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Todaro

Liebste Rina,

seit einer Woche gibt es keine besonderen Vorkommnisse.

Tagsüber fahren wir getaucht und atmen den Mief menschlicher Körper ein. An Bord gibt es keine Duschen und nur eine einzige Toilette, denn die zweite ist kaputt. Das Trinkwasser ist knapp, von Gnocchi können wir nur noch träumen.

Nachts tauchen wir auf, und ich mildere den Gestank der sauberen Luft, indem ich eine Zigarre umgekehrt rauche, wie Mulargia es mir beigebracht hat. Das zeige ich dir später. Wir sind weit vom Ziel unserer Mission entfernt, die Auflauern heißt.

Der Torpedoschütze Leandri aus Livorno und der Bordschütze Poma aus Sizilien stritten sich über religiöse Fragen. Es war ein episches, uraltes Ritual, ein Titanenkampf um die große Frage, über die Philosophen im Schweiße ihres Angesichts Abhandlungen verfassen und wegen der sogar Tiere ihre Stimme zum Himmel erheben. Sie brachten sich einander beinahe mit bloßen Händen um und warfen sich Beleidigungen an den Kopf, ohne dass der eine die Worte des anderen verstand. Poma brach sich die Hand, als er gegen das stählerne Schott schlug, was für einen Bordschützen ein Problem darstellt. Doch zum Messer wurde nicht gegriffen.

Das ist das vereinte Italien, liebe Rina: Hier sind ein Mann aus Livorno und ein Sizilianer mehr als Fremde, sie sind wirklich Bewohner zweier Planeten, die hinsichtlich Sprache, Kultur und Temperament völlig verschieden und weit voneinander entfernt sind.

Minniti, Schiassi, Mancini, Giuseppe Parlato, der Erste Torpedoschütze, Negri, Raffa — allesamt mit verstörten Augen, Pickeln, schmutzigen Haaren, fleischigen Mündern, hervorstehenden Stirnadern, straffer Haut, Tätowierungen, mit Händen, die nie dort sind, wo sie hingehören.

Die Wände geschmückt mit Heiligenbildchen, Madonnen, Ehefrauen, Freundinnen und Pin-up-Fotos, aufgehängt sind Hörner und Hufeisen gegen den bösen Blick. Knoblauchknollen stecken zwischen den Bordinstrumenten.

Die Jugend von ganz Italien ist in dieser stählernen Zigarre versammelt.

Und doch ist gerade der Schmelztiegel, in dem alle Dialekte, kleine und große Talente, dumpfer heidnischer Glaube, die egalitäre Revolution des Christentums und die alten Relikte miteinander verschmolzen sind, unser größter Schatz. Dieses wunderbare, verkommene Durcheinander, genau das ist Italien.

Liebste Rina, sei stolz auf unseren Kampf, gib diesen Stolz an unseren Sohn weiter und verzeih, wenn ich dir meine Nachrichten nicht übermitteln kann, wir schalten den Funk nur im äußersten Notfall ein.

Mein Kreuz schmerzt ständig, aber ich greife nicht zum Morphium, sosehr es mich auch danach verlangt, und ich mache Yoga, wenn ich traurig bin, weil ich wehmütig an Sottomarina denke, an uns als Kinder und an Don Voltolina, der, anstatt selbst zu essen, einem anderen zu essen gibt, der hungriger ist als er.

Dann beschließe ich, das Heimweh mit einem größeren Weh zu heilen, ich lasse Marcon kommen und bitte ihn, sich mit mir im Dialekt zu unterhalten. Die Süße der heimatlichen Sprache lullt mich ein, ich fühle mich nicht mehr weit weg, sondern wirklich daheim.