Kapitel 2

Hamburg, Harvestehude

Tom gab alles, wie Adrienne ihm zugestehen musste. Er bearbeitete sie mit aller Inbrunst, als wäre es das letzte Mal in seinem Leben. Es war aber auch nicht ganz fair, sie tat auch alles, um ihn um den Verstand zu bringen; sie schlang ihre langen Beine mit dem Rosentattoo am linken Knöchel um seine Hüften und stöhnte ihm laut ins Ohr, dass er härter zustoßen sollte. Dass sie hinter seinem Rücken beide Stinkefinger gen Rauchmelder hochhielt, konnte er nicht sehen.

Als er endlich kam und sich stöhnend von ihr wälzte, beeilte sich Adrienne, sich so zur Seite zu drehen, dass die versteckte Kamera im Rauchmelder nicht ihr feuchtes Dreieck filmte. Tom fickte tatsächlich überdurchschnittlich gut, und heute hatte er sich enorm ins Zeug gelegt. Wenn nur ihr nicht wärt. Sie blickte ein letztes Mal hoch zum Rauchmelder, als Tom sagte: »Gott, war das gut!«

»Mega.« Adrienne lächelte ihm zu.

Er hauchte ihr einen Luftkuss herüber, bevor er nach seinem Handy kramte, das zwischen die Sofakissen gerutscht war. Nach einem kurzen Blick aufs Display seufzte er. »Schon wieder so spät. Ich muss.«

Adrienne fuhr ihm mit dem Zeigefinger durchs blonde Brusthaar. »Kannst du nicht mal länger Mittagspause machen? Es ist Freitag!«

»Keine Chance. Sei lieber froh, dass ich momentan im Homeoffice arbeite. Mein Büro hat Glaswände.«

Und dein Rauchmelder Augen. »Aber kannst du dich nicht einfach mal mit einem Laptop hier aufs Sofa knallen? Muss es immer dieser Bunker sein?« Sie rutschte näher an ihn ran. »Ich habe heute nichts mehr vor, bevor ich morgen früh zu meinen Eltern fahre. Ich könnte über Nacht bleiben. Ein Abendessen kochen. Danach könnten wir in den Whirlpool steigen. Das wäre doch was, oder?« Sie biss ihm zärtlich ins Ohrläppchen.

»Oh ja, das wäre was, aber du weißt doch …«

»Jaja, die Arbeit geht vor.« Adrienne sank zurück auf den Rücken. »Ich versteh es einfach nicht. Warum musst du bei jedem Meeting dabei sein?«

»Bin ich doch gar nicht! Nur bei den wichtigen.« Tom lächelte, stand auf und begann sich anzuziehen.

Die Diskussion war vom Tisch. Tom Schneider, Inhaber und CEO bei der Cyber-Security-Firma OctaveCloud, war wirklich eine harte Nuss. Irgendwie befürchtete Adrienne, sich an ihm noch die Zähne auszubeißen.

Nachdem sie sich angezogen hatte, brachte er sie wie gewohnt zur Haustür. Das lag aber weniger daran, dass er ein Gentleman war, sondern dass er niemanden im Haus haben wollte, wenn er sich in sein Studio zurückzog. Das Studio war ihren Berechnungen nach ein schalldichter, dreißig Quadratmeter großer quadratischer Raum im Herzen der Villa. Dort betrieb Tom sein Tonstudio. In seiner Freizeit trat er als Techno-DJ unter dem Künstlernamen Claus Mezcla auf. Der Nachname bedeutete die Mischung auf Spanisch, was allemal besser klang als sein bürgerlicher Name Schneider. Außerdem passte das zu seinen lateinamerikanisch angehauchten Tracks mit den treibenden Beats, die sogar ab und an im Radio liefen. Aber um seine Karriere als DJ ging es nicht. Das Studio war noch viel mehr: Es war ein völlig autarker Panikraum, in dem Tom Wochen verbringen konnte. Adrienne und ihr Team vermuteten, dass er von dort aus noch einem anderen, weniger gesetzeskonformen Hobby nachging: dem Hacken.

Als studierter Informatiker mit Schwerpunkt Cyber-Security und seiner Firma als Background stand Tom Schneider schon lange auf der Beobachtungsliste des BND. Wenn er gewusst hätte, dass er dreimal pro Woche eine Mitarbeiterin des Geheimdienstes vögelte, wäre ihm vermutlich der Spaß vergangen.

Adrienne winkte Tom noch einmal lächelnd zu, bevor sie in ihren schwarzen Mini mit den sportlichen Alufelgen stieg. Das Tor schloss sich hinter ihr.

Drei Straßen weiter fuhr sie auf einen Supermarktparkplatz und hielt neben einem weißen und einem blauen Sprinter. Sie zündete sich noch eine Zigarette an, bevor sie ausstieg, dann schob sie die Schiebetür des blauen auf.

Schweißsaure Luft schlug ihr entgegen, was kein Wunder war, wenn sich zwei Männer stundenlang mit Abhörtechnik auf so engem Raum aufhielten. Glücklicherweise hatte es noch nie nach etwas anderem gerochen.

Schnell stieg sie zu den beiden in den fensterlosen Laderaum des Kleintransporters. Er wurde von Dutzenden grünen, blauen, roten, weißen und gelben Anzeigeleuchten diverser Überwachungsinstrumente in diffuses Licht getaucht, dominiert von sechs bläulichen Flatscreens. Auf zweien lief eine Aufnahme- und Transkriptionssoftware der auditiven Wanzen, auf den anderen vier die Übertragung der vier Kameras, die Adrienne in Toms Villa verbaut hatte, wenn er mal länger auf dem Klo gesessen hatte. Ihr Blick blieb auf der Übertragung des Wohnzimmersofas hängen.

»Nette Nummer!« Olli, der zuständig für die Technik war, grinste ihr von seinem Drehstuhl entgegen. Er trug wie immer Jeans, Sandalen und ein weißes T-Shirt, das über seinem Bauch spannte. »Vielleicht könntet ihr das nächste Mal die Positionen wechseln. Reverse Cowgirl oder Doggy wären was.«

Adrienne zeigte ihm den Stinkefinger.

Er lachte hinter seiner Brille. »Was Besseres fällt dir nicht ein? Den hatten wir heute schon zur Genüge …«

»Oliver!« Dominiks leise Stimme, die in dieser Tonlage umso wirkungsvoller war.

Olivers Lächeln verschwand. »Ja, Chef, ich bin schon ruhig.«

»Das mein ich auch.« Adrienne sank auf einen dritten Drehstuhl. Dass das alles in den Sprinter passte, überraschte sie jedes Mal. »Oder wir setzen dich mal auf eine Frau an. Auf so eine sechzigjährige Matriarchin, die nicht mehr grinsen kann, weil ihr Gesicht so stark geliftet ist. Dann schauen wir mal, wie du unter unserer Beobachtung performst.« Sie zog an ihrer Kippe und blies ihm den Rauch ins Gesicht.

Ihr Chef konnte nur den Kopf schütteln. »Keinem hier gefällt die Situation, Adrienne.« Der Blick seiner dunklen Augen ließ sie erschaudern. Sein Dreitagebart und das ebenso kurz geschorene Haar konnten die silbrigen Narben an Kiefer und Hinterkopf nicht verbergen, die er bei einem Unfall davongetragen hatte. »So gut du aussiehst, wäre es mir trotzdem lieber, nicht seit Wochen einer Kollegin beim Sex zusehen zu müssen. Aber wir brauchen etwas Konkretes gegen Schneider, sonst kommen wir nicht weiter.«

»Ja, dann nehmen wir doch endlich die Toilet-Cam!«, warf Oliver ein.

Ihr Chef schüttelte den Kopf. »Zu riskant. Wir könnten zu schnell auffliegen.« Die Toilet-Cam entsprang Olivers verquerer Denkweise; er wollte eine Schlauchkamera über das Abwassersystem in Toms Studio schieben. Eine schwarze Schlange, die sich aus der Schüssel erhob wie eine Kobra. Laut den Plänen beim Bauamt gab es im Schutzraum einen separaten Wasser- und Abwasseranschluss. Sie wussten außerdem, dass das Studio auch über eine eigene Stromversorgung mit Notstromaggregaten, ein eigenes Lüftungssystem mit Filteranlage und einen abgeschirmten Glasfaseranschluss verfügte, der nicht angezapft werden konnte. Das Studio glich einem Atombunker, was hieß, dass Schneider entweder paranoid war oder etwas verheimlichte.

»Also weiter im Programm wie bisher?« Adrienne trommelte mit den Fingernägeln auf den Oberschenkel und schnippte Asche auf den Boden.

»Bessere Idee?«

»Nein, aber ich glaube, so wird das nichts. Ich habe noch keinen so konsequenten Mann erlebt.«

»Was nur bestätigt, dass er es ist!« Oliver rieb sich über das feiste Gesicht. »Der hat was zu verbergen, das sag ich euch. Er ist unser Mann.« Sie fahndeten seit Monaten nach einer Person, die sich im Netz unter dem Pseudonym deejayy einen Namen als Hacker gemacht hatte.

Ihr Chef musterte einen langen Moment die vier Monitore. Auf keinem war Schneider zu sehen.

Oliver seufzte. »Sollen wir wirklich warten, bis er was angestellt hat? Seine Firma hat weltweit Kunden, besonders im Bankensektor. Einhundertdreiundsiebzig Millionen Euro Umsatz hat OctaveCloud letztes Jahr gemacht, und das Wachstum im ersten Halbjahr betrug dreiundvierzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr! Dreiundvierzig Prozent , Dominik! Mittlerweile hängt die Frankfurter Börse an seiner Cloud. Lass den mal ein bisschen Börsenkurse manipulieren. Hier ein Prozent, da zwei. Weißt du, was dann abgeht?«

»Ich kann’s mir vorstellen«, sagte Dominik düster, »aber es ist, wie es ist. Kein unnötiges Risiko. Keine Draufgänger-Aktionen. Ich schlag vor, dass wir erst mal Feierabend machen, und am Montag geht’s weiter wie bisher. Sorry, Adrienne.«

»Schon gut.« Sie zog ein letztes Mal an der Kippe, ließ den Stummel fallen und drückte ihn mit dem Absatz aus: »Ich mein, es gibt schlimmere Jobs, als sich passabel flachlegen zu lassen. Ich möchte nicht den ganzen Tag hier in dem stickigen Kabuff rumhängen, mit Druck auf der Amplitude.«

Ein seltenes Lächeln huschte über Dominiks Gesicht. »Glaubst du, dass wir so viel Druck haben?«

»Na, du vielleicht nicht.« Sie hatte bei einem Anruf einmal mitbekommen, dass er leise »Ich liebe dich« ins Handy geflüstert hatte. »Aber der hier schon.«

»Hey!«, empörte sich Oliver. »Du hast doch keine Ahnung, was bei mir abgeht.«

»Wahrscheinlich nicht viel.« Adrienne bleckte die Zunge und verließ die Kommandozentrale. Oliver zeigte ihr dabei beide Stinkefinger.


Es war mittlerweile Abend geworden, als Dominik Strelow endlich in Berlin ankam. Unweit ihrer Wohnung in der Kufsteiner Straße fand er einen Parkplatz für ihren Passat Kombi. Er holte seine Reisetasche von der Rückbank und packte seine Dienstwaffe samt Lederholster hinein. Mit seinem Hab und Gut über der Schulter schlenderte er an den altehrwürdigen Häusern vorbei. Schöneberg gefiel ihm, mit den von Bäumen gesäumten Straßen und den Häusern aus der Gründerzeit. Berlin war nicht nur Kottbusser Tor und Ku’damm. Berlin war so facettenreich, dass mit dem Bayerischen Platz drei Straßen weiter fast Heimatgefühle aufkamen, aber nur fast. München vermisste Dominik nicht. In München war er gestorben.

Dominik, der mit richtigem Namen Daniel Erichsen hieß, erreichte die Hausnummer sechs. Im Wohnzimmer der Erdgeschosswohnung brannte honiggelbes Licht. Im Kinderzimmer schimmerte es rötlich vom Steckdosenlicht. Es hatte die Form einer Erdbeere mit großen Kulleraugen.

Danny lächelte, ließ die Woche hinter sich auf der Straße und kam heim.

Rike eilte ihm aus dem Wohnzimmer entgegen. Auch sie lächelte. »Da ist ja mein Agent.« Sie streckte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. »Hab die Kleine eben ins Bett gebracht.«

»So spät?«

»Sie wollte mal wieder kein Auge zutun. Die hat gewusst, dass du kommst.« Rikes Lächeln war eine Spur zu matt.

Danny stellte seine Tasche auf den Boden. »Ich hoff auch, dass der Einsatz bald vorbei ist. Das Pendeln nervt.«

»Geht’s voran?«

»Kaum. Aber du weißt ja: Es kann jederzeit Schlag auf Schlag gehen.«

»Lieber nicht.« Rike drückte sich nochmals an ihn, dann lief sie weiter in die Küche. »Hast du schon gegessen?«

»Nur ’nen Cappuccino an ’ner Raststätte.«

»Dann freu dich auf Zucchini-Kartoffel-Gratin. Ist von gestern noch übrig. Soll ich’s dir warm machen?«

»Nein, danke. Mach ich selbst. Ich schau erst nach der Kleinen.«

»Mach das, aber sei bitte leise. Ich bin echt froh, dass sie endlich schläft. Die Woche war hart.«

Danny folgte Rike in die Küche. Aus dem Kühlschrank nahm er sich wie jeden Freitag ein Feierabendbier. »Gab’s Probleme?«

»Ach … die Klinik hat angerufen.«

»Schon wieder?«

»Ja, die wollen unbedingt, dass ich sofort anfange und die Elternzeit verkürze. Die brauchen unbedingt Personal, aber mehr zahlen wollen sie nicht.«

»Ich hoffe, du hast Nein gesagt.«

»Natürlich! Wie stellen die sich das vor? Wie soll ich als Krankenschwester im Schichtdienst arbeiten, wenn du unter der Woche nicht hier bist? Egal. Und dann war Leonie echt anstrengend, aber ich glaub, da kommt bald der erste Zahn.«

»Mit fünf Monaten?«

»Wäre früh, aber wer weiß das schon. Wenn sie nach dir kommt, dürfte es bald so weit sein.« Rike schmunzelte, und Danny trank von seinem Bier. Es folgte ein minutenlanges Schweigen, wie jeden Freitag. Es war immer seltsam, nach fünf Tagen als Dominik Strelow ins normale Leben als Danny Erichsen zurückzukehren. Ganz verstand er den Sinn der Decknamen auch nicht, zumindest nicht abseits eines Einsatzes. Dass Adrienne bei Tom Schneider einen Decknamen nutzte, war ja sinnvoll, aber sonst? Es war wieder so eine sinnfreie Richtlinie seines neuen Arbeitgebers, über die er sich vortrefflich hätte streiten können, aber dafür fehlte ihm die Kraft. Er hatte so schon genug Probleme.

Manchmal fühlte er sich wie ein Fremder, wenn er nach Hause kam. Dazu kam, dass er über seinen neuen Job beim Bundesnachrichtendienst nur ganz rudimentär berichten durfte, und das störte ihn immens. Als Polizist hatte er Rike auch keine Details verraten dürfen, aber sie hatte zumindest gewusst, was er tat. Von seinem neuen Job hatte Rike seiner Meinung nach eine ganz falsche Vorstellung und keine Ahnung, dass er – wenn auch unfreiwillig – Adrienne beim Ficken zusah. Dass er Rike in solchen Angelegenheiten belügen musste, schmerzte ihn zutiefst, aber den Wechsel zum BND bereute er nicht. Er hätte nicht in seinem alten Job bleiben können, nicht nach den Ereignissen in München.

Er trank nochmals einen großen Schluck, bevor er das Bier auf den Tisch stellte. »Ich geh mal zu Leonie.«

Vorher steckte er sein Handy im Wohnzimmer ans Ladekabel, verstaute im Schlafzimmer seine Dienstwaffe im Waffenschrank, zog sich frische Klamotten an und suchte die Toilette auf. Im Kinderzimmer stand er schließlich lange im Erdbeerlichtschein vor dem Bettchen und betrachtete seine fünf Monate alte Tochter. Sie war so schön. So unschuldig. Sie schlief, einen winzigen Daumen zwischen die Lippen gesteckt.

Ganz vorsichtig hob Danny Leonie aus dem Bettchen und trug sie zum Sofa, das gerade breit genug war, dass er mit seinen ein Meter fünfundneunzig Platz darauf fand. Er legte sich hin und platzierte sie auf seinem Bauch. Sie seufzte, wachte aber nicht auf. Danny strich ihr über das Köpfchen und ließ seine Hand zuletzt auf ihrem Rücken ruhen. Er spürte ihre Atemzüge und genoss den Moment. Stille Tränen krochen ihm dabei über die Wangen und hinterließen dunkle Flecken auf dem Sofa. Beinahe hätte er dieses Wunder nicht erlebt. Beinahe …

Vor seinem inneren Auge blitzte es grellweiß, und für einen kurzen Moment blinzelte er ins Scheinwerferlicht eines Krankenwagens. Eine Frau in neonorangefarbener Jacke beugte sich über ihn. »Mein Gott! Er wacht auf! Hören Sie mich?«

Er wollte etwas sagen, aber sein Kopf fühlte sich an wie eine Melone, über die ein Vierzigtonner gerauscht war.

»Er dämmert wieder weg!«, rief die Ärztin.

»Aber sein Kreislauf ist stabil.« Stabil, stabil, stabil …

Dreiundvierzig Minuten hatten sie ihn reanimiert, wie er hinterher erfahren hatte. Durchgehend Herzdruckmassage, Beatmung und zigmalige Anwendung des Defibrillators, weil sein Herz mehrfach ins Kammerflimmern übergegangen war. Ihm hatte drei Wochen lang der Brustkorb geschmerzt, als hätte ein Bär ihn umarmt, wobei das das kleinste Übel gewesen war. Die sieben Operationen waren heftiger gewesen. Kiefer richten, Wangenknochen begradigen, Schlüsselbein verschrauben, Handgelenksbruch zusammenflicken plus die Schädelfrakturen. Dass er überhaupt noch lebte, war das noch größere Wunder. Danny hatte nie an Gott geglaubt, aber seit er diesen Wahnsinnssprung aus dem sechsten Stock des Bayerischen Hofs überlebt hatte, fragte er sich oft, ob da nicht doch eine höhere Macht die Finger im Spiel hatte. Irgendjemand musste doch herausfinden, was damals geschehen war. Dieses Lied …

Danny konnte es immer noch in seinem Kopf hören, wenn er die Augen schloss, und dann sah er Jenny, wie sie sich die Pistole in den Mund schob, sah Schneider auf dem Fenstersims und den anderen Kerl, der sich mit seiner Krawatte erdrosselte. Alle Anwesenden jener Besprechung hatten Selbstmord begangen, nur Danny hatte überlebt. Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl war.

Er hörte im Wohnzimmer ein helles Ping! , kurz darauf ein zweites Mal, und dann klingelte auch schon sein Handy. Bevor Leonie aufwachte, nahm glücklicherweise Rike den Anruf entgegen. Ihre Stimme murmelte durch die Wand hindurch, dann näherten sich Schritte dem Kinderzimmer. »Moment bitte.« Die Tür ging auf, Rikes Kopf erschien im hellen Licht des Flurs. »Deine Arbeit«, flüsterte sie. Sie sah irritiert aus.

Danny seufzte und erhob sich vorsichtig. Er legte Leonie zurück in ihr Bettchen, bevor er sein Handy entgegennahm. Ihm fiel eine seltsame Zeitanzeige oben mittig neben der Akkuanzeige auf, vermutlich ein Update, das bald installiert wurde, dann war er im Flur und sagte leise: »Sie wissen schon, dass es Freitagabend ist?«

»Ich habe keine Zeit für Befindlichkeiten, Erichsen«, antwortete sein Chef Klingenberg. »Schalten Sie den Fernseher ein! Sofort!« Die Aufregung in Klingenbergs Stimme irritierte Danny. Normalerweise war sein Chef die Ruhe in Person.

Er lief zum Fernseher im Wohnzimmer. »Welches Programm?«

»Egal. Es kommt überall.«

Danny beschlich ein ungutes Gefühl. Er schnappte sich die Fernbedienung und knipste die Kiste an. Es kam wirklich überall live, und was er sah, wollte er nicht glauben. Rike auch nicht. Sie stand mit offenem Mund neben ihm, starrte abwechselnd auf den Bildschirm und ihr Handy auf dem Sofa, und suchte seine Hand.

Irgendwann wurde sich Danny wieder der leisen Stimme seines Chefs bewusst. »Erichsen? Hören Sie mich noch? ERICHSEN!«

Er hob das Telefon wieder ans Ohr, immer noch gebannt von dem, was er auf dem Bildschirm sah. Seine Stimme zitterte. »Ja, ich bin noch dran.«

»Haben Sie schon gegessen?«

»Wie bitte? Wieso Essen? Haben Sie …«

»Essen Sie was, Erichsen, und dann packen Sie Ihre Sachen. Jemand holt Sie in dreißig Minuten ab. Bayerischer Platz. Halten Sie sich bereit.« Und damit legte Klingenberg auf.

Danny hielt sich bereit. Pünktlich, mit Reisetasche, Dienstwaffe und Zucchini-Kartoffel-Gratin im Magen wartete er am Bayerischen Platz auf seine Abholung und war dann doch überrascht, dass kein Wagen kam, sondern ein schwarzer Helikopter mit knatternden Rotoren direkt auf der Grünfläche vor ihm landete.