Auf der anderen Straßenseite parkte ein dunkelblauer Ford Pinto. Zwei Männer saßen darin, die ihre Blicke nicht von Fiscetti ließen.
„Das ist vielleicht ein mieses Schwein“, brach der Fahrer schließlich das Schweigen. Der Mann auf dem Beifahrersitz nickte. Er war Mitte Dreißig, schlank und wirkte durchtrainiert. Sein Name war Steve McCoy, und er war einer der besten Agenten des Department of Social Research, einer geheimen Dienststelle des Justiz-Ministeriums.
Der Fahrer hieb wütend auf das Lenkrad. „Ein halbes Jahr Arbeit umsonst – nur weil dieser blöde Staatsanwalt die Sache vermasselt. Wir hätten Fiscetti gekriegt!“
Steve McCoy warf dem Fahrer einen raschen Blick zu. Er wusste nicht, wie der andere Mann hieß, aber er wusste, dass er einen Kollegen vor sich hatte, einen anderen Agenten des Departments. Ein Mann, der wie er sein Leben einsetzte, im ständigen Kampf gegen das organisierte Verbrechen, gegen die Mafia, diesem Krebsgeschwür, das überall wucherte. Die Mafia war ein Multi des Verbrechens, ein gigantisches Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz, der größer war als der von General Motors. Vom Gewinn gar nicht zu reden.
„Erzählen Sie mir mehr darüber“, sagte Steve. „Ich bin mit der Sache noch nicht sonderlich vertraut. Alec Greene sagte mir nur, dass Sie mir alle erforderlichen Informationen geben werden.“
Der andere nickte. „Ich habe seit einem halben Jahr mit Unterstützung des FBI Material gegen Fiscetti zusammengetragen. Er ist einer der Mafiagrößen von Chicago und kontrolliert ein ziemliches Imperium. Man hat ihn schon früher angeklagt, aber immer ohne Erfolg. Sie wissen, wie das geht.“
Steve biss sich auf die Lippen.
Auch er hatte es schon oft erlebt, dass geschickte Verteidiger und bestochene oder erpresste Zeugen die Anklagen gegen Mafiabosse in saubere Freisprüche umwandelten. Manchmal war der Rechtsstaat ohnmächtig.
„Wir hatten Fiscetti in der Zange. Steuerhinterziehung in großem Maßstab. Aktienfälschung und illegaler Devisenhandel. Und einen Mord hätten wir ihm auch noch anhängen können.“
„Und? Was ist passiert?“, fragte Steve.
Der andere lachte wütend auf. „Dieser idiotische Staatsanwalt trennt die Verfahren nicht voneinander ab. Er machte die Mordanklage zum Hauptanklagepunkt und hängte die anderen Vergehen an. Es kam natürlich, wie es kommen musste: Die Verteidigung mit ihren gekauften oder erpressten Zeugen zerpflückte die Mordanklage wie eine Butterblume, und dann waren die anderen Dinge auch vom Tisch. Fiscetti konnte das Gericht als freier Mann verlassen. Wir können ihn wegen der gleichen Dinge nicht noch ein zweites Mal vor Gericht bringen.
Ich wollte ihn wegen der anderen Dinge vor den Richter schleifen. Die Steuergeschichte war hieb und stichfest. Dazu brauchten wir keine Zeugen, sondern nur Papiere, und die hatten wir. Aber Sie sehen ja, was daraus geworden ist. Jetzt läuft der Kerl wieder frei herum, und beim nächsten Mal wird es für uns noch schwieriger werden. Mit etwas Glück und Taktik hätten wir ihn für einige Jahre aus dem Verkehr ziehen können.“
„Ich weiß, wie das ist“, sagte Steve. „Nicht zum ersten Mal ist uns auf diese Weise ein Gangster durch die Lappen gegangen, aber damit müssen wir leben. Ich verstehe nur nicht, weshalb ich jetzt auf den Fall angesetzt werden soll. Wie mir auch Alec Greene versicherte, haben Sie ausgezeichnete Arbeit geleistet. Es dauert doch viel zu lange, bis ich mich in die Einzelheiten des Falles hineingekniet habe.“
Der andere Mann schüttelte den Kopf. „Ich habe einen ganz großen Nachteil: Fiscetti kennt mich wie seinen Bruder. Wenn der mich nur auf eine Meile Entfernung sieht, macht er alle Schotten dicht. Wir müssen ihn jetzt in Sicherheit wiegen, und das geht nur, wenn sich einer an ihn heranmacht, den er nicht kennt. Aber passen Sie auf! Er hat dreimal versucht, mich aus dem Weg zu räumen. Ich habe viel Glück gehabt. Beim letzten Mal hätte es fast geklappt. Fiscetti schreckt vor nichts zurück. Er gehört zu einer Mafiafamilie, die schon seit Jahrzehnten in Chicago am Ruder ist. Sein Vater hat noch zusammen mit Al Capone gegen O’Banion gekämpft.“
„Eine Verbrecherfamilie mit Tradition“, meinte Steve McCoy sarkastisch. „Aber die Zeiten Al Capones sind schließlich vorbei.“
„Sicher. Ich weiß nur nicht, ob sie besser geworden sind. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Capone gegen die heutigen Gangster eine verhältnismäßig kleine Nummer war.“ „Fiscetti hat seine Pressekonferenz beendet“, unterbrach ihn Steve. „Er geht zu seinem Wagen.“
„Dann steige ich jetzt aus. Sie wissen Bescheid. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Vielleicht können Sie das fortsetzen, was ich begonnen habe.“ Der Agent drückte die Tür auf und stieg schnell aus dem Wagen. Sekunden später war er in der Menge verschwunden.
Steve rutschte auf den Fahrersitz und startete den Motor. Auf der anderen Straßenseite stieg Fiscetti in eine riesige Lincoln-Limousine mit stark getönten Scheiben. Man konnte gerade noch erkennen, dass mehrere Leute im Wagen saßen.
Steve wendete und setzte sich hinter den Lincoln, der gerade anrollte. Zwei weitere Wagen setzten sich ebenfalls in Bewegung, und die ganze Kavalkade rollte in nördliche Richtung.
In den beiden anderen Wagen saßen enge Freunde von Fiscetti, ebenfalls Mafiagrößen, wie Steve wusste. Offenbar wollte Fiscetti seinen Freispruch gebührend feiern.
Die Autokolonne hielt sich peinlich genau an die Geschwindigkeitsvorschriften, und Steve hatte keine Mühe dranzubleiben. Hinter sich bemerkte er noch einen Wagen, der in die gleiche Richtung zu fahren schien. Der andere Wagen veränderte ständig seinen Abstand, blieb aber hartnäckig in Sichtweite. An der nächsten Ampel stand er genau hinter Steve.
Zunächst dachte er, dass er es mit Leibwächtern von Fiscetti oder einem der anderen zu tun hätte, aber dann bemerkte er, dass nur zwei Männer im Wagen saßen. Sein zweiter Blick fiel auf die Funkantenne und den telefonierenden Beifahrer.
Die beiden Typen rochen eine Meile gegen den Wind nach FBI. Steve grinste. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er solch bedeutenden Begleitschutz bekam. Aber eigentlich hätte er damit rechnen müssen. Das FBI war genauso daran interessiert, Fiscetti hinter Schloss und Riegel zu bringen. Es war nur logisch, dass die Beschattung fortgesetzt wurde. Das Department übernahm in der Regel die oft langwierigen Ermittlungen im Hintergrund, während das FBI alle Register ziehen konnte.
Steve überlegte. Das war eigentlich gar nicht so schlecht. Die beiden FBI-Beamten würden todsicher auffallen. Man würde sie abhängen und nicht weiter auf ihn achten. Das war die beste Tarnung, die er sich im Moment vorstellen konnte.
Die Ampel schaltete auf Grün, und die Kavalkade setzte sich wieder in Bewegung. Steve kannte die Gegend nicht. Sie hatten die City verlassen und fuhren jetzt durch ein Wohngebiet mit kleinen Geschäften und Lokalen. Die Fassaden sahen grau und rissig aus. Auf den Straßen standen überlaufende Mülltonnen, und auf den Gehsteigen spielten verwahrloste Kinder. Die jungen arbeitslosen Männer, die auf den Treppen der Häuser saßen, starrten den Wagen mit bösen Gesichtern nach. Hier, in den Slums, rekrutierte das Verbrechen seinen Nachwuchs.
Steve vergrößerte den Abstand, denn der Verkehr war nicht mehr so dicht. Deshalb konnte er schneller auffallen. Er fuhr so langsam, dass der FBI-Wagen schließlich überholte.
Der Lincoln bog nach rechts in eine schmale Straße und hielt nach etwa hundert Metern vor einem italienischen Lokal.
Auch Steve stoppte, als er sah, wohin sich Fiscetti mit seinen Leuten begab. Es war Mittag. Das Essen, das jetzt folgte, würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Und was gab es für einen Italiener schöneres als ein ausgiebiges Essen im Freundeskreis!
Steve stieg aus und schlenderte die Straße entlang. Die beiden FBI Leute saßen in ihrem Wagen und sahen stur nach vorn. Der Beifahrer sprach schon wieder in sein Sendegerät.
Und Cesare Augusto Fiscetti hatte noch genau sieben Minuten zu leben.