Ohne Heinrich Böll und Fritz J. Raddatz wäre mein Leben anders verlaufen. Die beiden sollen 1970 in der Jury für die Villa-Massimo-Stipendiaten Hermann Peter Piwitt und mich durchgesetzt haben, wie ich Jahrzehnte später hörte. Ich war gerade Lektor mit halber Stelle bei Klaus Wagenbach geworden und völlig überrascht von diesem Angebot, das meine Pläne durchkreuzte – damals bewarb man sich noch nicht. Es war eine hohe Auszeichnung, erst recht für einen Passrömer: ein Jahr in einem Atelier in meiner Geburtsstadt plus tausend Mark im Monat. Von Oktober 1971 bis August 1972 ließ ich mich von Wagenbach beurlauben. Aber ohne ein Projekt wollte ich in Rom nicht herumhängen und entwickelte die Idee einer satirischen Festschrift für einen Konzern. Es wurde Siemens – und viel mehr Arbeit, als mir lieb war. Ein Buch, das Folgen hatte (> ABS, > AUSCHWITZ) und das ich als Halbtagslektor unmöglich hätte schreiben können, jedenfalls nicht pünktlich zum hundertfünfundzwanzigjährigen Gründungsjubiläum im Oktober 1972. Schließlich hätten ohne den zehnmonatigen Aufenthalt in Rom auch meine Italienneugier und Italienliebe nicht ein so festes Fundament gefunden. Immer wieder kehrte ich als Besucher nach Rom und hin und wieder auf die Massimo-Insel (> ARNHOLD) zurück.
Darum bekam auch die Villa Massimo für eine Festschrift, 2009, eine Seite über den Kies auf den Wegen: Was wäre die Villa Massimo ohne ihre Wege, die Wege ohne den Kies, der Kies ohne seine Helligkeit, was wäre der Kies, wenn er stumm wäre? Ein Mensch auf den Wegen der Villa genügt, schon fängt der Kies zu sprechen an. Jeder Bewohner, Besucher oder Beschäftigte, der vor die Tür geht und ein Stück läuft, teilt, ob er will oder nicht, den Nachbarn mit: Hallo, hier komme ich! Hört ihr, wie die Kiesel unter meinen Schritten jubeln? So sorgt der Kies für zwei Gemeinschaften, die sich ständig neu zusammensetzen, die geräuschverursachenden Kieswegbenutzer und die neugierigen Deuter dieser Geräusche.
Denn die Kieselsteine sind Verräter, ja, auf diskrete Weise geschwätzig: Wer kommt, wer geht, allein oder zu zweit oder zu dritt, mit einem Fahrzeug oder zu Fuß, mit welchem Schuhwerk, mit Kindern, mit behutsamen oder raschen Schritten, das verraten die kleinen Steine und machen Meldung. Wie sie aneinandergerieben werden, wie sie knirschen, wie sie von Schuhsohlen oder Autoreifen traktiert und verschoben werden, so sprechen sie mit im allgemeinen, im unaufhörlichen Gewisper der Künstler, der Verwalter, der Gäste: Habt ihr schon gehört? Wer kommt da? Allein? Oder mit wem?
Der Wind in den Bäumen macht Pausen, der Verkehrslärm ebbt ab in der Nacht, nur auf den Kies kann man sich immer verlassen. Seine Sprache antwortet unseren Bewegungen, rund um die Uhr.