2015 stieg ich an einem Novembertag mit Berend und einer enthusiastischen Therapeutin vor unserem Haus aus dem Auto. Wir wollten zusammen überlegen, wo sich im Haus die besten Stellen für Haltegriffe befinden. Es war absehbar, dass mein Aufenthalt in der Rehaklinik bald zu Ende gehen würde.
Ein Ausflug, auf den sich Berend lange gefreut hatte: Endlich würde ich sehen, in welch tadellosem Zustand sich der Garten befand. Der Garten ist meine große Liebe, und Berend hatte zusammen mit unseren befreundeten Gärtnern viel Arbeit hineingesteckt.
»Da wären wir, Liebling!«, sagte Berend. Er parkte das Auto auf dem weißen Kies und öffnete mir schwungvoll die Autotür. War das mein Haus? Wohl kaum. Ich steige einfach mal aus. Da steht eine komische Hecke, und da wächst merkwürdiger Efeu an wahllosen Stellen an einem Haus empor, das ich nicht kenne. Der ganze Ort existiert gar nicht. Ich erkannte nichts wieder.
Aber wir wollen diesen feierlichen Tag doch nicht verderben? Ich sagte also nichts, ich verschwieg, dass ich den Efeu nicht kannte, den Eingangsbereich nicht, und auch die Küche nicht. Und weiter als bis zur Küche kam ich erst gar nicht.
Wir gehen mit der Therapeutin ins Haus. »Schön, oder?«, sagt Berend glücklich. »Gefällt es dir? Wir haben alles gut gepflegt.« Auf der Stelle verwandle ich meine Angst und den Schock in Begeisterung. Die Therapeutin lacht, auch sie ist zufrieden.
Ich setze mich in die Küche. Ich sitze weit oben auf einem Berg aus Möbeln und Fliesen. Auf diesem Berg steht mein Stuhl. Wie ich da hinaufgestiegen bin, weiß ich nicht, aber plötzlich sitze ich dort wie eine Fürstin und lasse meinen Blick über meine nichtexistente Domäne schweifen. Im Flur höre ich jemanden husten. Ich stehe neugierig auf und stürze sofort. Ich merke erst, dass ich gefallen bin, als ich auf dem Boden liege, so schnell ging das. Ich saß einfach auf einem normalen Küchenstuhl, erzählen sie mir später.
Ich falle, und es tut nicht mal weh. In Slow Motion sehe ich meinen Kopf zurückprallen, aber es ist nichts zurückgeprallt. Ich bin einfach nur gefallen. Es gab keinen Möbelberg und keine Steine in der Küche. Und das war gar nicht mein Haus.
Berend ist besorgt, weil ich gefallen bin, aber ich bleibe ruhig. Ich will niemandem Umstände machen, vor allem nicht jemandem, den ich liebe. Genau in solchen Momenten werde ich ganz ruhig. Ich finde die richtigen Worte. Ich bin Weltmeisterin im Beruhigen.
Alles gut. Ich habe keine Schmerzen. Ich habe auch wirklich keine Schmerzen, ich schäme mich nur sehr. Das ist doch ein großer Tag, der Tag, an dem man wieder kurz nach Hause darf! Dafür haben sie doch extra so hart gearbeitet und den Pflanzen so aufopferungsvoll Wasser gegeben und den Efeu geschnitten! Alle hatten sich auf den Moment gefreut, in dem ich das Ergebnis sehen würde. Ich glaube, ich würde den ganzen Tag verderben, wenn ich erzählen würde, dass ich das Haus nicht wiedererkannt habe, also halte ich meinen Mund.
Wir fahren zu dritt zurück zur Rehaklinik, wo ich mich aufs Bett lege. Die Weltmeisterin wird von allen Seiten begutachtet und abgetastet. Sie drücken an meinen Beinen herum. Wir alle glauben, dass nichts gebrochen ist.
Aber sie wollen lieber sichergehen. Es soll ein Röntgenbild von der Hüfte gemacht werden. Wir warten fast zwei Stunden lang auf den Krankenwagen, und es ist schon lange dunkel, als wir losfahren. Berend soll im Krankenwagen mit zum Antonius-Krankenhaus fahren, dort gebe es ein Röntgengerät, und dort könne man auch operieren, falls das nötig sein sollte. Na ja, vielleicht sei auch alles in Ordnung, dann könnte ich sofort wieder zurück. Man beratschlagte sich eifrig.
Im Dunkeln kam der Krankenwagen mit mir am Antonius an. Meine Hüfte war tatsächlich gebrochen, zeigte die Aufnahme, aber der Bruch schien nicht sehr kompliziert zu sein. Inzwischen war es spät geworden. Ich muss bleiben. Morgen werde ich operiert, morgen ist ein neuer Tag.
Jetzt liege ich in einem Bett im Antonius-Krankenhaus, und Berend sitzt im Taxi auf dem Weg nach Hause. Es ist weit nach Mitternacht, er kann nicht mehr geradeaus schauen.
»Heute Abend ist in Paris etwas Schreckliches passiert«, sagt der Taxifahrer zu Berend.
Mir stand im Krankenhaus eine lange Nacht bevor, also schaute ich einfach stumpf ein bisschen fern. Ich sah die Anschläge in Paris. Sirenen, Tragen, Panik. Bestimmt würde die Welt untergehen, bestimmt war ein Atomkrieg ausgebrochen. Die Welt fand in ihrem allerletzten Krieg ihr Ende. Ich konnte es sogar sehen, es kam in den Nachrichten. Ich verstand gar nichts mehr. Niemand kam in mein Zimmer. Ich dachte: Sie sind alle fort.
Noch nie in meinem Leben hatte ich eine solche Angst.