Hannah
Die Farm war wie ein Fels im unablässig strömenden Meer der Zeit. Ein Bollwerk gegen den Fortschritt, eine Bastion der unbeugsamen Selbstversorger. Die Shetlers bauten Gemüse, Kartoffeln, Getreide, Mais und Obst an, mahlten ihr eigenes Mehl, backten ihr eigenes Brot und machten sogar ihre Nudeln selbst – und das alles ohne Maschinen. Fleisch aßen sie anscheinend nur, wenn sie eines ihrer frei laufenden Hühner schlachteten und ihre Beete und Felder gossen sie mit Wasser, das sie aus ihrem eigenen Brunnen pumpten – obwohl sie ans Trink- und Abwassernetz angeschlossen waren, was sozusagen ihr einziges Bindeglied zum Rest der modernen Welt war. Ein Bindeglied, über das ich sehr froh war, denn dadurch gab es Wasserhähne, Klos mit Spülung und eine Dusche. Sie hatte zwar keine Wasserfallfunktion wie die der Giddeys, aber das Wasser kam mit Druck aus der Leitung und ließ sich exakt temperieren.
Ich genoss es, mir den Schweiß von der Haut zu waschen, und war auch froh, dass ich nicht gleich wieder in meine Klamotten schlüpfen musste, die Susanna ebenfalls waschen wollte. Im Vergleich zu Hardcore-Amischen fanden sich die Shetlers wohl ziemlich freigeistig, unter anderem wegen ihrer kurzen Ärmel und vielleicht auch, weil sie im Bad einen Spiegel hängen hatten. Hannah Teenwolf Pöltl hingegen hätte an langen Ärmeln und einer spiegellosen Wand nichts auszusetzen gehabt. Ich fand, dass ich in dem weit geschnittenen, aber kurzärmeligen Kleid, das Susanna mir bereitgelegt hatte, wie der verkleidete Wolf bei Rotkäppchen aussah. Fehlte nur noch die Schnauze.
Ich zupfte an Susannas BH herum, der mir eindeutig zu groß war, und zog die Pflaster ab, die nicht schon unter der Dusche abgegangen waren. Es tat ziemlich weh, was natürlich an den Heerscharen von Härchen lag. Auf neue Pflaster verzichtete ich, da meine Tage im Dreck ja nun vorbei waren und die Wunde auf meiner Backe zum Glück nicht soo schlimm und damit auch nicht nach Narbe aussah.
Da Caleb und Susanna sich anscheinend eine große Familie wünschten, gab es genügend Räume, in denen im Augenblick noch niemand schlief, weshalb Jarrett und ich eigene Zimmer bekamen. Meines sah noch gar nicht nach Kinderzimmer aus. An den Wänden hingen keine Bilder und die einzigen Möbel waren ein Schrank, ein Regal und das Bett, das zum Glück Erwachsenenlänge hatte. Ich dachte daran, dass das Kind, das hier einmal schlafen würde, vielleicht niemals eine Brille aufsetzen und ins Metaverse eintauchen würde, denn die Shetlers lebten ja ein Leben ohne Elektrizität und Technik.
Dann nickte ich ein, denn Mittags- oder Nachmittagsschläfe waren ein fester Bestandteil meines komplett durcheinandergeratenen Schlafrhythmus geworden. Und in einem richtigen Bett mit richtigem Kissen schlief es sich so viel besser und bequemer als auf der Bank eines Arbeitscontainers oder auf dem Boden eines verrammelten Zimmers.
Wahrscheinlich wachte ich auf, weil ich aufs Klo musste. Der Sonne nach zu schließen, war es später Nachmittag. Ich tapste ins Bad, schloss die Tür und genoss die Vorzüge einer Toilette. Anschließend schaute ich ein weiteres Mal in den Spiegel und vielleicht war es nur der Gewöhnungseffekt, aber ich kam mir nicht mehr ganz so verkleidet vor. Susanna war nur unwesentlich kleiner als ich, weshalb mir ihr Kleid an sich durchaus passte. Aber es war eben immer noch ein Kleid und ich hatte seit der Grundschule keines mehr getragen.
Ich strich den Stoff glatt, drehte den Schlüssel herum und trat auf den Flur. In einem der Türrahmen stand ein Junge, der Stoffhose, Hemd und Hosenträger trug und Jarretts Kopf aufhatte. Einen Moment lang fragte ich mich, wie das sein konnte, aber dann schnallte ich endlich, dass auch Jarrett neu ausstaffiert worden war.
Verschlafen rieb er sich die Augen, doch dann starrte er mich an und während ich ihn schon oft angestarrt hatte, war es andersherum wahrscheinlich das erste Mal. Ehrensache, dass ich rot und schrecklich verlegen wurde. Am liebsten wäre ich schnell in mein Zimmer gehuscht, aber das wäre a) unhöflich gewesen und b) konnte ich Jarretts unausweichlichen Kommentar so wenigstens gleich hinter mich bringen. Ich würde dieses Kleid schließlich noch eine Weile tragen müssen.
Aber es kam kein Kommentar, stattdessen forderte er mich zu einem auf. »Na los, sag es schon.«
»Was?«, sagte ich und grinste ein bisschen. Wenn ich wie der Wolf aus dem Märchen aussah, dann war er Tom Sawyer. Oder Huckleberry Finn, keine Ahnung, wer da wer war. Jedenfalls sah er nach neunzehntem Jahrhundert und nicht nach Jarrett aus.
»Ist nicht gerade mein Stil, oder?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Aber dir steht dein Kleid. Du würdest eine gute Amische abgeben.«
Mit dem zweiten Teil veräppelte er mich. Und mit dem ersten natürlich auch. Oder etwa nicht? Er verzog keine Miene, weshalb ich zu hoffen wagte, dass sein Kompliment ernst gemeint war. Aber das war natürlich lächerlich und deshalb verdrehte ich die Augen, sagte viel zu schnippisch »Klar« und ging die Treppe hinunter.
Ich traf die komplette Familie in der Küche an, die wahrscheinlich noch nicht einmal vor hundert Jahren modern gewirkt hätte, vom fehlenden Strom mal ganz abgesehen.
»Hannah. Du siehst hübsch aus«, sagte Susanna und sofort veränderten sich Temperatur und Farbe meines Gesichts. Komplimente, die das Wort hübsch beinhalteten, hörte ich sonst nur von meiner Mutter. Und Komplimente von Müttern waren wahrscheinlich die subjektivsten und unaufrichtigsten überhaupt. Susanna war zwar auch eine Mutter, aber nicht meine und deshalb musste sie mir nicht sagen, dass ich hübsch aussah. Na ja, wahrscheinlich wollte sie einfach nur höflich sein.
Kurz darauf kam Jarrett herunter. Caleb musterte ihn in seinem Aufzug und nickte, was wohl eine Art Männerkompliment war, dann rührte er wieder in einem großen Topf, der auf einem gasbetriebenen Herd stand. Die Shetlers kochten Marmelade ein. Das heißt, Caleb rührte im Topf, Susanna spülte Einmachgläser und Noah und Mary saßen auf dem Fußboden und schoben sich übrig gebliebene, matschige Himbeeren in die Münder. Ihre Finger und Marys babyspeckige Backen waren schon ganz rot.
Susanna erzählte, dass sie unsere Kleidung gewaschen habe und zeigte durchs Fenster auf die zwischen zwei Apfelbäumen gespannte Wäscheleine. Ganz links hingen unsere Sneakerssocken, dann kamen unsere Jeans, ein fliegenpapiergelbes und ein weißes T-Shirt, dunkelblaue Boxershorts, ein schwarzer BH und ein schwarzer Slip, dessen weiße Pünktchen aus der Ferne nicht zu erkennen waren. Jetzt kannte Jarrett also sogar meine Unterwäsche.
»Was hoscht du daa?« Noah war vom Dielenboden aufgestanden und zeigte auf meine Smartwatch. Er hatte sie wohl erst jetzt, da meine Arme nicht mehr bepflastert waren, bemerkt.
»Eine Uhr. Für die Zeit. Und zum Telefonieren und so. Aber sie geht nicht mehr richtig.«
»Was schteht da gschriwwe?« Noah drückte die Nase fast an meinem Display platt.
»Na ja, da …« Fragend sah ich zu seinen Eltern, denen ich die apokalyptischen Sätze schon an der Haustür gezeigt hatte. Caleb hörte auf zu rühren, Susanna nickte. Ich verstand das als Signal, dass ich die beiden Sätze übersetzen durfte.
»Also da steht: ›Mit Gott sind alle Dinge möglich. Mit Gott gibt es keinen Grund für Technik.‹«
»Iss der zwett Schpruch aa vun der Biewel, Daedd?«
»Nee, Noah«, sagte Caleb und widmete sich wieder der kochenden Marmelade im Topf.
Doch ich konnte nicht an mich halten. »Heißt das, der erste Satz stammt aus der Bibel? Ich dachte, das ist Ohios Staatsmotto«, sagte ich an Jarrett und die erwachsenen Shetlers gewandt.
»Es ist Ohios Staatsmotto«, bestätigte Susanna und reihte die frisch gespülten Einmachgläser nebeneinander auf. »Aber das Motto beruht auf einem Bibelvers. Matthäusevangelium, Kapitel 19, Vers 26.«
»Emtee Punkt Neunzehn Komma Sechsundzwanzig!«, stieß ich aus. »Das also bedeutet der Nachsatz in der Klammer!«
»Ja!« Jarrett beugte sich über meine Smartwatch. Unsere Arme berührten sich, doch ich bemerkte es kaum, denn aufgeregt las ich zum wahrscheinlich vierhundertsechsundzwanzigsten Mal, was auf dem Display stand. Aber zum ersten Mal wusste ich, was es mit dem in Klammern gesetzten Mt. 19,26 auf sich hatte.
Doch so schnell meine Aufregung gekommen war, so schnell legte sie sich auch wieder. Okay, der erste der beiden Sätze war also nicht nur Ohios Staatsmotto, sondern auch ein Bibelvers, aber änderte das irgendetwas? Wenn ja, dann begriff ich es nicht. Und Jarrett offenbar auch nicht.
Caleb war damit beschäftigt, die eingekochte Marmelade in die leeren Gläser zu schütten, Susanna schraubte Deckel darauf und drehte sie um. Als sie fertig waren, machte sich Mrs Shetler ans Putzen und Mr Shetler scheuchte die Kinder neckisch aus der Küche.
»Kommt ihr mit nach draußen?«, wandte er sich an Jarrett und mich. »Wenn ihr wollt, führe ich euch ein wenig herum.«
Eigentlich wollte ich nicht, aber meine Eltern hatten mich an und für sich gut erzogen und Jarrett sich selbst offensichtlich auch, also nickten wir und folgten Caleb. Im Hausflur setzte er Mary, Noah und sich selbst Strohhüte auf und reichte auch Jarrett und mir welche. Sie hatten alle dunkelblaue Hutbänder, genau wie der, der einsam auf dem Regal zurückblieb. Wahrscheinlich war es Susannas, aber gehörten die Hüte, die Jarrett und ich trugen, auch jemandem?
Ich schlüpfte ausnahmsweise mit nackten Füßen in meine Sneakers. Jarrett trug Socken, aus Rücksicht auf seine frisch verbundene und mit Salbe betupfte Wunde am Fuß. Caleb, der barfuß ging, hielt uns die Haustür auf. Ich trat hindurch und schaute von dem Strohhut in meiner Hand auf das lindgrün gestrichene Wohnhaus gegenüber. Und dann fragte ich.
»Wohnt hier eigentlich noch jemand?«
»Seit meine Eltern gestorben sind, nicht mehr«, antwortete Caleb. »Sie haben diese Siedlung gegründet, weil sie sich auf Anhieb in die Landschaft und die Hügel verliebt hatten. Wisst ihr, jetzt, da ich selbst Vater bin, verstehe ich sie noch besser als früher. Zum Aufwachsen gibt es keinen schöneren Ort als diesen.« Er schluckte. »Ich hätte mir nur gewünscht, dass meine Eltern auch ihre Enkel hier aufwachsen sehen.«
Ich nickte ein bisschen, dann beobachtete ich, wie Noah und Mary einem Schmetterling hinterherjagten. Auch Caleb sah ihnen zu und lächelte dabei. Doch dann wurden seine Züge auf einmal hart.
»Meine Eltern sind am selben Tag gestorben, an dem Noah geboren wurde. Er kam einige Wochen zu früh und als Susanna entband, waren sie gerade auf einem Amischtreffen. Noah war klein bei der Geburt, aber er war gesund und Susanna und ich waren so glücklich, dass ich meinen Eltern Bescheid gab und sie sich sofort auf den Rückweg machten.« Caleb trat auf die Scheune zu und zog das Tor auf. »Seht ihr die Kutsche? Natürlich seht ihr sie. Sie ist nicht zu übersehen, jedenfalls nicht für Menschen. Doch das selbstfahrende Auto, das meine Eltern überfuhr, registrierte sie nicht.« Caleb verengte die Augen zu Schlitzen. »Daraufhin wurden alle Autos dieses Modells zurückgerufen und erhielten ein Softwareupdate. Die Programmierer hatten nicht an Kutschen gedacht. Und ich … ich erhielt einen Batzen Geld. Schadensersatz.« Caleb lachte bitter. »Doch wer mit Gott lebt, braucht kein Geld. Ich hätte meine Eltern gebraucht. Und meine Kinder ihre Großeltern.«
Wir standen am Scheunentor und schwiegen. Ich hatte noch Großeltern. Einen Opa und eine Oma, aber wir standen uns irgendwie nicht mehr so nahe wie noch vor einigen Jahren. Wahrscheinlich war das normal, wenn man älter wurde. Aber früher war ich gerne bei meinen Großeltern gewesen und hatte gerne Zeit mit ihnen verbracht. Und deshalb konnte ich Caleb ganz gut verstehen. Es war schade für Noah und Mary, dass es außer ihren Eltern nicht noch jemand in ihrem Leben gab, der sie liebte und den auch sie lieben konnten.
»Wollt ihr eure Eltern anrufen?«
»Äh, was?«, stammelte ich. Auch Jarrett guckte verdutzt. Ob wir unsere Eltern anrufen wollten?
»Wir leben hier ein Leben ohne Technik, weil sie den Blick vernebelt und träge macht. In der Bibel heißt es nicht umsonst: Lässige Hand macht arm; der Fleißigen Hand jedoch macht reich.« Calebs Gesichtszüge waren nun wieder weicher und sein Lächeln das eines Mannes, der über sein Lieblingsthema sprach. »Aber wir haben ein Telefon. Ein altes Smartphone, das hier in der Scheune liegt und das ich nur anschalte, wenn wir Kontakt zu unseren Glaubensbrüdern und -schwestern aufnehmen. Oder in Notfällen.«
Ich hatte mich schon gefragt, wie Caleb seine Eltern damals so schnell über die Geburt ihres Enkelkindes informiert hatte. Jetzt wusste ich es.
»Also, wollt ihr eure Eltern anrufen und ihnen sagen, dass es euch gut geht?«
Für mich war die Antwort klar. Meine Eltern machten sich sicher große Sorgen und obwohl ich sauer auf sie war wegen meiner zwangsverordneten Entziehungskur, war das kein Grund, sie nicht anzurufen. Jarrett jedoch …
»Es wird nicht funktionieren«, lautete seine Antwort. »Im Radio haben sie gesagt, dass die öffentliche Stromversorgung bis auf Weiteres unterbunden ist. Und ohne Strom gibt es kein Mobilfunknetz, oder? Außerdem reagieren die Smartwatches nicht mehr. Wahrscheinlich reagiert nicht mal mehr euer altes Smartphone«, sagte er an Caleb gewandt.
»Hm, lasst es uns zumindest versuchen.« Caleb ging an einem Pflug vorbei, den wahrscheinlich die Pferde ziehen mussten, und zu einem an der Scheunenwand angebrachten Brett. Neben dem Brett lehnten Heugabeln, Sensen und Schaufeln, darunter spannten sich mehrere Spinnweben und am Boden stand ein großes, ziemlich technisch aussehendes Gerät. Auf dem Brett lag ein Smartphone. Ich hatte mal eines auf dem Flohmarkt gesehen, verloren zwischen alten Messingkerzenständern. Caleb drückte auf einen Knopf an der Seite, das Display ging an und kurz darauf kam eine Maske zur PIN-Eingabe. Jarrett und ich sahen demonstrativ weg.
Als ich wieder hinschaute, war der Startbildschirm da. Es war wohl der standardisierte, jedenfalls war im Hintergrund kein Familienbild oder so was.
»Tja, sieht aus, als hätten wir kein Netz«, sagte Caleb, denn ganz oben auf dem Display stand: Kein Netz, was Jarrett ja schon vermutet hatte und nicht gerade eine Überraschung war, wenn man bedachte, dass die Regierung oder das Militär ganz Ohio den Stecker gezogen hatten. Aber dass wir den Standardhintergrund und die mutmaßlichen Standard-Apps sahen und nicht die zwei Apokalypsensätze, war ein kleines Wunder. Ich wartete jeden Moment darauf, dass die Sätze auftauchten, aber es passierte nicht.
»Wie kann das sein?«, sagte ich und ich sagte es zu Jarrett, denn von Technikverweigerer Caleb erwartete ich keine Erklärung für dieses Technikphänomen.
Jarrett schwieg einen Moment, dann wandte er sich an unseren Gastgeber: »Wann war dieses Smartphone zuletzt mit dem Mobilfunknetz verbunden?«
»Hm, müsste so vor vier Wochen gewesen sein. Kurz vor dem Amischtreffen in Walnut Creek.«
»Dann ist alles klar«, sagte Jarrett und nickte. »Der Logikvirus muss irgendwann im letzten Monat in die Systeme eingeschleust worden sein. Da das Smartphone seitdem nicht mehr am Netz war, ist es nicht infiziert worden. Und da es jetzt kein Netz mehr gibt, kann es auch nicht mehr nachträglich infiziert werden.«
Ja, das war wohl die Erklärung. Doch damit hatte dieses alte Samsung-Handy nur noch einen Nutzen: Wenn sich der Akku meiner Smartwatch verabschiedete, konnten wir anhand seiner Netzanzeige checken, ob die Regierung den Strom wieder angeschaltet hatte und die Apokalypse vorbei war.
Ich teilte meine Gedanken Jarrett und Caleb mit und einen Moment lang war ich mir unsicher, ob das vielleicht zu forsch war und Caleb meine Worte so auffassen könnte, dass wir uns dauerhaft bei ihm einnisten wollten. Aber er entgegnete, dass wir das alte Smartphone gerne dazu benutzen durften, um auf dem Laufenden zu bleiben. Auch ohne ihn vorher zu fragen.
»Die PIN ist 1234«, sagte er lächelnd. Und dann schaltete er das Smartphone aus, das, wie ich erkannt hatte, nur noch zu acht Prozent geladen war, was eine neue Frage aufwarf. Nämlich die, wie man einen Akku auflud, ohne Steckdosen und Strom zu haben. Caleb deutete auf das große, technisch aussehende Gerät unterhalb der Smartphone-Ablage und erklärte, dass es sich um einen benzinbetriebenen Generator handle. Also ein Ding, das Strom macht.
»Benzin ist drin, das Ladekabel steckt auch schon und hier könnt ihr ihn anschalten. Er ist nur nicht gerade leise, also am besten ladet ihr das Smartphone nicht beim Telefonieren auf, wenn es dann wieder Netz hat.«
Wir dankten Caleb für seine Hilfsbereitschaft und folgten ihm aus der Scheune ins Freie. Sein Blick verharrte noch einen Moment auf der Kutsche, dann zog er das Scheunentor zu.
»Wisst ihr, der Unfalltod meiner Eltern hat mir eine große Summe Geld beschert. Aber wahrer Reichtum ist es, eine Familie zu haben und mit ihr und Gott an einem Ort wie diesem zu leben.« Caleb unterstrich seine Worte mit einer ausschweifenden Armbewegung. Die Geste war ziemlich kitschig, was sich auch über diesen ganzen Ort sagen ließ. Ich meine: lindgrüne Gebäude mit weißen Fenstern. Eine zwischen Apfelbäumen gespannte Wäscheleine. Auf der Koppel grasende Pferde. Schmetterlingen hinterherjagende Kinder. Und Strohhüte.
Doch selbst wenn es kitschig war – irgendwie war es auch schön. Und ich war froh, dass ich für eine Weile Teil dieser kitschigen, heilen Welt sein durfte.