Nach meiner Hüftoperation hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Delir. Was hattest du?
Ein De-li-hir!
Ich war in meinem verwirrten Zustand unglücklich gefallen, und in meiner Hüfte befand sich ein Riss, und dieser Riss musste behoben werden. Die Operation haben sie ordentlich und tadellos im großen Antonius-Krankenhaus durchgeführt. Und danach hatte ich mich ungefragt in eine unausstehliche Delir-Patientin verwandelt.
Ich war anwesend, aber irgendwie auch nicht. Mit einem Fernseher über meinem Kopf, der lautstark davon berichtete, was sich in der Welt zutrug. Ich versuchte meinem Delirium zu entkommen, während sich in Paris die Maschinengewehre bei tausenden Wiederholungen der schrecklichen Anschläge entleerten.
Ich war schwer beschäftigt. Ich fauchte, ich setzte mich auf, gab fehlerlos und mit glasklarer Stimme Beleidigungen von mir, ich war bärenstark, viel stärker, als ich in dem Moment eigentlich war oder sein konnte, erzählte mir Berend später. Sie hatten ihn angerufen, damit er eine Nacht in einem Bett neben meinem verbrachte, weil ich andauernd wütend versuchte, aus dem Bett zu klettern, und die Krankenschwestern mich kaum in Schach halten konnten.
Nach dieser Nacht wollten sie mich im Krankenhaus behalten. Doch wenn man sich von einer Hirnblutung erholen soll, muss man in einer speziellen Rehaklinik sein. Berend hat so lange gebettelt und gepoltert, bis ich wieder zurück in meine Klinik durfte. Für die Hüfte könnten sie dort sicherlich auch gut sorgen, die würde schon wieder.
Mein Zimmer hatten sie extra frei gehalten, ich konnte also wieder in mein vertrautes Bett in dem Zimmer, das mittlerweile ein bisschen zu meinem Zimmer geworden war. Ein Krankenwagen brachte mich zurück.
Endlich konnte Berend nach Hause, um wirklich zu schlafen. Doch in meinem alten Zimmer in der Rehaklinik war ich anscheinend auch nicht umgänglicher. Berend musste versprechen, in meinem Zimmer zu schlafen, um mich ruhig zu halten. Sie waren schon dabei, ein Bett für ihn aufzustellen.
Er zog bei mir ein. Es war ziemlich anstrengend für ihn. Ich bin müde, sagte er zur Pflegerin, die ihn aufs Zimmer brachte, wo ich ihn schon zornig erwartete.
Ich weiß davon nichts mehr. Ich weiß zum Glück auch nicht mehr genau, was ich zu Berend gesagt habe, als er im Bett neben mir lag, das sich um ihn wand und ihn festhielt wie ein Monster aus Harry Potter. Aber ich muss ihn aufs Übelste beschimpft haben. Drei Tage lang. Ich sehe sein kreidebleiches Milchgesicht noch vor mir. Das schon, man vergisst leider nicht alles. Aber ziemlich viel. Am Ende waren wir beide so erschöpft, dass wir eine ganze Nacht lang in einen traumlosen Schlaf gesunken sind. Wir fielen in ein tiefes Loch, schliefen uns vollkommen leer, und dann war es vorbei.
Den Begriff »délire à deux« hatte ich schon mal irgendwo gehört. Aber romantisch war es ganz und gar nicht. Stattdessen war es äußerst unangenehm. Mein sanftmütiger Freund Yan kam völlig verschreckt nach Hause, nachdem er eine Stunde an meinem Bett gesessen hatte, und sagte zu Winnie: »Tja, Schatz, um die Stimme von Martine, da musst du dir wirklich keine Sorgen machen. Reden kann sie noch, klar und deutlich.« Und dann brach er erneut in Tränen aus.
Ich hatte meinem Freund, der auch nicht wusste, was ein Delir war, eine verletzende verbale Schimpftirade in korrektem und erfindungsreichem Niederländisch zuteilwerden lassen, und das war überhaupt nicht gut angekommen.
Wo nahm ich das alles her? Und warum sollte ich sowas machen? Ein freundlicher Pfleger hat meinen Freund schließlich zur Seite genommen und ihm ruhig und ausführlich erklärt, was ein Delir ist. Dieser Mann verdient einen Orden.
Ich hatte noch nie von einem Delir gehört, ich wusste nicht einmal von seiner Existenz. Ja, wenn man zu viel trinkt, dann ist man im Delirium. Dann sieht man rosa Elefanten oder sowas. Damit kenne ich mich nicht aus. Aber na ja, über Hirnblutungen wusste ich auch nichts, und trotzdem habe ich eine bekommen.
Soviel ich weiß, ist ein Delir etwas anderes als eine normale Halluzination, ein Angsttraum oder ein Wahn. Ich habe das mittlerweile alles schon mitgemacht, und das hier war etwas anderes. Auch unvergesslicher. Aber vielleicht gibt es auch verschiedene Delir-Stärken und -Stufen. Ich habe später im Internet etwas darüber gelesen. Das hätte ich auch besser bleibenlassen sollen.
Denn man fängt doch an, an sich selbst zu zweifeln. Was man gesagt hat, kommt einem, über welche Umwege auch immer, doch wieder zu Ohren. Und das ist dann besorgniserregend und lässt einen zweifeln, und man kann sich noch weniger ausstehen als sowieso schon. Wenn ich all das gesagt habe, dann habe ich mir auch all das ausgedacht. Aus welchem kochenden, brodelnden Giftkessel kommen solche Dinge zum Vorschein?
Ich weiß es nicht, und ich bin froh, dass ich es nicht weiß. Und ich will es auch gar nicht wissen. Yan will es auch nicht wissen. Berend kann sich noch an alles erinnern, aber er erzählt mir nichts. Ich rede mir ein, E.T. sei an allem schuld. So bringt mir E.T. wenigstens einen klitzekleinen Vorteil. Aber die Zweifel bleiben.
Glücklicherweise haben wir später alle zusammen bei mir im Zimmer ein humorvolles Gespräch darüber geführt, danach hatten wir das Ärgste (fast?) vollständig aus der Welt geschafft. Lachend wurde ich zitiert. Ich schämte mich in Grund und Boden. Schämen, das kann ich am allerbesten. Im Fach »Mich schämen« könnte ich promovieren.
Später bitte ich auch noch die halbe Belegschaft wegen meines Verhaltens und wegen allem, was ich gesagt habe, um Entschuldigung. Auch den Mann, der die Toiletten putzt. Auch die Nachtschwester, der ich fest in die Brust gekniffen habe, woraufhin sie mit der strengsten Stimme meines Vaters: Marrrrrtine! schnauzte. Das muss nämlich ganz schön schmerzhaft gewesen sein.
Nur der Nachtpfleger tut so, als sei er taub, als ich mich entschuldigen will. Dabei bin ich mir sicher, dass er in dem Zeitraum in meinem Zimmer war. »Nee, ich habe nichts mitbekommen. Was haben Sie denn gesagt?«
Dann muss es wohl unaussprechlich gewesen sein.
Ich würde ihn am liebsten in den Boden stampfen. Ich will, dass er sagt, dass es ihm nichts macht, dass er nicht sauer ist. So macht er alles nur noch schlimmer.
Während meines Aufenthalts wird kaum noch darüber geredet. Nur Yan und Berend haben es aus allernächster Nähe mitbekommen, und zwischendurch ein Teil des Pflegepersonals, der das Pech hatte, in meiner Nähe zu sein.
Bis auf den Nachtpfleger nimmt jeder großzügig meine Entschuldigung an.