Winterstürme und Schneechaos in Carlisle/Pennsylvania im Februar 2000, ich blätterte in der Bibliothek des Dickinson College, wo ich als Writer in Residence nur wenige Verpflichtungen hatte, in einem Band mit Briefen an und von Hans Werner Richter. Las mich fest an den Briefen zur missglückten Tagung der Gruppe 47 in den USA, in Princeton (> ALEXANDER HALL, > ARBEITSTITEL). Autorinnen und Autoren aus dem engeren Kreis hatten viel zu kritisieren und machten Vorschläge, wie alles wieder lebendiger und literarischer werden könnte. Sehr spannend, wer wen warum nicht mochte und am liebsten nicht mehr in der Gruppe gehabt hätte. Alles, was da stand, wäre wieder zu vergessen, wenn ich wirklich der vagen Idee nachgehen sollte, über diese Tagung eine Erzählung zu schreiben. In einem auffällig langen Brief kritisiert auch Erich Fried die Tagung und spricht seine Urteile über andere offen aus. Besonders schlecht kamen bei ihm die jungen Autoren weg, die an Walter Höllerers Prosa-Schreibschule des Literarischen Colloquiums gelernt hatten. Da ich mit einigen von ihnen befreundet und oft mit ihnen zu sehen war, zählten mich manche dazu, obwohl ich an diesen Kursen nie teilgenommen hatte. So auch Fried, er findet «die Colloquium-Jugend langweilig», aber schreibt dann: «Delius ist die Ausnahme – ein ganz großes Talent.»
Draußen schneite es immer weiter, und schnell kam die Skepsis: Ausgerechnet Fried, dessen Prosa ich in einer Rezension kurz vor der Tagung verrissen hatte, schätzte dich so ein? Sind Frieds literarische Urteile nicht oft ziemlich oberflächlich gewesen? Später, 1973, als du Wagenbachs RAF-Kurs im Verlag nicht mitgemacht hast, hat er dich politisch fertiggemacht, in einem Brief sogar mit einem blonden SS-Mann verglichen (einige Zeit später zurückgenommen), nimm das als eine kleine Entschädigung. Aber wenn du wirklich ein Talent warst, ein großes – warum hat dir das jahrzehntelang sonst niemand gesagt und Fried nicht laut? Hast du es nur nicht hören wollen? Oder verdrängt wie dein Horoskop? Hätte dir das gegen die ständigen Selbstzweifel geholfen? Oder war es talentpädagogisch besser, so etwas nicht zu sagen?
Als ich auf den Pfaden durch meterhohe Schneewände zurück in mein Apartment stapfte, dachte ich: Ein paar Wörter nur, die niemand liest außer dir, in Germanistischen Bibliotheken, in zugeschneiten amerikanischen Kleinstädten, gut versteckt.