Kapitel 2
Zac
Glocken, Hochzeit, Weihnachten, Hochzeitssuite, Schmuck
Verletzungen durch Experimentierfreude beim Sex? Was zur Hölle? Zu selben Teilen verwirrt wie belustigt sah ich der kleinen, verrückten Frau mit ihren lilagrau gefärbten Haaren hinterher.
Ich hatte schon einige verrückte Dinge erlebt, ob nun die Zwillinge Polly und Shelly, die sich nach einem Spiel in mein Bett geschlichen hatten, um dort nackt auf mich zu warten; wildfremde Frauen, die sich mir in Bars auf den Schoß setzen … selbst die Mutter eines Mitspielers hatte mir schon mehr als deutlich gesagt, dass ich nicht nur auf dem Eishockeyfeld, sondern auch in ihrem Bett Tore landen könnte.
Allerdings verblassten diese Erfahrungen angesichts Miss Wolf . Wie hieß sie mit Vornamen? Sie war offensichtlich schlauer als unser Mathematikprofessor, sonst hätte Mr. Smith sie wohl nicht mit meiner Wenigkeit quälen wollen. Dabei hatte der Kerl schon x Preise in seinem Fachgebiet gewonnen, also musste die Kleine in ihren Kampfstiefeln ein wortwörtliches Genie sein.
Nerds hatte ich mir immer anders vorgestellt, schüchtern, vom Kleidungsstil eher brav, vielleicht mit Brille, aber keinesfalls mit schwarzen Army-Stiefeln, stolzer Haltung und einem stechenden Blick, der einen geringeren Mann bestimmt in die Knie zwingen konnte.
Für einen Moment starrte ich ihr ungläubig hinterher, war zu baff, um zu reagieren, weil ich noch nie jemanden wie sie kennengelernt hatte. Sobald mir wieder einfiel, warum ich unbedingt ihre Hilfe brauchte, eilte ich ihr jedoch hinterher.
Coach Parker würde mich auf die Bank setzen müssen, wenn ich meine Noten nicht in den Griff bekäme.
Allein die Vorstellung rief Grauen in mir hervor, zumal das Semester bald zu Ende war und ich danach nur noch ein weiteres lang studierte, bis ich meinen Abschluss haben würde. Danach wollte ich in die National Hockey League, NHL, einsteigen, meine Karriere als Profieishockeyspieler beginnen. Das wäre natürlich nur möglich, wenn ich in der College-Liga Eindruck schinden konnte. Ich musste spielen. Sonst wären meine Zukunftspläne dahin.
Im Umkehrschluss bedeutete das alles, dass ich die Kleine mit den helllila Haaren brauchte .
Wenn mir jemand bei den Statistikrechnungen für meine BWL-Vorlesung helfen konnte, dann das Genie, das selbst schlauer als der Professor war. Für mich war die Sache klar, und wenn ich etwas wollte, dann setzte ich meinen Kopf in der Regel durch.
„Warte eine Sekunde“, rief ich ihr nach, wobei ich joggend zu ihr aufschloss. Über die Schulter warf sie mir einen gelangweilten Blick zu.
„Du bist ja immer noch da.“
Ich schenkte ihr mein bestes Lächeln, normalerweise konnte ich damit jedes Frauenherz erweichen. „Ich muss meine Noten aufbessern, um weiterhin spielen zu können. Du kannst mir dabei helfen.“
„Du bist hartnäckig.“ Sie blieb nicht einmal stehen, stiefelte einfach weiter, was beinahe süß aussah, weil sie so winzig, ihr Gesichtsausdruck aber so verbissen war. „Hartnäckig wie Ungeziefer.“
Lachend presste ich für einen kurzen Moment eine Hand über mein Herz. „Das tat weh, Miss Wolf, also wirklich.“
„Auch Kakerlaken sind hartnäckig, aber sie können neun Tage lang ohne Kopf leben. Dann verhungern sie.“ Sie verengte die Augen. „Kannst du das auch?“
Schmunzelnd sah ich zu ihr. „Willst du mir sagen, dass du mich einen Kopf kürzer machst, wenn ich dich nicht in Ruhe lasse?“
„Du bist schlauer, als ich dachte.“ Sie besaß den Nerv, mir die Brust zu tätscheln, als wäre ich ein dummer, kleiner Junge. Um sie zu ärgern, legte ich blitzschnell eine Hand über die ihre und hielt sie dort fest. Unter unseren Fingerspitzen spürte ich mein Herz viel zu schnell schlagen, es verriet mich, schließlich hing meine ganze Zukunft davon ab, wie die Kleine sich entscheiden würde.
„Kündige deinen Job, ich bezahle das Doppelte.“
„Auch noch ein reicher Sportler? Du bist wirklich das laufende Klischee.“ Sie versuchte, mir ihre Hand zu entziehen, doch ich hielt sie fest, wollte ihr zeigen, dass ich mindestens so hartnäckig wie eine verfluchte Kakerlake ohne Kopf war.
„Ich hab keine Zeit für so was, manche Menschen müssen arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren.“ Plötzlich schoss ein scharfer Schmerz durch die Zehen meines rechten Fußes, sodass ich die junge Frau automatisch losließ und zurückstolperte. Ich hätte es wohl ahnen müssen. Sie war mir mit voller Wucht auf die Zehen getreten.
Diesmal konnte ich ihr jedoch nicht hinterhereilen, denn sie verschwand im nächsten Vorlesungssaal. Verflucht .
„Das ist noch nicht vorbei!“, rief ich ihr nach.
Erst zurück in meiner Wohnung bemerkte ich, dass weiterhin ein ungläubiges Grinsen auf meinen Zügen klebte. Ich musste herausfinden, wie sie hieß und wie ich sie dazu überreden konnte, meine Tutorin zu werden.
Pixie
Nach der Vorlesung hatte ich so schnell es ging zusammengepackt, um zum Café gegenüber der Uni zu eilen, wo ich arbeitete. Abgesehen von meinem Horror-Chef hatte ich den perfekten Job gelandet, denn die Lage war einfach genial – nahe der Vorlesungen und nur zehn Gehminuten von unserem Verbindungshaus entfernt. Meine besten Freundinnen und ich gehören der Studentenverbindung Sororis Amor an, wir hatten uns vor allem gefunden, weil wir nicht zu den anderen passten. Auch wenn die restlichen Frauen in der Verbindung mir teils vorkamen, als hätten sie eine Gehirnwäsche hinter sich, denn sie schienen alle dieselben Interessen zu haben und perfektes Aussehen war das Wichtigste überhaupt für sie, aber ein Gutes hatte die Verbindung: Wir konnten kostenlos in dem Haus von Sororis Amor leben, was sauber und halbwegs modern war, was man von manch anderem stinkenden Wohnheim auf dem Campus nicht sagen konnte. Nichtsdestotrotz war ich froh, dass ich nicht die Einzige war, die hervorstach.
Als Bailey, Lea und Jamie das Café betraten, warf ich ihnen über die Theke ein Lächeln zu und deutete auf einen der freien Tische. Bailey nickte verstehend, warf ihre blonde Mähne über eine Schulter und steuerte die Fensterseite an. Lea hingegen war mal wieder so in ihren Gedanken vertieft, dass sie meine Begrüßung nicht bemerkt hatte, sodass Jamie sie kurzerhand an den Schultern packte und in die richtige Richtung bugsierte. Innerlich grinste ich, denn ich musste an einen unserer Physikprofessoren denken. Er war erst Ende dreißig, aber ein Vorreiter in seinem Fachgebiet, nur seinetwegen hatte ich das Stipendium an der Columbia University angenommen. Lea und ich saßen in der Vorlesung immer nebeneinander, auch dann war sie verträumt und würde Professor Clay Davis noch in den Wahnsinn treiben.
„Penelope!“
Ich zuckte zusammen und verzog das Gesicht, als ich die knatschige Stimme in meinem Rücken hörte. Egal, wie oft ich meinem Chef erklärt hatte, dass er mich Pixie nennen solle, er blieb bei Penelope – ein Name, der so gar nicht zu mir passte und der mich immer an meine Mutter erinnern würde oder daran, was sie sich wohl für mich gewünscht hätte. Aber das würde ich nie erfahren.
Mit einem Seufzen drehte ich mich um. „Ja, Mr. Pritchett?“, fragte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Meine Wangenmuskulatur verkrampfte sich, aber verdammt, ich brauchte den Job!
Mit rot angelaufenem Kopf kam er schnaubend vor mir zum Stehen, der Mann hatte absolut keine Kondition, schon der Gang von seinem Büro im hinteren Bereich des Cafés nach vorn in den Gastraum strengte ihn an.
„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst die Tagesspezialität auf die Tafel schreiben?“
„Tut mir leid, aber …“
„Kein Aber!“, unterbrach er mich sofort, dabei hatte ich ihm gerade erklären wollen, dass er mir nie mitgeteilt hatte, was die heutige Tagesspezialität war. „Muss ich es wohl selbst machen.“
Ich hatte schwören können, Baileys scharfe Stimme zu hören. Er sollte es sich wirklich selbst machen, hat es bitter nötig. So verklemmt.
Über die Schulter warf ich meinen Freundinnen einen Blick zu, die kichernd über ihrem Tisch hingen. Meine Mundwinkel zuckten, doch ich riss mich zusammen und reichte Mr. Pritchett die Kreide, damit er die Beschriftung der Tafel vornehmen konnte.
„Na los, kümmere dich um die Gäste!“ Als wolle er ein paar Hühner vertreiben, machte er eine scheuchende Handbewegung. Ich musste mir auf die Zunge beißen, um ihm nicht zu sagen, was für ein unfreundliches Sackgesicht er war.
Weil jedes weitere Wort verschwendete Energie gewesen wäre, ging ich tonlos zu meinen Freundinnen an den Tisch – die anderen Gäste waren schließlich längst versorgt. „Hey ihr, heute schon jemanden umgebracht?“
Bailey grinste schief. „Du kennst mich zu gut. Mein Boss hat den Tag fast nicht überlebt. Heute hatte ich die perfekte Möglichkeit, ihn vom Hochhaus zu stürzen und es wie einen Unfall aussehen zu lassen.“ Sie zuckte mit den Schultern, ihre blauen Augen blitzten humorvoll auf. „Aber ich habe es nicht getan.“
„Bin stolz auf dich.“ Ihr zuzwinkernd gab ich ihr die Faust.
Sie arbeitete seit bald einem Jahr in einem renommierten Architekturbüro. Zum Glück war das Praktikum bezahlt und würde sich später super in ihrem Lebenslauf machen, sonst wäre es den ganzen Ärger mit ihrem Boss aus der Hölle nicht wert. Bailey nannte ihn zumeist nur Satan .
„Und dein Chef lebt auch noch, wie ich sehe“, merkte Jamie an, wobei sie eine perfekt geschwungene schwarze Augenbraue hob und Mr. Pritchett einen Blick voller Abscheu zuwarf. Deswegen liebte ich meine Mädels so sehr – sie verstanden mich und meine verrückten Mordfantasien.
„Ich sollte mir einen Chemiestudenten anlachen und ihn überreden, mir irgendeine Designerdroge zusammenzubrauen, die es nach einem Herzinfarkt aussehen lässt und die natürlich nicht nachweisbar ist.“ Amüsiert grinste ich in mich hinein, danach schnappte ich mir meinen Notizblock und sah meine Freundinnen erwartungsvoll an.
„Du musst dir keinen Chemiker anlachen, Jamie, unser Rockergirl, kann bestimmt einen … überreden , uns zu helfen.“ Bailey schlug vielsagend mit einer Faust in ihre offene Handfläche, woraufhin Jamie den Kopf lachend in den Nacken legte. Ihren Eltern gehörte eine Biker-Bar, natürlich durfte sie sich bei den feinen Ladys unserer Studentenverbindung regelmäßig irgendwelche Vorurteile anhören.
„Ihr seid alle schon ein bisschen krank“, murmelte Lea blinzelnd, als wäre sie soeben aus einem ihrer Tagträume aufgewacht.
„Deswegen magst du uns ja so“, sagten wir restlichen drei wie im Chor.
„Stimmt.“ Lächelnd schüttelte sie den Kopf über uns, wobei ihr rotes, langes Haar hin und her wehte. „Was schmeckt heute am besten?“, fragte sie wenig später, wobei sie mal wieder bewies, wie höflich sie war, denn die Wahrheit war, dass alles im Café Pritchett vom Vortag und vertrocknet oder einfach pfui war. Hinzu kam der unfreundliche Besitzer, der seine Angestellten in den Wahnsinn trieb.
Warum er noch nicht pleite war? Jedes Semester gab es neue Studenten, die ihre Lektion erst noch lernen mussten, und wenn man zwischen den Vorlesungen nur wenig Zeit hatte, war Café Pritchett nun mal eines der nächsten, sodass uns manchmal kaum eine andere Wahl blieb.
„Ich glaube, die Zimtschnecken sind fast frisch.“
„Also von gestern?“, fragte Jamie geradeheraus.
In hilflosem Ton sagte ich: „Immerhin nicht von vorgestern.“
„Dann nehmen wir die, oder?“, wollte Lea wissen, woraufhin die anderen beiden nickten. „Für mich einen Café macchiato, bitte.“
„Capuccino“, sagte Bailey.
„Und für dich einen Kaffee – schwarz, wie deine Seele.“ Grinsend wandte ich mich an Jamie, die mir in die Seite boxte, aber nickte. Kaum dass ich mich abwenden wollte, erklang plötzlich das Zetern meines Chefs.
„Penelope!“
Erneut verzog ich das Gesicht, als ich meinen vollen Namen hörte, was meine Freundinnen natürlich zum Schmunzeln brachte. Allerdings konnte ich dabei zusehen, wie die belustigten Ausdrücke sich in Stirnrunzeln wandelten, weswegen ich mich kaum umdrehen und Mr. Pritchett entgegenblicken wollte. Offenbar verhieß sein Gesichtsausdruck nichts Gutes, wenn Jaime, Bailey und Lea so besorgt wirkten.
„Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht immer mit deinen Freundinnen sprechen, sondern arbeiten?“ Das brüllte der Kerl ernsthaft durch das ganze Café. In diesem Moment war ich nicht sicher, ob ich vor Demütigung im Erdboden versinken wollte, schließlich bekamen es auch die anderen Kunden mit, oder ihn vor Wut über seine falsche Anschuldigung anschreien sollte.
Tief durchatmend wandte ich mich schließlich zu ihm, mittlerweile war sein Gesicht sogar noch röter als zuvor. „Ich habe lediglich die Bestellungen aufgenommen.“ Meine Stimme war ruhig, ich brauchte den Job, hatte zwar ein Stipendium, aber die ganzen Lehrbücher waren teuer, außerdem wollte ich auch noch ein Leben haben – mal ins Kino gehen, nicht ausschließlich in der Cafeteria essen, und ich musste sparen, damit ich wenigstens einen kleinen Puffer auf dem Konto hatte, wenn mein Studium vorbei war. Ich war komplett auf mich allein gestellt, also musste ich auch auf mich selbst aufpassen.
„Unzählige Male habe ich es dir schon gesagt!“, brüllte Mr. Pritchett, so als hätte ich gar nichts gesagt. „Du bist gefeuert.“
Den Mund öffnend und wieder schließend, ohne auch nur einen Ton von mir gegeben zu haben, wusste ich gar nicht, was ich erwidern sollte. Der Kerl hatte eine Schraube locker, vielleicht feuerte er seine Angestellten auch systematisch, um Lohnkosten zu sparen, wer wusste das schon? Er würde immer neue Bedienungen finden, verzweifelte Studenten wie mich gab es zur Genüge.
Als ich mich wieder zu meinen Freundinnen drehte, sah ich, dass ihnen genauso die Worte fehlten wie mir. Lea streckte die Hand aus, um meine Finger mit den ihren zu drücken. Mein Herz klopfte heftig in meiner Brust, gedanklich ging ich bereits meine Möglichkeiten durch, berechnete, wie viel ich auf dem Konto hatte und wie lange es mir reichen würde, wenn ich nicht schnell einen neuen Job fand. Verdammt, und das nur acht Wochen vor Weihnachten!
Stumm zog ich meine Schürze aus, legte Notizblock, Stift und den Geldbeutel zum Kassieren auf dem Tisch ab. Noch einmal atmete ich tief durch, danach steuerte ich auf den Ausgang zu, wobei ich es geflissentlich vermied, die anderen Kunden anzusehen. Hinter mir spürte ich meine Freundinnen, die aufgestanden und mir gefolgt sein mussten. Ihre Solidarität fühlte sich verdammt gut an.