Autobiographisches Erzählen

Lange Zeit war ich der Ansicht, meine Biographie sei viel zu läppisch, zu langweilig, um literarischen Stoff herzugeben. Das änderte sich erst Ende der achtziger Jahre. Mehr und mehr dachte ich über meine frühe Sprachverweigerung

Es ist nicht leicht, die Erinnerungen an die Kindheit in Literatur zu verwandeln. Das setzt nicht nur psychische und analytische Anstrengungen voraus, sondern vor allem formale: Aus welcher Perspektive erzähle ich? In welchem Zeitraum bleibe ich? Wie vermeide ich, das heutige Wissen über mich und die Familie dem Kind aufzustülpen? Wie übersetze ich Gefühle, die das Kind hatte, ohne schon Worte für diese Gefühle zu haben, in eine empathische Sprache und wahre zugleich Distanz? Und das sind nur die allgemeineren Schwierigkeiten. Die größte Tücke lag woanders: Ich wollte es mir nicht in der damals, in den achtziger Jahren modischen Anklagehaltung gegen die Eltern bequem machen: da die bösen Eltern – hier ich armes, empfindsames Kind. Ich war inzwischen selber Vater, ich verstand nun auch vieles von meinen Eltern besser. Das Leid, das ich ohne Zweifel empfunden habe, sollte kontrastiert werden mit starken kindlichen Freuden, die es ja auch gegeben hat.

Erst die Erinnerung an einen kurzen, intensiven Glücksmoment am Tag des Fußballweltmeisterschaftsendspiels von 1954, als ich mich als Elfjähriger mit berauschten Sinnen als Weltmeister fühlte, allein unter den Linden in der Dorfmitte stehend und das Dorf schweigen und atmen hörend, bis menschlicher Jubel aus verschiedenen Ecken näher kam. Die Erinnerung an diese drei, vier Minuten

Erst nach diesem Durchbruch der Erinnerung war klar: Die Erzählung sollte an einem Tag spielen, die Kindheit auf einen Sonntag verdichtet werden. Dann musste recherchiert werden, das Dorfleben in den fünfziger Jahren, bis hin zur Frage: welche Lieder sang der Männergesangverein, es musste die Radioreportage besorgt werden, die Familienerinnerungen wiederbelebt und vor allem die eigenen Erinnerungen und Empfindungen bis hin zu den Gerüchen und den Kindergedanken vor einem Adenauerplakat wachgerufen werden. Natürlich gehört auch gründliche Recherche zum autobiographischen Erzählen. Je mehr Details, desto besser. So habe ich versucht, möglichst viele Seiten dieses Ichs zu erfassen, das ich mit elf Jahren war. Die meistens vagen Empfindungen des Elfjährigen in die präzisen Worte eines Erwachsenen zu übersetzen und damit überhaupt erst darstellbar zu machen. Erst diese sprachliche Distanz und die Gefühlsdistanz zu den Eltern ermöglichte leisen Humor.

Ohne schonungslose Erinnerung geht nichts. Aber man