Atombombe

Das Unvorstellbare ist längst als vorstellbar aufbereitet, auch die Atombombe. Es reichen Fotos, Berichte, Statistiken. Und doch wollten die großzügigen japanischen Gastgeber unsere kleine Schriftstellerdelegation (Libuše Moníková, Bodo Morshäuser, Hans Joachim Schädlich und mich) nach fünf anderen Stationen in ihrem Land im Juni 1988 unbedingt auch in Hiroshima sehen. Auch uns zog es an den mythischen Ort, mit allen Ambivalenzen gegenüber dem zu erwartenden Betroffenheitstourismus. Nach der Besichtigung des Atombombenmuseums und der Gedenkstätten wurde der Empfang beim Bürgermeister eine einzige Peinlichkeit. Wo man hätte schweigen sollen, wurden Bekundungen erwartet, auch von den japanischen Kollegen wie Oda Makoto, die uns begleiteten. Zum Glück hatte ich, der bei förmlicheren Begegnungen meistens die Grußfloskeln übernehmen musste, vorher noch Schädlich gesagt: Heute machst du als der Ältere die Pflichtsprüche. Während ich daran dachte, dass die Bombe eigentlich für Berlin vorgesehen war und uns nur dank der Schnelligkeit der alliierten Truppen erspart geblieben ist, während ich die Schreckbilder auf Berlin und seine Umgebung übertrug, redeten die Japaner immer wieder über das moderne Hiroshima, die nächste Generation, das bunte Leben heute. Sie schenkten uns einen Prachtband mit langweiligen, propagandistischen Fotos vom neuen Hiroshima.

Auch ich war mit Hiroshima noch nicht fertig. Unser Gastgeber, ein japanisches Bildungsinstitut, hatte uns für die letzte Woche ohne Programm und Betreuung Geld und einen Freifahrtschein für den Shinkansen überreicht. So setzte ich mich in den perfekten Express, rauschte noch einmal stundenlang durch Japan von Tokio bis Hiroshima, nahm dort ein Hotel und ging zu einem Baseballspiel. Ich kannte die Regeln nicht, niemand konnte sie mir erklären, ich versuchte, das Spiel zu verstehen, beobachtete die Zuschauer, die Spieler und langweilte mich trotzdem. Zwei Stunden Langeweile, nichts als Langeweile in einem Stadion in Hiroshima taten mir gut. Kein Schatten irgendeiner Bombe in den Gesichtern der Zuschauer. Am nächsten Tag im Express, seltsam entlastet, zurück nach Tokio.