Momentaufnahme März 2020: Eine Arbeitspause, ich schaue in die Ferne auf die oberen Hochhäuser der Berliner City West, bin aufgestanden von meiner Intensivstation am Schreibtisch. Intensivstation hört sich kokett an, aber für drei, vier Stunden am Vormittag stimmt das. Im Dezember 2019, als Corona nichts als eine blasse Biermarke war, hatte ich entschieden, etwa ab März einen Erzähltext über meine drei Wochen auf der Intensivstation im Jahr 2008 zu beginnen («Lebensanzeige», in: «Die sieben Sprachen des Schweigens»). Die Erfahrung mit dem erzwungenen Schweigen durch den Ausfall der Stimme, des Bewusstseins, die Halluzinationen des stimmlosen, verständnislosen, endlosen Erwachens aus langem Koma. Damals hatte ein unbekanntes Virus oder eine teuflische Virus-Bakterien-Kombination, wahrscheinlich im Flugzeug eingefangen, mir eine schwere Lungenentzündung verpasst, sodass man mich im letzten Moment ins Koma schickte, aus dem ich, überdies durch einen Arztfehler fast umgebracht, nach gut zweieinhalb Wochen qualvoll und traumvoll erwachte. Es wurde als Wunder betrachtet, dass ich allmählich wieder unter die Lebenden kam und mich relativ schnell erholte. Die Endlosphantasien auf der Intensivstation, von den Medizinern Delir genannt, konnte ich noch drei, vier Wochen danach bis ins Detail erinnern und notieren.
Nein, es ist nicht lustig auf der Intensivstation, auch nicht auf meiner von 2008, auch nicht die sprachliche Annäherung an eine schwere Krankheit. Aber jetzt, da das neue Covid-Virus die Welt erobert und Tausende ins Koma schickt, will ich nicht kneifen. Vielleicht gelingt es ja, anderen etwas von diesen Erfahrungen mitzuteilen. Es ist nicht leicht herauszufinden, wie das Gleiten ins wortlose, bildreiche Nichts, die Halluzinationen und die Erfahrung der Stimmlosigkeit sprachlich am besten zu fassen ist. Kleine Pause mit Fernblick, Abstand halten, ein bisschen Gymnastik wäre fällig.