Kapitel 7
Pixie
Stumm saß ich in Professor Smiths Büro und wartete darauf, dass Zac endlich auftauchte. Na gut, er war nicht zu spät, hingegen ich zu früh und launisch, weil ich nun allein mit unserem heiß geliebten Professor sein musste. Aktuell überlegte ich, wie lange es dauern würde, bis ich an dem übermannenden Geruch seines Altherren-Aftershave ersticken würde.
„Miss Wolf“, sagte er, wobei er sich auf seinem Ledersessel zurücklehnte. Als er meinen Namen aussprach, stellten sich mir die Nackenhaare auf, so sehr ging mir seine Stimme auf die Nerven. „Sie haben wirklich gute Arbeit geleistet.“ Er bedachte mich mit einem Schmunzeln, noch immer schien es ihm Genugtuung zu bereiten, dass ich mich mit einem Eishockey-Vollidioten herumschlagen musste. Dabei wusste ich mittlerweile, dass Zac nicht dumm war, nur etwas Struktur gebraucht hatte.
Anstatt Professor Smith zu antworten, erwiderte ich seinen Blick mit ausdrucksloser Miene und starrte ihn einfach nur an. Ganz bestimmt würde er so begreifen, was ich von seinen Worten hielt. Zunächst begann ein Muskel auf seiner Stirn zu zucken, ich starrte weiter; danach sammelten sich Schweißperlen über seiner Oberlippe. Auch wenn ein Lächeln an meinen Mundwinkeln zuckte, schaffte ich es, mich zurückzuhalten. Sichtlich nervös tupfte er sich mit einem Stofftaschentuch, das er aus seiner Brusttasche gezogen hatte, über das Gesicht, bis er schließlich den Blick abwandte. Vielleicht war es kindisch von mir, aber das war mir egal.
Sobald es klopfte, rief er hastig, in hörbar erleichtertem Ton „Herein!“, was mir Genugtuung verschaffte. Als ich damals seinen Fehler verbesserte, hatte ich ehrliche Absichten, dachte naiverweise, er würde über seinen Flüchtigkeitsfehler lachend den Kopf schütteln, sich bei mir bedanken und seine Vorlesung fortführen. Ganz im Gegenteil bestrafte er mich seitdem mit Missachtung, behandelte mich wie einen Feind.
Wer austeilte, musste auch einstecken können, richtig? Also zeigte ich ihm nur zu deutlich, was ich von ihm hielt, genoss es, ihn aus der Fassung zu bringen – so wie in diesem Moment. Aber das hatte er sich selbst zuzuschreiben.
Kurz darauf wurde die Tür zu Professor Smiths Büro aufgestoßen, Zac trat ein, nickte dem weißhaarigen Mann hinter dem Schreibtisch zu, bevor sein Blick auf mich fiel und er mir ein breites Lächeln schenkte. Die Tatsache, dass mein Herz ins Stolpern geriet, war bestimmt nur Zufall. Schnell wandte ich den Blick ab und wohl oder übel wieder dem Mistkerl in dem schwarzen Ledersessel zu.
„Mr. Goldwin, setzen Sie sich!“, sagte Professor Smith soeben.
„Danke, Sir“, murmelte dieser daraufhin und tat wie geheißen.
Sir?
, dachte ich verwirrt, denn die guten Manieren passten so gar nicht zu seinem Aufreißerlächeln.
„Aufgrund Ihrer besonderen Situation habe ich Ihre Hausarbeit vor allen anderen benotet“, ließ Professor Smith Zac wissen.
„Danke, Sir.“
Innerlich verdrehte ich die Augen, so viel Höflichkeit hatte der liebe Herr Professor nicht verdient.
„Und ich war positiv überrascht! Miss Wolf hat Ihnen mit ihrer unverbesserlichen Art wohl ordentlich den Kopf gewaschen.“
Bei seinen Worten presste ich die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, hatte er mich gerade doch
besserwisserisch
genannt, es nur etwas feiner ausgedrückt. Aber so war es immer mit Professor Smith, er verteilte Seitenhiebe an mich, wo er nur konnte. Deswegen entwickelte ich mich in seiner Gegenwart ja auch zur gemeinen Psychotante.
„Ich habe ein paar Fehler in Ihrem Lehrbuch gefunden und Sie Ihnen per E-Mail geschickt, weil ich dachte, dass Sie die bestimmt verbessern möchten.“ Das war zwar eine Lüge, doch er zuckte wie erwartet zusammen. Ich wusste, er würde sofort sein E-Mail-Postfach öffnen, sobald Zac und ich sein Büro verlassen hätten.
Als mein Handy vibrierte, warf ich einen Blick darauf.
Zac: Rachsüchtiger, kleiner Kampfzwerg, du.
Ein Schmunzeln zuckte an meinen Lippen, schließlich hatte er mich ertappt – Professor Smith brachte einfach die hässlichste Seite in mir hervor.
„Zu Ihrer Hausarbeit“, murmelte der Professor, nachdem er seine Fassung wiedererlangt hatte und mich nun keines Blickes mehr würdigte. „Sie bekommen eine Zwei Minus, die Ansätze waren wirklich gut, aber ich hätte mir ein paar mehr Quellen gewünscht, um Ihre Thesen noch weiter zu untermauern.“
Eine Zwei Minus? Was zur Hölle?
Innerlich kochte ich, denn ich hatte Zacs Hausarbeit schließlich gelesen und er hätte mindestens eine Eins Komma Fünf verdient! Natürlich hatte ich das ihm gegenüber nicht zugegeben, sonst hätte er mich bestimmt noch häufiger damit genervt, dass er unsere Wette gewinnen und ich sein nächstes Eishockeyspiel besuchen müssen würde. Doch der Professor hatte ihn eindeutig kritischer bewertet als alle anderen Studenten, vermutlich weil er Sportler genauso wenig leiden konnte wie ich oder er Zac für dumm hielt. Das war unfair.
Ja, ich hatte ähnliche Vorurteile gehabt, mich aber eines Besseren belehren lassen und das hätte Smith auch tun müssen. Innerlich brodelte die Wut in mir immer heißer, daher bekam ich die nächste Stichelei in meine Richtung kaum mit. Das Gespräch plätscherte noch eine Weile vor sich hin, bis Professor Smith schließlich sagte „Weiter so!“ und uns verabschiedete.
Kaum dass die Bürotür hinter uns geschlossen war, lief ich los, wusste gar nicht so recht wohin, nur, dass ich die überschüssige Energie in mir loswerden musste, bevor ich noch eine Dummheit beging, indem ich zurück in Professor Smiths Büro stürmte und ihm meine Meinung geigte. Allerdings wurde ich schon kurz darauf durch eine Hand, die sich um meinen Unterarm schlang, aufgehalten und herumgerissen.
„Hey, hey, du hast die Wette doch gewonnen.“ Mit gerunzelter Stirn sah Zac zu mir herab, sein Daumen malte Kreise auf meiner Haut, vermutlich um mich zu beruhigen, allerdings war ich viel zu wütend dazu.
„Ja, hab ich.
Hurray
.“ Ich betonte das letzte Wort mit all der Begeisterung, die ich aufbringen konnte. Nämlich mit gar keiner.
Die Falten in seiner Stirn vertieften sich noch. „Zwei Minus in Statistik, das ist der Hammer für mich!“ Dabei schenkte er mir ein Lächeln, was so ehrlich und breit war, dass ich nicht anders konnte, als es zu erwidern. Wärme begann sich in meiner Brust auszubreiten, kurz blickte ich zu Boden, bevor ich ihn wieder ansah.
„Ja, du hast recht, das ist super …“
„Aber?“ Fragend zog er eine Braue hoch.
„Aber er hat dich unfair benotet!“ Hilflos in meiner Wut warf ich meinen freien Arm in die Luft. „Du hättest eine Eins Komma Fünf bekommen müssen. Mindestens.“ Ich redete mich in Rage, bis die Worte so schnell über meine Lippen purzelten, dass man sie kaum noch voneinander trennen konnte. Grummelnd riss ich mich von Zac los, um den Gang wieder hinunterzustürmen.
„Das heißt,
ich
habe die Wette gewonnen?“, rief er mir nach, wobei ich das Grinsen in seiner Stimme hören konnte.
Sofort wirbelte ich herum. „
Das
ist dir das Wichtigste an dieser Sache? Nicht etwa, dass du eine bessere Note verdient hättest, die du auch unbedingt brauchst, um deinen Schnitt zu verbessern?“ Kritisch zog ich die Brauen nach oben, um ihm einen ungläubigen Blick zuzuwerfen. Doch das lässige Grinsen verschwand nicht von seinen Lippen.
„Baby, du musst mein Spiel live ansehen, und zwar in meinem Trikot.“ Das sagte er in einem Ton, als würde es alles erklären. Das tat es jedoch nicht, zumindest nicht für mich. Diesmal war ich es, die verwirrt die Stirn krauszog. Wenigstens hatte er das mit dem Salat vergessen.
Mit großen Schritten trat er wieder an mich heran, misstrauisch beobachtete ich, wie er eine Hand hob … und damit über meine Wange strich. „Wenn du erst mal mein Trikot trägst und mich spielen siehst, wirst du mir unweigerlich verfallen.“
Mit einem Mal kicherte ich laut los, stützte mich an seiner Brust ab, weil ich mich krümmte vor Lachen. „Ist das ein Zauber-Trikot? Dann werde ich dich ganz gewiss anhimmeln.“
Eben war sein Gesicht noch so ernst gewesen, seine Arroganz kaum zu glauben, aber plötzlich grinste er breit. „Jetzt hast du es verstanden.“ Mit den Fingerspitzen berührte er nur für einen kurzen Augenblick meinen rechten Mundwinkel. „So gefällst du mir schon besser.“
Hatte er den Stuss also nur gesagt, um mich zum Lachen zu bringen?
„Der Kerl macht mich einfach so wütend!“, gab ich zu, wobei ich das Gesicht verzog.
„Du wirst es ihm schon heimzahlen.“ Er zwinkerte mir zu, wobei er mich an seine Textnachricht erinnerte, die er mir während des Gesprächs mit dem Professor geschickt hatte.
„Werde ich.“
„Dann sehen wir uns morgen Abend beim Spiel.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, nahm er seinen Rucksack von der Schulter, um darin herumzukramen. „Das hier wirst du brauchen.“
Als ich sah, was er mir hinhielt, musste ich erneut lachen. „Du bist vorbereitet gekommen.“
„Natürlich.“ Damit drückte er mir sein Eishockeytrikot in die Hände. So musste ich mir immerhin kein überteuertes Jersey im Fanshop kaufen.
„Hoffentlich hast du es gewaschen.“
„Du meinst, du bist nicht gerne in den männlichen Geruch meines Schweißes eingehüllt?“ Er zeigte sein bestes Ladykillergrinsen, in seinen Augen tanzte Humor, sodass ich den Kopf über ihn schüttelte.
Als ich das Trikot entgegennahm, stieg zum Glück nur der Geruch von Waschmittel zu mir auf. „Danke“, murmelte ich, bevor ich es einpackte.
„Dann bis morgen!“
„Du musst dir sein Eishockeyspiel ansehen“, wiederholte Jamie, ihre Augen groß vor sichtlichem Unglauben. „Live.“
„Mhm“, antwortete ich in bestätigendem Ton.
„Was zum Teufel hat dich dazu bewegt, so eine Wette einzugehen? Du hasst Sport.“ Bailey zog eine scharf geschwungene Braue hoch.
„Nein, ich hasse arrogante Sportler, nicht den Sport selbst.“
„Klar, klar und beim Sport machen auch keine arroganten Sportler mit. Logisch“, erwiderte meine Freundin in trockenem Ton, sodass ich ihr gegen die Schulter boxte.
„Ich hab mich auf die Wette eingelassen, weil ich dachte, er würde sowieso keine gute Note schaffen.“ Ich zuckte mit den Achseln. „Aber er ist gar nicht so dumm.“
„Gar nicht so dumm?“, wiederholte Lea, wobei sie große Augen machte. „Das ist bei dir gleichbedeutend mit einem Kompliment.“
„Ich weiß, dass ich die besten Komplimente mache.“ Grinsend hielt ich die Hände seitlich von mir weg in einer
Was soll man machen?-
Geste.
„Wir kommen mit!“, beschloss Jamie daraufhin.
„Was?“
„Sie hat recht. Wir lassen dich nicht allein in das Territorium des Feindes.“ Sie erschauderte sichtlich. „Cheerleader und Groupies überall.“
Bei Baileys Schauspiel kicherte ich ungehemmt, meine Freundinnen waren einfach die besten. „Wollt ihr euch das echt antun? Ich schaff das auch allein. Wenn jemand Bier über mich schüttet, trete ich ihm in die Eier.“
„Und wenn es eine Frau ist?“
„Dann in die Eierstöcke?“ Gespielt nachdenklich legte ich den Kopf schief, sodass sie alle drei auflachten.
„Wir kommen mit, keine Widerrede.“ Bailey legte einen Arm um meine Schultern und drückte mich kurz an sich.
„Jetzt zieh das Jersey mal an und zeig her!“, verlangte Lea.
Etwas unwillig zog ich es mir über den Kopf, natürlich reichte es mir bis kurz vor die Knie, es sah geradezu lächerlich riesig an mir aus. Zac war ein Hüne, zudem trugen Eishockeyspieler unter ihren Trikots auch noch Schutzausrüstung, sodass die Shirts extragroß geschnitten waren. Ich ertrank geradezu darin.
„Das bekommen wir hin!“, rief Lea jedoch, die plötzlich voller Tatendrang zu sein schien.
Oh-oh
, dachte ich. „Was hast du vor?“
„Zieh ein schwarzes Shirt darunter, sonst reicht dir der V-Ausschnitt bis zum Bauchnabel“, befahl sie, wobei sie ungewohnt energisch klang. Zwar studierte sie wegen ihrer Eltern mit mir Physik, aber in Wahrheit war sie eine kreative Seele und offenbar hatte diese Seite von ihr nun die Kontrolle übernommen.
Keine zehn Minuten später hatte sie einen breiten, schwarzen Gürtel um meine Taille geschnürt, sodass Zacs Trikot zu einem figurbetonten Kleid umfunktioniert worden war, zudem hatte sie mir schwarze Thermo-Strumpfhosen besorgt und ein ebenso dunkles schwarzes Oberteil aus meinem Schrank gezerrt, dazu meine Kampfstiefel und das Outfit war perfekt. Zugegebenermaßen sah es ziemlich cool aus, auch wenn ich sonst nie ein Kleidchen trug.
„Und?“ Sie schien den Atem anzuhalten.
„Ungewohnt, aber gut.“ Ich schenkte ihr ein Lächeln. „Danke.“
„Dann können wir ja los!“ Bailey und Jamie standen bereits in ihren Mänteln gekleidet in der Tür zu meinem Zimmer.
Fünf Minuten später waren auch Lea und ich warm eingepackt, sodass wir uns gemeinsam auf zum Stadion machten. Wir waren früh dran, sodass wir beim Kartenverkauf nicht lange anstehen mussten. Je mehr Zeit verging, desto aufgeregter wurde ich. Innerlich fragte ich mich, ob ich Angst hatte, einen Puck ins Gesicht zu bekommen – bestimmt gab es Schutzmaßnamen dagegen, oder?
Oder?!
Eine andere Erklärung für die Schmetterlinge in meinem Bauch fiel mir momentan nicht ein, außer ich bekäme die Grippe.
„Wir haben tolle Sitzplätze ergattert“, murmelte Jamie, wobei sie ihren Blick durch das Stadion gleiten ließ. Sie hatte recht, schließlich saßen wir in Reihe drei, sodass wir perfekte Sicht auf das Eisfeld hatten. Die Tribünen füllten sich langsam, bisher war der Lärmpegel erträglich, aber ich ahnte bereits, dass sich das bald ändern würde.
„Lasst uns schnell ein Beweisfoto schießen.“ Damit winkte ich meine Freundinnen heran, die sich zu mir beugten, streckte einen Arm aus und machte ein Selfie von uns vieren. Kurz darauf hatte ich es Zac geschickt.
Pixie: [Foto] Wetteinsatz erfüllt.
Zac: Wo ist mein Trikot?
Pixie: Unterm Mantel, wo sonst? Wenn du jetzt „ausziehen“ schreibst, bring ich dich um.
Zac: Dann musst du mich nach dem Spiel wohl treffen …
Pixie: Und dich anhimmeln, richtig?
Zac: Selbstverständlich. Und vergiss nicht: mich anzufeuern, gehört zum Wetteinsatz dazu.
Pixie: Soll ich Unterwäsche aufs Feld werfen?
Zac: Das wäre eine Möglichkeit.
„Hast du ihm das Foto geschickt?“ Jamies Frage riss mich aus meinen Gedanken, schnell steckte ich mein Handy weg.
„Ja, hab ich, aber weil er sein Trikot nicht darauf sehen konnte, muss ich ihn nach dem Spiel noch kurz treffen.“
„Du nimmst die Wette ganz schön ernst“, merkte Lea an, die mir einen neugierigen Blick zuwarf.
„Aber wirklich. Warum zeigst du ihm nicht einfach den Vogel? Du bist hier und basta.“
Leider hatte ich keine gute Antwort auf Baileys Frage. Die Wahrheit war doch, dass ich selbst nicht so genau wusste, was ich hier tat. Vielleicht
wollte
ich ihn ja nach dem Spiel sehen? Mittlerweile war ich es gewohnt, ihn fast täglich zu treffen, bestimmt lag es nur daran. Man konnte einen Menschen schließlich unmöglich bereits nach eineinhalb Tagen vermissen, auch nicht, wenn er einen immer zum Lachen brachte und das so verdammt besonders war in der verhassten Jahreszeit kurz vor Weihnachten …
„Was macht dein Boss?“, fragte ich, um Bailey von mir abzulenken.
„Mich in den Wahnsinn treiben, wie immer.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Sobald Semesterferien sind, will ich Urlaub nehmen, sonst werde ich ihn eines Tages wirklich noch killen.“ Sie erschauderte sichtlich.
„Würde er wissen, dass
dein
Urlaub überlebenswichtig für
ihn
ist, würde er ihn dir bestimmt sofort gewähren.“ Breit grinsend warf ich ihr einen Blick zu.
„Beton an die Füße und im Ozean ertränken klingt immer verlockender.“ Sie verzog das Gesicht. „Er ist so ein arroganter, herablassender Mistkerl!“
„Die armen Fische müssen dann mit seinem verrottenden Anblick leben.“
„Das kannst du Nemo, seinem Papa und Dori nicht antun!“, stimmte ich Jamie zu, wobei ich mich auf den bekannten Kinderfilm
Findet Nemo
bezog.
„Sch, bevor euch noch jemand hört.“ Etwas nervös aussehend blickte Lea sich um. Hinter uns stand ein mit zwei Bechern voll Bier bewaffneter, stämmig gebauter Mann, der uns mit geweiteten Augen anstarrte.
„Mit euch Ladys sollte man es sich nicht verscherzen“, stieß er aus und stolperte beinahe über seine eigenen Füße, als er fluchtartig aufstand, die Sitzreihe hinuntereilte und davonging, vermutlich um sich lieber woanders hinzusetzen.
Stumm blickten wir ihm nach, bis wir schließlich in Gelächter ausbrachen.
„Wir sind furchtbare Menschen.“ Zwischen meinem Gekicher brachte ich die Worte kaum heraus.
In der nächsten halben Stunde unterhielten wir uns über alles Mögliche, sodass wir kaum bemerkten, wie voll das Stadion um uns herum wurde. Erst als die Beleuchtung sich veränderte, um sich gänzlich auf das Spielfeld zu konzentrieren, und die erste Spielansage ertönte, sahen wir uns überrascht um. Kurz darauf begann das Spiel. Wie schon bei der Trainingseinheit, die ich beobachtet hatte, ging alles so schnell, dass ich ein paar Minuten brauchte, um die Spieler auseinanderzuhalten. In der Mitte des Stadions hing ein Anzeigewürfel, der nicht nur den Spielstand, sondern auch Nahaufnahmen des Eisfeldes zeigte.
„Uh, der ist ja nicht zu verachten“, murmelte Jamie.
„Wer?“, fragte Bailey sofort, die sich neugierig in ihrem Sitz vorbeugte.
„Nummer sieben, vielleicht zeigen sie gleich noch mal eine Nahaufnahme.“
Kurz darauf war es so weit, gespannt blickten wir auf den Anzeigewürfel. Es war der
Goalie
, der Torwart, schwarzes Haar und beinahe genauso dunkle Augen, umrahmt von langen Wimpern, auf die jede Frau neidisch wäre. „Das ist Paolo.“
„Hm?“
„Er spricht Klingonisch“, verkündete ich mit einem Grinsen.
„Also ein Fan von Star …?“ Schlau wie Lea war, sprach sie nicht zu Ende, um ja nicht den Fehler zu machen, die zwei berühmten Science-Fiction-Sagas zu verwechseln.
„
Star Trek
, genau“, stimmte ich schmunzelnd zu.
„Genau“, wiederholte sie grinsend, als hätte sie das von Beginn an gewusst.
„Also für Paolo würde ich selbst
Star Trek
angucken.“ Jamie seufzte übertrieben wie ein verliebtes Schulmädchen.
„Aber nicht für mich?“, fragte ich gespielt empört, woraufhin sie sich zu mir beugte und mir das Knie tätschelte.
„Sorry, Pixie, aber dir fehlen nicht nur Paolos Wimpern, sondern auch noch ein paar andere Teile.“
Als ich prustend loslachte, verpasste ich beinahe, dass unsere Mannschaft ein Tor erzielte. Ein rotes Licht ging blinkend an, dazu erklang eine Sirene. Um uns herum erklang fröhliches Brüllen, es war so ansteckend, dass wir mitjubelten.
Okay, vielleicht war Eishockey gar nicht so schlecht
.
„Da ist Zac!“, rief Lea, wobei sie aufgeregt auf den Anzeigewürfel zeigte, hingegen starrte ich aufs Spielfeld. Mit einem selbstsicheren Grinsen fuhr er gerade so etwas wie eine Ehrenrunde. Der Sprecher bestätigte meine Vermutung gerade: Zac hatte das Tor geschossen.
„Jetzt weiß ich, wie er dich dazu überredet hat, dir Nachhilfe zu geben“, brüllte Bailey gegen das Jubeln der Fans um uns herum an.
Als alle sich wieder hinsetzten, sah ich sie fragend an.
„Na, wer kann bei den Grübchen schon Nein sagen?“ Sie zwinkerte mir zu, doch ich schüttelte den Kopf. So war es nicht, er war netter, als ich gedacht hatte, humorvoll, aber …
„Er ist nicht mein Typ.“ Ich schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln.
„Wer steht bitte nicht auf attraktive, durchtrainierte Kerle mit sexy Lächeln?“
„Ich steh nicht auf Kerle, die meinen, sie können alles haben.“ Schließlich wusste ich, wie es war, für alles kämpfen zu müssen; nie könnte ich mit jemandem zusammen sein, der es gewohnt war, dass ihm alles zuflog. Das würde nur zu Konflikten und Herzschmerz führen. Darauf konnte ich getrost verzichten.
Zum Glück begannen sich auf dem Feld plötzlich zwei der Spieler zu prügeln, was unser aktuelles Gesprächsthema beendete. „Dürfen die das?“, fragte Lea atemlos.
„Kommt drauf an“, murmelte ich.
„Seit wann kennst du dich mit Eishockey aus?“, wollte Bailey wissen.
„Sie hat die Spielregeln nachgelesen.“ Jamie warf mir einen wissenden Blick zu. „Stimmt’s?“
„Da prügeln sich zwei Kerle, Blut spritzt! Wollt ihr nicht zugucken?“ Wild gestikulierte ich Richtung Spielfeld, aber meine Freundinnen starrten nur mich an. Meine Wangen wurden ganz heiß, ich hoffte, man würde es mir nicht ansehen, aber vergebens.
„Sie wird ganz rot.“
„Nur weil es hier kalt ist. Ihr habt auch rote Wangen und Nasen!“, verteidigte ich mich sofort, allerdings viel zu hastig. Glaubte ich mir überhaupt selbst?
Der Schiedsrichter trennte die Streithähne, beide mussten in die Penalty-Box und bekamen ein paar Strafminuten. Je länger das Spiel ging, desto häufiger bemerkte ich, wie ich mitzufiebern begann. Den Mädels schien es ähnlich zu gehen, denn als das nächste Tor für unsere Mannschaft fiel, sprangen wir alle mit dem Rest des Stadions auf und jubelten.
„Es war eine gute Idee, hierherzukommen – und zwar nicht nur, um heiße Sportler anzuschmachten.“ Bailey zwinkerte mir zu.
In der Pause nach dem zweiten Drittel holten wir uns ein paar Hotdogs, die zwar absolut überteuert waren, aber auch verdammt lecker schmeckten. In der letzten Spielminute war unsere Mannschaft in Führung, allerdings passten die Gegner den Puck geradezu unaufhaltsam immer weiter auf unser Tor zu. Per
Bodycheck
wurde einer nach dem anderen aus dem Weg geräumt, der
Forward
setzte zum Schuss an, mir stockte der Atem, doch ehe er mit dem Schläger durchziehen konnte, raste plötzlich eine hochgewachsene Gestalt auf ihn zu, schaffte es, ihm den Puck abzunehmen, und fuhr übers Feld in die entgegengesetzte Richtung. Zum Gegenschuss kam es zwar nicht mehr, bevor der Buzzer ertönte und das Match für beendet erklärte, aber das war egal – unsere Uni hatte das Heimspiel gewonnen!
Musik dröhnte durch die Lautsprecher, Grölen und Jubeln brach aus, ich selbst sprang auf und hüpfte geradezu vor Freude, konnte nur hoffen, dass niemand mich sah, schließlich hatte ich einen Ruf zu verlieren. Sofort landete mein Blick wieder auf dem Spieler, der dem Gegner in letzter Sekunde den Puck abgenommen hatte und nun über das Feld in Richtung seines Coaches fuhr.
Zac.
Als unsere Blicke sich trafen, trat ein breites Grinsen auf seine Züge, ich bildete mir sogar ein, dass er mir zuzwinkerte.
„Er hat ja geradezu Herzchen in den Augen.“ Jamie gab einen Würgelaut von sich.
„Er steht auf dich. So was von“, stimmte Bailey zu, wobei Lea bekräftigend nickte.
Mir blieb gar keine Zeit, es zu leugnen, denn noch im selben Moment passierte Zac einen der gegnerischen Spieler, der ihm wortwörtlich mit der Faust das Grinsen vom Gesicht schlug.
„O mein Gott!“, stieß ich schockiert aus, als Zacs Kopf zurückkippte durch die Heftigkeit des Hiebes, Blut tropfte von seiner aufgeplatzten Lippe.
Mit einem Mal herrschte Chaos auf dem Feld, die Spieler gingen teils aufeinander los, teils versuchten sie, einander zu trennen. Die Haupt- und Linienschiedsrichter stürmten herbei, auch die Coaches gaben ihr Bestes, wieder Ordnung herzustellen. In meinem Innern raste mein Herz wie wild.
„Verdammt, das muss wehtun“, murmelte Jamie, wobei sie meine Gedanken laut aussprach.
„Voll in die Fresse.“ Beinahe hätte ich bei Baileys Worten aufgelacht, doch dazu war die Situation zu ernst, und wenn ich ehrlich mit mir war, schoss so etwas wie Angst oder Sorge durch mich hindurch. Angespannt ballte ich die Hände zu Fäusten und beobachtete das Schauspiel. Erst nachdem die Spieler getrennt worden waren und aus den gegenüberliegenden Ausgängen verschwanden, konnte ich wieder frei atmen. Es schien keiner ernsthaft verletzt worden zu sein.