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osies Mutter wollte nicht, dass sie zur Arbeit ging.
Sie musste ihr erst erklären, warum es das Richtige war, dadurch verspätete sie sich aber um eine halbe Stunde. Sie war noch nie aus Taguig zur Wache gefahren und der Verkehr war schrecklich. Am Ende traf sie vierzig Minuten zu spät ein.
Sie versuchte, möglichst schnell zu ihrem Schreibtisch zu eilen, war jedoch erst wenige Schritte an Mendozas Bürotür vorbeigekommen, als er nach ihr rief.
„Wo sind Sie gewesen?“, fragte er.
„Angelo ist krank.“
Er täuschte Sorge vor. „Was fehlt ihm denn?“
„Er hat erhöhte Temperatur.“
„Das tut mir leid. Armer Junge. Ist er in der Wohnung Ihrer Mutter?“
Er fixierte sie mit einem fragenden Blick, und Josie hatte jetzt die Sicherheit, dass er sehr wohl wusste, dass sie woanders untergekommen waren. Er versuchte herauszufinden, was sie ihm erzählen würde.
Sie war auf seinen Bluff vorbereitet. „Ja, die beiden sind dort“, sagte sie.
Mendoza nickte sorgenvoll. „Ich hoffe, es geht ihm bald besser. Falls Sie heute früher gehen müssen, ist das in Ordnung.“
„Vielen Dank“, sagte sie.
Sie wandte sich zum Gehen.
„Augenblick noch“, hielt er sie zurück. „Schließen Sie bitte die Tür.“
Sie spürte, wie ihr die Kehle trocken wurde. Sie tat, worum er sie gebeten hatte.
„Sie waren gestern Abend beim Hotel.“
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Ja“, antwortete sie vorsichtig.
„Sie haben das Feuer gesehen.“
„Ja. Woher wissen Sie das, Sir?“
„Ihr Name steht im Bericht der Brandbekämpfung. Was wollten Sie dort?“
Sie erinnerte sich, dass er ihr untersagt hatte, den Fall weiter zu verfolgen. „Ich war auf dem Heimweg“, erklärte sie. „Da habe ich den Rauch gesehen.“
„Wirklich? Es war nur ein Zufall?“
„Jawohl, Sir.“
„Aber das ergibt keinen Sinn. Das Hotel liegt nicht auf Ihrem Heimweg. Sie fahren auf dem Skyway nach Süden. Das Hotel liegt im Norden. Also lügen Sie mich nicht an – warum waren Sie dort?“
Sie improvisierte so gut sie konnte und setzte die konsternierte Miene auf, die man erwarten würde, wenn der Boss einen gerade der Lüge bezichtigt hatte. „Ich habe eine Informantin getroffen“, erklärte sie.
„Wirklich?“
„Ja, in Intramuros.“
Mendoza ließ die Antwort im Raum stehen und lächelte dann, fast als hätte er ihr gar nicht vorgeworfen, zu lügen. „Also nur ein Zufall?“
„Ja. Ich fuhr gerade vorbei.“
„Das ist gut. Denn wir haben ja über den Fall gesprochen und darüber, dass er es nicht wert ist, Zeit damit zu vergeuden.“
„Das haben wir. Und ich habe Sie verstanden.“
„Exzellent. Sie haben einige Überstunden angesammelt, Josie. Bleiben Sie heute nicht zu lange. Gehen Sie nach Hause zu Ihrem Jungen.“
Die Erwähnung ihres Sohnes ließ sie zusammenzucken. „Vielen Dank, Sir. Werde ich.“
„Er braucht seine Mutter. Sie sollten mehr Zeit mit ihm verbringen. Ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen, aber Sie arbeiten zu viel. Und Manila ist eine gefährliche Stadt.“
Sie wusste sehr genau, wie er das meinte: Es war eine Drohung.
„Danke schön.“
Sie war fast zur Tür raus, als Mendoza ihr hinterherrief: „Eine Sache noch: Ihre Informantin.“
„Ja, Sir?“
„Wie heißt sie?“
Sie betete, dass es ihr gelang, sich äußerlich keine Unruhe anmerken zu lassen. „Ihr Name ist Fleur.“
„Bringen Sie mir bitte ihre Akte. Legen Sie sie auf meinen Schreibtisch, bevor Sie nach Hause fahren.“
„Aus welchem Grund?“
„Ich möchte mit ihr sprechen.“
„Jawohl, Sir.“
Ihr war schwindelig, als sie das Büro endlich verließ. Der Waschraum lag hinter ihrem Schreibtisch, und darüber war sie froh. Sie versuchte, so lässig wie möglich zu wirken, als sie darauf zuging, aber sobald sie die Tür hinter sich zugezogen und sich überzeugt hatte, dass sie allein war, schloss sie sich in einer der Kabinen ein, beugte sich über die Kloschüssel und übergab sich.