsum von Psychedelika, ihre zunehmende Legalisierung, die Zunahme von Verschwörungstheorien, eine erhebliche Tendenz zu Verschwörungstheoretikern unter Konsumenten, die Nähe von Psychedelika zu Psychosen und Paranoia einerseits und zur Selbstentwicklung im humanistischen Gedankengut von Buddhismus, Meditation und Yoga andererseits. Dies zusammen konvergiert zu einem Lebensgefühl, das die von der Aufklärung diktierte rational wissenschaftliche Durchdringung der Welt in Frage stellt. Als hätten die Ernüchterung über die Grenzen des Wachstums und die Abgründe der technologischen Vernunft die Hoffnung genährt, dass jenseits davon ein Bewusstsein existiert, ein Bewusstsein, das nicht darauf ausgerichtet ist, wie bisher Lebensräume in Besitz zu nehmen und sie dabei zu vernichten.
Ein Merkmal der vernunft-geleiteten Orientierung in der Welt ist die duale Beziehungsqualität, die mit der Unterscheidung von Subjekt und Objekt einher geht. Z.B. sagt man „ich reite das Pferd“ und nicht „das Pferd und ich reiten“ oder „das Pferd und ich werden geritten“. Diese Ich-es Beziehung im Sinne von Martin Buber stabilisiert die Ichgrenzen und degradiert alles andere inclusive anderer Personen zu Gegenständen der Betrachtung und Manipulation. Damit bin ich der Welt entfremdet und von dem Teil in mir, der mit Anderen und dem Universum im Sinne von Bubers Ich-Du-Beziehung verbunden sein könnte.
Psychedelischen Substanzen heben die Dualität und die damit verbundene Entfremdung vorrübergehend auf. Spürbar wird die wiederhergestellte Verbundenheit mit anderen Menschen durch die Einnahme von sogen. Entaktogenen wie MDMA oder GHB und die Verbundenheit mit dem größeren Ganzen durch die Einnahme von sogen. Entheogenen wie DMT (Ayahuasca) oder Meskalin (Peyote, San Pedro). Auf diesem Wege löst sich das Individuum aus den gewohnten Fixierungen, kann seine Ichgrenzen vorrübergehend hinter sich lassen und den Kontakt zum großen Ganzen wieder wahrnehmen. Die Entgrenzung muss nicht unbedingt sozial förderlich (ein Freund von mir hat im Rausch den Nachbarn gebissen).
Es ist fraglich, ob man die Selbstbeschränkung auf den individualistischen Egozentrismus unserer Zeit aus eigener Kraft überwinden kann oder besser mit Hilfe der Substanzen, die die Natur zur Verfügung stellt. Vielleicht ist es ja ein Geschenk der Evolution, dass sie den Menschen Ayahuasca, Peyote und bestimmte Pilze anbietet, die psychedelische Substanzen enthalten. Als ein günstiger Zufall, göttlicher Wille oder Regulativ im Sinne einer Gajatheorie. Das würde über einen molekular-zellulären Reduktionismus in der Analyse psychoaktiver Wirkungen hinausführen und eine Erweiterung des Denkens um eine spirituelle Dimension darstellen.
Auf der anderen Seite gibt es in vielen Kulturen kontemplative Traditionen, die ebenfalls veränderte Bewusstseinszustände anstreben, um den Dualismus von Ich und Objekt hinter sich zu lassen, die aber ohne von außen zugeführte Substanzen auskommen. Viele dieser Praktiken erfordern eine lange Einübung in Gebete, Meditationen oder schamanistische Rituale, deren Mühe wenige auf sich nehmen wollen und die in der moderne Lebenswelt wenig Platz haben. Man stelle sich eine Familie mit zwei berufstätigen Eltern und drei Kindern vor und die Eltern ziehen sich täglich zwei bis drei Stunden zur Meditation zurück.
Daneben gibt es die hypnotische Trance, die leicht erlernbar ist und sowohl subjektiv eine Annäherung an nonduales Erleben ermöglicht als auch neurophysiologisch ähnliche Mechanismen mobilisiert wie psychoaktive Substanzen. Der gemeinsame Nenner ist vermutlich die Zunahme der Entropie in bestimmten Hirnstrukturen und die Auflösung und Rekonsolidierung von Konnektivitäten zwischen diesen und innerhalb dieser Strukturen. Trotz bemerkenswerter Ähnlichkeiten in der therapeutischen Indikation und in den zugrunde liegenden Wirkmechanismen, ist in der neueren Literatur der Verwandtschaft psychedelischer Substanzen und der hypnotischen Trance wenig Beachtung geschenkt worden2 (McGeown et a. 2009, Lermercier & Terhune 2018).
Milton H. Erickson hat vermutet, dass hypnotische Trance einen veränderten Bewusstseinszustand darstellt, in dem vertrauten Glaubenssätze und der gewohnte Bezugsrahmen vorübergehend verlassen werden, sodass obsolete Verknüpfungen gelöst und neue gefunden werden. Er kannte die Forschung mit bildgebenden Verfahren noch nicht, formulierte aber etwas, das die Neurophysiologie stützt. Er meinte, dass bevor man sich an die Arbeit macht, das Selbstbild zu stabilisieren, das unsere gewohnten Denkmuster bestimmt, es sich in vielen Fällen lohne, diese vorrübergehend außer Kraft zu setzen, um eine Neuorientierung zu erleichtern. Auf diese Weise gelingt es u. U. eher, Patienten (bzw. Menschen generell) aus der Leidensrolle ihrer kognitiven und emotionalen Sackgassen zu befreien.
Ein frühes Experiment der kognitiven Psychologie konnte zeigen, dass die Erweiterung des kognitiven Bezugsrahmens bei der Problemlösung hilfreich ist. Ein Teil der Probanden konnte das bekannte grafische Rätsel nicht lösen, wie man vier im Quadrat angeordnete Punkte mit nur drei Linien verbindet. Man gönnte ihnen eine Pause und zeigte ihnen beiläufig, wie ein großes Buch von einem kleineren vollständig zugedeckt werden kann, indem man das kleinere flach über das aufrecht hingestellte große Buch hält. Nach dieser scheinbar belanglosen Demonstration konnten die gescheiterten Probanden die Dreistrichaufgabe lösen. Es ist, als hätte man den Lösungs-Raum durch eine zusätzliche Sinnesmodalität (konkrete Handlung) und durch größeren Kontext erweitert und so das Denken von der Einschränkung befreit, in dem von den vier Punkten vorgegeben Rahmen zu bleiben.
Auch Träume können festgefahrene Vorstellungen auflösen. So ging es August Kekulé (1829–1896), als er in seinem Lehnstuhl eindöste und die bis dahin gewohnte Vorstellung der linearen Anordnung der Kohlenwasserstoffe hinter sich ließ und auf die ringförmige Anordnung des Benzols kam, indem er von einer Schlange träumte, die sich in den Schwanz beißt. In manchen Fällen behindert das gewohnte Denken (hier die lineare Anordnung der Kohlenwasserstoffe) eine kreative Lösung. Doch Menschen verlassen die Gewohnheiten ungern, denn diese vermitteln Sicherheit.
Der Neurowissenschaftler Robin Carhart-Harris führte 2014 den Ausdruck des entropischen Gehirns ein, um zu verdeutlichen, dass es sich bei unserem Gehirn um ein komplexes Organ handelt, das Entropie, d.h. die ungeordnete Menge an Informationen, die von außen wie von innen auf den Organismus einwirkt, reduziert (Carhart-Harris et al., 2014).
Die Information wird so reduziert, dass eine schnelle Orientierung möglich wird. Das wird durch eine Hierarchie von Netzwerken erreicht, die spezifische Aufgaben der Informationsverarbeitung abwickeln. Dabei gibt es zwei übergeordnete Bereiche. Das Netzwerk für die externe Orientierung umfasst u. a. Motorik, Sensorik, Aufmerksamkeit, Handlungskontrolle. Das zweite übergeordneten Netzwerke, das sogen. Default Mode Network (DMN), die Standard-Ruheeinstellung des Gehirns (resting state, Anticevic et al., 2012)3 betrifft die Innenorientierung und umfasst u. a. implizites und explizites Gedächtnis, emotionale Netzwerke und solche der Selbstreferenz.
Das DMN ist aktiv, wenn man im entspannten Zustand seinem Bewusstseinsstrom freien Lauf lässt. Es resultieren schweifende Gedanken über Hoffnungen und Tagträume und über die eigene Person. Man überdenkt die Vergangenheit und die Zukunft und phantasiert über Ideen und Projekte ohne konkrete Lösungssuche. Wenn die Gedanken hauptsächlich angstbesetzt um das eigene Ich kreisen kann das belastend wirken, wie die Ruminationen bei Depressiven und Menschen mit Zwängen deutlich machen4
Dagegen schweigt das DMN während der Aufgabenorientierung: keine Zeit, über sich selbst nachzusinnen. Die Außenorientierung der Netzwerke Handlungskontrolle5 und der Aufmerksamkeit6 ist der Gegenspieler der Innenorientierung auf die Phantasiewelten. Entsprechend ist ein deaktiviertes DMN bei der Aufgabenorientierung mit besserer kognitiver Leistung verbunden7. Die Fähigkeit zur Deaktivierung des DMN ist oft ein Zeichen gesteigerter Konzentrationsfähigkeit. So findet man bei erfahrenen Meditierern eine stärkere Deaktivierung des DMN als bei Novizen (Anticevic et al., 2018)8. Mit anderen Worten scheint die DMN-Unterdrückung ein Mechanismus zu sein, das Gehirn von störenden Gedanken abzuhalten, die die Aufgabenorientierung beeinträchtigen würden, wie das z. B. bei schizophrenen Patienten der Fall ist (Palhano-Fontes et al. 2015).
Außer bei der Aufgabenorientierung begibt sich das DMN in bestimmten veränderten Bewusstseinszuständen (altered states of consciousness, ASC) zur Ruhe, nämlich im REM-Schlaf, bei lange eingeübter Meditation, unter Einwirkung halluzinogener Substanzen und in hypnotischer Trance (Cavena & Trimble 2006). In diesen Fällen dient die Deaktivierung des DMN der Reduktion der Ichbezogenheit und Alltagsbegrifflichkeit bei weiter bestehender Innenwendung. Dabei scheint Hemmung des Prekuneus und des präfrontalen Kortex als Teile des DMN eine wichtige Rolle zu spielen9, die u. a. für das episodische Gedächtnis, die Bewertung sozialer Konsequenzen des eigenen Handelns und die Selbstreflexion zuständig sind, d.h. für die Alltagsvernunft und die Ich-Perspektive (Menon 2011). Wenn jemand seinen Namen hört oder liest, steigt die Durchblutung im Prekuneus (Quin u. Northoff 2011). Die Aktivität dieser Hirnregion vermittelt dem Individuum das Gefühl, Autor seiner Handlungen zu sein (sense of agency), sich seiner selbst, seiner Persönlichkeit und seiner äußeren Erscheinung bewusst zu sein. Er wurde daher „the mind‘s eye“ (Cavanna u. Trimble 2006) genannt und ist für Introspektion bedeutsam (Rosazza u. Minati 2011)10.
Wenn die Ichbezogenheit zu groß wird, resultiert eine gewisse Rigidität, die als Persönlichkeitsmerkmal wohl bekannt ist. Eine Steigerung äußert sich in Zwängen: Das Denken kreist um die Perfektion, damit sich das Ich völlig sicher fühlen kann (und potenzielle Schuld durch Fehler abzuwehren). Sucht lässt ebenfalls wenig Freiheitsgrade zu, wenn die Gedanken nur noch um die Beschaffung des Suchtmittels kreisen. Und auch Depression ist ein Zustand eines auf zu viel Selbstreflektion eingeengten Bewusstseins, in dem das Ich auf die Vorstellung fixiert ist, wertlos zu sein. Immer scheint es ums besorgte Ich zu gehen. Eine Aufhebung der Ichbezogenheit, d. h. die vorübergehende Deaktivierung des DMN samt Prekuneus könnte eine Entlastung und größere Offenheit mit sich bringen.
Bewusstseinszustände, ob beeinflusst durch manche Bewusstseins-erweiternden Substanzen oder Methoden wie Meditation, Sensorische Deprivation (Samadi Tank), Yoga, Gebete, Hypnose induziert, lassen sich in drei generellen Dimensionen anordnen: Erregung-Beruhigung, Euphorie-Dysphorie und Erweiterung bzw. Einengung des Bewusstseins. Die Halluzinogene zählen zu den Substanzen, die zur Bewusstseinserweiterung führen können. Zu den das Bewusstsein einengenden Substanzen zählen Opiate, Amphetamine, Alkohol und Schlafmittel (Barbiturate).
Forschungen mit bildgebenden Verfahren konnten zeigen, dass durch psychoaktive Substanzen, wie die das dem Serotonin verwandten Psilocybin (in bestimmten Pilzen wie psilocybe cubensis), Meskalin (im Peyote -Kaktus), DMT (in Ayahuasca) und das synthetische LSD das DMN deaktiviert wird und sich die Kopplung verschiedener Hirnarealen vorübergehend auflöst. Z. B. wird die Synchronisierung zwischen den sensorischen und den assoziativen Arealen, also das Zusammenwirken von Input und dessen gewohnter Integration unterbrochen und mit der Auflösung der Konnektivität zwischen verschiedenen Hirnarealen geht eine Zunahme der Entropie einher, die man in den EEG-Signalen messen kann.
Entsprechend zeigte sich z. B. für die Wirkung der psychedelische Substanzen LSD, Psilocybin und Ketamin im Vergleich zum Placebo eine Zunahme der Entropie in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns und auch im Prekuneus (Schartner et al. 2020). D. h. es löst sich die gewohnte Ordnung im Bewusstsein auf. Es lockert sich das normale Zusammenspiel zwischen und innerhalb der einzelnen Systeme und es entsteht ein subchaotischer Schwellenzustand, der neue Verknüpfungen ermöglich (Beaty 2018), verbunden mit der Deaktivierung des DMN und des Ichbezogenen Denkens.
Die biochemische Basis der Veränderungen, die durch klassische Halluzinogene aber auch Ketamin bewirkt werden, kann zu erhöhter Neuroplastizität führen und auch zu Neuentstehung von Neuronenverbindungen, die unter Einfluss von LSD, Psilocybin, DMT in moderaten Dosen sowohl in vitro-Experimenten an Mäusen wie in vivo-Experimenten an Mäusen und Menschen nachgewiesen wurden (siehe Sammelreferat deVos et al. 2021). Ausgelöst wird diese neuronale Veränderung offenbar durch die vermehrte Ausschüttung einer neurotropen, körpereigenen Substanz BDNF (brain derived neurotropic factor), die das neuronale Wachstum fördert und die synaptischen Übertragungsprozesse anregt – im gesamten Gehirn und besonders im Hippocampus. Letzteres macht die spezifisch emotionalen Wirkungen der Halluzinogene plausibel.
Das durch BDNF angeregte neuronale Wachstum erklärt die überdauernden Effekte jenseits der Anwesenheit der halluzinogenen Substanz im Blut bzw. dem zerebro-spinalen Liquor. Die resultierende erhöhte synaptische Übertragung bewirkt sowohl eine Beschleunigung von Lernprozessen (im Tierexperiment) wie den Abbau von Depression und Angst Die diesbezügliche Wirkung der Halluzinogene ist dosis-abhängig.11
Einige Regionen des Gehirns sorgen im Normalfall dafür, dass irrelevante Information beiseitegelassen wird, um die Entropie zu reduzieren. Das wird offenbar durch eine Verschaltung kortikaler Netzwerke mit dem Thalamus erreicht, der als Schleuse für interne und externe Reizzufuhr angesehen wird. Wird dieser kortiko-thalamische Filter durch psychoaktive Substanzen vorrübergehend außer Kraft setzt, erzeugt das mehr oder weniger ungeordnete Informationen, die das Gehirn ungefiltert fluten und so die Entropie erhöhen (Vollenweider & Preller (2020).12
Die Idee des Gehirns als Filter geht auf den Philosophen Henri Bergson (1859–1941) zurück, die Aldous Huxley in seinem bekannten Buch „The doors of perception“ aufgreift, dessen Titel er dem Mystiker William Blake entlieh, der 1793 schieb:
“If the doors of perception were cleansed, every thing would appear to man as it is infinite.”
Wenn der Filter des Alltagsdenkens wegfällt, öffnet sich die Tür zu einem Wissen, das auch mystische und außersinnliche Erfahrungen umfasst. Dazu passt der Befund, dass nach dem klinischen Tod durch Herzstillstand außerkörperliche Erfahrungen gemacht werden, denn die Zirbeldrüse gibt in der Zeit nach dem klinischen Tod körpereigenes DMT direkt in die Hirnflüssigkeit (den zerebro-spinalen Liquor) ab, nämlich das Halluzinogen, das im Ayahuasca enthalten ist und in der Natur vielfach vorkommt.
Unter dem Einfluss psychoaktive Substanzen entsteht eine Art von mentalem Tsunami, wie es der Neurobiologe Sayan (2012) ausdrückt. Dabei hört die Ichbezogenheit auf, das Ich tritt in den Hintergrund (ego dissolution) und es wird dem Bewusstsein möglich, sich mit etwas außerhalb des Ichs zu verbinden. So fanden terminale Krebspatienten unter LSD-Einfluss, dass sie zwar weiterhin Schmerzen hatten, aber nicht mehr darunter litten (Metzner, 1989).
Diese Reizüberflutung durch Psychedelika hat schon manchmal die Kreativität gesteigert. Denn z. B. Meskalin (im Peyote-Kaktus) wurde seit Jahrhunderten von indigenen Völkern Mexikos für spirituelle Rituale verwendet. Wissenschaftler wie der Pharmakologe Louis Lewin (1850–1923), Sexualmediziner Havelock Ellis (1859–1939), Biochemiker Alexander Shulgin (1924–2014), Psychologe Timothy Leary (1920–1997), die Schriftsteller Jack Kerouac (1922–1969), Allen Ginsberg (1926–1997), Herman Hesse (1877–1962), Ernst Jünger und der Philosoph Aldous Huxley (1894–1963) nahmen Meskalin. Sie berichteten von bedeutenden Erkenntnissen (Stafford, 1978). Wie im Fall des Nobelpreis-Trägers Kary Mullis, der sagte, seine Entdeckung der Polymerase Kettenreaktion für die DNA-Analyse mithilfe von LSD gefunden zu haben; ebenso wird von Francis Crick, einem anderen Nobelpreis-Träger gesagt, dass er sich auf einem LSD-Trip befand, als er die Doppelhelix entdeckte.
Das durch die Psychedelika ausgelöste gedankliche Chaos stellt also offenbar keinen mentalen Defekt dar, sondern eher einen Zustand, der Neuordnung durch Fluktuation ermöglicht. Interessanterweise produzieren Spinnen perfekte geometrische Netze, wenn ihnen LSD oder Meskalin verabreicht wurde, während dies unter Einfluss von Coffein oder Canabis (THC) nicht der Fall war. Bewusstseinsveränderungen durch Psychedelika sind abhängig von Dosis wie von der spezifischen Substanz- (Shulgin & Shulgin 1997) und allgemein wird bei hinreichender Dosis bei psychedelischen Substanzen von mystischen Erfahrungen berichtet (Hintzen, 2010). Als neuro-psychopharmakologische Basis sind verschiedene Modelle vorgeschlagen worden, u. a. die körpereigene Produktion von Ketamin, vieles ist aber noch ungeklärt.
Klinische Untersuchungen in den letzten 20 Jahren konnten zeigen, dass bei Patienten mit schweren seelischen Störungen in wenigen psychotherapeutisch begleiteten Sitzungen mit Psilocybin positive Ergebnisse erzielt wurden. So bei Zwang (Moreno et al., 2006), Rauchen (Bogenschütz & Johnson, 2016), Alkoholabusus (Bogenschütz et. al., 2015, Rucker et al. 2016) und therapieresistenter Depression (Grob et al. 2011, Griffith et al. 2016, Carhart-Harris et al., 2018). Sterbende Krebspatienten konnten nach einer Sitzung mit Psilocybin gelassen sagen, „der Tod gehöre zum Leben“. Das wird plausibel, wenn man sich klar macht, dass durch die Deaktivierung des DMN unter dem Einfluss der Droge das Alltags-Ich zurücktritt und seinen Zugriff lockert. Denn, wenn der Patient nicht mehr sich an seinem Ego festhält, lösen sich negative Gedanken und Emotionen auf. Damit stellt der u. U. vom Verlust bedrohte Mensch zugleich seine Würde wieder her. Alle genannten therapeutischen Wirkungen waren stabil.
Ein subchaotischer Zustand durch Herabsetzung des DMN, wie er durch Einwirkung psychoaktiver Substanzen entsteht, ist auch in den REM-Träumen, in tiefer Meditation und in hypnotischer Trance gezeigt worden (Oakley, 2008; Deely et al., 2012). Aus Träumen ist das eine geläufige Erfahrung. Man findet in ihnen verwirrende Bilder, aber räumt ihnen auch kreatives Potenzial ein (siehe Kekulés Traum vom Benzolring). Das Denken verlässt den gewohnten Rahmen der Rationalität und Ichbezogenheit. Es wird nicht räsoniert: „Kann ich das? Darf ich das? Was hat das für Konsequenzen? Passt das zum dem, was ich bisher mache?“ usw. Ein Beispiel:
Ein überaus angepasster und erfolgreicher Geschäftsmann Mitte vierzig träumt, dass er mit einem Porsche, den er gar nicht hat, mit überhöhter Geschwindigkeit von der Polizei angehalten wird und mit Vergnügen ein Strafmandat entgegennimmt. Er übertritt im Traum heiter die gewohnten Regeln und stellt fest, dass es ihm guttut, seine Angepasstheit hinter sich zu lassen.
In der hypnotischen Trance ist die Dekonstruktion von Denkmustern nicht so extrem wie in manchen wirren Träumen und daher auch besser nachvollziehbar. Ein Beispiel:
Eine etwa 35-jährige Dame verbringt täglich Stunden mit dem iPad und möchte das reduzieren, was ihr bisher nicht gelang. In der Trance wird ihr u. a. das Märchen von Schneewittchen erzählt, was ja oberflächlich gesehen keinen Zusammenhang mit dem Thema hat. Im wachen Alltagsdenken würde sie sich vermutlich gewundert haben, warum ihr ein Märchen erzählt wird, und warum gerade dieses. Nach der Trance sagt sie jedoch, es sei ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, denn das iPad sei ja ein Apple und Schneewittchen beißt in den vergifteten Apfel und fällt in einen Schneewittchen-Schlaf, so wie sie, wenn sie stundenlang am iPad zubringt. Aber der Rucker beim Transport im gläsernen Sarg (vergleichbar mit der Filterblase des Netzes) lässt sie erwachen. Und dann hat der Apfel ja auch eine ungiftige Seite, wie die Stiefmutter durch Hineinbeißen demonstriert. Also eine halbe Stunde täglich Apple-Diät ist verträglich.
Die hypnotische Trance ist offenbar mit einem luziden Traum und mit der Wirkung bestimmter psychoaktiver Substanzen vergleichbar. Es öffnet sich das Bewusstsein, es entsteht mehr Entropie und das Denken verlässt die Alltagsvernunft und Ich-Bezogenheit. Hypnotische Trance wurde seit Jean Martin Charcot und Sigmund Freud als ein Zustand temporär geschwächter Abwehr betrachtet, der zu Veränderungen genutzt werden kann, die sonst blockiert sind. Der hypnotische Zustand ist passager doch die Veränderungen sind nachhaltig – ähnlich wie die Wirkung psychoaktiver Substanzen.
Bis zur Nutzung bildgebender Verfahren konnte man hypnotisches Verhalten als Compliance in einem entsprechend inszenierten sozialen Kontext interpretieren, als etwas, das Menschen aus Gründen sozialer Erwünschtheit „mitmachen“, sei es auf der Bühne oder im Therapiezimmer. Inzwischen liegen jedoch hirnphysiologische Untersuchungen vor, die zeigen, dass unter Hypnose objektive und neuronal nachweisbare Veränderungen stattfinden, die außerhalb der willentlichen Kontrolle zu liegen scheinen, d. h. nicht simulierbar sind. So im dem Bereich der hypnotischen Analgesie (Rainville et al. 1997, Faymonville et al. 2000), der Farbhalluzination (Kosslyn et al. 2000), der hypnotischer Lähmung (Cojan et al. 2009; McGeown et al 2009; Pyka et al. 2011) und dem kognitiven Bereich (Stroop Interferenz, Raz et al. 2005).
Man erklärt sich diese Wirkungen der Hypnose so, dass durch das Außerkraftsetzen des Default Mode die hypnotisierte Person gewissermaßen Ichlos reagiert, d. h. ohne das bisherige Selbstbild (Alltags-Ich) zu beachten und ohne ihre Handlungen auf zukünftige Konsequenzen hin und die Wirkung auf Andere zu überprüfen, ohne Bewertungen vorzunehmen wie z. B. „das kann ich nicht“, „das bin ich nicht“ oder „das darf ich nicht“, „das passt nicht zu mir“. Das Selbstbild des Alltagsdenkens und dessen Begrenzungen sind abgespalten, die die innere Suche nach Lösungen, Ressourcen, Traumata behindern würden.
Darauf beruhen die zahlreichen therapeutischen Anwendungen der Hypnose (siehe Revenstorf & Peter 2017).
Die subjektive Wirkung psychoaktiver Substanzen ist nicht vorhersagbar: LSD, PCP (Angel dust), Psilocybin, Methamphetamine (Crystal Met) können euphorische oder dysphorische Effekte haben, auch bei derselben Dosis in derselben Person zu verschiedenen Zeitpunkten. Es gibt keine Erklärung dafür, wann eine Substanz wie wirkt. Vage wird die jeweils aktuelle Wirkung der halluzinogenen Droge an der inneren Verfassung (mind-set) und dem Kontext (setting) festgemacht, in dem sie eingenommen wird. Doch im Grunde ist das charakteristische Merkmal dieser Substanzklasse die Unvorhersagbarkeit ihrer psychischen Auswirkungen.
Es wäre auch schwierig, pharmakologisch zu erklären, wie durch eine so geringe Menge von nur 50 μg einer chemischen Substanz wie LSD so profunde und z. T. nachhaltige Wirkungen ausgelöst werden können. Man kann also sagen, dass auch nach über einem halben Jahrhundert Forschung eine pharmakologische Theorie der spezifischen Wirkung von Halluzinogen noch nicht gefunden wurde.13
Vielmehr kommt es unter Einfluss psychedelischer Substanzen generell zu einem Anstieg an Entropie im Gehirn, zur Auflösung synaptischer Verbindungen und zu einem Zurücktreten der selbstreflexiven Gedanken. Das bringt Unterbrechung der Rumination ums eigene Ich mit sich und damit die Chance einer heilsamen Rekonsolidierung.
In abgeschwächter Form bewirkt hypnotische Trance ebenfalls eine Deaktivierung des DMN und damit verbunden eine Unterbrechung der Ich-bezogene Gedanken, die man im Falle von depressiven, süchtigen oder zwanghaften Patienten als Problemtrance bezeichnen könnte. Die mit der Hypnose verbundene Verminderung der Metakognitionen wird nicht exogen durch eine Substanz, sondern durch mentale Anleitung bewirkt. Dadurch wird die erzielte salutogene Wirkung im Nachhinein u. U. als ich-syntoner und eher als eigene Kompetenz erlebt.
Die Nutzung von Psychedelika zur Unterbrechung gedanklich-affektiver Rigidität und unflexibler mentaler Zustände bringt drei Risiken mit sich. Einmal, dass die Substanz zur Dauermedikation wird (wie es beim Microdosing der Fall sein könnte) und so lediglich die weniger wirksamen Antidepressiva ersetzt. Damit würde man den Psychedelika die Essenz der spirituellen Erfahrung rauben, die von einer nichtalltäglichen Inszenierung profitiert.
Eine zweite nachteilige Entwicklung wäre, dass sich die Psychedelika in das Pharma-Menu einreihen, um den emotionalen Alltag zu optimieren, wie sie es mit Beruhigungsmitteln, Schlafmitteln, Stimmungsaufhellern, Aufputschmittelen et cetera tun, um ihr Erleben zu McDonaldisieren, d. h. zu standardisieren und kontrollbarbar zu machen – und nun auch mit Psychedelika.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die Verwendung von Psychedelika ins Reakreative abdriftet und eine Geschäftsidee im Wellnessbereich wird. Entweder in schicken Berliner Stadtwohnungen oder als neoshamanische Retreats am Amazonas. Damit würden die Psychedelika für die Psychotherapie an Glaubwürdigkeit verlieren wie schon einmal vor 50 Jahren.
Die unerklärliche Wirkung geringfügiger Mengen einer u.U. nur einmaligen Dosis von Psilocybin, DMT oder Meskalin legt nahe, dass die Wirkung der Psychedelika die wissenschaftliche Rationalität transzendiert, mit der sie zwar zu erforschen versucht aber nicht verstanden wird. Es handelt sich nicht um Medikamente, sondern jeweils um eine Reise in einen Raum jenseits des Alltagsdenkens, von der man verändert zurückkehren kann, weil man mit etwas in Berührung kam, das bedeutender ist als das von seiner Abwehr geplagte und eingeengte Ich. Es sollten die Psychedelika sowohl vor der rekreativen wie der pharmazeutischen Kommerzialisierung geschützt werden.
Psychoaktive Substanzen haben nicht nur Wirkungen auf das individuelle Verhalten, die sich physiologisch ergründen lassen; wie etwa, dass serotoninähnliche Substanzen gedankliche Aktivitäten stimulieren und grundsätzlich eher antidepressiv wirken. Es sind auch soziale Konsequenzen von Bedeutung. Z. B. fördert GHB (Gammahydroxybuttersäure, auch als K.o.-Tropfen bekannt) Vertrauen, LSD und MDMA vermehren Altruismus und Empathie gegenüber der eigenen Gruppe aber Abgrenzung gegenüber Fremden. Amphetamine vermindern prosoziales Verhalten und Substanzen, die Serotonin-Rezeptoren aktivieren, steigern die Sensitivität gegenüber Mitmenschen und dem Ambiente. Gleichzeitig vermindern Antidepressiva und Anxiolytika das Mitgefühl
Häufige psychedelische Erfahrungen korrelieren mit liberalen politischen Ansichten, Offenheit und Naturverbundenheit, und einem geringen Ausmaß von autoritären politischen Ansichten. Die Wirkung ist aber individuell unterschiedlich, wie man am Beispiel des eher rechtsorientierten und Psychedelika zugetanen Poeten Ernst Jünger sehen konnte; ebenso weiß man aus Medienberichten über Radikalisierung rechter Gruppen in den USA, die psychedelische Drogen konsumieren.
Es lässt sich also nicht eine Heilslehre der Friedfertigkeit aus dem Konsum psychoaktiver Drogen ableiten, ebenso wenig wie es in indigenen Kulturen bei dem Gebrauch von Ayahuaska, den Pilzen und Peyote der Fall war. Darüber hinaus ist auch zu beachten, dass der Guru-geleitete Konsum von Psychedelika zu Machtmissbrauch führen kann. Es reicht daher nicht, die Wirkung von psychoaktiven Substanzen neuropsychologisch zu säkularisieren. Vielmehr es ist nötig, den kulturellen Kontext einzubeziehen. Damit würde eine strenge Trennung von anthropologischen und pharmakologischen Aspekten in der Forschung hinfällig und es überschneiden sich hier Geistes- und Naturwissenschaften.
Häufig werden Psychedelika zu mentalen Abenteuer-Retreats vermarktet. Das ist nicht nur aus Gründen der Banalisierung bedauerlich. Vielmehr wäre das auch gesundheitlich bedenklich, da die empirische Basis sowohl in der Grundlagenforschung wie auch bezüglich der Wirksamkeit bisher schmal ist. Die Nachweise der therapeutischen Wirkungen sind bisher vorläufig und Versprechungen von spirituellen Heilserfahrungen sind nicht gesichert (Rucker & Young 2021). Zwar mögen die üblichen Studiendesigns der Pharmaforschung für die Anwendung bei psychoaktiven Substanzen fragwürdig sein, da sich der Konsum von Verum und Placebo nicht verblinden lässt – beide werden sowohl vom Patienten wie vom Therapeuten schnell als solche erkannt. Dennoch ist nicht ratsam, auf die traditionelle Forschungsmethodik zu verzichten, d. h. die fallbezogenen Studien, RCT-Designs und lange Katamnesen der klinischen Anwendung. Das haben die tragischen Folgen des Schlaf- und Beruhigungsmittels Thalidomid (Contergan) gezeigt, das von 1957 bis 1961 vertrieben wurde – nämlich die körperlichen Missbildungen der Neugeborenen, deren Mütter das Medikament eingenommen hatten. Daher sind die ethischen Regelungen für Humanforschung, die 1964 in den Helsinki-Vereinbarungen festgelegt wurden und die Grundlage der Therapieforschung bilden auch im Bereich der psychoaktiven Substanzen einzuhalten.
Man kann der Einschränkung des Gebrauchs von psychoaktiven Substanzen entgegenhalten, dass der Konsum von halluzinogenen Substanzen seit Jahrtausenden in indigenen Kulturen stattfindet, ohne Schaden anzurichten. Es gibt daher eine anthropologisch begründete Rechtfertigung, dem Nutzen ihrer Anwendung zu vertrauen. Für Hypnose trifft das gleiche zu. Beide Verfahren der Bewusstseinserweiterung sind Bestandteil gewachsener Tradition.
1 Ich danke Niels Birbaumer für die kritische Lektüre des Manuskripts und zahlreiche wertvolle Anregungen.
2 In den 70er Jahren viel Literatur: siehe die Serie Biofeedback and Selfregulation, Plenum Press
3 Darin sind u. a. Teile vom präfrontalen, parietalen (Prekuneus), temporalen und zingulären Kortex verbunden.
4 Siehe auch Birbaumer & Zittlau 2016
5 fronto-parietales Kontroll-Netzwerk (FPCN)
6 fronto-parietal-dorsales Aufmerksamkeits-Netzwerk (DAN)
7 Die energetische Ökonomie des Gehirns besteht offenbar darin, die verfügbare „Rechenleistung“ optimal zu zuteilen.
8 Allerdings ist das DMN auch bei einigen pathologischen Zuständen wenig aktiv wie Autismus und Alzheimer (Palhano-Fontes et al. 2015). Die Aufmerksamkeitsdefizite schizophrener Patienten gehen mit mangelhafter Unterdrückung des DMN einher. Ebenfalls nicht hinreichend deaktiviert wird das DMN bei Depression, Parkinson, sozialer Angst und Intoxikation mit Canabis (THC).
9 Der Prekuneus verbraucht im Ruhezustand 35% mehr Glucose als jede andere Gehirn-Region d. h. das Gehirn hat die höchste metabolische Rate in den selbstreflexiven Zuständen.
10 auch für kontemplative Prozesse wie Yoga (Lou 2004)
11 Und auch Geschlechts-spezifisch, da Östrogen mit den Effekten interagiert
12 was ziemlich genau der subjektiven Wirkung der Halluzinogene entspricht.
13 Es gibt lediglich ein paar regelhafte Einzelbefunde, wie dass der Dopamin-Rezeptor Antagonist Chlorpromazine (Benzodiazepin) sofort die LSD-Wirkung blockiert, obwohl es kaum auf 5-HT Rezeptoren wirkt.