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ach seinem Treffen mit der Polizistin wurde Milton in seine Zelle zurückgebracht. Er war erst wenige Minuten dort, als er auf dem metallenen Gang draußen die Schritte einer sich nähernden Wache hörte.
Der Mann trat vor seine Zelle. „Du Besuch haben.“
„Wen?“
„Kommen“, bellte die Wache.
Milton dachte wieder an die Polizistin. Hatte sie es sich anders überlegt und war zurückgekommen?
Der Wachmann entriegelte die Tür und trat zurück, die Hand an seinem Schlagstock.
„Du kommen jetzt“, sagte er.
Milton kam schnell
zu dem Schluss, dass sie nicht auf dem Weg zu einem Besucher waren.
Der Wachbeamte blieb hinter ihm und trieb ihn mit kräftigen Stößen seines Knüppels in die dem Besuchsraum entgegengesetzte Richtung. Stattdessen führte er ihn wieder Richtung Speisesaal. Unterwegs schloss sich ihnen eine zweite Wache an, und gemeinsam gingen sie weiter, bis sie einen offenen Durchgang erreichten. Dort befahl ihm der Wachmann, stehen zu bleiben.
Milton war heute Morgen schon an dem Raum vorbeigekommen – es war der Duschraum. Er sah hinein. Er war unangenehm schmutzig. An der linken Seite ragte eine Reihe Duschköpfe aus der Wand, sie tropften und hinterließen Streifen schmutzigen Wassers auf dem abschüssigen Boden, der zu einem verstopften Abfluss führte. Den Duschköpfen gegenüber hing eine Reihe gesprungener Porzellanbecken, und in einer Ecke gab es einen Durchgang, aus dem der unverkennbare Gestank einer offenen Latrine drang.
Die Wache drückte Milton den Schlagstock in den Rücken und schob ihn in den Duschraum.
Milton drehte sich um. Die Wachleute waren draußen im Gang geblieben und stellten sich nun nebeneinander in die Tür, um ihm den Ausweg zu versperren.
Milton ballte die Hände zu Fäusten. „Was wollt ihr?“, fragte er.
Die beiden machten einen Schritt auseinander, und zwischen sie trat ein großer Filipino. Milton spürte, wie sich ihm der Magen zusammenzog.
Der Mann füllte die Tür aus. Er musste mindestens fünfzig Kilo schwerer sein als Milton und gut zehn Zentimeter größer. Sein Schädeldach war höchstens fünf Zentimeter vom oberen Türrahmen entfernt. Er hatte breite Schultern, muskulöse Arme und einen Körper, der zwar gewaltig war, aber vornehmlich aus Muskelmasse bestand. Er sah aus wie ein Profi-Wrestler oder ein Footballspieler aus der ersten Reihe.
Milton wich zurück und sah sich im Raum um. Die Fenster waren vergittert, und es gab keinen anderen Ausgang als die Tür, durch die er hereingekommen war, und die war versperrt.
Wenn er hier raus wollte, musste er kämpfen.
Der große Kerl rollte die Schultern nach hinten, verschränkte die Finger und ließ die Gelenke knacken. Er grinste und entblößte dabei ein Gebiss voller vulgärer Goldkronen. Er sprach kein Wort, stattdessen trat er in den Raum.
Milton wich noch weiter zurück. Er sah sich nach einer Waffe um, konnte jedoch keine entdecken.
Der große Mann kam noch einen Schritt näher.
Die Wachen im Gang sahen aufmerksam zu, ihre Augen blitzten auf bei dem Versprechen von Gewalt.
Milton warf sich nach vorn.
Er versetzte dem Mann einen rechten Haken, warf alles Moment der Bewegung hinein und zielte auf einen Punkt fünfzehn Zentimeter hinter dem Gesicht des Mannes. Seine Faust traf, und für eine Sekunde glaubte Milton, er habe ihn umgehauen. Der Mann wankte und musste sich an der Wand abstützen.
Die Wachen griffen nach ihren Schlagstöcken, vielleicht aus Sorge, dass sie als Nächste dran wären.
Der große Kerl schüttelte irritiert den Kopf und spuckte einen Batzen Blut aus.
Milton schüttelte die schmerzende Faust und warf sich wieder nach vorn.
Der große Filipino richtete sich zu voller Höhe auf und grinste. Seine Goldkronen waren blutverschmiert.
Milton griff an. Der Mann fing seine Faust mit einer riesigen Hand ab und drückte zu. Miltons Vorstoß war damit gestoppt; er versuchte, seine Hand zu befreien, wodurch er sich nicht gegen die linke Faust des Mannes wehren konnte, die dieser ihm in die Rippen hämmerte.
Milton klappte zusammen, sank nach rechts und versuchte, mit dem freien Arm den plötzlichen Schmerz zu bedecken.
Der Angreifer riss an Miltons Arm, um ihn wieder in Schlagweite zu haben, und ließ seine Faust ihm direkt ins Gesicht krachen.
Milton wankte benommen zurück. Der große Mann hielt noch immer seine Faust umklammert und riss wieder an seinem Arm, zog Milton zu sich und verpasste ihm mit der Rechten einen Kinnschlag.
Sterne explodierten vor Miltons Augen, und das Nächste, was er registrierte, war, dass er flach auf dem Rücken auf dem nassen Boden lag.
Das Licht, das durchs Fenster schien, verdunkelte sich, als der Filipino sich auf Milton niederließ, ein Knie auf jeder Seite seines Körpers. Milton sah den ersten Schlag kommen und konnte sich noch schützen, indem er die muskulöse Faust gegen seinen Unterarm krachen ließ. Es gelang ihm, den Schlag umzulenken, sodass dieser nur seine Kopfhaut streifte. Die linke Faust folgte und traf Milton an der Schläfe. Und damit brach seine Verteidigung zusammen. Noch eine Rechte. Und eine Linke.
Jeder neue Hieb explodierte in einer Wolke aus Schmerz; grelles weißes Licht flammte hinter Miltons geschlossenen Augen auf. Er versuchte, sein Gesicht zu schützen, aber der Mann hatte sich die Zeit genommen, Miltons rechten Arm unter seinem Knie festzuklemmen. Noch ein Treffer – Milton wusste nicht mehr, der Wievielte –, dann spürte er, wie auch sein linker Arm festgehalten wurde.
Er war seinem Angreifer hilflos ausgeliefert.
Sein Schädel pochte so stark, dass jeder neue Treffer nur wie das Echo des letzten wirkte. Seine Ohren klingelten; als die Dunkelheit fester und tiefer wurde, bekam er das nicht mehr mit. Die Kraft strömte aus seinem Körper, und er spürte, wie sein Nacken erschlaffte. Nur vage registrierte er, wie sein Kopf mit jedem neuen Schlag nach links und rechts geworfen wurde.
Und dann nahm er auch das nicht mehr wahr.