Kapitel 3
Pixie
Auf die Mädels war wie immer Verlass. Nur ein paar Stunden später saßen wir in meinem Zimmer im Verbindungshaus, Lea hatte Eiscreme besorgt, Bailey und Jamie hatten Alkohol mitgebracht. Mittlerweile konnte ich wieder lachen und war dank ihnen zuversichtlich, bald einen neuen Nebenjob zu finden. Vielleicht nicht mehr vor Weihnachten, aber bestimmt im neuen Jahr.
„Apropos, ich hab noch vergessen, euch etwas zu erzählen.“
„Was denn?“ Mit der Schulter stieß Bailey auffordernd gegen die meine. Zu viert saßen wir mit den Rücken an mein Bett gelehnt auf dem Teppich, reichten eine Flasche Eierlikör und die Packung Schoko-Brownie-Eis herum. Wenn man den Likör auf das Eis tröpfelte, war es unbeschreiblich lecker.
„Professor Smith will, dass ich Zac Goldwin Nachhilfe gebe.“
„Zac Goldwin?
Der
Zac Goldwin? Eishockeystar der Uni, sieht aus wie ein moderner, sexy Viking und die Frauen liegen ihm zu Füßen?“ Jamie schnaubte spöttisch, fordernd streckte sie eine Hand nach dem Eis aus. Bevor ich es ihr gab, nahm ich selbst noch schnell einen Happen. Genießerisch schloss ich die Augen und ließ die süße Kälte auf meiner Zunge schmelzen.
„Ich glaube nicht, dass es zwei Vollidioten mit diesem Namen gibt“, meinte ich.
Goldwin
hieß schließlich so viel wie
Gold gewinnen
, was nicht besser zu einem Sportler hätte passen können.
Laufendes Klischee
, dachte ich zum erneuten Male.
„Und? Hast du zugesagt?“, wollte Lea wissen.
„Nein, natürlich nicht. Ich habe keine Lust, mich mit einem arroganten Sportler herumärgern zu müssen.“
„Vielleicht tust du ihm unrecht.“ Sie zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Glas Eierlikör.
„Du bist zu gutmütig.“ Gespielt mitleidig tätschelte Jamie die Hand unserer Freundin, sodass wir alle zu kichern begannen.
Wenig später schüttelte Lea den Kopf. „Aber im Ernst: Vielleicht ist er gar nicht so schlimm. Wie ist denn die Bezahlung?“
Dabei brauchte sie nicht zu erwähnen, dass ich vor nur ein paar Stunden meinen Job verloren hatte und es mir eigentlich nicht leisten konnte, groß Ansprüche zu stellen. Ein Seufzen entglitt mir.
Verdammt
. „Die Bezahlung ist ein guter Punkt“, gab ich zu, mein Ton kläglicher, als mir lieb war.
„Sieh es positiv: Er ist wenigstens hübsch anzusehen.“ Bailey grinste schief und zwinkerte mir zu.
„Wie dein Boss?“ Herausfordernd zog ich eine Braue empor.
„Okay, okay.“ Abwehrend hob sie die Hände. „Ich gestehe, Eyecandy kann nicht alles wieder wettmachen.“
Als mein Handy vibrierte, kramte ich es aus meiner Hosentasche heraus und warf einen Blick auf das Display.
Nachricht von Unbekannt
. Verwirrt zog ich die Stirn kraus, entsperrte das Gerät und öffnete besagte Mitteilung.
Unbekannt: Wir haben schon festgestellt, dass ich mit Kakerlaken mithalten kann. Du wirst mich nicht los. Also: Was muss ich tun, damit du meine Tutorin wirst?
Ohne dass ich es hätte verhindern können, grinste ich breit. Immerhin hatte er Humor. Teils belustigt, teils verwirrt starrte ich einen Moment auf mein Handy, bevor ich antwortete.
Pixie: Woher hast du meine Nummer?
Unbekannt: Ich hab Kontakte.
Als ich Blicke auf mir spürte, sah ich auf.
Ups.
Meine drei Freundinnen starrten mich erwartungsvoll an. „Mit wem schreibst du denn?“ Jamie wackelte anzüglich mit den Brauen.
„So ist das nicht!“, wehrte ich sofort ab.
Urks
, allein die Vorstellung ließ mich erschaudern. Er war absolut nicht mein Typ. „Zac hat sich gemeldet wegen des Tutoring.“
„Wenn man vom Teufel spricht“, stieß Lea aus.
Erneut vibrierte mein Handy.
Unbekannt: Ist es nicht deine Pflicht als
Elfe
, meine Wünsche zu erfüllen,
Pixie
?
Meine Augen weiteten sich bei seinen Worten. Offenbar hatte er nicht nur meine Nummer, sondern auch meinen Spitznamen herausgefunden.
Kakerlake
war noch ein zu netter Ausdruck für seine Hartnäckigkeit. Bailey spähte über meine Schulter. „Entweder er ist dreist oder anzüglich.“ Sie warf mir einen nachdenklichen Blick zu. „Du bist sicher, dass sexy Vikings nicht dein Typ sind?“
„Sicher. Hundertprozentig“, versicherte ich sofort in festem Ton.
„So eine Verschwendung“, seufzte sie gespielt theatralisch, sodass wir erneut lachten, wobei der Eierlikör sicherlich eine Rolle spielte. Meine Wangen fühlten sich heiß an, die meiner Freundinnen sahen rötlich aus, wir schienen alle beschwipst zu sein.
Pixie: Ich glaube, du verwechselst Elfen mit Flaschengeistern.
Unbekannt: Sag mir, was ich tun muss, und ich mache es möglich.
Pixie: Jetzt klingst du wie ein Flaschengeist.
Erneut ertappte ich mich bei einem Grinsen, irgendwie machte das Hin und Her mit ihm Spaß. Kurz darauf rief ich mir Leas Worte bezüglich der Bezahlung in Erinnerung. Das Semester war in vier Wochen vorbei, so schlimm konnte Zac nicht sein, oder? Vier Wochen mit ihm würde ich aushalten und im neuen Jahr könnte ich einen anderen Job finden.
Pixie: Du zahlst das Doppelte?
Unbekannt: Alles, was du willst.
Pixie: Ein Einhorn!
Selbstzufrieden nahm ich einen Löffel Brownie-Eis. Danach machte ich mit Mr. Eishockeystar einen Termin für unsere erste Nachhilfestunde aus. Das konnte ja heiter werden!
Ungeduldig trommelte ich mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte und sah mich in der Unibibliothek suchend um. Bisher war noch keine Spur von Zac, dabei hatte er geradezu um dieses Treffen gebettelt.
Vollidiot
. Angesäuert verzog ich den Mund. Ich hätte es besser wissen müssen. Genau das hier war der Grund, warum ich Sportler nicht mochte! Sie bildeten sich ein, dass ihre Zeit wertvoller als die aller anderen war und Regeln etwas für Loser waren.
Erneut sah ich mich in der Bibliothek um, doch keine Spur von ihm. Er hatte meine Nummer; wäre ihm etwas dazwischengekommen, hätte er sich melden können, anstatt mich hier sitzen zu lassen. Bailey war zwar bestimmt gerade auf der Arbeit, dennoch zückte ich in meinem Frust mein Handy und schrieb ihr.
Pixie: Der Plan mit dem Chemiker klingt plötzlich richtig gut.
Bailey: Sag mir nicht, er ist nicht zum Treffen erschienen?
Pixie: Doch. Genau das.
Bailey: Hab neulich eine Crime-Doku gesehen und gute Tipps bekommen …
Schmunzelnd legte ich das Smartphone zurück in meinen Rucksack. Dank meiner Freundin war ich nun wieder deutlich besser gelaunt, das bedeutete aber keinesfalls, dass ich Mr. Eishockeystar ungeschoren davonkommen lassen würde.
Dank Social Media war es nicht sonderlich schwierig, herauszufinden, wo er steckte. Folglich packte ich meine Sachen zusammen, verließ die Bibliothek und machte mich auf den Weg zum Eishockeystadion. Einer seiner Teammitglieder hatte gepostet, dass sie sich zu einer außerplanmäßigen Trainingseinheit trafen, und Zac auf Facebook getaggt.
Am Vormittag war der Campus voll, außerdem war es draußen arschkalt. Kein Wunder, dass jegliche Zurückhaltung, die ich womöglich noch gehabt hatte, verflogen war, als ich über eine halbe Stunde später endlich im Stadion ankam. Meine Schritte hallten in dem Gang nach, der direkt zum Eis führte, worauf sich ein paar Kerle in Schutzausrüstung befanden. Einer von ihnen passte den Puck ab; als Hartgummi auf den Schläger prallte, ertönte ein Knall, der mich zusammenzucken ließ. Wenn keine grölenden Fans anwesend waren und es mehr oder weniger still im Stadion war, wirkten die Geräusche auf dem Eis viel lauter als sonst. Nicht dass ich je ein Spiel live gesehen hatte, aber die ein oder andere Fernsehübertragung hatte ich mit meinem Vater erlebt. Nie hatte ich das Kratzen der Kufen auf dem Eis gehört oder das Knallen, wenn der Puck umher geschleudert wurde.
Angestrengt ließ ich meinen Blick über die Spieler wandern, in der Schutzausrüstung sahen sie zunächst alle gleich aus, zumal sie sich rasend schnell auf dem Eis bewegten. Erst nach und nach konnte ich sie voneinander unterscheiden und entdeckte schließlich Zac. Nachdem ich mir auf dem Weg über den Campus beinahe die Finger abgefroren und der Schneeregen dafür gesorgt hatte, dass ich nun wie ein begossener Pudel im Kühlfach aussah, brannte irgendeine Sicherung in mir durch, als der blonde Kerl seinen Kopf in den Nacken legte und vermutlich über einen dummen Witz seiner Kumpel lachte.
Schnaubend marschierte ich in Richtung der Eisfläche, mit einem lauten Rumsen stieß ich die Tür auf und trat ein. Zum Glück hatten meine Stiefel gutes Profil, sodass ich nicht gleich ausrutschte und vor den aktuell ziemlich verdutzt dreinsehenden Eishockeyspielern auf den Po plumpste.
„Zac Goldwin!“ Mit vor Kälte zitterndem Finger zeigte ich auf ihn. Dieser dumme Ork! Wie Legolas in der
Herr der Ringe
-Saga würde ich ihm zeigen, wozu Elfen imstande waren!
„Oh-oh, sieht nach Frauenproblemen aus“, murmelte einer seiner Mitspieler, während ich an diesem vorbeistampfte. Hingegen drehte sich Zac ruckartig zu mir um; zunächst wirkte er verwirrt, dann schien ihm jedoch einzufallen, dass wir einen Termin gehabt hatten. Aber anstatt sich zu entschuldigen, kleisterte er sein perfektes Charmebolzen-Lächeln auf sein Gesicht.
„Mit den Grübchen kommst du vielleicht bei anderen Frauen durch, wenn du Mist gebaut hast!“, zischte ich. Unbeirrt ging ich weiter, einmal geriet ich doch noch ins Rutschen, aber zum Glück stand neben mir einer dieser Muskelprotze parat, an dem ich mich kurzerhand festhielt. Dankend tätschelte ich dem Bären den Oberarm, der mir ernsthaft zunickte und „Ma’am“ sagte. Offenbar hatte ich zumindest einem der Eishockeyspieler das Fürchten gelehrt.
Ha!
Kaum dass ich vor Zac zum Stehen kam, stieß ich ihn mit beiden Händen vor die Brust. „Ich habe weiß Gott Besseres zu tun, als“, ich blickte auf meine Armbanduhr, „dreiundzwanzig Minuten in der Bibliothek auf dich zu warten, danach vierunddreißig Minuten damit zu verschwenden, herauszufinden, wo du bist, und bis ins Eishockeystadium zu laufen, um dir dann zu sagen, dass du ein undankbares Sackgesicht bist und unseren Termin verpasst hast.“
„Die Kleine hat Feuer.“ Schräg hinter Zac grinste einer seiner Kollegen, das blaue Auge hat er sich vermutlich bei ihrem letzten Spiel zugezogen.
„Genug Feuer, um dir ein zweites Veilchen zu verpassen.“ Ich schenkte ihm meinen besten ausdruckslosen Serienkillerblick und lächelte schief, woraufhin er die Hände wie zum Waffenstillstand hob. Direkt im Anschluss wandte ich mich wieder Zac zu.
„Du bist all den Weg gekommen, um mir zu sagen, dass ich ein Sackgesicht bin?“ Er besaß die Frechheit, zu grinsen.
„Nicht nur das: Du wirst das verpasste Tutoring bezahlen, mit meinem Nachhauseweg sind wir dann bei drei Stunden.“ Ich knurrte beinahe, so aufgebracht war ich. „Meine Zeit ist wertvoll.“
„
Das
ist deine Nachhilfelehrerin?“, fragte der Kerl mit dem Veilchen.
„Das ist mein kleiner Kampfzwerg“, verbesserte Zac, wobei ich spürte, wie mir die Kinnlade herunterklappte. Hatte er gerade ernsthaft gesagt, dass …?
Automatisch stieß ich gleich noch einmal gegen seine feste Brust. Frustrierend, dass er nicht zurückstolperte. Schnaubend fixierte ich ihn mit meinem Blick. „Das muss ich mir echt nicht geben.“ Um nicht ausfällig zu werden, verfluchte ich ihn halt auf Klingonisch.
Auf dem Absatz machte ich kehrt, bis einer seiner Kumpel ungläubig fragte: „Hat sie ihn gerade auf Klingonisch beschimpft?“
Ein weiterer
Star Trek
-Fan! Trotz des Ärgers, der in mir brodelte, schenkte ich dem Kerl ein Lächeln und formte mit der rechten Hand das durch Spok berühmte Symbol. Danach salutierte ich ihm kurz, bevor ich meinen Weg fortsetzte. Über die Schulter rief ich Zac noch zu: „Ich schreib dir eine Rechnung!“