Agit-Prop, das war die klassische Abkürzung für marxistische Agitation und Propaganda für Künstler, die, mehr oder weniger im Auftrag, direkt und plakativ, also «verständlich» für die gute Sache oder gegen die Klassenfeinde dichteten, zeichneten, musizierten. Um 1968 wurde das nicht selten von mir erwartet, ich habe das fast immer abgelehnt. Oft mit dem herrlich selbstbewussten Satz von Walter Benjamin: «Ein Autor, der die Schriftsteller nichts lehrt, lehrt niemanden.»
Einmal jedoch war ich mit Eifer dabei, es war eine Idee, die 1967 entweder aus der studentischen Kampagne «Enteignet Springer» oder vom Künstler Arwed Gorella kam, der eine Axel-Springer-Popanz-Figur-Collage gefertigt hatte (> AXEL). Nun suchte man einen Texter dafür, ich fand mich bereit. Es wurde ein «Springer-Abreißkalender 1968». Auf einem Kartonblatt das Collagenbild, quer darüber zwölf Streifen perforiert zum späteren Abreißen, unten der markige Vierzeiler «Hier steht Springer, seht ihn an: / Kopf bis Fuß, ein ganzer Mann. / Steht sehr frech und sehr bequem, / Denn er steht auf dem System.» Auf einem zweiten Blatt dahinter war für jeden Monat ein Vierzeiler zu lesen. Bei jedem Monatsbeginn war ein Streifen abzutrennen, der einen neuen Doppelreim zum Lesen freigab, unten beginnend mit Januar und Februar, beispielsweise so: «In dem Monat Februar / Zittert unser Zeitungs-Zar, / Friern ihm beide Waden an, / Daß er nicht mehr stehen kann.» Oder August: «Schnallt ihm das Verdienstkreuz ab! / Atmen muß er, Luft wird knapp. / Welches BILD macht sich die WELT, / Wenn er ganz zusammenfällt?» – bis der Popanz am Ende des Jahres fast vollständig abgerissen und der Dezember zu lesen war: «Wenn das alte Jahr vorbei, / Ist der Springer sorgenfrei. / Fast enteignet, sehr geschockt, / Hat sich’s selber eingebrockt.»
Der Kalender wurde zugunsten der Kampagne verkauft, fünfhundert oder tausend Stück, es war kein Renner. Meine Ironie, gegen den Sofortismus der Studentenbewegung die Fast-Enteignung erst für Dezember zu erhoffen, verpuffte völlig. 1968 kam allmählich die neue Ideologie spektakulärer Gewalt auf. Schon im Februar brachte der Filmstudent Holger Meins, später RAF-Mitglied, mit einem fünf Minuten langen Bombenbastler-Filmchen die ganze Anti-Springer-Kampagne zu Fall, prominente Unterstützer sprangen ab, der Elan verpuffte. RAF rettet Springer, hätte «Bild» titeln können. Wer hat sich’s da «selber eingebrockt»?