49
A lex Hicks aß mit seiner Familie zu Abend, als sein Telefon klingelte.
Sie hatten etwas zu feiern. An diesem Morgen waren die Ergebnisse von Rachels letzter PET-Untersuchung reingekommen: nach einer erneuten Runde Chemo ging der Krebs nun endlich zurück. Sie waren zu Pizza Hut im Zentrum von Cambridge gefahren, und irgendwie hatte sich Hicks von seinen Kindern dazu überreden lassen, die schärfste Pizza auf der Karte zu bestellen. Sie hatten sich mit dem Kellner verschworen, noch Extra-Chili auf den Belag zu streuen, und so ungern er es auch zugab, er hatte ganz schöne Schwierigkeiten. Er verzog das Gesicht, als er den ersten Bissen vom vorletzten Stück nahm. Er wusste, dass ein glänzender Schweißfilm seine Stirn überzog, aber seine Söhne fanden sein Unbehagen zum Brüllen komisc, und Rachel lächelte, als sie sah, wie glücklich sie waren. Und das machte auch Hicks glücklich. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit war ihre Diagnose einem Todesurteil gleichgekommen.
Das Handy in seiner Hosentasche vibrierte etwa fünfzehn Sekunden, bevor es aufhörte. Nach einer kurzen Pause vibrierte es noch einmal, um eine Sprachnachricht anzukündigen. Außerhalb seiner Familie kannten nur wenige Menschen seine Nummer, weshalb das Handy selten klingelte. Er aß das Stück Pizza auf, übertrieb die Schärfe des Chilis für ein weiteres Lachen seiner Kinder und erklärte dann, dass er auf die Toilette müsse, um sich kaltes Wasser aus dem Hahn direkt in den Mund laufen zu lassen.
Er betrat eine leere Kabine, schloss die Tür ab, holte sein Handy heraus und rief den verpassten Anruf auf. Die Nummer sagte ihm nichts. Nicht nur, weil er sie nicht kannte, er erkannte nicht einmal die Ländervorwahl.
Er rief die Sprachnachricht auf und hielt sich das Handy ans Ohr.
Hallo “, meldete sich eine Stimme, die Hicks nie zuvor gehört hatte. Es war eine Frau mit einem Akzent, den er nicht einordnen konnte. „Diese Nachricht ist für Mr. Hicks. Mr. Alex Hicks. Ich bin Josie Hernández und rufe im Namen von John Milton von den Philippinen an. Er steckt in Schwierigkeiten und bat mich, Sie zu kontaktieren. Es ist dringend. Bitte rufen Sie mich zurück.
Das Englisch der Frau war holperig, der Akzent schwer und kaum zu verstehen. Sie gab dieselbe Nummer an, unter der sie Hicks angerufen hatte, und legte dann auf.
Er betrachtete einen Augenblick schweigend sein Display, während er überlegte, wie er jetzt reagieren sollte.
Es dauerte nicht lange.
Er rief die Nummer an und wartete, bis sich jemand meldete.
„Hallo?“
„Sie haben mir eine Nachricht hinterlassen.“
„Mr. Hicks?“
„Ja.“
„Danke, dass Sie zurückrufen.“
„Sie kennen Milton?“
„Ein bisschen.“
„Sie sagten, er sei in Schwierigkeiten?“
„Er wurde wegen Mordes verhaftet. Er sitzt im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess.“
„Und was hat das mit Ihnen zu tun?“
„Ich bin Polizistin in Manila. Ich habe ihn verhaftet, aber jetzt glaube ich nicht mehr, dass er getan hat, was man ihm vorwirft.“
Hicks klappte den Toilettendeckel runter und setzte sich. Er und Rachel verdankten es Milton und dem Geld, das er ihnen gegeben hatte, dass sie für die neuartige Behandlung in die USA hatten fliegen können, die Rachel das Leben gerettet hatte. Seitdem hatte Hicks Milton bei einer kleinen Angelegenheit geholfen, aber seine Schuld war noch lange nicht abbezahlt. Milton hätte sich nicht gemeldet, wenn es nicht notwendig wäre. Hicks glaubte der Frau – dass sie seine Nummer hatte, bewies, dass Milton sie um den Anruf gebeten hatte und dass er in Schwierigkeiten war.
„Ich kann jetzt nicht sprechen“, sagte er. „Kann ich Sie in einer Stunde noch mal anrufen?“
„Ja. Ich warte, bis Sie sich melden. Bitte nicht vergessen. Es ist dringend.“
Er beendete das Gespräch und kehrte zurück zum Tisch seiner Familie. Die Jungs freuten sich seit einer Woche auf den neuen Avengers-Film, und er und Rachel hatten ihnen versprochen, mit ihnen ins Kino zu gehen. In Vorfreude auf den Film spielten die beiden mit ihren Actionfiguren.
„Alles in Ordnung?“, fragte Rachel ihn leise.
„Ich hatte einen Anruf“, antwortete er.
„Alex“, sagte sie mit einem Seufzen. „Nicht jetzt. Wir feiern heute.“
„Es ging um Milton. Ich glaube, er ist in Schwierigkeiten.“
Rachel wusste, dass sie Milton das Geld für die Behandlung verdankten. Ihr Zorn verflog. „Was für Schwierigkeiten?“
Die Kinder waren auf etwas anderes konzentriert, doch Hicks flüsterte trotzdem. „Er ist auf den Philippinen und wurde verhaftet. Wegen Mordes. Der Anruf kam von einer Polizistin. Sie sagt, Milton braucht meine Hilfe.“
„Wobei?“
„Das weiß ich nicht. Ich sagte, ich rufe sie heute Abend noch mal an.“
„Die Philippinen? Fliegst du dorthin?“
„Keine Ahnung. Schon möglich.“
Rachel war geduldig und wusste, wie viel sie Milton schuldig waren. „Wenn du gehen musst, musst du gehen. Heißt das, du kommst nicht mit ins Kino?“
„Ich muss sie zurückrufen.“
Sie deutete mit dem Kinn auf die Kinder. „Sie werden enttäuscht sein.“
„Ich weiß. Sie sagte, es sei dringend.“
„Mach dir keine Sorgen. Ich gehe mit ihnen. Versprich mir nur, dass du mich auf dem Laufenden hältst.“
„Natürlich.“
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, sagte seinen Jungs, dass er sie noch ein zweites Mal mit in den Film nehmen würde, und suchte dann ein Taxi, das ihn nach Hause brachte.