In mir wohnt ein fremdes Wesen. Als ich eine kahle Stelle am Kopf hatte und die Tür zu meinem Gehirn geöffnet war, ist es hineingekrochen. Erst dadurch ist mir bewusst geworden, was sich da überhaupt in meinem Kopf befindet. Ich weiß nichts über mein Gehirn, habe nie darüber nachgedacht. Ich weiß auch nicht, wer der Besucher ist, ich habe ihn nicht eingeladen. Er verbreitet Chaos, aber ich habe ihm einen Namen gegeben, denn dadurch habe ich weniger Angst vor ihm. Wenn man jemandem einen Namen gibt, kann man auch Freundschaft mit ihm schließen, wie mit einem Haustier. Deshalb heißt er jetzt E.T., wie der außerirdische Altherrenteenager im Film von Steven Spielberg.
Und sofort weiß ich, wie er aussieht.
Ich glaube, E.T. hat auch Angst vor mir, er ist auf jeden Fall sehr launisch. Wenn wir einander aus Versehen ansehen, kreischen wir beide vor Schreck und Entsetzen. Sein verstörtes Schildkrötengesicht mit den Glupschaugen stimmt mich etwas milder. Aber wenn er erstmal loslegt, gibt es nichts mehr zu lachen. Er wirft sich gegen die Schädelwände und lässt meinen Kiefer verkrampfen. Er murmelt und zischt. Ich spüre, wie er kramt und stöbert, brausend und klickend schießt er in meinem Körper hin und her wie eine Luftblase in der Heizung. Er streift meinen Körper wie eine Jacke über. Er steckt seine langen Arme tief in meine und kratzt und scheuert am Fleisch unter meiner Haut, die dünner als Papier ist. Ich spüre seine knochigen Finger mit diesen abgeplätteten vorderen Gliedern. Es gelingt mir oft nicht, etwas in die Hand zu nehmen, und wenn ich es wider Erwarten geschafft habe, zwingt er meine Hand dazu, es weiter festzuhalten. Besteck, eine Zahnbürste, ich werde diese Dinge nicht mehr los. Ich muss sie erst mit der anderen Hand wegnehmen. Erstere verweigert jeden Befehl. Die eine Hand will die Schublade aufziehen, die andere hält sie zu. So komme ich nicht weiter. Erst wenn ich streng »Aus!« zu E.T. sage, lässt er locker. Aber auch nur manchmal, und dann immer nur widerwillig. Ich muss meinem eigenen Körper also völlig idiotisch gut zureden.
Wenn ich aufstehe, um ein Schälchen aus dem Schrank zu nehmen, spielt er sich auch als Herrscher über meine Beine auf. Ich schaukle eine ganze Zeit lang hin und her, aber es kommt keine Bewegung rein. »Links«, sage ich. »Zum Schrank. Nun mach schon!« Das haben sie mir in der Therapie so beigebracht. Man muss es einfach laut und deutlich sagen, das hilft einem. Links, rechts, links, rechts. Ich gebe einen guten Boris Karloff ab. Die Leute wissen natürlich nicht, dass ich mit E.T. rede, sie denken, ich würde mit mir selbst reden. Wie auch immer: Meistens funktioniert es. Halleluja, ich gehe. Links, rechts. Schranktür auf, Schälchen nehmen, zurück zum Tisch. Schälchen hinstellen. Nochmal, sagt E.T. Schälchen wieder hochheben. Zum Schrank. Absetzen. Das Ganze fünfmal wiederholen, und dann noch einmal. Zum Schluss verliere ich die Geduld. »Stell die Schüssel ab, du dumme Gans! Und lass sie stehen! Mach die Tür zu! Links, rechts!«
E.T. zieht sich murrend zurück. Ich habe gewonnen. Aus Rache sorgt er dafür, dass sich mein Kiefer verkrampft.
Manchmal verschwindet er kurz, aber nie lange. Er kommt zurück. Ich bemerke ihn, als ich abends mein schönes Oberteil ausziehen will und es dabei in Fetzen zerreiße. Ich will das nicht, aber ich kann nicht aufhören.
Manchmal, wenn ich mich im Bett umdrehe und zufällig meinen Arm berühre, spüre ich nichts, so als hätte jemand einen fremden Arm neben mich gelegt, den ich sinnloserweise immer wieder kneife. Und wem gehört das fremde, behaarte Bein? Es fühlt sich menschlich an, aber zu mir gehört es nicht.
Warum schmeiße ich dieses störende, mir unbekannte Ding nicht einfach aus dem Bett? Das geht nicht. Warum nicht? Weil ich selbst daran befestigt bin! Also muss ich auch danebenliegen! Neben mir liegt ein Arm, der nichts mehr von mir wissen will. Ich kann ihn unglaublich fest kneifen, aber ich merke davon nichts. Und dennoch: Wenn ich im Garten an einem Rosenbusch vorbeigehe, ist die Berührung eines Dorns unerträglich schmerzhaft. Ein kleiner Streich von E.T., der mir alles nach Lust und Laune weismachen kann. Ich würde mir gerne ein Bein brechen, wenn ich im Gegenzug nicht den Schikanen meines Hirns ausgesetzt wäre. Es ist unglaublich verstörend, im Kopf Angst zu haben und nicht zu verstehen, warum und wovor.
E.T. ist immer noch da. Der geht nie wieder weg. Er schläft viel; er wird auch älter, genauso wie ich. Manchmal wird er kurz wach und reckt und streckt sich stöhnend. Mittlerweile ist er ein Teil von mir geworden. Wahrscheinlich wird er mich überleben. Später, wenn ich tot bin und sie mich aufschneiden, finden sie einen bösartigen, schwarzen Klumpen hinter meinen Augen, der wild alles um sich herum annagt, bis er mich verspeist hat.