Im folgenden Text sollen beispielhaft sowohl die Behandlungsstrategien, als auch die therapeutischen und wissenschaftlichen Rationale der OVID Klinik Berlin dargestellt werden. Es handelt sich um ein Leuchtturmprojekt, das als erstes im deutschsprachigen Raum konsequent einen erweiterten psychedelischen Behandlungsansatz verfolgt und Ketamin als atypisches Psychedelikum gemeinsam mit anderen therapeutischen Werkzeugen im Rahmen einer augmentierten Psychotherapie zum Einsatz bringt. Der Begriff „augmentierte Psychotherapie“ wurde bewusst geprägt, um die historisch bedingte Enge des Begriffes „psychedelisch“ aufzulösen und das Augenmerk von der Art der Induktion eines therapeutisch nutzbaren veränderten Bewusstseinszustandes hin zu den Bewusstseinszuständen selbst zu lenken.
Das Behandlungsspektrum des interdisziplinären Teams aus Psychiater: innen, Anästhesist:innen und approbierten Psychotherapeut:innen orientiert sich an der wissenschaftliche Evidenzlage zur therapeutischen Wirksamkeit von Ketamin bei psychischen Erkrankungen (Drozdz et al., 2022; Walsh et al., 2022; Whittaker et al., 2021; Yavi et al., 2022). Es umfasst im Wesentlichen die Indikationen mittelschwere bis schwere Depression, Suizidalität, (komplexe) posttraumatische Belastungsstörung, Schmerzerkrankungen, Angst- und Zwangsstörungen, sowie schwere Anpassungsstörungen, die mit Depression und existentieller Angst einhergehen. Weitere aufgrund der Evidenzlage vertretbare Indikationsfelder sind die Behandlung von Suchterkrankungen und Essstörungen (Martinotti et al., 2021), wobei sowohl die Auswahl der Patient:innen als auch des therapeutischen Vorgehens hier besonderer Umsicht bedürfen.
Da die Therapie juristisch als Off-Label Behandlung verortet ist, geht jeder Indikationsstellung eine fachärztliche Prüfung voraus und es wird Wert darauf gelegt, dass es sich bei der augmentierten Psychotherapie nicht um einen ersten Behandlungsversuch handelt. Im Regelfall haben die Patient:innen bereits medikamentöse und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen. In seltenen Fällen werden auch Patient:innen angenommen, die eine medikamentöse Dauertherapie für sich kategorisch ausschließen, da hier die Willensbildung der Betroffenen als maßgeblich angesehen wird.
Bei Betrachtung der oben gelisteten Indikationen fällt auf, dass diese sich mit den derzeit in klinischen Studien mit serotonergen Psychedelika und MDMA untersuchten Erkrankungen decken (Castellanos et al., 2020; Luoma et al., 2020; Morgan et al., 2017). Dies ist letztendlich nicht verwunderlich, da es sich, wie oben bereits angedeutet, um nahe verwandte Behandlungsansätze unter Nutzbarmachung von veränderten Wachbewusstseinszuständen und erhöhter Neuroplastizität handelt (Aleksandrova & Phillips, 2021; Schenberg, 2018).
In diesem Zusammenhang kann und sollte insbesondere das racemische Ketamin als atypisches Psychedelikum aufgefasst werden, da dies eine Facette des Wirkspektrums darstellt, die im Rahmen des in Mitteleuropa weiter verbreiteten rein pharmakologischen Herangehens nicht beachtet oder gar aktiv unterdrückt wird. Es gibt immer wieder Berichte von Patient:innen, die von ihren Vorbehandlungen in reinen „Ketamininfusionspraxen“ berichten und beschreiben, dass sie entweder mit ihren Erfahrungen unter der Ketaminwirkung alleine gelassen, diese von den behandelnden Kolleg:innen als Hirngespinste abgetan oder während der Sitzung mit Benzodiazepinen aktiv unterdrückt wurden. Diese Vorgehensweise läuft der unseren diametral entgegen und verringert unserer Auffassung nach die Wirksamkeit der Behandlung signifikant. Dies deckt sich auch mit der empirischen Evidenz, die nahelegt, dass eine Einbettung der Ketamingaben in einen psychotherapeutischen Prozess den therapeutischen Nutzen maximieren und verlängern kann (Drozdz et al., 2022).
Neben der phänomenologischen Parallelen zwischen der Wirkung von Ketamin und den serotonergen Psychedelika (Passie et al., 2021), finden sich auch bei Betrachtung der aktivierten Areale im FDG-PET von in dieser Studie Esketamin und Psilocybin ähnliche Aktivierungsmuster (Vollenweider & Kometer, 2010). Anders als bei den serotonergen Psychedelika scheint Ketamin jedoch nicht relevant auf das Default Mode Network einzuwirken (Carhart-Harris & Friston, 2019), sondern führt (wie schon lange bekannt) zu einer funktionellen und elektrophysiologischen Dissoziation zwischen thalamo-kortikalem und limbischem System (Zippo, 2011).
Diese Dissoziation führt einerseits zu der im notfallmedizinischen Alltag regelhaft genutzten Dissoziation von akuten Reizen wie z.B. Schmerz, andererseits sorgt diese Abkopplung für eine veränderte Bewertung des Erlebten: Stress und Schmerz werden nicht mehr als unmittelbar bedrohlich empfunden und sind dadurch besser handhabbar. Im Rahmen der KAP kommt es häufig zu sogenannten „Out of Body Experiences“, die sich ebenfalls am ehesten mit der verminderten afferenten Reizleitung zu den entsprechenden kortikalen Zentren erklären lassen. Während also z. B. Psilocybin oft über den sogenannten „Bodyload“ (Palamar & Acosta, 2020) zu einer deutlich verstärkten Wahrnehmung körperlicher Prozesse führt, ist bei Ketamin zumeist das Gegenteil der Fall.
Parallelen zwischen den klassischen Psychedelika und Ketamin lassen sich jedoch im Vergleich der Erfahrungsphänomenologie auch finden: Zum Beispiel erreichen Proband:innen, die ihre Erfahrungen nach intravenöser Ketaminapplikation bewerten sollen, auf dem Mystical Experience Questionaire (MEQ30) der Johns Hopkins Universität (Barrett et al., 2015) ähnliche Werte wie solche, die zuvor eine geringe bis mittlere Dosis LSD erhalten haben (Passie et al., 2021). Der MEQ30 fragt unter anderem nach Aspekten der Wahrnehmungsveränderung zu Raum und Zeit, dem Erleben einer Selbsttranszendenz und einem Gefühl einer verbalen Unbeschreiblichkeit („Ineffability“) der Erfahrung an sich ab. Ähnlich vergleichbar sind die erreichten Werte auf einer anderen, in der psychedelischen Forschung sehr gängigen Skala zur Erfassung des Erfahrungscharakters, dem 5D-ASC nach Dittrich, der bereits seit über 30 Jahren zur Beschreibung der Erlebnisqualität von psychedelischen Erfahrungen verwendet wird (Schmidt & Berkemeyer, 2018). Diese Skala wird auf 5 Faktoren heruntergebrochen:
Die ozeanische Selbstentgrenzung, angstvolle Ichauflösung, visionäre Umstrukturierung (sowohl extern optisch als auch innerlich), Veränderung von auditiver Wahrnehmung und eine Veränderung der Vigilanz. Auch hier erreicht racemisches Ketamin Werte, die man sonst bei serotonergen Psychedelika in geringen bis mittleren Dosen erwarten würde (Passie et al., 2021). Unter Esketamin kommt es zu weniger starken, aber immer noch deutlichen psychotropen Effekten.
Aus der klinischen Erfahrung sowohl des Einsatzes von Ketamin in der Notfallmedizin als auch der jetzigen Arbeit mit Ketamin im Rahmen der augmentierten Psychotherapie zeigt sich, dass die subjektive Wirkweise von Ketamin deutlich kontextsensitiver ist als bei serotonergen Psychedelika. Wenn man Patient:innen nicht bezüglich der möglichen Erfahrungsräume schult und vorbereitet, kann es auch unter größeren Dosen Ketamin zum Ausbleiben der psychotropen Wirkung kommen. Allerdings sind mir auch Fälle begegnet, in denen Menschen in rein somatischen Settings tiefgreifende psychedelische Erfahrungen unter Einfluss von Ketamin erlebt haben.
Spannend ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Fallgeschichte einer Yogalehrerin, die sehr berührt von einer transzendenten Erfahrung unter dem Notkaiserschnitt ihres Sohnes berichtete. Bei inkompletter Abdeckung durch die aufgespritzte Periduralanästhesie war ihr vom Anästhesisten zur Schmerztherapie eine größere Dosis Ketamin verabreicht worden. Meine Bekannte hatte ein sehr ausgeprägtes Erleben der göttlichen Begleitung und Hilfestellung einer höheren Macht im Geburtsprozess, die ihr weiteres Leben nachhaltig geprägt hat. Meine Erläuterung, dass ein Teil dieser Erfahrung auch medikamentös durch das Ketamin herbeigeführt worden sein könnte, erlebte sie als regelrecht enttäuschend.
Der Begriff des „Settings“ ist im vorletzten Abschnitt bereits gefallen. Allgemein wird er im Begriffspaar in der Literatur zu psychedelischen Erfahrungen durch den Begriff des „Sets“ ergänzt. Während Setting auf den Kontext und das Umfeld anspielt, in dem eine Erfahrung gestaltet wird, meint das Set die innere Haltung, Erwartung und Emotionalität mit der jemand in eine psychedelische Erfahrung eintritt (Hartogsohn, 2016, 2017). Bezogen auf Ketamin sind zudem sowohl der Applikationsweg, als auch die Dosierung wesentliche Faktoren, wenn es um die Intensität und Art der psychedelischen Erfahrung geht. Wie bereits erwähnt macht es Sinn, Ketaminerfahrungen intensiv vorzubereiten, um möglichst „tiefe“ Prozesse evozieren zu können. Die bestehende Leitlinie zur Ketamininfusionstherapie der American Psychiatric Association (APA) aus den USA (Sanacora et al., 2017) beschreibt mit dem intravenösen Applikationsweg über eine Spritzenpumpe/Perfusor und eine initiale Dosisempfehlung von 0,5 mg pro Kilogramm des (idealen) Körpergewichtes über 40 Minuten Applikationsdauer ein sehr taugliches Konzept, das mit gutem Erfolg auch in der augmentierten Psychotherapie umgesetzt werden kann. Ausgehend von diesem Ausgangswert kann im Verlauf der mehrmaligen Anwendung (meist 4–6 Gaben im Verlauf einiger Wochen) eine Therapieindividualisierung bezüglich der verwendeten Wirkstoffdosis vorgenommen werden.
Aber ist die Wirksamkeit der Ketamin augmentierten Psychotherapie (KAP) denn ausreichend belegt? Nun, bei der Bewertung der Effektivität der KAP müssen zwei synergistische Komponenten in Betracht gezogen werden. Fassen wir hier beispielhaft die Behandlung der schweren Depression ins Auge: Ein Faktor ist die gut validierte Wirksamkeit von Psychotherapie bei Depression, die sich ja auch in den entsprechenden Leitlinien wiederfindet (Schneider et al., 2017). Der zweite Faktor ist die in Metaanalysen bestätigte Wirksamkeit von Ketamin bei Major Depression und sogar bipolarer Störung (Bahji, Vazquez, et al., 2021; Bahji, Zarate, et al., 2021; Walsh et al., 2022; Yavi et al., 2022), so dass sich mit Fug und Recht die Schlussfolgerung ziehen lässt, dass von einer Wirksamkeit der Ketamin augmentierten Psychotherapie bei Major Depression ausgegangen werden kann. Entsprechend finden sich bei Drozdz et al. (2022) für Kombinationsbehandlungen aus Ketamin und Psychotherapie auch Evidenzen bei einer Reihe von Störungsbildern, insbesondere in der Linderung von Depressions- sowie Angstsymptomatiken.
Bei der Betrachtung jeder pharmakologischen Intervention ist es notwendig, sich ein Bild zu möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen zu machen. Im Vergleich zu anderen psychedelischen Substanzen verfügen wir über ein sehr breites Wissen zu Toxikologie, Nebenwirkungen und Interaktionen von Ketamin, da racemisches Ketamin ja bereits seit 1970 für die Anwendung am Menschen zugelassen ist (Mion, 2017) und seitdem viele Millionen Dosen in der Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin zur Anwendung gekommen sind. Eine Altersbeschränkung der Zulassung besteht nicht, es kann sowohl in der Pädiatrie, als auch bei Erwachsenen bis ins hohe Alter angewendet werden.
Die gelisteten Indikationen für racemisches Ketamin sind neben der Durchführung von Allgemeinanästhesien und Analgosedierungen auch die Behandlung des therapieresistenten Status asthmaticus und die Analgesie bei intubierten Patient:innen (Maucher, 2019). Esketamin Nasenspray (Spravato®) ist mittlerweile in Kombination mit einem Antidepressivum (SSRI oder SNRI) zur Behandlung einer therapieresistenten Major Depression bei Erwachsenen auch in Deutschland zugelassen (Janssen-Cilag GmbH, 2022). Bei Anwendung von Ketamin und Esketamin innerhalb eines medizinischen Rahmens ist sowohl die mögliche Neurotoxizität als auch das Risiko der Entwicklung einer (psychischen) Abhängigkeit als sehr gering einzustufen. Erst eine prolongierte missbräuchliche Anwendung birgt das Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung, sowie von kognitiven Störungen und Schädigungen der ableitenden Harnwege (Morgan & Curran, 2012; Zhu et al., 2016).
In der klinischen Anwendung ist Ketamin unter den gängigen Anästhetika die am besten verträgliche Substanz, da sich in den Regeldosierungen weder eine Aufhebung der Schutzreflexe noch eine Kreislaufsuppression findet. So würde es z. B. die Applikation der zwei bis dreifachen bei der Ketamin augmentierten Psychotherapie verwendeten Menge in Bolusform benötigen, um ein kurzes Aussetzen des Atemreflexes herbeizuführen. Diese kurze Apnoephase wäre zudem bei steigendem Blut-CO2 und assoziierter Sauerstoffschuld nach etwa 60–90 Sekunden selbstlimitierend.
Bei der Auswahl der Patient:innen für diese Form der Behandlung sollte jedoch bedacht werden, dass einer der Wirkmechanismen von Ketamin auch eine Reuptake Hemmung von Katecholaminen darstellt (Ulke et al., 2008), so dass regelhaft von einer mäßigen Steigerung von Blutdruck, Herzfrequenz und damit assoziiert Augeninnendruck und intrakraniellem Druck gerechnet werden muss. Patient:innen, die unter relevanten kardiovaskulären Erkrankungen, schlecht eingestelltem Bluthochdruck, einem Glaukom oder Ähnlichem leiden, sollten unter Umständen nicht mit Ketamin behandelt werden.
Eine weitere bekannte Nebenwirkung einer Langzeitanwendung von Ketamin ist die Entwicklung einer ketaminbedingten Uropathie, die mit der Entwicklung von Blasenentleerungsstörungen einhergehen kann. Eine Aufklärungskampagne in Berliner Clubs fasste dieses Risiko vor einigen Jahren unter dem Slogan „Heute Keta, morgen Katheter“ zusammen.
Erfreulicherweise gibt es jedoch nur wenige psychiatrische Kontraindikationen für eine Ketamingabe. Im Gegensatz zu den klassischen serotonergen Psychedelika sind in der Literatur quasi keine Fälle beschrieben, in denen es durch eine supervidierte Gabe von Ketamin zur Entstehung psychotischer Episoden gekommen wäre – auch nicht bei Menschen, bei denen eine entsprechende Prädisposition vorbekannt war (Veraart et al., 2021). Der Ausschluss von Patient:innen mit bipolaren Störungen muss bei Umgang mit Ketamin nicht ganz so streng gehandhabt werden, wie bei der Anwendung von LSD oder Psilocybin, wobei manisch depressive Störungen mit schnellen Oszillationen zwischen den Krankheitsphasen (rapid cycling) eher nicht mit weiter disruptiv wirkenden Therapiemethoden behandelt werden sollten.
Eine Besonderheit der Substanz Ketamin ist, dass sie sowohl in der Suchtbehandlung eingesetzt werden (Walsh et al., 2022; Worrell & Gould, 2021), als auch suchterzeugend sein kann (Morgan & Curran, 2012). Das Suchtpotential liegt eindeutig über dem der klassischen serotonergen Psychedelika. Der Schlüssel zum quasi inexistenten Risiko einer Suchterzeugung durch Psilocybin und LSD liegt einerseits in der auftretenden Rezeptor-Downregulation, die bereits nach einmaliger Einnahme auftritt und einige Tage anhält (Buchborn et al., 2016). Andererseits spielt vermutlich die verminderte Ausschüttung von Dopamin im Vergleich zum Serotonin eine entscheidende Rolle (Liechti, 2015). Diese beiden Mechanismen treffen im Falle von Ketamin so nicht zu, da der entscheidende Rezeptor nicht der Serotonin 5HT2A-Rezeptor ist, sondern der „profanere“ NDMA-Rezeptor (Krystal et al., 2019), der z. B. in der Psychopharmakologie des Alkohols die entscheidende Rolle spielt.
Unter Beachtung der vorgenannten Punkte gibt es also relativ wenige klare Kontraindikationen für einen Einsatz von Ketamin in wenigen, adaptierten Dosen. Trotzdem ist eine Einzelfallprüfung oft sinnvoll, gerade dann, wenn es um Patient:innen geht, die z. B. eine signifikante Schädigung der Lunge oder Skelettmuskulatur aufweisen. So haben wir z. B. eine Patientin nicht behandelt, die sich zur Depressionsbehandlung im Rahmen eines systemischen Lupus erythematodes vorstellte und in dessen Rahmen unter einer ausgeprägten Lungenbeteiligung und Muskelschwäche litt. Es war nicht vorherzusagen, ob eine Behandlung mit Ketamin zu Atemnot führen würde, aber es erschien uns nicht sinnvoll, ein solches Risiko einzugehen. Eine sorgfältige und kritische Indikationsprüfung sollte sowohl psychiatrisch, als auch somatisch insbesondere bei vorbelasteten Patient:innen durchgeführt werden.
Nach dieser Darstellung der Wirkweise und der psychedelischen Qualitäten des Ketamins soll nun weiter auf unser therapeutisches Konzept in der OVID Klinik eingegangen werden. Im Rahmen einer Ketamin augmentierten Psychotherapie hat der/die Behandelnde das Glück, dass ihm/ihr die Pharmakologie des Wirkstoffs in die Hände spielt: Die psychopharmakologisch antidepressiven Effekte des Ketamins sind gut belegt und bei einem Gros der Patient:innen zuverlässig herbeiführbar (Kryst et al., 2020; Marcantoni et al., 2020; Matveychuk et al., 2020). Zudem sind bei entsprechender Anpassung von Applikationsweg und Dosierung relativ zuverlässig profunde veränderte Wachbewusstseinszustände (ASCs: Altered States of Consciousness) induzierbar, mit denen psychedelisch therapeutisch gearbeitet werden kann. Unser therapeutisches Konzept wird zudem durch die Integrationsfokussierte Psychotherapie komplettiert, die als dritte Säule der Behandlung zur Nachhaltigkeit der therapeutischen Arbeit beiträgt.
Zur Darstellung des pharmakologischen Rahmens einer KAP sollte angemerkt werden, dass generell verschiedene Wege der Ketaminapplikation im therapeutischen Rahmen möglich sind. Die angewandten Dosen unterscheiden sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten deutlich und variieren zwischen 0,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht bei intravenöser Applikation bis hin zu 2–3 mg pro Kilogramm Körpergewicht bei Verwendung von Lutschtabletten. Die orale Aufnahme erfolgt größtenteils über die Mundschleimhaut, die gastrale Aufnahme nach Verschlucken ist minimal. Ein weiterer im Rahmen einer therapeutischen Anwendung üblicher Applikationsweg ist die intramuskuläre Gabe, die sich jedoch durch das sehr schnelle Anfluten und den raschen Abfall des Plasmaspiegels nach wenigen Minuten deutlich schlechter therapeutisch einsetzen und steuern lässt, als die von uns bevorzugte intravenöse Gabe über eine Spritzenpumpe. Diese ermöglicht es eine exakte Dosismenge in einer vordefinierten Zeit zu applizieren und führt zu einem langsamen Anfluten, so dass die psychedelisch wirksamen Plasmaspiegel nach ca. 10 Minuten Laufzeit des Perfusors erreicht werden und hypothetisch auch über mehrere Stunden gehalten werden könnten. Wir orientieren uns in Laufrate und gewähltem Zeitintervall an den Vorgaben der American Psychiatric Association (APA). Diese schlägt eine Standarddosis von 0,5 mg/kg/KG über 40–70 Minuten vor. Von dieser Standardvariante ausgehend, erfolgt eine kalibrierende Anpassung der Dosis über die weiteren Sitzungen, um Stoffwechselgeschwindigkeit und psychischen Faktoren Rechnung zu tragen.
Im folgenden Abschnitt möchten wir eines unserer Behandlungsschemata zur Behandlung von therapieresistenten Depressionen vorstellen. Sowohl aufgrund der Anzahl an Betroffenen, der gegebenen Evidenzlage und der guten Standardisierbarkeit des Vorgehens war dieses eines der ersten, die wir für unsere Arbeit entwickelt haben.
Ein Schlüssel unserer Arbeit ist die hohe interdisziplinäre Kohärenz im Team: Vom Erstkontakt mit unserer Patientenmanagerin, über die initialen Gespräche mit unseren psychiatrischen und anästhesiologischen Facharztkolleg:innen, bis hin zum Therapeutenteam, versuchen wir den Patient:innen eine Behandlung „aus einem Guss“ zu bieten.
Das erste Arztgespräch erfolgt immer psychiatrisch. Neben der ausführlichen Diagnostik und Anamnese steht eine Erhebung der depressionsspezifischen Symptomatik mittels des Hamilton-Depressionsinventars (Schmitt et al., 2015), sowie eine Aufklärung zu den psychotherapeutischen Aspekten einer Ketamin augmentierten Psychotherapie im Mittelpunkt des Gesprächs. Wenn der/die psychiatrische Kolleg:in der Meinung ist, dass eine KAP sinnvoll ist, wird der/die Patient:in danach anästhesiologisch gesehen, fachärztlich beraten und aufgeklärt. Jede Patient:in wird in der Klinikkonferenz dem Team vorgestellt und dann einer Bezugstherapeut:in zugeordnet, die dann die weitere Behandlung plant und in Koordination mit dem Gesamtteam durchführt. Die Zuordnung der Patient:innen erfolgt einerseits nach antizipierter individueller Passung, anderseits nach Verfügbarkeit im Team. Unser Team besteht sowohl aus Verhaltenstherapeut:innen, als auch tiefenpsychologisch ausgebildeten Kolleg:innen, die jedoch alle einen verfahrensübergreifenden Ansatz mit Blick auf die individuelle Situation der Patient:innen hin verfolgen und den Besonderheiten einer Arbeit mit veränderten Wachbewusstseinszuständen als Quell von Veränderung und Inspiration Rechnung tragen.
Nach einem Kennenlerngespräch folgen mehrere Termine, in denen es einerseits um die tiefere Beziehungsbildung, als auch um eine Vermittlung notwendigen Wissens und Verständnisses für den Umgang mit veränderten Bewusstseinszuständen geht. Aspekte wie die Notwendigkeit einer Bereitschaft temporär Kontrolle abzugeben und sich den inneren Bildern und auftretenden Emotionen zu überlassen werden erörtert. Zudem geht es um Strategien, wie mit potenziell schwierigen, oder gar bedrohlich empfundenen Erlebnissen umgegangen werden sollte. Wie gehe ich mit Herausforderungen um? Und was bedeutet es loszulassen? Dies sind sehr relevante Aspekte, die zum Gelingen einer psychedelisch orientierten Therapie beitragen (Wolff et al., 2020).
Nach Etablierung eines Grundverständnisses bieten wir den Patient:innen eine erste Erfahrung im veränderten Wachbewusstsein an. Diese erfolgt jedoch nicht mit Hilfe eines pharmakologischen Agens, sondern wird nonpharmakologisch entweder mit Stroboskoplicht, Atemtechniken oder als Musiktrance ermöglicht. Dieses Vorgehen soll einerseits die Berührungsängste mit solchen Erfahrungen mindern, andererseits auch ein vertraut Werden mit dem Behandlungssetting und dem Konzept des integrativen Umgangs mit ASCs ermöglichen.
In den 5–6 Wochen danach kommen die Patient:innen an zwei aufeinander folgenden Tagen in die Praxis: Am ersten Tag erfolgt die Ketamin augmentierte Sitzung (ca. 2,5 h) und am Folgetag die integrationsfokussierte Psychotherapiesitzung. In dieser zweiten Sitzung geht es darum, gemeinsam ein Verständnis für die vorhergegangene Erfahrung, die potenziellen Learnings und möglichen Überträge aus dem ASC in den Therapieprozess und die Lebensgestaltung zu erarbeiten. In manchen Fällen kann das sehr einfach sein, zum Beispiel, wenn sich unter der Wirkung des Ketamins klar verständliche Einsichten zeigen („Ich führe immer wieder Situationen herbei, in denen ich von den Menschen in meiner Umgebung enttäuscht werden muss.“). Aber oft sind die Erlebnisse weniger klar artikulierbar oder spielen sich stärker auf rein emotionaler oder optisch-bildlicher Ebene ab, so dass es einer therapeutischen Bearbeitung bedarf, um sie zu deuten und nutzbar zu machen. Um einen möglichst einfachen und angstfreien Zugang zu veränderten Wachbewusstseinszuständen zu ermöglichen, ist neben der Vorbereitung der Haltung des Patienten auch eine gute Gestaltung der Umgebung notwendig. Dieses sogenannte „Setting“ spielt eine wesentliche Rolle im Umgang mit psychedelischen Erfahrungen (Hartogsohn, 2016, 2017). Unsere Behandlungsräume spiegeln den Spagat zwischen den hygienischen Anforderungen einer Arztpraxis, in der intravenös Medikamente verabreicht werden und einer möglichst warmen, einladenden und inspirierenden Umgebung wieder, die es den Patient:innen ermöglichen soll, sich für ihre Erfahrungen optimal zu öffnen.
Während der Ketamin augmentierten Sitzungen sind die Therapeut:innen durchgängig anwesend und stehen den Patient:innen als „Ankerpunkt“ zur Verfügung. Dies schließt nach vorheriger Absprache auch eine angemessene physische Kontaktaufnahme ein. In Zeiten großer innerer Unsicherheit kann eine Berührung an Arm oder Hand Wunder wirken! Da das Thema Berührung im therapeutischen Kontakt auch schwierige ethische Aspekte bergen kann, orientieren wir uns in Umfang und Art des Kontaktes an den Vorgaben der großen aktuellen psychedelischen Studien, wie der von Teilen des Teams mitentwickelten EPIsoDE-Studie, in der aktuell 144 Proband:innen mit Psilocybin bei Depression behandelt werden (Mertens et al., 2022).
Ebenfalls analog zur EPIsoDE-Studie werden die Patient:innen instruiert, den Aufmerksamkeitsfokus während der Substanzsitzung auf ihre inneren Prozesse zu lenken. Speziell zusammengestellte Musiklisten über Kopfhörer und Augenmasken unterstützen diese Innenwendung und helfen dabei, ganz im Erlebten aufzugehen. Gespräche finden während der Ketamin augmentierten Sitzungen tendenziell eher nicht statt, auch wenn es manchen Patient:innen ein Bedürfnis ist, sich und ihren Prozess proaktiv nach außen mitzuteilen. Die Therapeut:innen gehen in der Regel mit diesem Impuls zu sprechen mit, versuchen aber die Kommunikation auf wesentliche Punkte einzugrenzen, um eine Flucht aus den Inhalten ins Verbalisieren zu erschweren.
Anders als beim therapeutischen Arbeiten mit Psilocybin ist es jedoch nötig, in der Endphase der Ketaminwirkung bereits mit den Patient:innen in Kontakt über das Erlebte zu gehen, da die anamnestische Nachwirkung des Ketamins sonst oft eine sinnhafte Erinnerung am Folgetag erschwert. Einige Stichworte zum Inhalt der Erfahrung können in der Integrationssitzung sehr hilfreich sein, um die Bilder, Emotionen und Gedankenprozesse wieder zugänglich zu machen. Auch das Erstellen von gestalterischen Repräsentationen der Erfahrung kann den Integrationsprozess beflügeln, so dass wir in unserem Atelier, dem Integrationsraum / Aufwachraum nach Sitzungsende, auch Kunstmaterialien wie Farben, Papier und lufttrocknende Tonmasse zur Verfügung stellen.
Diese Hauptphase der Therapie von 5–6 Wochen kann auch zu einem intensivierten Therapieblock von drei Wochen zusammengefasst werden. In dieser Zeit sind die Patient:innen dann 4 Tage pro Woche in der Praxis und absolvieren alternierend Ketamin augmentierte und Integrationssitzungen. Dieses Schema wird insbesondere von Menschen aus dem Ausland gerne angenommen, da eine dreiwöchige Phase in Berlin oft einfacher zu realisieren ist, als wöchentliche Reiseaktivitäten über einen längeren Zeitraum. Allerdings empfehlen wir dieses Vorgehen nur einer eingeschränkten Klientel. Menschen, die neben ihrer Depression auch wenig bearbeitete Traumata, Angstsymptomatiken oder (oft versteckte) Substanzgebrauchsstörungen mitbringen, profitieren von der zeitlichen Enge der Behandlung oft nicht. Es kommt zu Überforderungssituationen und einer verminderten Wirksamkeit des therapeutischen Vorgehens, da die notwendigen Pausen zur Verarbeitung der Inhalte, Herausforderungen und Erkenntnisse fehlen. Bei der Arbeit mit Ketamin augmentierten Sitzungen handelt es sich in gewisser Weise um eine „emotionale Exposition“, deren Dichte und Intensität mit Aufmerksamkeit und Bedacht kuratiert werden sollte. Hier befinden wir uns wieder im Spannungsfeld zwischen Pharmakologie und Psychotherapie: Psychotherapeutisch sind oft längere Abstände zwischen den Ketamin augmentierten Sitzungen sinnvoll und werden von den Patient:innen auch aktiv eingefordert. Pharmakologisch wäre es wünschenswert, den akkumulativen Effekt der Ketamingaben (Kryst et al., 2020) zu nutzen. In der Praxis eruieren wir diesen Punkt mit unseren Patient:innen, wenn sie nach längeren Intervallen zwischen den Ketaminsitzungen fragen, achten aber natürlich den Wunsch der Patient:in zur Pause. Als Grundsatz gilt, dass niemand eine Erfahrung im veränderten Wachbewusstsein machen sollte, für die sie oder er sich innerlich nicht bereit fühlt. Gerade bei chronisch psychisch kranken Menschen ist dieser Handlungsgrundsatz eine der wichtigsten Maximen der Behandlungsplanung.
Nach dem Ende der augmentierten Behandlungsphase erfolgen (live oder online, wie auch in der Vorbereitung) abschließende Gespräche, die zum Teil auf Wunsch der Patient:innen in längerfristige Gesprächstherapien übergehen können. Im weiteren Verlauf bieten wir einerseits Follow-Up Gespräche an, versuchen aber auch den Patient:innen bereits während der Behandlung Brücken in andere therapeutische Kontexte zu bauen. So lassen sich z. B. interaktionsorientierte Konzepte wie CBASP (McCullough Jr., 2005) sehr gut an eine KAP anschließen. Es ist uns ein Anliegen, den Patient:innen zu vermitteln, dass die Behandlung bei uns eine gute Methode sein kann, um aus der tiefen Schwere und Unbeweglichkeit der Depression wieder an einen Punkt im Leben zu kommen, an dem es möglich wird, Hilfssysteme aktiv wahrzunehmen und in sich ein Verständnis für ein „nicht depressionsbestimmtes Selbst“ zu entwickeln. Dieses Selbstverständnis kann dann auch ohne eine erneute Anwendung von augmentierter Therapie genährt und gestärkt werden. Ziel der augmentierten Psychotherapie ist es nicht, dauerhaft Patient:innen an diese Therapiemodalität zu binden, sondern vielmehr Impulse hin zu einer weniger von Krankheit und Rigidität geprägten Lebensgestaltung zu setzen. Wir bieten unseren Patient:innen an, nach einigen Monaten für einzelne Auffrischungssitzungen mit Ketamin und Integration zu uns zurück zu kommen, eruieren aber im Vorfeld immer den therapeutischen Impuls dieser erneuten Sitzungen, um eine gedankliche Prägung auf das Medikament möglichst einzuhegen und den assoziierten psychotherapeutischen Prozess zu betonen.
Natürlich ist kein therapeutisches Verfahren bei allen Patient:innen sinnvoll und erfolgsversprechend. Wir erleben es immer wieder, dass gerade Patient:innen deren Denken und Fühlen von großer Rigidität und Gedankenschleifen geprägt sind von der evokativen und disruptiven Tendenz dieser Therapie profitieren können. Wenn einem ein älterer Herr erzählt, dass er am Vortag unter der Ketamin augmentierten Sitzung das erste Mal seit 20 Jahren wieder habe weinen können, ist das ein wirklich berührender Moment für alle Beteiligten.
Die augmentierte Psychotherapie mit Ketamin und serotonergen Psychedelika wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten den kritischen Blicken und Evaluationen der Therapeutenschaft stellen müssen. Aus dem vermeintlichen Wunderkind der neuen therapeutischen Methoden muss ein verlässlicher Kooperationspartner der existierenden Behandlungsoptionen werden. Dazu braucht es noch einiges an forscherischem und therapeutischem Einsatz, sowie die Bereitschaft, sich aktiv mit den Limitationen und möglichen Fehlentwicklungen dieser neuen Behandlungskonzepte auseinander zu setzen.