12. Carries Trost

«Alles klar, Maya?», fragte mich Mama, während Paps die beiden Koffer zum Auto schleppte. «Wenn was ist, kannst du rüber zu Frau Gruber gehen. Sie weiß Bescheid.»

«Klar, ich bin ja schließlich kein Baby mehr!»

Meine Eltern fuhren zu einem Seminar im Schwarzwald und hatten sich spontan dazu entschieden, dort auch gleich zu übernachten. Ich hatte meinem Vater mit allen Kräften ausreden müssen, meine Patentante Marlene für dieses Wochenende zu bestellen. Ich brauchte doch mit sechzehn keinen Babysitter mehr! Aber Paps vergaß in manchen Situationen einfach, dass ich langsam erwachsen wurde.

Als meine Eltern gegangen waren, stand ich eine Zeitlang ziemlich belämmert da und überlegte mir, was ich mit mir anfangen sollte. Es war Mitte Juli und der erste richtig schwülheiße Sommertag. Ich hätte tausend Möglichkeiten gehabt. Aber seit dem Streit mit Nicki hatte ich kaum mehr zu etwas Lust. Zudem hatten sie für die Nacht Gewitter angesagt. Ich hätte es nie zugegeben, aber ich hasste Gewitter in der Nacht, genauso wie ich mich vor der Dunkelheit fürchtete.

Nachdem ich dreimal ziellos durch das ganze Haus gewandert war, entschloss ich mich schließlich zu einem Spaziergang. Den Kopf zerbrechen konnte ich mir auch an der frischen Luft, und das Referat für die Schule konnte meinetwegen bis heute Nacht warten, wenn es draußen donnern und blitzen würde.

Ich ging ein weiteres Mal nach oben in mein Zimmer, um mir was Entsprechendes anzuziehen, und verließ etwas später mit einem kurzen Top, Shorts und Sandalen das Haus. Ich hielt vergeblich nach einer Wolke Ausschau – der Himmel präsentierte sich in sattem Blau, so weit das Auge reichte.

Der Park war fast menschenleer, vermutlich tummelte sich die halbe Stadt bereits im Schwimmbad. Aber selbst wenn ich jetzt mit Nicki zusammen gewesen wäre – wir hätten wegen seiner Narben nicht mal baden gehen können! Auch darin hätte ich Rücksicht auf ihn nehmen müssen …

Ich ging im Schatten der Bäume, ohne überhaupt ein festes Ziel vor Augen zu haben. Ich überließ meinen Füßen die Führung, da mein Gehirn vollauf mit Grübeln beschäftigt war. Ich wusste nicht, ob ich erstaunt sein sollte, als ich mich ein wenig später auf dem Friedhof wiederfand. Zumindest stellte ich beschämt fest, dass ich schon ewig lange nicht mehr bei Mingos Grab gewesen war.

Es war ganz ruhig hier. Nur das Kläffen eines Hundes in der Ferne störte die Stille. Ich kniete mich auf der kleinen Rasenfläche vor dem Grab nieder und starrte stumm auf das Kreuz, dessen Inschrift schon viel blasser geworden war. MICHELE DOMINGO DI LORENO.

Als ob der Name mir Antwort auf meine vielen Fragen geben könnte, blieb mein Blick wie festgebunden an dem Kreuz haften. Ja, wenn Mingo noch gelebt hätte, hätte er mir bestimmt so vieles über Domenico sagen können …

«Ach, Mingo …», murmelte ich.

Aber es blieb still. Von Mingo kam keine Antwort mehr.

«Mingo …» Das Kreuz und die Inschrift verschwammen vor meinen Augen. Nicht schon wieder Tränen! Hatte ich nicht die letzten zwei Jahre mehr als genug geweint? Ich wischte mir geniert über die Augen, fast so, als könne mich Mingo dabei beobachten.

«Ich bin eine blöde Heulsuse, nicht wahr?»

Bist du nich …

Ich konnte ihn beinahe hören. Ich musste trotz allem lächeln, weil ich wusste, dass er genau das zu mir gesagt hätte.

«Hey Mingo! Weißt du eigentlich, dass du Vater wirst?»

Es gibt manchmal merkwürdige Zufälle im Leben. Und so einer ereignete sich gleich darauf. Ich fragte mich nämlich gerade, wie es wohl Carrie ging, als in der nächsten Sekunde ein hechelnder Hund herangeschossen kam und seine feuchte Nase in meine Hand drückte. Auf den zweiten Blick stellte ich fest, dass ich dieses zottelige Hündchen ziemlich gut kannte. Ahnungsvoll drehte ich mich um. Ein rundliches Mädchen in schwarzen Punk-Klamotten stand über mir und grinste mich breit an.

«Carrie!» Ich schrie fast vor Verwunderung. «Das ist ja ein Zufall.»

«Hi!», lächelte sie. Natürlich war ihr Bauch das Erste, was meine Aufmerksamkeit erregte. Er war beträchtlich gewachsen. Kein Wunder, sie musste nun etwa im achten Monat sein. Auf jeden Fall sah sie weitaus menschlicher aus als früher, obwohl sich über ihren Modegeschmack nach wie vor streiten ließ. Wer trug schon bei der Hitze Netzstrumpfhosen? Und dazu noch kaputte? Aber Mingo wäre es ohnehin egal gewesen, wie seine Freundin aussah.

Sie ließ sich schwerfällig neben mir ins Gras sinken und pfiff ihren Hund heran, dem offenbar der Geruch meiner Hand gefiel.

«Psst! Razor, mach Platz!» Sie klopfte mit ihrer Handfläche neben sich aufs Gras. Razor legte sich gehorsam hin.

«Ey, wie geht's denn so?», grinste sie und zog eine Bierdose aus ihrem versifften Beutel.

«Gut», log ich und runzelte die Stirn. «Und dir?»

«Auch gut.» Sie zog die Lasche weg und trank einen ausgiebigen Schluck Bier.

«Spinnst du?», entfuhr es mir. Am liebsten hätte ich ihr die Bierdose sofort aus der Hand gerissen.

«Jaaa, ich weiß.» Sie guckte mich beschämt an. «Sollte ich nich. Hab nu die ganze Zeit ja gar nix getrunken bei meinen Eltern. Echt nich. Aber gestern Abend bin ich abgehauen. Hätt's nich mehr länger ausgehalten. Und du? Bist ja auch ganz schön früh unterwegs, was? Ey, sag mal, heulst du?» Sie beugte sich neugierig zu mir vor.

«Äh …» Ich wischte hastig die paar Tränen weg. «Sorry …»

«Is doch wurscht. Ich heul auch immer. Wegen jedem Mist. Ham mich immer Heul-Punky genannt in der Szene. Ich heul schon, wenn 'ne Fliege krepiert. Was'n bei dir los? Zoff mit Nic?»

Ich schloss die Augen. Das Letzte, was ich wollte, war, über Nicki zu reden. Trotzdem senkte ich zustimmend den Kopf.

Sie kippte noch einen Schluck Bier in sich rein, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen: «Was'n passiert? Isser fremdgegangen?»

«Scheint so.» Ich riss ein paar Grashalme aus. «Er behauptet zwar, er sei nicht, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht, was ich glauben soll. Ich werde nie schlau aus ihm.»

«Is ja beknackt. Na ja, mach dir nix draus! Mingo hat auch immer gesagt, dass sein Bruder 'n Frauenaufreißer sei. War in der ganzen Szene dafür bekannt.»

Ich schloss die Augen. Das nützte mir herzlich wenig.

«Liebst ihn voll fett, was?», fragte sie mitfühlend.

«Ja, sehr», seufzte ich und konnte nicht verhindern, dass eine weitere Träne über meine Wange rann. Mist. Die Wahrheit ließ sich einfach nicht für ewig in eine Ecke drängen. Sie bahnte sich von selbst den Weg aus meinem Herzen.

«Das ist ja das Dumme. Ich komme von ihm nicht los.»

«Hey», murmelte sie etwas bestürzt. Und da schlang sie einfach ihre Arme um mich, ohne auf die Bierdose zu achten, die sie zwischen ihre Beine geklemmt hatte. Meine Shorts kriegten etwas von dem klebrigen Inhalt ab. «Nu heul doch nich. Sonst heul ich mir auch gleich einen ab, ey.»

«Schon gut, danke!» Ich klaubte ein Taschentuch hervor und schnäuzte mich. «Ich bin einfach ein wenig doof manchmal.»

«Sind wir doch alle!» Carrie zeigte ihr keckes Grinsen und machte sich wieder von mir los. Razor winselte und sah mich mit seinen schmutzigen Augen treuherzig an, als würde er mein Liebesproblem voll und ganz verstehen. Er war so hässlich, dass er schon wieder niedlich war. Ich streckte meine Hand nach der Hundeschnauze aus. Razor leckte sofort tröstend an meinen Fingern.

«Musst nich traurig sein. Ich kenn das», seufzte Carrie verständnisvoll. «Männer sind eben so. Sag ich doch immer. Hatte auch immer nur Pech mit meinen Kerlen. Entweder sind sie fremdgegangen oder krepiert.» Sie ertränkte das letzte Wort in einem Schluck Bier.

«Tja …» Ich strich schwermütig mein zerzaustes Haar glatt.

«Ich würd den einfach vergessen. Der hat doch 'nen Psychoschaden, genau wie Mingo. Ham halt beide 'ne ziemlich verkackte Kindheit gehabt, würd ich meinen. Mingo war auch voll gestört mit seinem Messer. Hab ihn aber trotzdem geliebt. Nen besseren Kerl als den gab's echt nich für mich.» Sie blickte zärtlich auf ihren runden Bauch runter und streichelte ihn.

Ich schlang meine Arme um die Beine und legte mein Kinn auf die Knie. Langsam war ich mit meinem Latein am Ende. Alle, die Domenico kannten, sagten mir dasselbe. Warum war da immer noch so ein lästiger Funken Hoffnung, dass es vielleicht trotzdem noch funktionieren könnte mit uns? Warum konnte ich nicht endlich erwachsen, realistisch und vernünftig werden?

«Ey!» Carrie tätschelte tröstend meine Schulter. «Wird schon werden. Gibt ja noch andere Kerle. Man bleibt ja nich gleich beim ersten hängen. Bist ja nich von ihm schwanger, oder?»

«Wir haben nie miteinander geschlafen», sagte ich.

«Nich?» Sie schaute mich perplex an. «Ich mein … wolltest du nie ausprobieren, ob der Kerl überhaupt was taugt im Bett?»

Ich zuckte mit den Schultern. «Ich finde nicht, dass man mit sechzehn schon alles überstürzen muss.»

«Da haste eigentlich Recht», grübelte sie. «Da bin ich halt nich so. Wollte immer alles ausprobieren. Wobei das mit Mingo anders war. Zuerst hat der mir einfach nur leidgetan. Als ich den zum ersten Mal sah, war der so zu, dass er kaum noch stehen konnte. Musste ihn nach Hause bringen. Nic ist total ausgerastet. Hat mich gleich wieder aus der Wohnung geschmissen. Ich dachte, so ein Spinner, ey! Na, und danach is Mingo mir ständig nachgelaufen und wollte mit mir quatschen. Er war so lieb. Hat mich immer mit'm Messer verteidigt, wenn ich mit 'nem Dealer Zoff hatte. Da hab ich mich dann voll in ihn verknallt. Aber er war echt schlimm auf Eitsch. War fast die ganze Zeit nur stoned. Aber ich fand ihn trotzdem toll. Und sah auch gut aus, ey. Echt gut! Bis auf die Zähne und so. Aber echt, so 'nen hübschen Kerl hatte ich vorher nie. Und so was von schüchtern, ey. Der hatte noch nie was mit 'nem Mädchen gehabt. So richtig, mein ich. Zieh dir das mal rein! Nen Kerl mit siebzehn, der noch Jungfrau is, das gibt's echt selten in der Szene.»

«Und wie ist es gekommen, dass ihr miteinander geschlafen habt?» Darauf war ich wirklich neugierig.

«Er kam zu mir und wollte Stoff haben. War übel auf Turkey. Ey, hab mich fast nich mehr eingekriegt vor Freude, nachdem ich ihn so lang nich mehr gesehen hab. Hat mich gefragt, ob er bei mir pennen kann. Wusste nich, wo er sonst hinsoll. Hatte ja voll fett Zoff mit Nic. Da sind wir dann halt in Kellys Wohnung, und dann hab ich einfach zu ihm gesagt: Ey, Mingo, lass uns doch 'n Kind machen. Er fand das irgendwie gut, und da isses halt passiert.»

«Du wolltest schwanger werden?»

Sie wurde rot. «Na ja … war dann aber trotzdem ziemlich schockiert, als ich den Test machte. Vor allem, weil Mingo da schon tot war. Mann, ey!» Sie rieb sich verstohlen über die Augen, dann trank sie ihre Dose leer und warf sie in ihren schmuddeligen Stoffbeutel zurück.

«Bin leider noch nich ganz vom Methadon runter», gestand sie. «Der Arzt hat mir abgeraten. Zu großes Risiko für den Kleinen. Muss warten bis zur Geburt.»

«Heißt das, es wird ein Junge?»

«Ja. Guck mal!» Sie wühlte in ihrer Tasche und kramte ein schmieriges Ultraschallbild raus, das offenbar schon durch viele Hände gegangen war. Razor hob sein Näschen und beschnüffelte es ausgiebig. «Das isser. Cool, was? Der Arzt hat gemeint, sei alles okay. Ich krieg 'nen gesunden Jungen. Hab ich echt Glück gehabt, ey.»

Ich nahm das Bild und betrachtete das undefinierbare graukörnige Etwas. Das sollte ein Baby sein?

«Musst es umdrehen!»

Ich errötete und drehte das Bild um. Peinlich …

«Hab's Nic auch schon gezeigt. Der war ganz aus'm Häuschen. Wollte das Bild gleich behalten. Hab ihm gesagt, nix da! Is meiner!»

«Du hast Nicki getroffen?» Mein Herz setzte für ein paar Takte aus.

«Na klar. Fass mal hier an!» Carrie schob ihr T-Shirt hoch, packte meine Hand und legte sie auf ihren harten Bauch. «Spürst du das? Jetzt tritt er mich wieder!»

Ich bekam richtig Gänsehaut vor Aufregung, als ich das sanfte Zucken unter der warmen Haut spürte. Wie es wohl sein musste, ein Baby in sich zu tragen?

«Ey du, Kleiner, hör auf!», stöhnte Carrie. «Deine Mama kriegt noch Bauchschmerzen wegen dir.»

Ich zog meine Hand wieder weg. Einen unbändigen Moment lang schlugen meine Gedanken wirbelnde Purzelbäume, und ich konnte es nicht mal verhindern. Ja, wie wäre es wohl, schwanger zu sein … schwanger von Nicki? Ich hatte noch nie in meinem Leben so eine Vorstellung gehabt und erschrak beinahe selber darüber. Ich konnte doch nicht mit sechzehn schon an so etwas denken! Ich verwies diese überdrehte Idee schnell von ihrem Platz.

«Hast du denn schon einen Namen für ihn?», fragte ich wieder nüchtern.

«Klar. Manuel Domingo. Passt dann auch zu meinem Nachnamen: de la Fuente.»

«De la Fuente? Heißt das, du bist Spanierin?»

«Mhmm. Bin aber hier geboren und aufgewachsen.»

«Ach so, du heißt ja eigentlich Carmen, nicht wahr?»

«Carmen Maria Mercedes de la Fuente.»

«Wow. Klingt gut! Ich dagegen hab den langweiligsten Namen der Welt.»

«Heirate doch Nic, dann kriegste auch 'nen coolen Namen!» Sie grinste, als hätte sie eben einen guten Witz gemacht. «Di Loreno!»

In meinem Bauch stellte sich wieder so ein verdächtig warmes Kribbeln ein. Maya di Loreno.

Aber hallo, Maya! Aufwachen, aber pronto! Konnte ich denn nicht endlich mal realistisch sein?

«Und wie kommst du auf Manuel?», fragte ich weiter.

Sie zuckte mit den Schultern. Über ihre Augen zog sich ein trüber Schatten. «Weiß nich. Als er zu mir kam, hat er ständig was davon gefaselt, dass er sein Kind Manuela nennen will, falls wir 'n Mädchen kriegen. So 'n Spinner, dabei wusste er ja noch gar nich, dass ich schwanger bin. War halt voll breit. Hat ja dann auch diesen Anfall gekriegt. Wo er zusammengebrochen is. Ey nee … der hatte richtig Schaum vor'm Mund und hat am ganzen Körper gezuckt und so …» Sie zog ihre Nase hoch.

Ich schaute stumm und beklommen das Holzkreuz an. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie mir Mingos Tod bis in die Details beschrieb. So was verkraftete ich nicht.

«Domenicos zweiter Vorname ist auch Manuel», suchte ich schnell eine Ablenkung. «Er wird sich bestimmt freuen.»

«Echt? Na, passt doch. Nic soll nämlich sein Pate werden.»

«Nicki wird sein Pate?» Auf diese Idee war ich noch gar nicht gekommen, aber was hätte es Naheliegenderes geben können?

«Und dich wollt ich fragen, ob du seine Patin sein willst!»

Mir fiel die Kinnlade runter. Mit Domenico zusammen Pateneltern von Mingos Kind sein? Ich verschwendete keine einzige Sekunde mit Nachdenken; die Antwort sprudelte wie von selbst aus mir raus, und nicht mal mein vernunftgesteuerter Verstand schaffte es, sie zu verhindern. Sie lautete Ja.

Carrie lächelte mich glücklich an. «Dann wär das also geklärt.» Sie stopfte das Foto wieder zurück in ihre Tasche.

«Und was machst du nun?», wollte ich wissen. «Irgendwo musst du doch wohnen?»

«Weiß nich. Geh vielleicht doch in so'n Faschistenverein. Mutter-Kind-Einrichtung oder wie die das nennen. Bleibt mir wohl leider nix anderes übrig, wenn ich den Kleinen behalten will.»

Ich nickte; das hörte sich schon mal nicht schlecht an.

«Was haste denn heute noch so vor?», fragte Carrie unvermittelt.

«Keine Ahnung. Eigentlich sollte ich ja lernen, aber ich habe überhaupt keine Lust. Meine Eltern sind das ganze Wochenende weg.»

«Sturmfreie Bude? Is ja abartig geil! Hey, woll'n wir heute Abend zusammen was machen? So richtig auf'n Putz hauen und so?»

Diesmal nahm ich mir kurz Zeit, diesen Vorschlag abzuwägen. Mit einem Punk-Mädchen ausgehen? Das war echt mal was anderes. Die Idee gefiel mir. Ich wollte mein Spießer-Image endlich loswerden. Dann konnte Nicki auch nicht länger so tun, als ob ich keine Ahnung vom Leben hätte.

«Ja, warum nicht?», sagte ich etwas vage.

«Ich brauch mal wieder Party, ey. Bei meinen Eltern war's so öde. Den ganzen Tag nur vor der Glotze rumhängen. In diesem öden Kuhdorf. Nix los dort.»

«Aber ist das überhaupt richtig?», meldeten sich nun doch die Bedenken zu Wort. «Ich meine, du bist schwanger.»

«Ach was, geht schon. Werd einfach nix trinken. Ehrenwort!» Sie hob die Hand und kreuzte Zeige- und Mittelfinger. «Wir könnten ins X gehen. Dann können wir zwischendurch mal raus. An den Fluss runter und so. Gesunde frische Luft schnappen. Dann passiert dem Kleinen nix. Ey, Mami passt doch auf ihn auf.»

«Du … du meinst ins … X … also, ins Xenon?»

«Na logo, wohin denn sonst?» Für sie war das wohl sonnenklar, dass jeder das Xenon kannte und regelmäßig hinging.

«Na, ich war halt noch nie im X», gab ich zu.

«Nich wahr, oder?»

Ich zuckte nur mit den Schultern. Nicki würde jedenfalls durchdrehen, wenn er mich im Xenon wüsste. Von Paps ganz zu schweigen …