Atemübungen

Mit zwölf oder dreizehn Jahren schickten mich, den schweren Stotterer, die Eltern zu einem Stottertherapeuten in Bad Hersfeld, wo ich aufs Gymnasium ging (> ALTE LANDESSCHULE). Der Doktor empfahl unter anderem, die schwierigen Konsonanten, die stets wie riesige Hindernisse vor mir lagen, mit leicht singender Stimme zu überwinden. Mit den ständigen Atemübungen aber tat ich mich schwer. Etwas in mir sträubte sich, die selbstverständliche, lebensnotwendige, bei allen anderen Menschen unbewusste Tätigkeit des Atmens wie eine Fremdsprache, ein neues Fach lernen zu sollen. Es blieb ein innerer Widerstand, mir den Rhythmus der Sauerstoffzufuhr andressieren zu lassen. Auch beim Schwimmen schaffte ich das richtige Atmen nicht (> AARE). Daran musste ich denken, als nach dem Aufwachen aus fast dreiwöchigem Koma 2008 Atemübungen nötig waren. Der alte Widerstand war leiser geworden, aber immer noch da, ebenso das alte Gefühl, den Sauerstoff nicht gut und tief genug in die Lunge zu holen. Geht das, fragte ich mich, durch ein ganzes Leben wackeln, ohne je richtig das Atmen gelernt zu haben?

Zwei Milliarden Atemzüge bekommt der Mensch im Schnitt seiner Lebensjahre. Wer langsamer seinen Atem nimmt, lebt länger, heißt es. Ich übe weiter.