Seit Mai 1986 habe ich als Schreibgerät einen Computer, damals einen Apple Macintosh des ersten Jahrgangs 1984. Ein Student hatte ihn in den USA gekauft, auf Deutsch umgerüstet, in Berlin als Grundstock für seine Einzimmer-Computerwerkstatt benutzt und, als meine elektrische Schreibmaschine nicht mehr vernünftig zu reparieren war, mir zwei Wochen zum Ausprobieren überlassen und dann als gebraucht verkauft. Aus seiner Werkstatt wuchs die renommierte Computerfirma, die heute Gravis heißt. Mein Gerät wurde bald von 512 auf 1024 KB hochgerüstet, auf einer Diskette konnte ein ganzer Roman geschrieben und bearbeitet werden. Dieser Fortschritt wollte mit Fleiß gefeiert werden.
Die Vorteile waren noch nicht selbstverständlich: schnelleres Tippen, einfacheres Korrigieren, leichteres Tauschen von Absätzen oder Kapiteln, Namen, einzelnen Wörtern. Es gefiel mir, jederzeit an jeder Stelle fugenlos etwas einfügen oder streichen zu können. Ich merkte, wie die Aufmerksamkeit beim Schreiben noch mehr auf Sprache und Gedanken gelenkt wurde. Dazu der Vorteil, neue Varianten leichter durchspielen zu können, eine Passage an eine andere Stelle zu setzen, nur mal zur Probe. Von Anfang an hatte ich die Befürchtung, ich könnte mich zu schnell mit dem erschreckend oder verdächtig sauber Geschriebenen und Gedruckten zufriedengeben. Aber das Misstrauen gegen den druckreif scheinenden Text förderte eher die Leidenschaft des Änderns und Besserns.
Nach einem Jahr allerdings der GAU: Der Roman «Mogadischu Fensterplatz» (> ANDREA) war im Frühsommer 1987 so gut wie fertig, ich hatte ein halbes Jahr gründlich korrigiert und wollte zwei Tage vor der Abgabe noch eine Zeile verschieben (es ging um die Jeansmarke, die der Terroristenanführer trug, JESUS, diese Ironie der Banalität musste noch ins Buch). Ich sah die Zeile erst größer werden, dann den ganzen Text verschwinden, dann war alles blockiert. In der Werkstatt konnten die beiden Spezialisten keine Hoffnung machen, die Diskette war nicht mehr lesbar, und ich war gründlich blamiert: Ich hatte den Rat, den Text regelmäßig auf einer weiteren Diskette zu speichern, ignoriert, die letzte Fassung war fast ein halbes Jahr alt. Ich sah den Roman verloren oder mich monatelang in der Galeere der Wiederholung der Verknappungs- und Korrekturarbeit. Ausgerechnet der Roman über eine Entführung war mir durch eigene Dummheit von der Technik entführt worden. Und es gab keine GSG 9, ich war hilflos als Täter und Opfer zugleich. Nach zweieinhalb Tagen der Anruf: Wir haben den Roman wieder! Er konnte wie geplant im Herbst 1987 erscheinen.
Das sind Lehren fürs Leben, das passiert einem (hoffentlich) nur einmal. Am Hecheln der Freaks nach den jeweils neuesten Verbesserungen der Hardware und der Software habe ich mich trotzdem nie beteiligt. Das Schreibgerät ist ein freundlicher Knecht, der mir ein paar Unbequemlichkeiten abnimmt und «lesen», kopieren, verschönern kann. Das Beste und Schwerste beim Produzieren – Phantasie, Handwerk, Denken, Fleiß, Formulieren – bleibt meine Sache, zum Glück.
Der alte Macintosh samt Tastatur mit Schweißspuren ist inzwischen im Literaturarchiv Marbach zu besichtigen.