Schon seltsam, wenn man als Kind allmählich realisiert, mütterlicherseits, also zur Hälfte von Adel zu sein. Also «was Besseres»? In diesem Teil der Verwandtschaft, leicht am «von» zu erkennen, legte man immer viel Wert auf die Feststellung, nicht besser zu sein und nicht besser sein zu wollen als die andern. Das gelang einigermaßen, weil meine Großeltern trotz ihrer jeweils eindrucksvollen Stammbäume mit großen preußischen, mecklenburgischen, westfälischen Namen arm waren (acht Personen lebten vom kargen Gehalt eines Volksmissionars und etwas Rente des U-Boot-Kapitäns aus dem Ersten Weltkrieg). Freilich hätten sie es gern gesehen, wenn alle ihre sechs Kinder einen beziehungsweise eine Adlige geheiratet hätten. Das schafften nur zwei. Trotzdem vertrugen sich alle bestens, soweit ich das mitbekam.
Wundersamerweise hatten alle, auch die Schwiegerkinder, den Krieg überlebt. Gottergeben und konservativ, aber gegen die Nazis (der Großvater und seine älteste Tochter in der Bekennenden Kirche), so kam man durch schwierige Zeiten. Zum Glück gab es keinen Besitz mehr, also keinen Besitzstreit, auch nicht in der weiteren Adelsverwandtschaft. Der einzige Besitz waren Erinnerungen an vergangene Zeiten, an verehrte Vorfahren und der halbironische Stolz auf den angeblich lückenlosen Stammbaum meiner Großmutter Hildegard von Quadt-Wyckrath-Hüchtenbruck bis hin zu Karl dem Großen (man vergaß Pippin den Kurzen, Karls Vater) – > AHNENGALERIE. Dass meine Großeltern neben der FAZ auch noch das «Adelsblatt» brauchten, habe ich lange für eine Marotte gehalten. Welche Lücke hatten sie da zu füllen?
Mein Vater wird Grund gehabt haben, seinen Söhnen immer wieder von seinen Vorfahren, von der Tüchtigkeit der westfälischen und nordhessischen Juristen, Apotheker, Beamten, Pastoren und der Bremer Reeder und Kaufleute (> ADELBERT) zu erzählen (> AUGUSTE). Und bis kurz vor seinem frühen Tod unsere bürgerlichen Stammbäume zu komplettieren.