Kapitel 4
Zac
Glocken, Hochzeit, Weihnachten, Hochzeitssuite, Schmuck
Sie tauchte hier auf, um mir vor all meinen Freunden eine Standpauke zu halten, und ich? Ich stand drauf. Und wie.
Spätestens in dem Moment, als ich mein Ladykiller-Lächeln, wie es meine Schwester gerne nannte, auf Pixie angewandt und sie damit eher erzürnt als besänftigt hatte, war mir klar geworden, dass mein Charme wirklich keine Wirkung auf sie hatte. Sie würde mir nichts durchgehen lassen. Wenn ich meine Noten endlich in den Griff bekommen und damit meine Zukunft sichern wollte, dann brauchte ich genau das.
Ich war es gewohnt, mit einem Lächeln und ein paar süßen Worten bei Frauen durchzukommen, selbst Professorinnen und Seminarleiterinnen hatte ich so schon oft dazu gebracht, mir eine Verlängerung der Abgabefrist für Hausarbeiten zu gewähren. Bei Pixie würde ich damit gegen eine Wand rennen. Klar bedeutete es, dass ich mich bei ihr würde ins Zeug legen müssen, aber gleichzeitig fühlte es sich irgendwie aufregend an.
Außerdem hatte sie ja jedes Recht, sauer auf mich zu sein. Ich hatte Mist gebaut, unseren Termin einfach vergessen, kaum dass die Jungs mich gefragt hatten, ob ich mit aufs Eis kommen wollte. Deswegen brauchte ich ja Nachhilfe … besser noch, einen kleinen Kampfzwerg wie sie, der mich auf Trab halten würde.
Hätte ich eine Trainingseinheit sausen lassen, hätte unser Headcoach mir den Hintern aufgerissen, mit einem breiten Lächeln wäre ich bei ihm auch nicht durchgekommen. Die Tatsache, dass Pixie sich von mir nicht beeindrucken ließ, war neu.
Sie verdiente eine Entschuldigung.
Ruckartig stieß ich mich vom Boden ab und fuhr ihr hinterher. Die Kufen meiner Schlittschuhe sorgten für zischende Geräusche, sobald ich scharf vor Pixie abbremste. Sofort stützte sie die Hände in die Hüften, sodass sie noch wütender … und niedlicher aussah. Letzteres sollte ich ihr wohl besser nicht sagen.
„Was?“, zischte sie.
„Es tut mir leid.“ Fest sah ich ihr in die Augen, damit sie wusste, dass ich es ernst meinte. „Ich habe es vergessen, habe nicht mal eine gute Ausrede.“
„Immerhin bist du ehrlich“, grummelte sie. Ihr Ärger schien nachzulassen, denn sie rieb nun die Hände aneinander.
„Du zitterst ja!“ Schnell zog ich meine Handschuhe aus und nahm ihre Hände in meine, um sie zu wärmen. Ihre Finger waren wie Eiszapfen.
„Deine Schuld. Ich war auf eine gemütlich warme Bücherei eingestellt, nicht auf einen Gang über den Campus im Schneeregen.“
„Ich besorge dir einen Tee …“, setzte ich an, wurde jedoch von ihrem verächtlichen Schnauben unterbrochen, was mich schmunzeln ließ. „Kaffee-Junkie, also?“
„Jep.“ Sie nickte bekräftigend.
Während ihr Kopf hoch und runter wippte, fiel mir auf, dass selbst ihre lilasilberfarbenen Haare ganz nass waren, ein paar Eiskristalle hingen in den Haarsträhnen.
„Komm, in den Umkleiden sind Handtücher.“
Gerade als sie den Mund öffnete, um zu widersprechen – vermutlich hatte sie irgendeinen schlauen Spruch auf Lager, was stinkende Männer anging –, legte ich einfach die Hände auf ihre Schulter, drehte sie auf dem Eis um und schob sie vor mir her zum Ausgang.
„Keine Widerrede. Erst legen wir dich trocken, danach Kaffee.“
„Und Donuts!“
„Ich dachte, du wolltest ein Einhorn?“, stichelte ich, während ich die Finger um ihr Handgelenk schloss und sie den Gang hinter mir her bis zu den Umkleiden zog.
„Aktuell dringender sind Donuts, das Einhorn nehme ich später.“ Ihr Ton war so ernst, als sprächen wir nicht gerade von einem Regenbogen-pupsenden Fabelwesen.
„Bekommst du“, versprach ich schmunzelnd, schnappte mir ein frisches Handtuch aus dem Regal und reichte es ihr.
„Mit Donuts ist alles besser.“ Ein geradezu seliges Lächeln schwebte auf ihren Lippen, während sie über das Gebäck sprach. Mich faszinierte es, wie eine offensichtlich hochintelligente Frau, die selbst den Mathematikprofessor der Columbia University in Verlegenheit brachte und zweisprachig war – wenn man Klingonisch denn zählen konnte –, sich über eine solche Kleinigkeit wie Donuts derartig freuen konnte.
„Das heißt, du bist ein Mathe- und Physik-Genie, liebst Kaffee, Donuts und bist Star Wars -Fan.“
Star Wars ?“ Scharf atmete sie die Luft ein, als hätte ich soeben eine Abscheulichkeit von mir gegeben. „ Star Trek !“, rief sie aufgebracht. „Du Kretin.“
Lachend legte ich den Kopf in den Nacken, hob aber entschuldigend die Hände. „Alles klar, Kampfzwerg – Star Trek , ich werde den Fehler kein zweites Mal begehen.“
„Gut, das ist nämlich eine Todsünde.“ Unwirsch rieb sie sich das Handtuch über Haar und Gesicht, bis sie halbwegs trocken war. Daraufhin nahm ich es ihr ab und schmiss es in den Wäschekorb.
„Todsünde, was? Na, dann bin ich ja glimpflich davongekommen.“
„Wenn du mich noch einmal versetzt, wird sich das ändern.“ Ihr Ton war drohend. Wie sie da vor mir stand in ihrem Spiderman-Weihnachtspullover (ja, Spiderman hatte wirklich eine rote Mütze auf mit weißem Bommel daran), den Army-Stiefeln und ihrem verkniffenen Gesichtsausdruck war sie eine Klasse für sich. Klein und zerbrechlich, aber gleichzeitig wie eine Naturgewalt. Vor allem gefiel es mir, dass sie zu ihrem inneren Freak stand, während viele andere ihr Leben damit verbrachten, sich zu verstecken aus Angst, anzuecken.
„Gib mir fünf Minuten, dann hab ich geduscht, mich umgezogen und wir können los.“
„Okay, aber das kostet extra. Ich erhöhe auf drei Donuts.“
„Wie willst du kleines Ding die alleine aufessen?“, fragte ich verdutzt, ohne mir rechtzeitig auf die Zunge zu beißen. Denn das war genau die falsche Frage.
„Sechs Donuts“, sagte sie in verbissenem Ton, und ich war sicher, sie würde jeden einzelnen davon hinunterwürgen, und sei es nur, um mir zu zeigen, dass ich falschlag. Amüsiert spielte ich mit dem Gedanken, sie dazu zu bringen, noch mehr des süßen Gebäcks herauszuhandeln, denn es wäre bestimmt lustig, ihr beim Kämpfen mit über einem Dutzend Donuts zuzusehen. Wir wollen ja nicht übertreiben , dachte ich und beließ es dabei.
Zehn Minuten später saßen wir in meinem Auto auf dem Weg zum nächsten Dunkin’ Donuts . Für Pixie hatte ich die Temperatur hochgedreht, sodass beständig warme Luft vom Armaturenbrett zu den Sitzen strömte.
„Was studierst du eigentlich?“
Kurz sah ich zur Seite und bemerkte ihren neugierigen Blick. „BWL“, antwortete ich schließlich.
Sie nickte, vermutlich verstand sie nun, wofür ich Mathenachhilfe brauchte. „Wieso nicht Sportwissenschaften oder so?“
„Meine Eltern unterstützen mich …“, begann ich meine Erklärung, wurde aber unterbrochen.
„Ach nee.“ Pixie fuchtelte wild mit den Händen herum, zeigte auf meinen Geländewagen, meine Kleidung und vieles mehr; ihr Ton zeigte, dass sie die finanzielle Unterstützung meiner Eltern für offensichtlich hielt.
Und sie hatte recht. Ich musste mir keine Sorgen um Studentendarlehen oder Ähnliches machen, ich hatte absolute finanzielle Freiheit, das bedeutete aber nicht, dass ich es nicht zu schätzen wusste.
„Meine Eltern unterstützen mich“, begann ich erneut, „ aber “, ich betonte das Wort und sah Pixie vielsagend an, immerhin hätte sie mich nur ausreden lassen müssen. „Aber sie halten nichts von meinem Plan, Profisportler zu werden. Sie haben ihre Firma aus dem Nichts aufgebaut, hart gearbeitet, viele Opfer bringen müssen, und jetzt …“
„Seid ihr stinkreich?“
Ich schmunzelte. „Es hat sich ausgezahlt, ja. Meine Eltern wollen, dass meine Schwester und ich die Firma später übernehmen.“
„Da kommt dein BWL-Studium ins Spiel.“ Begreifen lag in ihrer Stimme.
„Genau.“ Bestätigend nickte ich. „Eine Eishockeykarriere ist nichts für die Ewigkeit.“
„Stimmt, irgendwann bist du alt, hast vermutlich mehrere Knochenbrüche hinter dir und dein Gehirn ist nach ein paar Erschütterungen zu viel dann Matsch“, ratterte sie ihre Zukunftsprognose für mich in zynischem Ton herunter.
„So ähnlich.“ Lachend schüttelte ich den Kopf, setzte den Blinker und fuhr auf den Parkplatz von Dunkin’ Donuts . „Der Deal mit meinen Eltern war, dass ich mein Studium beenden muss, bevor ich in ein Profiteam wechsle, damit ich am Ende meiner Sportkarriere nicht vor dem Nichts stehe. Ein Bachelor-Abschluss in BWL schien die beste Variante zu sein, der wird mir später im Familiengeschäft bestimmt helfen.“
„Schlau. Sie lassen dich deinen Traum leben und achten auf deine Zukunft. Du hast tolle Eltern.“
Gerade hatte ich den Motor abgestellt, bei ihrem seltsam melancholischen Ton sah ich jedoch auf. Das Piercing in ihrem rechten Nasenflügel, ein kleiner silberner Strassstein, blitzte unter den Straßenlaternen des Parkplatzes auf, als Pixie den Kopf drehte.
„Was ist mit deiner Familie?“
„Wir sind hier, um zu lernen, oder?“ Schon wandte sie sich von mir ab, öffnete die Beifahrertür und hüpfte aus dem Wagen. Stirnrunzelnd folgte ich ihr. Offenbar ein empfindliches Thema für sie , dachte ich. Vorerst würde ich es ruhen lassen, aber meine Neugierde war geweckt. Wer wusste, was sie durchgemacht hatte, um der verrückte, kleine Kampfzwerg zu werden, der sie heute war?
„Hey, Pixie!“ Schnell eilte ich ihr hinterher.
„Hm?“ Fragend sah sie sich um.
„Bringst du mir auch Flüche auf Klingonisch bei?“