Als Kind schon nah an den Wolken

Da ist ein Ring an seiner Hand, der erzählt sehr viel von seinem Leben. Er sagt, woher sein Träger stammt und was ihm fehlt seit Kindesbeinen. Der Ring ist erstaunlich weiblich und zart. Geradezu verletzlich sieht er aus an seiner rechten Hand. In der Mitte ist ein Aquamarin eingefasst, und natürlich war dieser Stein einmal tiefblau. So wie das Meer, auf dem Jans Vorfahren gefahren sind. Aber mit den Jahren, gute fünfzig sind es jetzt, seit er ihn trägt, ist das Blau aus dem Stein gewichen. Mit etwas gutem Willen ist er jetzt noch so brackwasserfarben wie die Elbe im Hafen, an der sein Träger aufgewachsen ist. »Da kannst du mal sehn, wie der gelitten hat, der Stein«, sagt Jan bloß.

Der Ring stammt von seiner Mutter Gisela. Als Jan vierzehn war, bat er sie, ihn tragen zu dürfen, und die Mutter steckte ihn ihrem Sohn an. So zärtlich und innig diese Geste anmutet – leider steht sie symbolisch für das zwiespältige Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. »Viel Liebe habe ich nicht gekriegt von ihr«, sagt Jan und streicht dabei mit dem linken Zeigefinger über den verblichenen Stein. Getrennt hat sich der Sohn niemals von diesem Geschenk. An nichts anderem hängt er so wie an diesem Ring. Er klammert sich an ihn.

Als Wolfgang Petersen beim Boot-Dreh von Jan verlangte, ihn abzunehmen, antwortete der: »Dann mache ich den Film nicht.« Der Regisseur glaubte, sich verhört zu haben, und bestand darauf. »Nee, dann steig ich aus«, sagte er nur. Das beeindruckte Petersen. Denn Quer- und Charakterköpfe suchte er für seinen Jahrhundertfilm. Und so ließ er den Rebellen gewähren. »Aber wenigstens drehst du den Stein zur Handinnenflächenseite!«

Nicht etwa von Jans Vater, sondern von dessen Vorgänger hatte Gisela diesen Ring einst geschenkt bekommen. Einem Amerikaner, mit dem sie Jans Halbbruder Olli bekam. »Für mich war und bleibt er aber mein richtiger Bruder.«

Es fällt Jan nicht leicht, über seine Eltern zu sprechen und über seine Kindheit. Aber der Ring erlaubt den Blick zurück in seine kleine Seele von damals. Ganz langsam öffnet sich sein Träger dafür. Anders klingt er dabei und gar nicht so »Hoppla, jetzt komm ich«-artig wie sonst meist.

Dabei sieht es von weitem betrachtet doch so aus, als hätte Mutter Gisela ihrem Sprössling viel Gutes getan, als sie – die Tänzerin war – ihn zum Ballettunterricht schickte. Damals war das ja noch mehr eine Sensation als heute. Und dann ging er auch noch in den Kirchenchor im Michel.

»Aber das war Vater, der war im Kirchenvorstand und wollte das so«, erinnert er sich. Sieben Jahre lang ging es jeden Dienstag und jeden Freitag zur Probe und sonntags wurde früh aufgestanden, weil um neun schon Einsingen war und um zehn der Gottesdienst. »Das heißt: Ich habe in meiner ganzen Jugend praktisch nie ausgeschlafen. Darum bin ich so ein Schlafmensch geworden und penne so lange. Auf jeden Fall bin ich so zu Gott gekommen. Für mich ist das eine große Selbstverständlichkeit, mit dem lieben Gott zu kommunizieren. Heute. Wie damals.«

Durch das Singen, das er einst so himmlisch beherrschte, ist der kleine Jan auf der Empore des Michel ganz nah an die Wolken gestoßen in seinem Empfinden. »Irgendwie kann man das so sagen. Wir durften ja auch, Gott sei Dank, immer schon vor der Predigt abhauen. Damit wir den Laberscheiß nicht noch hören mussten. Das hat geholfen.«

Gezweifelt hat der junge wie der alte Jan seit dieser Zeit nie an seinem Herrn. »Für mich war immer völlig klar, dass er existiert. Der liebe Gott ist da und der liebe Gott lenkt die Sachen und macht das alles und noch mehr.«

Gab es nicht mal ein Ringen, ein Hadern mit ihm, als er dann als junger Mann so oft mit der Nase im Dreck steckte? »Es konnte mir noch so scheiße gehen, noch so schlecht. Ob ich da lag in meinem Blut und wusste, wenn jetzt nicht bald was passiert, bin ich tot – nie hab ich gesagt: ›Lieber Gott, jetzt komm endlich mal!‹ Das ist immer automatisch passiert, ohne dass ich ihn darum bitten musste.«

Als er nach dem Stimmbruch raus war aus dem Chor, die Lehre als Speditionskaufmann beendet hatte und er zu Hause vor die Tür gesetzt wurde, ging er ans Theater Esslingen. Da war er neunzehn. Wenn er zu Heiligabend wieder heim nach Hamburg fuhr, las er sieben Jahre lang noch die Weihnachtsgeschichte im rappelvollen Michel. Weil sie dort seine Stimme, auch wenn sie jetzt tief und samtig und nicht mehr so engelsgleich tönte, so liebten.

Er trug für diese Auftritte ein grünes Samtjäckchen mit Fliege, darunter ein hellgrünes Hemd und eine schwarze Hose. In diesem schmucken Aufzug steckte dieser langhaarige Hallodri, der nun Schauspieler geworden war. Es war Mitte der Siebziger, die große RAF-Zeit, und dann tritt da im hochherrschaftlichen Michel so ein fein gemachter Rocker ans Mikrofon. Jedes Mal lag ein Raunen über den Rängen.

Jans Vater Adolf beäugte das misstrauisch. Er war ein ziemlich nüchterner Mann. Schauspielerei, Musik und Tanz, alles Künstlerische, das war ihm suspekt. Fernsehen ebenfalls. Fünfzehn Jahre Altersunterschied zu Mutter Gisela machten ihn zu einem Vater mit wenig Verständnis für Jans bunte Welt. Anerkennung für dessen Rollen am Theater gab es nicht. Er ging nicht hin. Oder doch …? Wenn, dann nur heimlich. Nie gab er Jan das Gefühl, ein guter Schauspieler zu sein und die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ein Lob gab es nie.

Seine Mutter hatte früh ihre wilde Zeit, aus der dieses Andenken an Jans Finger stammt, hinter sich. Sie machte stets ein großes Geheimnis aus ihrer Vergangenheit vor ihrer Hochzeit mit Adolf. Nur Bruchstücke teilte sie Jan und Olli mit. Sie wollte ihr Leben für sich behalten. Irgendwann mal, beim Adventskaffee oder Familientreffen, kamen Details heraus … Im Laufe der Jahre wurden sie wie ein Puzzle zusammengesetzt. Im Krieg tourte sie mit einer Zigeunerband durch die Lande … nicht ungefährlich zu den Zeiten. Sie lernte einen groß gewachsenen, flotten GI kennen, der ihr den Ring schenkte – und Oliver.

Jan hat ihr altes Tagebuch noch, in dem sie von dieser Zeit schwärmt. Auffallend oft schrieb sie Dinge wie: »Haben zusammen wieder in den Mond geguckt.« Jan schmunzelt: »Wahrscheinlich bedeutet das, dass sie es gern mal draußen getan haben.«

Später hieß es dann, der Ami sei bei einem Verkehrsunfall mit einem Sportwagen gestorben. »Böse Zungen behaupteten, er hätte einen Abflug nach Amerika gemacht. Auf jeden Fall kam meine Mutter dann wieder nach Hamburg. Nicht verheiratet, Tänzerin und mit einem unehelichen Kind, das noch dazu von diesem Ami war …«

Um sich durchzuschlagen, arbeitete Gisela als eine der ersten Tankwartinnen Hamburgs an der Tankstelle ihres Vaters, unten am Hafen. Schräg gegenüber gab es damals einen gewissen Herrn Fedder, der war schon mittleren Alters, hatte direkt am Wasser eine Knackwurstbude aus ein paar Holzplanken gezimmert. Dort ging sie mit ihrem Vater mittags Würstchen essen. Was sicherlich der Grund dafür ist, dass Jan bis heute – obwohl Vegetarier – ausnehmend gerne Knackwürstchen isst.

Als sich Jans Eltern zusammengetan hatten, sammelte sein Vater, der gelernter Tischler war, Brett um Brett, das er im Hafen so fand, und hämmerte und zimmerte aus der Wurstbude nach und nach eine Kneipe. Nachdem Jan zur Welt gekommen war, setzte der Vater oben auf die Kneipe noch eine kleine Etage drauf. Zwei Zimmer. »Im Winter konntest du das Eis an der Wand fühlen.«

Als Jan dreizehn war, sind sie dann alle in die Wohnung auf St. Pauli gezogen, in der Jan bis heute geblieben ist. Noch einmal streicht er über den Ring an seiner Hand, der sich mit den Jahren fest in den rechten kleinen Finger gegraben hat. Sein Talisman. Sein letzter Schmuck. Vom Totenkopf-Ohrring, den er lange trug, zeugt noch das fast zugewachsene Loch im Ohrläppchen. Und an seinem Hals baumelte früher das ausgesägte Wappen eines uralten Hamburger Fünf-Mark-Stücks. »Das hat mein Vater meiner Mutter mitgebracht aus Tirol. Da hat sich einer ganz lange hingesetzt und das Wappen ganz fein ausgesägt. Es stammt aus einer Zeit, als Hamburg noch eigene Münzen hatte. 1905. ›Freie und Hansestadt Hamburg‹ stand darauf.«

Schon als Jan aus der Pubertät herauskam, sagte er zu seiner Mutter: »Ich versteh die ganze Zeit nicht so recht – du sagst immer Jan zu mir. Und ich sage Mutti. Warum soll ich eigentlich Mutti zu dir sagen? Ist doch unlogisch. Wenn du Jan zu mir sagst, dann sage ich ab heute zu dir Gisi. So lautete ihr Künstlername: Gisi Sarai. Von da an habe ich sie immer Gisi genannt.«

Mehr zu erzählen von seiner Mutter, das bringt Jan bis heute nicht richtig fertig. Seine besten Freunde aber deuten an, dass es nur wenig Liebe gab von ihrer Seite. Bis zu ihrem Tod.

Nur wenig offenbart er über seine Mutter. Etwa jene Anekdote, als er nach einem Jahr als Jungschauspieler das erste Mal wieder zurück nach Hause kommt: »Ich fahre nach Langenhorn und steige aus dem Auto. Und meine Mutter arbeitet im Garten, macht da irgendwas und dreht sich kurz um nach mir. Und ich denke noch: Jetzt fallen wir uns in die Arme und sagen: ›Das war ein schreckliches Leben ohne dich‹, oder so. Sie aber dreht sich um, guckt mich an und sagt nur: ›Sag mal, willst du nicht mal wieder zum Friseur gehen?‹ Das war ihr erster Satz nach einem Jahr. So kalt war sie.«

Von seinem Vater war auch keine Wärme zu erwarten. »Der saß all die Jahre abends da, trank seine Biere und seine Kornschnäpse. Ganz zum Schluss, auch im Hochsommer, machte er sich Grogs. Und kurz vorm Zubettgehen gab es immer noch drei, vier Grogs obendrauf.«

Und dann denkt er zurück, wie er sich, wenn er spät nach Hause kam, auf Zehenspitzen am Schäferhund vorbeischlich und leise zur Mutter hineinflüsterte: »Gisela, ich wollte nur sagen, ich bin wieder da.« – »Hm. Alles gut.« Und wie dann immer der Geruch von Rum aus dem Schlafzimmer wehte, den sein Vater ausdünstete.

Jan erinnert sich nur an eine einzige Szene, in der er mal etwas mit seinem Vater alleine unternommen hatte. »Wir kamen beide sonntags aus der Kirche – und unten an der Ditmar-Koel-Straße sagt er: ›Komm, wir laufen um die Wette.‹ Und er hat noch gewonnen. Das ist das Einzige, dass wir mal so was zusammen machten. Irgendwas anderes mit ihm – nichts! Ich war ja sein leiblicher Sohn. Er ließ mich aber immer in dem Glauben, dass mein Bruder alles besser konnte. Der konnte die Krüge über der Theke einsortieren, ohne dass die runterfielen. Ich nicht, ich war immer der Trottel.«

Wie gerne hätte er ihm da eines Tages bewiesen, dass er es zu etwas gebracht hat. »Dass ich als Schauspieler die Nummer eins im Norden geworden bin!« Zu spät.

Und trotzdem. Er trägt von seinem Vater die Liebe zu Hamburg in sich. »Er war Hanseat durch und durch. Er lebte dieses alte Hanseatische, dieses leicht blasiert Vornehme. Blasiert bin ich ja nun nicht, aber: Ein Hanseat benimmt sich. Oder hat sich zu benehmen! Und das habe ich von ihm. Auch die Liebe zum Trödel stammt aus meiner Sippe. Das war sein Großvater, also mein Urgroßvater, von dem ich das geerbt habe. Diese Liebe zum Detail.«

Und weil sein Vater strikt dagegen war, dass Jan Schauspieler werden wollte, zog er die Lehre durch. Von fünfzehn bis achtzehneinhalb. Dreieinhalb verlorene Jahre für Jan. Deswegen hat er so seine ganz eigene Rechnung, die er dieser Zeit entgegenstellt: »Ich bin der weltlängste Schauspielschüler, weil ich mit zehn angefangen habe mit Kinderballett. Und mit zwölf bekam ich schon Sprechunterricht – weil die bei meinem ersten Film mit dreizehn verrückt geworden waren, wie Hamburgisch ich sprach. Reisedienst Schwalbe heißt der Film, und in dem musste ich synchronisiert werden. Und dann bin ich ans Klecks-Theater gegangen, war dort viele Jahre lang, spielte aber auch am Ernst-Deutsch-Theater Goethe und andere Klassiker und lernte dort ein so manieriertes Hochdeutsch, so ein sehr großes Shakespeare-Deutsch: ›Ha! Wer kommt? Was sehe ich? Ooh, mein Roderich, was bringt dich so unverhofft aus Brüssel wieder? Wem danke ich diese Überraschung, wem?‹ Da musste ich meine Natürlichkeit später wieder schwer zurückerkämpfen.«

Genauso wie die Anerkennung des Vaters. Der kam eines Tages heimlich in ein Stück im Kinder- und Jugendtheater Klecks, erzählte davon aber erst kurz vor seinem Tod. Dabei hatte Jan ihn so oft darum gebeten und wäre so glücklich gewesen, ihn dort einmal im Publikum zu sehen.

»Aber er ist dann in der Pause gegangen. Es war ihm zu laut, und es war ihm alles zu doof. Das Einzige, was ihm imponiert hat, so sagte er, war, dass hinter dem Tresen ein Langhaariger mit einem Zopf stand. Und der konnte gut Pils ausschenken, weil das ein Profi war. Trotz seiner langen Haare. Mein Vater verachtete Langhaarige. Tja, was willst du da noch zu sagen? Lange hab ich darunter gelitten und darüber nachgedacht; gerade als ich dann größer wurde: Warum hat mein Vater meinen Auftritt nicht miterleben wollen? Heute habe ich das verarbeitet – weg, weg und Schluss! Aber damals war es ein Problem für mich. Warum konnte ich meinem Vater nicht beweisen, dass ich ein guter Schauspieler bin? Die anderen, Opa und Mutter, sind ja noch nach Esslingen gekommen, haben mich da noch als ›jungen W.‹ gesehen und als Puck im Sommernachtstraum.«

Der Vater aber kippte um, als Jan den ersten Tag in Esslingen hatte. Herzinfarkt im Brötchenladen auf dem Hamburger Schulterblatt. Vier Wochen später war er tot. Der Intendant ließ Jan morgens mit dem ersten Flieger nach Hamburg zur Beerdigung fliegen und nachmittags wieder zurück nach Stuttgart und zahlte ihm den Flug. Abends spielte Jan wieder.

»So ist das alte Zirkuspferd. Egal, was passiert. Nur die anderen, die Kollegen, haben sich alle gewundert an dem Abend: ›Fedder, was ist mit dir los? Hast du schlechte Laune heute?‹ Weil ich normalerweise einen Joke nach dem anderen rausgehauen habe. Und ich saß bloß still in der Ecke und wollte meine Ruhe haben, weil ich über meinen Vater nachdachte, den ich am Vormittag unter die Erde gebracht hatte. Bis dann einer mal sagte: ›Lass ihn mal in Ruhe. Sein Vater ist heute gestorben.‹«

War es sein Vater, der manches Hindernis in Jans Leben einbaute, so war es seine Mutter, die ihm das Wichtigste, was eine Mutter geben kann, von Anfang an entzog. Wie schnell hätte Jan zum bloßen Opfer mangelnder Zuneigung werden können. Doch er kämpfte um diese Gefühle – bei anderen Menschen. Als seine Oma Kartoffeln schälte, damals in der Küche, nahm er sie als kleiner Kerl eines Tages in den Schwitzkasten, um ihr endlich mal einen Kuss geben zu können. Denn diese Oma hatte nie Küsse geben wollen oder können, genauso wenig wie ihre Tochter Gisela, Jans Mutter. »Ich musste mir meine Liebe immer schwer erkämpfen, versuchte sie mir zu holen.« Aber er scheiterte.

Er wollte immer nur geliebt sein. Bis heute. Das ist die große Triebfeder der meisten Schauspieler, und bei ihm ist diese Sehnsucht ein besonders starker Antrieb. »Außerdem war ich ein sehr verschmuster Junge und bin bis heute verschmust mit meiner Marion.«

Wenn er heute in den Spiegel schaut, was erkennt er dann noch von seiner Mutter? »Von ihr habe ich das Ungestüme. Dieses ›Das muss jetzt fertig werden! Das müssen wir schaffen!‹ Die laute Stimme, das Schreien … Gisi war ja später Gymnastiklehrerin, und die Turnhallen zitterten, wenn sie Anweisungen gab. Das konnte sie gut. Das Gegenteil leider nicht. Selbst zu meinem Vater war sie kurz angebunden, wenn sie sich gegenseitig in den Urlaub verabschiedeten. Weil ja einer immer in der Kneipe bleiben musste, fuhren sie getrennt. Da gab es einen flüchtigen Kuss auf die Wange.«

Aber wo holte sich der kleine Jan denn dann seine Liebe? »Woanders halt. Und sehr früh. Deswegen habe ich schon jung angefangen mit den Mädels. Man holt sich die Liebe eben da, wo man sie kriegt.« Und wo kriegt man die, wenn man auf St. Pauli groß wird? Nein, nicht genau dort – es waren ganz normale Mädchen, bei denen Jan Wärme suchte und fand. Wenigstens das. Bei den anderen hätte er sie ja auch nicht finden können.

»Nein, Nutten kannte ich nur wenige«, erinnert er sich. »Erst später dann, als sie mich auf St. Pauli als Zuhälter anwerben wollten.« Das war zu der Zeit, als er nächtelang in der Kneipe Micky Mouse zubrachte und fast ein Teil des Milieus geworden wäre. Er sah gut aus, und die alten Luden wollten ihn als Koberer, der am Wochenende durch die Discos auf dem Land zieht und die schönen Mädchen »kobert«, mitnimmt nach Hamburg und dort auf die schiefe Bahn bringt. »Da wurde es Zeit für mich, dass endlich der Break kam, dass ich mich von der Micky Mouse und von diesem Teil von St. Pauli ganz abwandte.« Die Sehnsucht, ein erfolgreicher Schauspieler zu sein, war stärker. Und ein von vielen geliebter.

Die Kühle der Mutter aber blieb. »Ihr Hund war ihr immer wesentlich wichtiger als das, was mit ihrem Sohn so passiert.« Selbst als dieser ihr sagte, dass er sich verloben will mit Marion, antwortete sie bloß, dass sie auf dem Hundeübungsplatz den zweiten Platz gemacht hat mit ihrem Liebling. »Und auch wenn ich zum Bambi oder Fernsehpreis eingeladen war – das war alles Scheiße, ne? Wichtig war nur sie. Bis es dann mit ihr zu Ende ging und ich meinen innerlichen Frieden mit ihr schließen und sagen konnte: ›Sie ist halt so, wie sie ist.‹«

Zum Schluss lag sie auf der Intensivstation. »Die ganze Familie war um sie rum. Und dann sagte Gisela: ›Tschüss, mein Janni.‹ Und es war sehr selten, dass sie Janni zu mir sagte. Und ich antwortete: ›Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, auf Wiedersehen.‹«