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ilton spürte Hände auf beiden Seiten seines Körpers, jemand griff ihm unter die Schultern.
Er öffnete die Augen und sah direkt auf den Boden runter, der an ihm vorbeizog. Sein Blick fiel auf Kiesel und Steine, sandige Stellen und dann eine Reihe grob behauener Pflastersteine. Sein Kopf hing schlaff herab und sein ganzes Gesicht fühlte sich an wie ein einziger pochender blauer Fleck. Ein Speichelfaden rann ihm aus dem offenen Mund. Er betastete mit der Zunge seine Mundhöhle und schmeckte Blut. Er untersuchte mit der Zunge seine Zähne – sie schienen alle noch da zu sein. Immerhin etwas.
Er schaute nach links und rechts und sah die Beine der Männer, die ihn vorwärtsschleiften. Sie trugen glänzende Lederstiefel. Wachen. Er ließ seinen Kopf etwas tiefer sinken, um einen Blick nach hinten zu erhaschen, aber das rief so starke Kopfschmerzen hervor, dass er sich beinahe übergeben musste.
Er schloss schnell die Augen.
Als er sie wieder öffnete, war er in einem Gebäude. Er erkannte den Boden des Zellentrakts, und seine Füße schlugen gegen die Stufen, als er nach oben gezogen wurde. Seine Zellentür stand offen, und man warf ihn hinein. Er landete zwischen den beiden Matratzen auf dem Boden.
„Schön, Sie wiederzusehen, John.“
Er schaute auf. Vor ihm stand Fitzroy de Lacey.
Milton rührte sich nicht. Sein ganzer Körper pochte vor Schmerz.
„Sind Sie noch unter uns?“
„Hallo, Fitz“, murmelte er.
De Lacey lachte. Milton konzentrierte sich auf das, was er fühlen konnte, ohne die Augen zu öffnen. Er lag mit ausgestreckten Armen da, und als er die Finger bewegte, spürte er die Unebenheiten im Betonboden. Er fokussierte sich auf die Vielzahl unterschiedlicher pochender und klopfender Schmerzen. Am schlimmsten war sein Gesicht. Außerdem lag er auf etwas Scharfem, das einen Schmerz verursachte, der wie ein Nadelstich aus all den Hintergrundschmerzen herausragte. Er wanderte geistig an seinem Körper hinab. Seine Rippen wummerten, ebenso wie etliche, klar umrissene Stellen an seinem Rücken.
„Wie fühlen Sie sich?“
Milton konnte die Wärme einer Blutung am Kopf spüren, die langsam abebbte und gerann. „Es geht mir gerade nicht so gut“, sagte er. „Tut mir leid, wenn ich nicht aufstehe.“
„Mir wurde gesagt, dass Sie Tiny diesmal gezeigt haben, was Sache ist. Hat es sich gelohnt?“
„Ich glaube, ich habe ihm die Nase gebrochen“, antwortete Milton.
De Lacey stieß ein Lachen aus. „Sie hätten Ihre Medizin einfach schlucken sollen. Jetzt will er Sie umbringen. Ich habe es ihm untersagt. Sie werden noch nicht auschecken, alter Knabe. Noch nicht. Er wird für Ihren Frühsport verantwortlich sein, das konnte ich arrangieren. Er freut sich schon darauf.“
Milton versuchte, sich auf den Rücken zu rollen, doch die Anstrengung war zu viel. Er blieb still liegen.
„Ich hatte auch so eine Zelle, als ich hier ankam“, erzählte de Lacey. „Wirklich widerwärtig. Man kann beim besten Willen nichts Gutes daran finden, oder? Immerhin gibt es ein Fenster, aber irgendwie macht es das nur noch schlimmer, denken Sie nicht? Den Himmel sehen zu können und doch zu wissen, dass man ihn nie wieder als freier Mann betrachten wird.“
Milton hörte de Laceys Schritte, als dieser in der Zelle auf und ab ging, und spürte dann eine Stiefelspitze an seinen geprellten Rippen.
„Sie sehen jämmerlich aus, John. Jämmerlich. Ich habe Sie ganz anders in Erinnerung. Sie sind stolziert
. Daran habe ich oft gedacht. Ich hielt mich immer für jemanden, der Menschen gut einschätzen kann, aber Sie haben mich echt ausgetrickst. Dank Ihnen bekam ich Selbstzweifel. Ich denke immer wieder daran, wie selbstsicher Sie waren. Wie arrogant. Sie wussten, dass ich gefährlich bin, und es schien Ihnen nicht das Geringste auszumachen. Als wären Sie einer von uns. Ich habe Ihnen jedes Wort geglaubt. Ich werde ehrlich sein, alter Knabe: Es hat eine Weile gedauert, bis ich verwunden hatte, wie dumm ich mich dank Ihnen gefühlt habe. Aber jetzt sehen Sie nicht mehr so selbstsicher aus, John. Ihre ganze Großspurigkeit ist verschwunden. Sie wirken schwach.“
Milton atmete tief ein und spürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Er kroch ein paar Zentimeter vorwärts, was noch schmerzvoller war, und ließ sich auf seine Schlafmatte fallen. Er zog die Knie unter sich und stemmte sich mit den Armen weit genug nach oben, dass er sich umdrehen und aufrecht an die Zellenwand lehnen konnte.
Er öffnete die Augen und sah hinüber zu der Stelle, an der de Lacey stand. Er trug ein Paar teuer aussehende Jeans, ein weißes Popelin-Hemd und neue Wüstenstiefel.
„Machen Sie einen Ausflug, Fitz?“
„Witzig, dass Sie das sagen.“ De Lacey öffnete seine Manschetten und krempelte die Ärmel nach oben. „Das tue ich tatsächlich. Morgen reise ich ab. In London haben sie ihre Meinung über mich geändert. Der Regierungswechsel dort war auch für mich eine sehr glückliche Fügung. Ehrlich gesagt verhandele ich schon seit Jahren mit ihnen. Die Vorgängertruppe ließ mich in die Villa ziehen und gab mir die Geschäftsführung über Tactical Aviation zurück, ließ mich aber nicht frei. Sie wollten die Amerikaner nicht gegen sich aufbringen. Aber Duterte kümmert so etwas nicht. Er will von der Welt als starker Mann gesehen werden, und niemand soll glauben, die Amerikaner könnten ihn herumschubsen. Er war sehr empfänglich für unsere Angebote. Mein Strafmaß wurde herabgesetzt.“
Milton schloss die Augen. „Und was mussten Sie dafür tun?“
„Was glauben Sie denn? Stellen Sie sich nur mal all die Gefallen vor, die ich ihm erfüllen kann, wenn ich wieder arbeite. Sie haben mich hier reingebracht, John, aber die Menschen haben mich nicht vergessen. Ganz im Gegenteil. Meine alten Kunden freuen sich schon auf die Geschäfte, die wir jetzt wieder abschließen werden. Und ich habe sogar ganz neue Kunden. Das wird ein gutes Jahr.“ Er machte eine Pause und schalt sich dann selbst mit einem gespielten Tadel: „Es tut mir leid, das war sehr unsensibel. Es wird ein gutes Jahr für mich. Für Sie weniger.“
De Lacey machte einen Schritt in Richtung der offenen Zellentür.
„Fitz“, brachte Milton heraus.
De Lacey blieb stehen. „Ja?“
„Sie meinen damit, dies wird das letzte Mal sein, dass Sie mich sehen?“
„So wird es sein.“
„Nein“, sagte Milton. „Wird es nicht. Ich …“
De Lacey unterbrach ihn mit einem Lachen. „Kommen Sie schon, John“, sagte er. „Wissen Sie, wie lächerlich Sie sich anhören?“ Er drehte sich um und machte einen Schritt, um direkt vor Milton zu stehen. Er ging in die Hocke und legte eine Hand auf Miltons Schulter. „Sehen Sie sich an. Sie sind erledigt, alter Knabe. Am Ende. Drohungen haben nur dann eine Wirkung, wenn auch etwas dahintersteht. Sie können mir nicht drohen. Sie sind hier drin. Ich werde dort draußen sein. Aber wenn ich sage, dass Sie jeden Tag Prügel kassieren, dann sollten Sie das ernst nehmen. Das ist keine leere Drohung. Und wenn ich sage, dass Sie sterben werden, dann sollten Sie das ebenfalls glauben.“
Fitz erhob sich und verließ die Zelle.
An seine Stelle trat Tiny.
Der große Kerl hatte eine bandagierte Nase. Er verschränkte die Finger und drückte sie durch, bis die Knöchel knackten.
„Noch mehr?“, fragte Milton.
Fitz lächelte durch die Gitterstäbe. „Noch viel mehr. Viel Vergnügen, John. Machen Sie’s gut.“