Ketamin hat Nebenwirkungen

Ernil Hansen

Jedes Medikament hat auch Nebenwirkungen. Deshalb darf in einem Buch über neue Anwendungen von Ketamin ein Hinweis darauf nicht fehlen. Entsprechend wichtig ist es, dass in Übersichtsarbeiten über den potenziellen Nutzen in der Psychotherapie auch die zahlreichen und zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen und Risiken zur Sprache kommen. Umso verstörender ist es, dass in der derzeitigen Euphorie oft Übersichtsarbeiten erscheinen, ohne Nebenwirkungen zu erwähnen. Dies erscheint umso bedenklicher, als hier Psychotherapeuten, eine Berufsgruppe, die gewöhnlich wenig mit Pharmakotherapie Umgang hat, sich einer Medikamentenanwendung öffnet. Da mag ein Beitrag aus der Anästhesie, ein Fach, in dem man mit Ketamin seit 55 Jahren Erfahrungen gesammelt hat, nützlich sein, nicht um das Medikament mies zu machen, sondern um Vorsicht und Sorgfalt anzumahnen.

Für die Beurteilung der Sicherheit einer Ketamin-Anwendung im Rahmen einer Depressionsbehandlung ist es sinnvoll und notwendig, sich auch die Risiken und Komplikationen nach Ketamin in anderem Zusammenhang anzusehen, die im Laufe der Zeit sichtbar geworden sind.

KETAMIN IN DER ANÄSTHESIE

Ketamin ist trotz ausgeprägter psychischer Wirkungen kein Psychopharmakon, sondern findet sich in der Roten Liste unter „Narkosemittel“. Aussagen wie „…wurde Ketamin zur Depressionsbehandlung zugelassen“ sind daher irreführend. In einer deutschen Veröffentlichung wie diesem Buch kann man sich nicht auf eine Zulassung in den USA beziehen, sondern MUSS die Rechtsgrundlage in Deutschland abgebildet werden. Danach sind die derzeit angewendeten i.v.-Präparate von Ketamin für psychiatrische Anwendungen NICHT ZUGELASSEN. Eine Liste „Indikationen in der Psychiatrie“ aufzuführen, ist daher unlauter. Sie könnte bestenfalls „Potenzielle Indikationen …“ heißen. Stattdessen werden in Beipackzettel und Roter Liste als Indikation für Ketamin aufgeführt: Einleitung und Durchführung einer Allgemeinanästhesie, Supplementierung bei Regionalanästhesien, Anästhesie und Analgesie in der Notfallmedizin, Behandlung eines therapieresistenten Status asthmaticus (Marland et al. 2013). Wegen der erheblichen Nebenwirkungen spielt heute Ketamin in der Anästhesie eine geringe Rolle.

Auch jüngste Versuche, neue Vorteile von Ketamin für die Anästhesie zu finden, schlugen fehl: Eine intraoperative Gabe von Ketamin verringerte nicht das Risiko für postoperatives Delir, erhöhte allerdings wesentlich das Auftreten „negativer Erfahrungen“ wie Halluzinationen und Albträume auch bei niedrigdosierter Anwendung (Vlisides & Avidan 2019). Ebenso hatte Ketamin keinen Einfluss auf die postoperativen Schmerzen. Anders als in den USA wird Ketamin hierzulande bis heute nicht in den Leitlinien zur Prävention postoperativer Schmerzen empfohlen. Auch die neu entdeckte antidepressive Wirkung wollte man für Operationen nutzen. Bei großer Chirurgie an älteren Patienten mit einem erheblichen Risiko postoperativer Depression konnte intraoperatives Ketamin weder das Auftreten verringern, noch depressive Symptome verbessern (Mashour et al. 2018; Pang et al. 2020).

Eine Studie zur Verwendung von Ketamin-Saft zur Prämedikation (Operationsvorbereitung) von Kindern musste wegen erheblicher Nebenwirkungen, Verhaltens- und Wesensveränderungen vorzeitig abgebrochen werden. Die verbreitete Vorstellung, man könnte die Ketamin-induzierten Albträume durch gleichzeitige Gabe von Benzodiazepinen vermeiden hat sich als trügerisch erwiesen. Nur die Erinnerung und Berichterstattung darüber wird verringert. Eine Cochrane-Meta-Analyse erbrachte keinen Nutzen als Adjuvans für Opioide bei chronischem Tumorschmerz, nur vermehrte Nebenwirkungen (Bell et al., 2017).

KETAMIN IN DER RETTUNGSMEDIZIN

Weil es sowohl analgetische als hypnotische Wirkung hat und gewöhnlich keine Blutdrucksenkung und Atemdepression macht, ist Ketamin in der Notfallmedizin verbreitet, jedoch zunehmend zurückhaltender eingesetzt. Allerdings ist wegen der Erhöhung von Blutdruck, Herzfrequenz, Hirn- und Augeninnendruck die Anwendung z. T. kritisch und eingeschränkt, z. B. bei vorbestehender koronarer Herzerkrankung, die meist nicht sicher auszuschließen ist, oder bei kardialem Versagen, das in der Notfallversorgung nicht selten ist. V.a. aber stellt die dissoziative Wirkung ein Problem dar. Dissoziation ist ein häufiges Begleitsymptom von Unfall und Trauma und korreliert eng mit dem Risiko der Entwicklung einer schwer therapiebaren Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). Ketamin erhöht sowohl diese trauma-bedingte Dissoziation als auch die frühen und späten posttraumatischen Stresssymptome und die PTSD-Inzidenz (Schönenberg et al. 2005; Schönenberg et al. 2008). Bei Patienten mit Verbrennungstrauma erhöhte die Ketamingabe ebenfalls das PTSD-Risiko signifikant (Winter & Irle, 2004). Manche Vorteile von Ketamin wie eine fehlende Atemdepression werden nach Berichten von akutem Atemstillstand und einer Studie, die mehr Atemdepression nach Ketamin als nach Propofol fanden, zurückhaltender beurteilt (Miner et al., 2010).

KETAMIN IN DER DROGENSZENE

Ketamin wurde entwickelt, um „angel dust“ (Phenycyclidin, PCP) zu verbessern und ist als „Substance K“, Special K“ oder „Vitamin K“ seit langem in der Drogenszene verbreitet und bekannt. Eindrucksvolle und erschütternde Beschreibungen finden sich in dem Buch „The Center of the Cyclon“ von John Lilly, der eigentlich damit Bewusstseinsforschung betreiben wollte (Lilly 1972). Der aktuelle „European Drug Report 2021“ der EMCDDA stellt nicht nur allgemein eine weitere Zunahme von Drogenmissbrauch, Suchterkrankungen und Drogentoten fest, sondern auch speziell für Ketamin, mit jährlich rund 1900 Sicherstellungen von Ketamin in 15 EU-Ländern, die sich auf geschätzte 328 Kilogramm (250–600 kg) und 12 Liter der Droge beliefen. In der Gruppe der „Neuen Psychoaktiven Substanzen“ (NPS) macht Ketamin etwa 10% aus und gerade der Missbrauch dissoziativer Drogen ist besonders stark angestiegen. Moderne Ausprägung des Ketaminkonsums sind „near death parties“, wegen der induzierten „out-of-body-experiences“ und Todesnähe-erfahrungen („K-Hole“), aber auch weiterhin die Verwendung als „k.o.-Tropfen“, oft auch mit entsprechendem sexuellen Missbrauch. In einem aktuellen Report „Ketamine: a review of use and harm“ hat das „British Advisory Council on the Misuse of Drugs“ eine Warnung vor Ketamin ausgesprochen und nach einem Anstieg auf 120000 Suchtkranke pro Jahr (allein in England und Wales) es als illegale Droge der Klasse C eingestuft (wie Cannabis oder Amphetamine). Da in der Folgezeit die Schäden noch höher waren als erwartet, wurde die Klassifizierung 2014 verschärft und die Substanz in Klasse B hochgestuft (Havley, 2014). In einer britischen Studie berichteten 13% der Ketamin-Nutzer, dass sie als direkte Folge des Ketaminrausches in einen Unfall verwickelt waren und 83% von ihnen kannten einen anderen Ketaminkonsumenten, der einen Unfall erlitten hatte. Im Vereinigten Königreich gab es von 1997 bis April 2013 nach amtlicher Statistik 93 Todesfälle in Verbindung mit dem Gebrauch von Ketamin als Rauschmittel (ACMD 2013).

Zahlreiche Studien und Publikationen haben sich mit den Nebenwirkungen im Extremfall, nämlich dem Missbrauch von Ketamin auseinandergesetzt (Heinz, 1999). In einer aktuellen Studie über kognitive Leistungsfähigkeit und psychopathologische Veränderungen bei Ketamin-Konsumenten ergab sich eine deutliche Beeinträchtigung von Gedächtnisleistungen (spacial working memory, episodic memory, pattern recognition memory, source memory task, prose recall, category fluency), sowie ein deutlicher Anstieg an Wahnvorstellungen, dissoziativen und schizophrenietypischen Symptomen (Morgan et al. 2009). Beachtenswerterweise traten auch vermehrt Symptome von Depression (Beck depression inventory) auf. Weitere psychopathologische Beeinträchtigungen in Form von kognitiver Desorganisation, impulsiver Nicht-Konformität und Planungsunsicherheit wurden registriert und insgesamt ein eingeschränktes psychisches Wohlbefinden und breitgefächerte kognitive Defizite festgestellt. Die Gedächtnisstörungen sollen mit der Funktion des NMDR-Rezeptors bei der Erinnerungsbildung zusammenhängen.

Bei Ketamin-Konsumenten ist zusätzlich das Suchtpotenzial zu beachten und Ketamin-bedingte Hirnschäden. In der Kernspintomographie sind neben kortikalen Atrophien frontal, parietal oder occipital diffuse Schädigungen nachweisbar, in denen sich Ketamin von anderen zentralnervös wirksamen Medikamenten unterscheidet (Wang et al. 2013).

KETAMIN IN DER PSYCHIATRIE

In der Psychiatrie-Forschung gilt Ketamin als Modell für Schizophrenie sowohl im Menschen als auch im Tiermodell (Frohlich & van Horn, 2014). Es werden reproduzierbar Schizophrenie-Symptome ausgelöst, deren Behandlung dann untersucht werden kann. Daneben sind Schizophrenie-typische Veränderungen aber auch im EEG und fMRT nachgewiesen (Haaf et al. 2018). Die Störung neuronaler Schaltkreise durch subanästhetische Ketamindosen ist damit inzwischen gut belegt und werden mit den tiefgreifenden Beeinträchtigungen grundlegender Informationsverarbeitung in Zusammenhang gebracht, die heute als zentral für die Krankheit gelten. Akute Ketamin-Anwendungen zeigen dabei Veränderungen, die psychotischen Zuständen ähneln (z. B. erhöhte Basislinien-Gamma-Band-Oszillationen), während die wiederholte Ketamingabe Veränderungen der kortikalen Schaltkreise und neurophysiologische Defizite (z. B. beeinträchtigte ereigniskorrelierte Gamma-Band-Oszillationen) verursacht, die für die kognitiven Beeinträchtigungen bei Schizophrenie verantwortlich sind. Ketamin wirkt an mehreren kortikalen und subkortikalen Stellen sowie an anderen Rezeptoren als dem N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (Kocsis et al. 2013). Für diese und andere Anwendungen von Ketamin in der Psychiatrie konstatieren Übersichtsarbeiten, dass gerade bei den zahlreichen, z. T. noch unbekannten Wirkmechanismen und der derzeitigen Studienlage das Medikament mit Vorsicht anzuwenden ist, insbesondere weil Spätfolgen noch nicht ausreichend untersucht und bekannt sind (Nowacka & Borczyk, 2019).

OFF-LABEL-USE IN DER PSYCHOTHERAPIE

Die i.v.-Anwendung von Ketamin hat bisher zur Depressionsbehandlung in Deutschland keine Zulassung. Auch eine Aufnahme in Teil A der Anlage IV der Arzneimittelrichtlinie, mit der auch nicht-zugelassene Medikamente reguliert und etabliert werden können, ist bisher nicht beantragt. Der off-label-use von Medikamenten ist allerdings nicht ungewöhnlich, weil für zahlreiche Anwendungsbereiche oder Patientengruppen (noch) nicht ausreichend Studienergebnisse verfügbar sind. Allerdings gelten dafür besondere Bedingungen und verschärfte Regeln (Göben 2009; Geth 2013; Syed et al. 2021):

NASALES KETAMIN

Kürzlich wurde nasales Ketamin auch in Deutschland zur „Kurzzeitbehandlung einer Major Depression in Kombination mit einem SSRI oder SNRI“ zugelassen, „wenn sie auf zwei unterschiedliche Therapien mit Antidepressiva nicht angesprochen hat“. Pharmakologische Zubereitungen wie Fentanyl-Lutscher und -Nasenspray (mit dem synthetischen Opioid) oder Ketamin-Nasenspray bieten keine medizinischen Vorteile, verbessern nicht die Anwendung in ärztlichen Händen, sondern erleichtern ausschließlich die Laien-Anwendung und entsprechenden Missbrauch. FDA-Zulassungen lassen sich in diesem Sinne keinesfalls als vorbildlich ansehen. Die Opioid-Epidemie in den USA mit jährlich mehr Toten als im Straßenverkehr ist dafür ein bestürzendes Beispiel. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Nebenwirkungen und Risiken wiederholter Ketamin-Applikation durch kontrollierte Studien nicht genügend untersucht und damit nicht ausreichend bekannt sind, ist die Anwendung strikt unter ärztlicher Aufsicht vorzunehmen.

NEBENWIRKUNGEN BEI PSYCHIATRISCHER ANWENDUNG GEGEN DEPRESSION

Nebenwirkungen sind z. T. auch von der Applikationsform abhängig. Im Gegensatz zur Anwendung für Anästhesie oder im Notfall wird Ketamin bei Depression vor allem wiederholt eingesetzt. Daher ist es sinnvoll und wichtig, sich das Risikoprofil auch speziell bei dieser Indikation anzusehen. In einer aktuellen systematischen Übersicht zu Nebenwirkungen von Ketamin zur Depressionsbehandlung (Short et al. 2018) mit 60 Studien an 899 Patienten, begleitet von einem Editorial (Loo 2018), stellen die Autoren fest:

Auch eine andere systematische Übersicht (über 36 Placebo-kontrollierte Studien mit 725 Patienten) fand für razemisches wie s-Ketamin signifikante psychopathologische Veränderung in hoher Effektstärke sowohl für alle, für positive (Abweichungen von der Norm) als auch für negative (Beeinträchtigungen) Symptome, schizophrenie-typisch oder psychotomimetisch (Beck et al. 2020). Eine Reihe weiterer Übersichtsarbeiten sieht die Datenlage zur Sicherheit von intravenösem oder nasalem Ketamin zur Depressionsbehandlung kritisch und als bisher weit ungenügend (Molero et al. 2018; Pérez-Esparza et al. 2019).

PSYCHOTHERAPIE UND/ODER PSYCHOPHARMAKOLOGIE

Natürlich kann die Durchbrechung von eingefahrenen und pathologischen Mustern eine Chance für eine Neuorganisation und -ordnung bieten. Im Falle der Dissoziation als einer möglichen Komponente eines solchen Prozesses stehen in der Hypnotherapie eine lange Erfahrung, Ausbildung und bewährte Techniken zur Verfügung, während eine Dissoziation ausgelöst durch ein Trauma oder ein Medikament primär ungeordnet abläuft, häufig auch negativ (Negativ-Trance). Auch wenn es unbenommen so ist, dass eine positive Ausgangslage und eine psychotherapeutische Begleitung Nebenwirkungen und Komplikationen verringern können, so ist doch die Vorstellung, dass man eine Trauma- oder Ketamin-induzierte Dissoziation, d.h. die Unterbrechung der Zusammenarbeit bestimmter Hirnareale, psychotherapeutisch in sichere Bahnen lenken kann, und zwar sicher und immer, trügerisch und muss erst noch verifiziert werden.

Ist eine medikamentöse Unterstützung psychotherapeutischer Arbeit notwendig? Auch andere Medikamente können psychotherapeutische Behandlungen eigentlich unterstützen. Wirkt Alkohol nicht beruhigend, macht gesprächiger, baut Hemmungen ab und hat dissoziierende, bewusstseinsverändernde und anxiolytische Wirkung? Sedativa wie Midazolam der Propofol erhöhen nachweislich die Suggestibilität und können zusammen mit Hypnose, z. B. bei der „Hypnosedation“, eingesetzt werden. Das hypnotherapeutische Arbeiten mit unbeeinträchtigten Patienten verläuft allerdings ungleich effektiver, v.a. weil die aktive Mitarbeit des Patienten ermöglicht und gefördert wird. Industriegeförderte medikamentöse und technische Hilfsmittel, wie etwa die virtual-reality-gestützte Hypnoseinduktion, kann man dem entsprechend durchaus kritisch sehen, weil sie den wichtigsten Wirkmechanismus von Psychotherapie, nämlich dem persönlichen Kontakt und der Therapeutischen Beziehung Bedeutung nimmt oder sogar schwächt.

An der derzeitigen Wiederentdeckung bewusstseinserweiternder Drogen für medizinische, v. a. psychiatrische Behandlungen ist die Pharmaindustrie stark beteiligt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es ungleich kostengünstiger ist, ein neues Anwendungsgebiet für ein vorhandenes Medikament zu erschließen, als ein neues zu entwickeln. Gerade bei der Entwicklung von Antidepressiva mit großem Aufwand und Kosten blieb der medizinische Erfolg begrenzt und der Wirkungsnachweis gegenüber Placebo bis heute umstritten (Kirsch et al 2008; Jakobsen et al. 2020). Bei dieser eingeschränkten bis fraglichen Wirksamkeit ist es umso unverständlicher, wenn die Indikation für die Ketaminanwendung „nach Therapieversagen zweier medikamentöser Behandlungsversuche“ gestellt wird, statt primär auf Psychotherapie zu setzen. Eine Bankrotterklärung der Möglichkeiten von Psychotherapie, speziell Hypnotherapie inklusive geführter Dissoziation erscheint jedenfalls verfrüht (Fuhr et al. 2017; Haipt et al. 2022). Das bereits verfügbare Ketamin erspart Entwicklungskosten, erfordert gleichwohl Studien für eine Zulassung in dieser psychiatrischen Indikation. Entscheidend sind dabei aber nicht Studien zur Wirksamkeit, sondern zur Sicherheit, die wesentlich höhere Fallzahlen benötigen. So kann die Wirksamkeit eines Impfstoffes, z. B. gegen Covid, leicht an 100 Patienten gezeigt (als signifikant nachgewiesen) werden, während für die Untersuchung möglicher Nebenwirkungen und damit für die Zulassung (ohne die Abklärung von Spätfolgen) mindestens 30 000 notwendig sind. Nicht so sehr eine Unterstützung kleinerer Studien zur Wirksamkeit ist daher angezeigt, sondern große Studien mit strukturierter, systematischer und aktiver Erfassung von Nebenwirkungen und Risiken.

Eine Reihe unterschiedlicher Mechanismen wird für die Wirkung von Ketamin bei Depression diskutiert (Molero et al., 2018). Solange der pharmakologische Ansatzpunkt nicht klar bekannt ist, kann auch keine spezifische Weiterentwicklung von wirksamen Medikamenten mit weniger Nebenwirkungen erfolgen. Ist es der NMDA-Rezeptor, könnten effektivere Rezeptorantagonisten gestaltet werden, die z. B. nicht wie Ketamin mit Opiatrezeptoren reagieren, was für die Suchterzeugung verantwortlich gemacht wird. Der Pharmaindustrie scheint derzeit mehr an der Ausweitung der Indikationen für Ketamin zu liegen als an einer pharmakologischen Weiterentwicklung zur Erhöhung der Sicherheit.

Eine Indikationsbegründung „Da haben wir gute Erfahrungen gemacht“ für eine Angebotserweiterung „Das können wir auch anbieten.“ und ein Sicherheitshinweis „Wir haben keine Nebenwirkungen gesehen, (haben auch nicht danach geschaut).“ sind heute auch für (Ketamin-)erfahrene Anästhesisten nicht mehr zeitgemäß. Von Nöten sind Anwendungen in ausreichend großen Studien insbesondere mit Fokus auf Nebenwirkungen und Spätschäden. Das dürfen Patienten bei medikamentöser Behandlung heute erwarten. Bei einer pharmakologischen Risiko- und Sicherheitsbeurteilung geht es nicht primär um Inzidenzen und „sichere Dosisbereiche“, sondern um alle, gerade „im schlimmsten Falle“ mögliche Nebenwirkungen, ganz besonders solche, die aus bekannten Wirkmechanismen des Medikaments ableitbar sind.

Große Bedeutung kommt der Aufklärung der Patienten vor der Einwilligung zu. Sie richtet sich nicht nach heutiger Rechtsauffassung (Patientenrechtegesetz und aktuelle Rechtsprechung) nicht nach der Wahrscheinlichkeit der Neben-wirkungen, sondern nach der Bedeutung für das Leben des individuellen Patienten. Auch seltene und selbst nur denkbare Risiken (durch die Wirkweise mögliche) sind anzusprechen. Die Aufklärung muss den Hinweis auf den off-label-use des Medikaments enthalten und, was das bedeutet.

FAZIT

  1. 1) Die Verwendung von Ketamin sollte in Zusammenarbeit mit einem Anästhesisten stattfinden.
  2. 2) Für Ketamin sind zahlreiche und auch schwerwiegende Nebenwirkungen bekannt.
  3. 3) Aus den Studien zu Ketamin-Anwendung bei Depression ergibt sich, dass die Nebenwirkungen und Risiken bisherigen nicht adäquat untersucht sind und die Sicherheit daher unklar ist.
  4. 4) Es ist sehr anzuraten, die Anwendung im Rahmen von Studien durchzuführen, um entsprechende Erkenntnisse zu erhalten und dabei eine adäquate Risikoerfassung zu gewährleisten.
  5. 5) Die Aufklärung des Patienten muss den Hinweis auf den off-label-use enthalten und sich nach der individuellen Bedeutung bestimmter Nebenwirkungen für das Leben des Patienten richten, unabhängig von den bekannten Inzidenzen.
  6. 6) Die meisten Komplikationen bei Medikamentengabe – auch bei Ketamin – sind nicht auf Überdosierungen zurückzuführen, sondern passieren unter empfohlenen Dosierungen. Auch die dokumentierten und veröffentlichten Nebenwirkungen sind typischerweise unter regelrechter Dosierung aufgetreten. Die Vorstellung einer “sicheren“ Anwendung in einem „sicheren“ Dosisbereich ist trügerisch und gefährlich.
  7. 7) Das Nebenwirkungsrisiko wird auch durch das Setting, die Ausgangssituation und vorbestehende Anfälligkeiten des Patienten beeinflusst, so dass einer guten Vorbereitung und Begleitung der Patienten große Bedeutung zukommt. Insofern ist eine Ketamingabe im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung unbedingt einer bloßen Gabe als Antidepressivum vorzuziehen.

Dieser Buchbeitrag wendet sich nicht gegen Ketamin. Ganz im Gegenteil will er durch Aufruf zu Vorsicht und zu vermehrtem Fokus auf mögliche Risiken die Anwendung in diesem wichtigen und vielversprechenden Ansatz fördern und sichern. In diesem Sinne ist es sinnvoll und geplant, ein Netzwerk der Anwender einzurichten, um den Austausch von Erfahrungen über die Verwendung von Ketamin in der Depressionsbehandlung zu fördern, insbesondere auch bezüglich Nebenwirkungen.

LITERATUR