Auf dem Weg zurück ins Zimmer begegnete mir Isabelle im einsamen Flur. Ihre bösen Augen machten mir klar, dass jetzt, wo die Schule zu Ende war und Frau Galiani nicht mehr über uns wachen würde, der Tag der Rache erst bevorstand. Ich wich diesem vernichtenden Blick verwirrt aus. Ich hatte zwar keine Zeit, mich auch noch um dieses unerklärliche Phänomen zu kümmern, doch ich sehnte den Tag herbei, an dem ich endlich mal den Grund ihres tiefgründigen Hasses gegen mich erfahren würde. Vermutlich würde auf dem Gymnasium eine ziemlich herausfordernde Zukunft vor mir liegen.
Leise öffnete ich die Tür zu unserem Schlafraum und tappte zum Bett. Die anderen waren alle noch wach, obwohl Frau Galiani schon längst Nachtruhe verordnet hatte. Delia war damit beschäftigt, sich die Nägel zu feilen, und Evelyn tippte auf ihrem Handy rum. Nur Manuela döste selig vor sich hin und sah richtig zufrieden aus.
«Na endlich!» Delia legte die Nagelfeile beiseite. «Wie ist es, Mädels? Wollen wir schlafen? Damit wir morgen fit sind zum Shoppen?»
«Gute Idee», kam es aus Evelyns Richtung.
Wir löschten das Licht, und etwas später, als von den anderen nur noch regelmäßige Atemstöße kamen, lag ich noch immer wach und wälzte mich auf der harten Matratze herum. Der enge Schlafsack war nicht der einzige Grund, warum ich nicht einschlafen konnte. Nein, der Hauptgrund war natürlich Nicki und vor allem das aufrüttelnde Erlebnis in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett.
Jetzt, wo ich endlich allein war, hatte ich genügend Zeit, das alles mit meinem Verstand gründlich zu zerpflücken. Mehr als je zuvor wollte ich der Frage nach seinem Vater auf den Grund gehen, weil ich ahnte, dass die Antwort eine Menge ans Tageslicht bringen würde. Ich hätte beinahe alles darum gegeben, Domenicos Gedanken jetzt hören zu können. Wenn ich wegen all dem schon nicht einschlafen konnte, wie viel weniger wohl er … Oder würde er sich tatsächlich so mit Pillen lahmlegen, dass er morgen nicht mehr aufzuwecken war? Ach, Nicki … bei ihm konnte man einfach nie wissen.
Als meine Gedanken immer schummriger wurden und ich endlich im Begriff war, einzudösen, spürte ich, dass ich aufs Klo musste. Verflixt nochmal! Also schälte ich mich wieder umständlich aus dem Schlafsack, griff nach der Taschenlampe und stolperte in den Flur hinaus. Der Vollmond schien durch das kleine Erkerfenster und warf einen langen Lichtstreifen auf den Boden. Es war so hell, dass ich die Taschenlampe ausknipsen konnte.
In unserem Stock war es ganz still, alles schien sich tief und fest im Reich der Träume zu befinden. Nur unten in der Gemeinschaftsküche und im Aufenthaltsraum gingen andere Gäste noch ein und aus. Ich beeilte mich auf dem Klo und tappte mit bloßen Füßen wieder die Silberstraße zurück, die das Mondlicht warf. Vor dem Erkerfenster hielt ich kurz inne. Der Mond blendete mich richtig. Da regte sich auf einmal ein Schatten in der Nische neben dem Fenster, und ich hätte vor Schreck beinahe geschrien.
«Maya, bist du das?» Nickis leicht rauchige Stimme hätte ich mittlerweile aus tausenden erkannt.
«Ja!» Ich ging erleichtert zu ihm hin. Seine Augen wirkten in dem Silberlicht pechschwarz.
«Hab ich dich erschreckt?», fragte er.
«Es geht. Hast du keine Schlafpille genommen?»
Er schüttelte den Kopf. Ich schmiegte mich an seine Schulter, und er legte den Arm um mich.
Der weiße Vollmond am Nachthimmel strahlte uns mitten ins Gesicht. Die kleinen Laternen unten auf der Straße gaben im Gegensatz dazu ein geradezu schwächliches Licht ab. Ich spürte, dass es in Nickis Kopf heftig rumorte. Langsam hatte ich den Dreh raus, wann ich reden durfte und wann nicht. Ich lernte Domenico von Tag zu Tag besser kennen, und allmählich glaubte ich immer mehr zu verstehen, wann er wie tickte. Ich konnte seine Reaktionen je länger je besser einordnen.
«Ich glaube, dass er mein Vater ist, Maya.»
Der Mond hätte in diesem Augenblick vom Himmel fallen können – ich wäre darüber nicht weniger perplex gewesen. Ich musste mich beinahe in den Arm kneifen, um mich zu vergewissern, ob ich wirklich wach war. Nein, ich nahm alles zurück. Nickis Reaktionen einzuordnen würde vermutlich zu einem lebenslangen Prozess ausarten. Ich hatte mich darauf eingestellt, die halbe Nacht mit ihm dazustehen und den Mond anzuschweigen, aber ganz bestimmt nicht darauf, dass er mir endlich die Antwort gab, die ich schon so lange wissen wollte.
«Du wolltest doch schon immer wissen, ob ich das glaube, stimmt's?», fragte er beinahe provozierend.
«Ja, schon …» Ich presste fest die Lippen zusammen. Im Zweifelsfall lieber nicht fragen. Das hatte ich insgeheim zu meinem Motto gemacht.
«Kannst ruhig fragen …», sagte er etwas matt.
Uff. Damit stellte er mich tatsächlich vor eine große Herausforderung. Nicht, dass ich keine Fragen hatte, ich hatte mehr als tausend, aber was, wenn ich die falschen stellen würde?
«Äh … und warum glaubst du denn, dass er dein Vater ist?», wählte ich die erste Frage mit Bedacht.
Er schwieg und flocht leicht nervös seine Finger in meine Haare. Er drehte sein Gesicht zur Seite, als wollte er vermeiden, dass ich zu viel in seinen Augen lesen konnte.
«Soll ich dich lieber allein lassen?», fragte ich.
«Nein, bleib», bat er leise und presste mich enger an sich. Mein Herz klopfte stürmisch, weil ich spürte, dass er nahe daran war, endlich ein großes Geheimnis zu lüften; dass er nun bereit war, mich an eine tiefe Wunde heranzulassen. Er holte tief Luft, dann zog er sein Feuerzeug aus der Tasche seiner Jogginghose und schmiss es den Gang hinunter.
«Warum machst du das?», fragte ich schockiert.
«Nur so …» Seine Stimmbänder waren ganz ausgetrocknet. Seine Hände ballten sich zu verkrampften Fäusten.
«Nicki, du musst es nicht erzählen, wenn du nicht willst.» Ich streichelte beruhigend über seinen Rücken. «Ich kann auch warten.»
Er holte tief Luft und legte sich die Hand auf die schmerzende Lunge. «Er ist mein Vater, Maya.»
«Und warum bist du dir so sicher?» Meine Stimme bebte.
«Weil wir wegen ihm nach Deutschland gekommen sind.»
«Ihr seid wegen ihm nach Deutschland gekommen?»
«Meine Mutter wollte uns zu ihm bringen.»
Alle meine Körperhaare richteten sich auf. Wenn ich jetzt etwas verpatzte, würde ich vermutlich nicht mehr so schnell die Gelegenheit haben, dieses Geheimnis aus ihm rauszukriegen.
«Also, das heißt – du und Mingo, ihr … ihr seid eurem Vater schon begegnet?», wagte ich den nächsten Schachzug und hoffte, dass es der richtige war.
«Nein.» Das kam ziemlich barsch.
«Ich verstehe nicht ganz …»
Nicki wagte es, mich kurz anzusehen. Vielleicht versuchte er aber auch nur, meine Reaktion einzuschätzen, bevor er mir ganz den Blick auf sein Geheimnis freigab.
«Er hat meine Mutter nur für 'nen durchgeknallten Fan gehalten. War sie ja auch.»
«Deine Mutter war ein Fan von ihm?» Mit der Wiederholung seiner Aussage konnte ich nichts falsch machen, ihn aber hoffentlich zum Weiterreden bringen.
«Sie hat all die blöden Zeitungsartikel über ihn gesammelt. Lagen ja überall rum. Hat sich an ihn rangeschmissen. Ist ihm durch halb Italien nachgereist. Und hat ihn dann ins Bett gekriegt und ist schwanger geworden. Wollte sie aber nicht. Schwanger werden, mein ich. War nicht geplant. Sie wollte abtreiben. Hat aber nicht geklappt. Sie hat ihm 'nen Brief geschrieben. Ob er ihr die Abtreibung zahlt. Ist aber nie 'ne Antwort gekommen.» Er lachte bitter auf.
Die Wunde war aufgeplatzt. Fast instinktiv legte ich meine Hand auf seine Brust.
«Mann, Maya, du bist die Erste, der ich das erzähle», knirschte er mit zusammengebissenen Zähnen.
«Bitte erzähl weiter!», drängte ich atemlos. «Verstehe ich das richtig: Deine Mutter war also Fan von diesem Sportler, ist ihm nachgereist und hat sich an ihn rangemacht. Sie ist schwanger geworden, hat ihm deswegen einen Brief geschrieben und dann Jahre später versucht, euch zu ihm nach Deutschland zu bringen?»
«Ja.»
«Und er konnte sich nicht an sie erinnern?»
«Nein.»
«Bist du sicher? Ich meine, so was kann man doch nicht einfach vergessen …»
«Ach komm, der hat wahrscheinlich so viele Frauen gehabt, dass er sie nicht mehr zählen konnte!», winkte er verächtlich ab.
«Meinst du?»
«Ey, wenn du dich nicht mal mehr an die Frau erinnern kannst, mit der du gepennt hast, dann kann es nur so gewesen sein!» Eine Wut schwang in seiner Stimme mit, die offensichtlich nicht nur seinen Vater betraf. «Ey, mir brauchst du da nichts zu erzählen!»
Ich wechselte möglichst taktvoll das Thema. «Also gut, und was genau ist dann passiert, als ihr nach Deutschland gekommen seid?»
Aber darauf konnte er mir keine Antwort geben. Es war, als würde er da eine riesengroße Lücke in seinem Gedächtnis haben. Er schüttelte nur ratlos den Kopf. Seine Augen wirkten ganz hohl, als er offenbar versuchte, eine verschüttete Erinnerung zurückzuholen.
«Es ist zu lange her … Wir waren sieben, als wir nach Deutschland kamen. Ich weiß nicht mehr, was dann passierte. Sie hat nur noch den ganzen Tag rumgeflennt und seine beknackten Bilder angestarrt. Sie war von morgens bis abends betrunken. Ich hab dann ihre Zigaretten geklaut und mit dem Rauchen angefangen. Mingo hat kein Wort mehr geredet. Tagelang nicht mehr. Hat nur noch vor sich hingestarrt. Bin fast draufgegangen, weil ich dachte, der würde nie wieder normal werden.»
Ich schwieg, um das Gehörte zu verdauen. Doch je mehr ich hörte, umso größere Lücken öffneten sich. Neue Fragen, die mich vor scheinbar unlösbare Rätsel stellten. Ach, es war alles so kompliziert. Ich wusste gar nicht, wo ich nun am besten wieder ansetzen sollte.
«Und du bist dir ganz, ganz sicher, dass Morten Janssen dein Vater ist? Ich meine, deine Mutter könnte sich irren …»
Er schüttelte mit einer gewissen Sicherheit den Kopf. «Das ist unmöglich.»
«Aber sie war ja auch nicht gerade … zurückhaltend in Sachen Männer. Es könnte doch sein, dass sie ihn verwechselt … oder dass sie noch mit jemand anderem …»
«Nein. Sie gibt es zwar nicht zu. Weil ihr ja eh keiner glauben würde. Aber es ist so. Ich weiß es. Ey, ich hab heut seine Hände angeschaut.» Er ließ mich los und hielt sich seine Hand vor die Augen, betrachtete im Mondschein jedes Detail seiner Finger.
«Es ist nur eine Wachspuppe, Nicki …»
«Die realitätsgetreu nachgebildet ist.»
«Das würde also heißen, dass du einen ziemlich berühmten Vater hast», zog ich meine vorsichtige Schlussfolgerung. «Wenn er sogar bei Madame Tussaud steht …»
«Es ist mir egal, ob er berühmt ist oder nicht!», knurrte er. «Das bedeutet mir nichts, Maya, überhaupt nichts. Er hat nie wirklich existiert in meinen Gedanken.»
«Aber er müsste doch auch von deiner Existenz wissen? Wenn deine Mutter ihm sogar einen Brief geschrieben hat?»
«Ich weiß doch gar nicht, ob der Brief jemals angekommen ist. Und wenn, ob er ihr überhaupt geglaubt hat. Gibt ja 'n Haufen durchgeknallte Fans.»
Es war eine Weile still, weil ich erst abwägen musste, ob ich den allerletzten Schritt wagen durfte; den Schritt, der nötig war, um mit meinem Puzzle ein großes Stück weiterzukommen.
«Eine ganz vorsichtige Frage: Möchtest du dich denn nie auf die Suche nach ihm machen? Und alles mal klären?»
«Nein …»
«Warum nicht?»
Der Mond versteckte sich langsam hinter dem Kamin eines Hausdaches, doch er schien immer noch hell genug, dass ich den Anflug von Panik in Nickis Augen sehen konnte.
«Ich hab Angst. Wahnsinnig Angst, verstehst du? Ich weiß doch, dass er mich nicht sehen will.»
«Das heißt, er weiß also doch, dass du sein Sohn bist?»
Er zögerte. Ein paar Sekunden lang sah er mich mit denselben wirren Augen an wie Mingo damals, wenn er versucht hatte, seine konfusen Erinnerungen richtig zu ordnen.
«Nein, ich glaub nicht …», sagte er schließlich, die Augen starr auf die Fensterbank gerichtet.
«Und warum bist du dir dann so sicher, dass er dich nicht sehen will? Ich meine, vielleicht würde er sich ja sogar freuen …» Ich hörte meiner eigenen Stimme an, wie unrealistisch diese Vorstellung klang.
«Vergiss es! Außerdem weiß ich ja kaum was über ihn.»
«Hast du denn die Artikel nie gelesen?»
«Was steht da schon drin? Dass er viel in Italien und England unterwegs war, in Deutschland wohnte und 'ne Menge Medaillen gewonnen hat und jetzt irgendwo da oben in Schweden lebt oder so.»
«Norwegen.»
Er zuckte mit den Schultern. «Ach, ist doch egal, ist doch alles irgendwo da oben im Norden! Ich kenn mich nicht aus. Ich weiß nicht genau, wo Norwegen ist!»
«Hast du das in Erdkunde nie gehabt?»
«Sag doch gleich, dass ich beknackt bin!»
«Nein … tut mir leid, Nicki.» Mist, warum hatte ich schon wieder das Gefühl, in einer Sackgasse rumzurennen?
«Hey, ich wollte dich nicht verletzen!»
«Nee, hast du nicht … Aber wenn es dich stört, dass ich so viele Bildungslücken hab, kannst du es auch sagen.»
«Es stört mich überhaupt nicht. Ich war nur erstaunt, aber das macht nichts. Du kannst dafür andere Sachen. Wahrscheinlich kannst du sogar mehr als ich.»
Er zuckte wieder mit den Schultern. Ich schaute ihn von der Seite an. Wie vertraut und zugleich fremd er mir noch immer war. So nah und so fern gleichzeitig. Würde ich ihn je wirklich vollständig erfassen und verstehen können?
«Darf ich noch eine letzte Frage stellen?»
«Meinetwegen …» Das war mehr ein unbestimmtes Gemurmel als eine Erlaubnis, aber ich wagte es trotzdem.
«Haben die Verletzungen, die du dir am Körper zugefügt hast, vielleicht auch etwas mit deinem Vater zu tun? Es … es ging doch damals darum, dass man dich aus dem Sportverein geschmissen hat. Möchtest du … mit mir darüber reden?»
Er schüttelte den Kopf. «Nee … Ist jetzt vorbei. Ich mach das nicht mehr.»
«Was?»
«Das Ritzen.»
«Wie meinst du das? Du hast dich ein Mal am Bauch geritzt und musstest ins Krankenhaus?»
«Ich hab's ein Mal so fest gemacht, dass ich ins Krankenhaus musste.»
«Du hast es also in Wahrheit öfters gemacht?»
«Warum hab ich wohl so viele Narben, hmm?»
«Okay … verzeih, Nicki. Ich frage nicht mehr weiter!» Ich beugte mich vor und küsste ihn ganz leicht auf die Wange. «Und ich frage auch nichts mehr über deinen Vater, einverstanden?»
Er nickte dankbar. Schließlich fragte er: «Wie spät ist es eigentlich?»
Ich versuchte in dem restlichen Mondlicht das Zifferblatt meiner Uhr zu erkennen. «Fast zwei.»
«Na, dann lass uns lieber pennen … na ja, ich meine, du zumindest … Du brauchst doch deinen Schlaf …» Er streckte sich und gähnte.
«Und du? Was machst du? Gehst du auch schlafen?»
«Tja, ich glaub nicht, dass es 'ne gute Idee ist, wenn ich die doppelte Ration Pillen schmeiße. Dann kannst du morgen nix mehr mit mir anfangen. Und ich würde gern mit dir shoppen gehen …» Er ließ seine Augen den Korridor entlangschweifen. «Weißt du, ich hab mir überlegt, dass ich meinen Schlafsack hole und hier draußen im Flur penne.»
«Aber das ist doch viel zu hart hier auf diesem kalten Linoleumboden!», warf ich ein. Er grinste ein bisschen.
«Ey, wir haben in Bahnhofsunterführungen gepennt, auf der Straße, in Hauseingängen, im Gebüsch … Im Vergleich dazu ist das hier das totale Luxusbett!»
«Aber …»
«Hey, easy!» Er strich mir flüchtig über die Wange. Und ich fällte meinen Entschluss.
«Dann bleib ich bei dir. Ich hol meinen Schlafsack auch her und leiste dir Gesellschaft.»
«Kommt nicht in Frage. Du gehst ins Bett!»
«Nein, wenn du hier bleibst, bleibe ich auch hier!»
«Ey, du spinnst, Principessa. Du kriegst Ärger!»
«Dann krieg ich eben Ärger …», murmelte ich.
«Aber du hast selbst gesagt, der Boden sei zu hart!»
«Hör zu, ich möchte so gern, dass du morgen mit mir shoppen kommst», stellte ich klar. «Und vielleicht kannst du ja besser schlafen, wenn ich bei dir bin?»
Er seufzte, doch dagegen brachte er keine Einwände mehr zustande.
«Lass uns die Schlafsäcke holen, ja?», drängte ich.
«Du bist ein Dickschädel, Süße, echt. Aber ich bin diesmal unschuldig, wenn jemand fragt», brummte er. «Wenn die Galiani uns erwischt und deinem Vater petzt, bin ich diesmal nicht schuld!»
«Ich nehme die Schuld auf mich.»
«Du hast echt 'nen Knall», grinste er matt, weil ihm die Idee offenbar gefiel. «Aber ich werd aufpassen müssen, dass du keinen Mist baust.»
Schnell schlichen wir zu unseren Schlafräumen, und nun zahlte es sich wirklich aus, dass ich das Bett gleich neben der Tür bekommen hatte. Ich schnappte mir meinen Schlafsack und einen Pullover, vergewisserte mich mit einem kurzen Lauschen, dass die anderen immer noch im Tiefschlaf lagen, und verdrückte mich schnell wieder nach draußen.
Domenico wartete schon in der Nische beim Fenster auf mich und breitete seinen Schlafsack am Boden aus.
«Da, du kannst dich neben die Wand legen», raunte er. «Dann kannst du dich hinter mir verstecken, wenn jemand kommt.»
«Danke.» Ich nistete mich neben ihm ein und zwängte mich in meinen Schlafsack. Der Linoleumboden war wirklich unbequem hart und kalt, aber für eine Nacht würde ich es schon aushalten. Domenico holte ein Tempo aus seiner Hosentasche und klaubte daraus eine kleine, ovale weiße Pille hervor. Er brach sie entzwei, schluckte die eine Hälfte und wickelte die andere sorgfältig wieder in das Taschentuch ein.
«Nur die halbe?», fragte ich.
«Ich versuch's …» Er kroch ebenfalls in seinen Schlafsack und schob sich seine Lederjacke als Kissen unter den Kopf. Ich drehte meinen Pullover zu einer Wurst zusammen, um ihn für denselben Zweck zu benutzen, und legte mich dann auf den Rücken. Nicki sah mich erst mit dunklen Augen an, dann rutschte er vorsichtig etwas näher an mich heran und legte den Kopf an meine Schulter.
«Darf ich an deiner Schulter pennen?», fragte er sanft.
«Klar», hauchte ich. Er schlang zögernd den Arm um mich. Durch unsere Schlafsäcke hindurch fühlte ich die Wärme seines Körpers. Nickis weiches Haar kitzelte mich im Nacken. Ich streichelte ihn ein bisschen und schloss die Augen, um seinen tiefen Atemzügen zu lauschen. Trotz des harten Bodens und der tausend Fragen in meinem Kopf erfasste mich auf einmal eine wohlige Müdigkeit. Mit Nickis Duft in der Nase – dem Geruch nach Meerwasser, Salz, Leder und dem letzten Rest Sandelholz-Duschmittel – glitt ich schließlich ins Land der Träume.