E
s war dunkel im Unterholz zwischen den Bäumen. Milton blieb geduckt und versuchte, die Krämpfe in seinen Muskeln zu ignorieren, die in den letzten Tagen so oft Schläge hatten einstecken müssen. Er verlagerte ein wenig das Gewicht und streckte die Beine aus. Ihm war schmerzlich bewusst, dass, sollten sich seine Muskeln jetzt komplett verkrampfen und verhindern, dass er sich bewegen konnte, seine Chancen und die aller anderen, hier lebendig rauszukommen, sich dramatisch verschlechtern würden. Dalisay hatte Milton seine zweite Schrotflinte gegeben. Sie war alt und ziemlich mitgenommen, aber er war sich sicher, dass sie schießen würde, wenn er abdrückte.
Es gab nur eine Straße, auf der de Lacey eintreffen konnte, und im Hinblick darauf hatte er die beiden anderen mit Bedacht platziert. Zuerst hatte er ihnen aufgetragen, ihre Autos die Straße weiter runter zu parken, sodass sie nicht zu sehen waren. Er selbst hockte in dem Unterholz rechts der Straße, von wo aus er diese ein weites Stück den Hügel hinauf überblicken konnte. Josie war auf derselben Seite, dreißig Schritte nördlich von ihm. Dalisay wartete gegenüber von ihnen auf der anderen Seite der Straße.
Milton hatte den beiden klare Anweisungen gegeben: Sie sollten de Lacey, Hicks und wer immer sonst noch bei ihnen war, aus dem Auto aussteigen lassen und warten, bis sie zu den Wohnwagen gegangen waren. Dann sollten sie sich auf sein Zeichen hin zu erkennen geben und die anderen auffordern, sich zu ergeben. Sollte der Plan so laufen, wie Milton es sich erhoffte, würden sie die Männer ins Kreuzfeuer nehmen können. Vorausgesetzt, Josie und Dalisay folgten seinem Plan, sah Milton gute Chancen, dass die Auseinandersetzung ohne Blutvergießen ablief.
Zwanzig Minuten verstrichen. Er lauschte dem gleichmäßigen Zirpen der Zikaden und hörte, wie sich ein größeres Tier durch das Unterholz hinter ihm schlich.
Plötzlich erstarrte er. Hatte er gerade einen Motor gehört?
Er sah den Hügel hinauf und entdeckte einen Mercedes, der über die Hügelkuppe kam und den Weg hinab auf sie zu fuhr.
Der Wagen wurde langsamer und blieb schließlich stehen. Kurz darauf wurden die Türen geöffnet.
Zwei große Männer mit Maschinenpistolen stiegen zu beiden Seiten aus dem Auto.
Als nächstes kam Hicks heraus.
Dann der Fahrer.
Und als Letztes, endlich, Fitzroy de Lacey.
Milton blieb geduckt, hielt die Schrotflinte fest gepackt und wartete.
„Hier?“, rief de Lacey zu Hicks hinüber.
„Ja. Im Wohnwagen.“
Einer der Männer sagte: „Das gefällt mir nicht, Sir.“
„Alles in Ordnung“, sagte Hicks. „Es wurde nichts verändert. Alles ist noch so, wie ich es zurückgelassen habe.“
Es folgte eine Pause.
„Und er ist gefesselt?“, fragte de Lacey.
„An Füßen und Handgelenken und an die Wand gekettet, mit einem Sack über den Kopf.“
„Vielen Dank. Wenn Sie sich jetzt bitte hinknien würden.“
Milton spürte, wie er sich am ganzen Körper versteifte. Er zog die Blätter vor sich ein wenig auseinander, damit er besser sehen konnte. Hicks hatte sich de Lacey zugewandt, sodass Milton sein Gesicht nicht sehen konnte.
„Wie bitte?“, fragte er.
„Auf die Knie. Sofort.“
Milton versuchte, zwischen den Blättern hindurch möglichst viel mitzubekommen. Einer der Männer, ein Schläger mit breitem Kreuz und rasiertem Schädel, war neben Hicks getreten und zielte mit seiner MP5 direkt auf seine Brust, während er mit einem Finger auf den Boden deutete.
„Was soll das?“, fragte Hicks und lieferte eine gute Vorstellung ab, als er in seiner Rolle blieb.
Der rasierte Kerl trat einen Schritt vor und schlug Hicks mit dem Griff seiner Maschinenpistole. Hicks taumelte rückwärts und sank auf ein Knie. Der andere Kerl, ein wuchtiger Typ mit langen blonden Haaren, die er zu einem Zopf gebunden hatte, richtete seine MP5 auf Hicks.
„Milton“, rief de Lacey. „Wo sind Sie?“
Milton hielt den Atem an.
De Lacey zeigte auf den Wohnwagen.
„Schieß!“, befahl er dem Mann mit dem rasierten Schädel.
Der Mann richtete seine MP5 auf den Wohnwagen und zog den Abzug. Die Waffe war auf Vollautomatik gestellt, und eine Wolke aus Kugeln ging auf die dünne Metallwand des alten Wohnwagens nieder. Die Glasfenster barsten mit lautem Klirren, und mit hohlen, ploppenden Geräuschen bohrten sich die Kugeln durch das Metall drumherum.
Kurz darauf stellte der Mann das Feuer ein.
Josie war gut postiert.
Sie und Dalisay waren direkt auf Höhe des Mercedes und, was noch wichtiger war, hinter den fünf Männern, die ausgestiegen waren. Die meisten hatten ihnen den Rücken zugekehrt: de Lacey in der Mitte, der Fahrer und ein Mann mit Zopf flankierten ihn, der Mann ohne Haare, der gerade auf den Wohnwagen geschossen hatte, stand einige Schritte entfernt neben Hicks und, auch wenn er das nicht wusste, dichter bei Milton. Hicks sah in ihre Richtung. Er kniete auf dem Boden, die Männer neben de Lacey hatten ihre Waffen auf ihn gerichtet.
„Milton!“, rief de Lacey wieder.
Josie warf einen Blick die Baumreihe entlang und versuchte zu erkennen, wo Milton sich versteckt hielt. Zufrieden stellte sie fest, dass sie ihn nicht sehen konnte, dafür war es zu dunkel, was darauf schließen ließ, dass de Lacey und seine Männer ihn ebenfalls nicht sahen.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch auf der anderen Straßenseite. Sie schaute hinüber und sah eine Bewegung. Dalisay bewegte sich langsam durch die Büsche auf die Männer zu.
Stopp!
Sie hätte es ihm am liebsten zugerufen, aber das konnte sie nicht.
Stopp!
Sie mussten auf Miltons Zeichen warten, darauf hatten sie sich geeinigt.
Dalisay blieb tief gebeugt und versuchte, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Josie konnte ihn allerdings hören, und das bedeutete, dass die Männer ihn ebenfalls hören konnten.
Sie musste irgendetwas tun.
Es gab einen schmalen Pfad durch das Unterholz, in dem sie sich versteckt hielt. Sie schob die überhängenden Äste und Blätter zur Seite und schlich darauf langsam voran. Sie musste versuchen, auf einer Höhe mit Dalisay zu bleiben.