Als am 18. Juni 1953 Schlagzeilen und Fotos in der Lokalzeitung «Hersfelder Zeitung» den Aufstand in der Ostzone und in Ostberlin verkündeten, war der Zehnjährige sogleich gebannt und aus kindlicher Gleichgültigkeit gerissen. Er sah das Foto mit einem Panzer vor einer wütenden Menschenmenge, las die suggestiven Texte und wusste, auf welcher Seite er stand. In den Wochen zuvor hatte er seine ersten lateinischen Sätzchen gelernt, «Gallina clamat», «Porta tonat» und so weiter, jetzt lernte er, gegen die Kommunisten zu sein und gegen die Ostzone. Sein Herz schlug mit den Aufständischen, bildete er sich ein, das machte ihn seltsam glücklich. Aber was ihn vielleicht noch mehr beglückte, war die Zeitung. Auf einer ganzen Seite so viele Informationen über die Aufstände und ein Foto, schon kann das, was gestern passiert war, lebendig, laut, empörend nah kommen. So viele Abenteuer von gestern, die nur einen Tag später so viele Gefühle auslösten. Am nächsten Tag mehr Fotos, ausführlichere Berichte – und die Ernüchterung, dass der Aufstand niedergeschlagen war. Der Zehnjährige hatte die Zeit, diese neue Erfahrung auszukosten, weil er wegen Masern vier Wochen zu Hause liegen musste, nichts außer Lateinübungen für die Schule zu tun hatte, und wurde zum Zeitungsleser.