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E in Alarm jaulte los.
Milton öffnete die Augen und wusste eine Sekunde lang nicht, wo er war. Er lag auf dem Rücken auf einer dünnen Matte, die seinem Rücken keinen Schutz vor dem harten Boden bot. Er sah mit Kritzeleien übersäte Wände, eine einzelne Glühbirne und, als er den Kopf drehte, die Gitterstäbe, die seine winzige Zelle begrenzten.
Er war völlig erschöpft. Es hatte mehrere Stunden gedauert, bis er endlich eingeschlafen war. Er hatte immer wieder versucht, den Nebel zu durchdringen, der seine Erinnerungen an den Abend mit Jessica einhüllte, aber so sehr er sich auch bemühte, es war hoffnungslos. Er konnte die Lücke zwischen seinem Treffen in der Bar und dem grausigen Erwachen am Morgen danach nicht füllen.
Er hörte sich nähernde Schritte und jemanden, der auf Filipino Befehle ausstieß.
Die Wache trat vor seine Zelle und strich mit dem Schlagstock über die Gitterstäbe. „Aufstehen“, sagte der Mann auf Englisch. „Nimm deinen Teller und die Tasse. Frühstück.“
Die Zellentür wurde geöffnet, und Milton folgte den anderen Gefangenen, die den Gang entlang zu den Treppen schlurften. Dort versammelten sie sich, bewacht von einem Wächter mit einer Schrotflinte, der über ihnen in einer kleinen verglasten Kabine stand. Jemand rief einen Befehl, und die Männer vorne in der Schlange setzten sich die Treppe hinab in Bewegung. Milton folgte ihnen und war sich sehr der Tatsache bewusst, dass er der einzig westliche Insasse war.
Er folgte der Gruppe einen Korridor entlang, der vom Hauptbereich am Fuß der Treppe wegführte. Gestern war er auf der anderen Seite ins Gebäude gekommen, daher achtete er sorgsam auf seine Umgebung und versuchte, ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wo man ihn gefangen hielt. Er sah einen offenen Durchgang, der in einen großen Duschraum führte, einen weiteren in einen großen Waschraum und eine Reihe vergitterter Türen zu Zellen, deren Insassen nicht rausdurften.
Der Gang bog nach rechts ab zu einer Doppeltür, die mit Keilen offen gehalten wurde. Dahinter lag ein großer Speisesaal. Es gab vier Tischreihen, getrennt durch einen Gang, der zum Ausgabebereich führte, wo es Metalltabletts gab und eine Durchreiche, durch die die Gefangenen, die in der Küche arbeiteten, das Essen austeilten. An den Tischen saßen die Männer, die gerade ihre Mahlzeit beendeten, Wachen an den Wänden säumten den Saal. Lautes Stimmengewirr und Gelächter erfüllte den Raum.
Milton stellte sich in der Schlange vor der Essensausgabe an. Zum Essen gab es Tapsilog , Billigfleisch in Sojasauce mariniert mit Eiern und Reis. Milton reichte dem Mann, der das Essen auffüllte, sein Tablett und bekam eine winzige Menge aufgefüllt. Er wartete, in dem Glauben, dass er noch eine Kelle bekäme, aber der Mann zog die Stirn kraus, dann wurde Milton auch schon von hinten unsanft geschubst.
Er nahm das Tablett und suchte nach einem Sitzplatz. Alle Tische waren besetzt, aber er entdeckte einen freien Platz am Ende eines der Tische und machte sich auf den Weg dorthin.
Er setzte sich. Die anderen Männer am Tisch betrachteten ihn mit unverhohlener Feindseligkeit, doch als sie bemerkten, dass ihre aggressive Haltung ihn nicht rührte, widmeten sie sich wieder ihrem Essen und ignorierten ihn.
Milton aß. Das Essen war mies, aber es war die erste Mahlzeit seit seiner Verhaftung und er war ausgehungert. Die Gefangenen durften kein Besteck benutzen, also aß er mit den Fingern. Das sehnige Fleisch hinterließ Fettflecken auf seiner Haut.
Er schaufelte sich gerade den zerkochten Reis in den Mund, als er bemerkte, dass die Männer am Nebentisch ihn beobachteten. Er sah hinüber und hielt ihren Blicken stand, bis sie wieder auf ihr Essen schauten.
Milton wusste, dass ihm sein erster Test bevorstand.
Er trank sein Wasser aus, stellte den Plastikbecher neben seinen Teller auf den Tisch, atmete tief durch und stand auf.
Die Männer, die ihn beobachtet hatten, erhoben sich ebenfalls.
Sie waren zu viert. Keiner von ihnen war groß – nicht größer oder schwerer als Milton –, aber sie hatten die zähe, drahtige Statur von Männern, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hatten, als stundenlang Kraftsport zu treiben. Sie waren tätowiert, jeder Zentimeter Haut mit Farbe bedeckt, und als sie sich vom Tisch entfernten, wusste er, dass er in Schwierigkeiten steckte. Sie umzingelten ihn und bewiesen genügend taktisches Geschick, um ihn gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen anzugreifen.
Er beschloss, nicht abzuwarten. Wenn er schon Prügel bezog, dann wollte er auch ordentlich austeilen.
Zwei standen vor ihm. Milton täuschte eine Bewegung auf den Kerl zu seiner Linken an, und als dieser zurücktrat, scherte er aus und versetzte dem Typen rechts von ihm einen schweren linken Haken. Damit hatte der Kerl nicht gerechnet, und als Milton die Faust gegen sein Kinn rammte, sank er auf die Knie.
Die anderen Männer im Speisesaal hörten auf zu essen und drehten sich zu dem Tumult um. Es gab einen kurzen Augenblick der Ruhe, dann explodierte der Saal in Jubelschreien bei der Aussicht auf Gratis-Unterhaltung.
Der andere Mann vor Milton wich zurück, aber Milton sprang vor und hämmerte ihm die Faust in die Rippen. Der Mann keuchte auf und Milton ließ einen Hieb direkt in sein Gesicht folgen, unter dem das Nasenbein brach.
Die Gefangenen kommentierten das mit johlendem Blutdurst.
Milton sah zu den Wachleuten an den Wänden. Keiner von ihnen schien Interesse daran zu haben, einzuschreiten.
Der dritte Insasse sprang auf Miltons Rücken, schlang die Arme um seinen Hals und drückte zu. Milton warf den Oberkörper nach vorne, sodass der Mann abgeschüttelt wurde, durch die Luft flog und auf dem Tisch landete. Er klappte zusammen, rutschte nach hinten und stürzte zu Boden. Milton ging in die Hocke und stieß ihm die ausgestreckten Finger in die Kehle. Damit löste er einen Luftröhrenkrampf aus, sodass sein Gegner kaum noch atmen konnte.
Milton wollte sich gerade wieder aufrichten, als er links von sich eine schnelle Bewegung bemerkte. Es war zu spät, um auszuweichen, und er hörte ein Krachen, als ein Stuhl an seinen Schultern zersplitterte. Holzteile fielen neben ihm zu Boden.
Er stützte sich am Tisch ab und drehte sich um, gerade als der erste Kerl sich wieder auf die Füße kämpfte.
Auch der Mann mit der gebrochenen Nase stand wieder auf.
Milton sah auf den Tisch neben sich und entdeckte einen Plastikbecher, der bis zum Rand mit heißem Tee gefüllt war. Er griff danach und schleuderte mit einer fließenden Bewegung die heiße Flüssigkeit ins Gesicht des ersten Mannes. Der brüllte vor Schmerz auf und schlug die Hände vors Gesicht.
Etliche der anderen Gefangenen bildeten jetzt einen dichten Halbkreis um die Kämpfenden, wodurch Milton und die beiden Männer zwischen ihnen und der Wand eingekesselt waren. Milton musterte die Gesichter über der orangefarbenen Gefängniskleidung um sich herum. Ihre Augen traten hervor und die Münder waren aufgerissen, während sie die drei anfeuerten.
Auf dem Tisch lag ein Tablett. Milton griff danach und schmetterte es kraftvoll ins Gesicht des Typen mit der gebrochenen Nase. Der ging ein zweites Mal zu Boden.
Milton trat etwas zurück und suchte nach dem vierten Mann, aber bevor er sich zurückziehen konnte – falls das überhaupt möglich war –, traf ihn ein plötzlicher Schlag seitlich am Kopf. Schmerz flammte auf, und er spürte, wie ihm Blut ins Auge lief.
Er taumelte zurück. Der Mann war neben ihm und schloss und öffnete rhythmisch die Faust.
Milton berührte seine Braue und entdeckte Blut an seinen Fingern.
Dann kam der vertraute Rausch des Adrenalins, und er gab sich ihm hin.
Vielleicht bemerkte der Gefangene den Stahl in Miltons Blick. Er wich zurück, aber die Wand aus orangefarbenen Zuschauern teilte sich nicht. Stattdessen wurde der Mann kräftig wieder nach vorne geschubst. Er stolperte vorwärts, direkt auf Milton zu, und Milton streckte ihn mit einem Ellbogenhieb gegen den Kopf nieder.
Das waren alle vier.
Milton sah nach links und rechts, starrte in die gierigen Gesichter der Zuschauer, als würde er sie herausfordern, sich ebenfalls mit ihm anzulegen.
Niemand wagte es.
Milton setzte sich und wartete darauf, dass die Wachen ihm und den anderen ihre Befehle gaben. Sein Schädel pochte, wo er getroffen worden war, aber er tat, als wäre nichts. Er wusste, dass die anderen ihn beobachteten, und er würde die Vorstellung, die er gerade gegeben hatte, nicht dadurch ruinieren, dass er jetzt Schwäche zeigte.