Aare

Als schlechter Schwimmer bewundere ich meinen Freund aus Bern, den Dichter Jürgen Theobaldy, auch dafür, dass er, ein Jahr jünger als ich, noch heute sommers fast täglich in der wilden und seiner Ansicht nach gar nicht wilden Aare schwimmt. Oder sich treiben lässt mit der Strömung, er, der beim Schreiben stets jede Strömung mied. Mit keinem Freund korrespondierte ich so ausdauernd, so viel, so lange, so offen, auch mit offener gegenseitiger Kritik. Unser Briefwechsel über mittlerweile sechs Jahrzehnte könnte zwei Biographien ergänzen, fast ersetzen. Die Idee, irgendwann einmal die ganzen Briefe und Mails drucken zu lassen, finde ich keinesfalls abwegig. Man könnte dann auch meine Würdigung seines Schwimmens in der Aare besser verstehen. Gedruckt, in der SZ, 13. Oktober 2018, ist allein eine Postkarte Theobaldys aus London, in der er von seinen Gängen und Gesprächen mit Rolf Dieter Brinkmann berichtet – datiert an Brinkmanns Todestag, 23. April 1975. Kurz nachdem die Karte im Briefkasten war, wurde Brinkmann, vor Theos Augen, von einem Taxi totgefahren, wenige Tage vor Erscheinen von «Westwärts 1 & 2» und vier Jahre vor «Rom, Blicke».

Unser Austausch begann, als ich Theo 1974 von Rowohlt, wo er den viel beachteten Gedichtband «Blaue Flecken» veröffentlichte, zum Rotbuch Verlag abwarb, wo

Theobaldy hat «auch deshalb zu schreiben begonnen, weil er nie und nirgends im Mittelpunkt stehen wollte, schon gar nicht dort, wo ihn die Unzulänglichkeit, ja Vergeblichkeit des eigenen Schreibens, das immer auch ein Zustand ist, vielleicht mehr quälte als dieser Zustand selber». Bis heute lese und liebe ich seine Gedichte, die in immer kleineren Verlagen in immer kleineren Auflagen erscheinen. Zum Beispiel die Zeilen über die Aare: «Der Himmel ist undurchschaubar, / obwohl sein Blau meinem Blick nichts verwehrt. / Und der Fluss strömt fort und fort / in seinem unersinnbaren Grün. / Werden die Schleusen geöffnet, / wird die Aare wieder kalt sein wie im Mai, / als noch einmal Schmelzwasser von den Bergen kam. // Wenn wir lange genug still sind, / beginnen wir zu spüren, / dass die Stille unsere Gedanken wärmt.» (Der Kopf im Nacken)