image
image
image

7. Kapitel

image

Warum?“ Alec Greene blickte durch die getönten Scheiben des großen Buick nach draußen. Die Sonne stand ziemlich tief, und auf dem riesigen Parkplatz war kaum noch Betrieb.

Steve McCoy warf einen raschen Seitenblick auf den Mann, der ihn nach Jills Tod angeheuert hatte und der das Department of Social Research immer noch leitete und den Kampf gegen das organisierte Verbrechen auf seine Fahne geschrieben hatte. Steve traf sich mit Greene nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Die Zentrale der Organisation befand sich in Washington, aber im Gegensatz zu seinem Boss hielt Steve McCoy sich dort eher selten auf.

Die beiden Männer saßen im Fond des Wagens. Zwischen ihnen und dem Fahrer befand sich eine gläserne Trennscheibe. Eines stand fest: Sie war absolut abhörsicher.

Steve zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Ich bin noch zu neu in diesem Fall.“

Greene schüttelte nachdenklich den Kopf. „Dieser Mord kommt völlig überraschend. Fiscetti saß unserer Ansicht nach völlig sicher im Sattel. Er hat schon vor Jahren alle eventuellen Konkurrenten ausgeschaltet. Wir haben im Augenblick überhaupt keine Ahnung, wer für diesen Mord verantwortlich sein kann. Die beiden wichtigsten Leute der Chicagoer Unterwelt saßen mit ihm am Tisch, als es passierte.“

„Das beste Alibi, das man sich denken kann“, warf Steve ein. „Es wäre doch nicht neu, auf diese Weise den Unschuldigen zu mimen.“

„Nein, das glaube ich nicht. Bei diesen Leuten handelt es sich nicht um die hartgesottenen Burschen der alten Zeiten. Es sind dick gewordene Geschäftsleute, die selber nie ein Risiko eingehen würden. Wie leicht könnten sie bei einem Revolverschuss auf diese Distanz selbst getroffen werden. Nein, das halte ich für ausgeschlossen.“

„Liegen die polizeilichen Untersuchungsergebnisse schon vor?“, fragte Steve.

„Ja“, sagte Alec Greene. „Fiscetti wurde durch drei Schüsse getroffen. Schon der erste war tödlich. Nach Ansicht unserer Experten muss es sich um einen Meisterschützen gehandelt haben. Der Schusswinkel war ziemlich ungünstig, und beim zweiten und dritten Schuss musste er ihn erneut ändern, denn Fiscetti hatte durch den ersten Treffer seine Position geändert.“

„Welche Waffe hat er benutzt?“

„Eine 44er Magnum. Vermutlich mit langem Lauf. Das Fabrikat ließ sich nicht ermitteln.“

„Ganz schönes Kaliber“, meinte Steve. „Eine solche Waffe verlangt wirklich einen Experten. Ein ungeübter Schütze würde nie drei Schüsse hintereinander ins Ziel setzen können. Dazu hat die 44er Magnum einen viel zu starken Rückstoß.“

Greene nickte. „Völlig richtig. Aber wer hat geschossen? Ich fürchte, dieser Mord wird uns noch vor einige Probleme stellen. Es könnte der Auslöser eines Mafiakrieges sein, und den möchte ich unbedingt verhindern.“

Steve lächelte schwach. „Seit wann haben Sie etwas dagegen, wenn sich die Gangster selbst aus dem Weg räumen?“ In seinem Hinterkopf blitzte der Gedanke auf, dass es sich eigentlich um eine gute Idee handelte. Er sah das vertraute Lächeln von Jill, dass er nie vergessen würde. Denn es war das Letzte in ihrem Leben gewesen. Der Zorn auf die Gangster, die das zu verantworten hatten, stieg rasch in ihm auf. Er wusste wieder, wofür er kämpfte. Zwar waren Gangster wie Fiscetti nicht direkt für den Mord an Jill verantwortlich, aber auch sie würden keine Rücksicht auf Unschuldige nehmen.

Greene machte eine Handbewegung. „Im Prinzip habe ich nichts dagegen. Aber leider ist es bei solchen Auseinandersetzungen immer so, dass auch Unbeteiligte darunter leiden müssen. Es wird zu viel Staub aufgewirbelt. Bei uns ist manchmal die Arbeit von Jahren vertan. Alles geht auf Tauchstationen, neue Verbindungswege werden geschaffen, neue Leute tauchen auf. Und im Übrigen ist ein solcher Krieg für unseren Rechtsstaat ein völlig unhaltbarer Zustand.“

Steve nickte ernst. „Sie haben Recht. Das organisierte Verbrechen darf nicht glauben, dass es in diesem Land machen kann, was es will. Aber erzählen Sie mir noch ein bisschen über Fiscetti.“

„Fiscetti gehörte zur alten Garde. Seine Familie sitzt schon seit Jahrzehnten in der Führungsspitze der Unterwelt von Chicago. Sein Vater gehörte zum engeren Kreis um Al Capone. Er hat damals viel dazu beigetragen, die Organisation aufzubauen. Cesare trat schon sehr früh in die Fußstapfen seines Vaters. Als Zwanzigjähriger leitete er ein Rackett, das die Spielsalons der Stadt kontrollierte. Dann diente er sich allmählich höher, bis sein Vater Anfang der Sechziger Jahre starb. Es gab damals einen kurzen Krieg um die Nachfolge, weil sich verschiedene Banden um den Kuchen stritten, aber Cesare setzte sich rücksichtslos durch. Er verstand es, seine Gegner rasch auszuschalten. Er hatte ein fabelhaft funktionierendes Vollstrecker-Team, das er allerdings auflöste, nachdem er sich an die Spitze der Organisation gestellt hatte. Es gab keine Gegner mehr.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Fiscetti seit dieser Zeit unangefochten über Chicago herrscht? Wie damals Capone?“, fragte Steve ungläubig.

„Nicht über die ganze Stadt. Es gibt mehrere Einflussbereiche. Die allerdings sind seit Jahren unverändert. Jeder hat bisher den anderen respektiert. Die alte Garde ist ruhiger geworden. Die Bosse haben längst erkannt, dass mit Schießereien auf die Dauer kein Geschäft zu machen ist. Ein Mord wirbelt viel zu viel Staub auf. Zu diesem Mittel greift man nur noch, wenn man es für unbedingt notwendig hält. Deshalb bin ich so erstaunt, dass man jetzt ausgerechnet Fiscetti umlegt. Das kann nur Krieg bedeuten.“

Steve runzelte die Stirn. „Es muss doch jemand aus dem inneren Kreis gewesen sein. Wie hätte der Mörder sonst wissen können, wo und wann Fiscetti sein Mittagessen einnimmt.“

Colonel Greene winkte ab. „Das hat Fiscetti schon vorher bekannt gegeben. Er hat fast jeden Tag irgendeinem Reporter ein Interview gewährt. In seiner großspurigen Art hat er schon vorher erzählt, dass er nach seinem Freispruch in diesem Lokal den Sieg der Gerechtigkeit feiern will, wie er sich ausdrückte.“

Steve nagte an seiner Unterlippe. „Auf jeden Fall hat sich der Mörder vorher die Örtlichkeiten angesehen, vor allem den Fluchtweg.“

„Das war keine Schwierigkeit. Die Polizei hat den Fluchtweg rekonstruiert. Der Mörder hatte genügend Zeit. Er brauchte nur fünf Sekunden Vorsprung – und die hatte er. Durch einen Nebeneingang konnte er sofort in der Menge verschwinden, und zwar auf der anderen Seite des Blocks. Das hilft uns alles nicht weiter.“

„Es muss einen Grund geben“, sagte Steve langsam. „Einen gewichtigen Grund. Wie gut kennen Sie die Organisation von Fiscetti?“

Alec Greene öffnete das Seitenfenster ein Stück und nahm einen tiefen Atemzug. „Durch die Arbeit eines Ihrer Kollegen haben wir einen ziemlich guten Einblick in die Organisation bekommen. Wir waren ja kurz davor, Fiscetti hochgehen zu lassen. Leider hat die Anklagebehörde einen großen Fehler gemacht, der schließlich zum Freispruch führte. Aber wir haben keinen Hinweis auf irgendwelche Dinge, die diesen Mord erklären könnten.“

„Vielleicht liegt der Grund in der Vergangenheit?“

Greene warf Steve einen abschätzenden Blick zu. „Das halte ich für unwahrscheinlich.“

Steve schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Sie haben mir erzählt, dass Fiscettis Vater zu Capones Leuten gehörte. Capone kam eines Tages hinter Gitter. Was geschah zum Beispiel mit Fiscetti?“

Greene kniff die Augen zusammen. „Der machte weiter. Er wurde nie eingesperrt. Man konnte ihm nichts nachweisen. Capone war nach seiner Freilassung aus dem Rennen und verbrachte seine letzten Jahre bekanntermaßen in Florida. Andere haben seine Organisation übernommen und weitergeführt.“

„Fiscetti auch?“

Greene nickte. „Der gehörte auch dazu. Mit dem Mord an seinem Sohn ist die Dynastie allerdings erloschen. Cesare Fiscetti hat zwei Töchter, die aber verheiratet sind und in anderen Städten leben. Sie haben mit der Mafia nichts zu tun. Aber was sollen Ihre Fragen? Al Capone ist seit vielen Jahren tot. Ich glaube kaum, dass seine rächende Hand jetzt noch aus dem Grab kommt.“

„Es war nur so eine Idee.“

„Okay.“ Greene klopfte an die Scheibe, und der Chauffeur startete den Motor. „Ich setze Sie unterwegs ab. Sie bleiben auf jeden Fall in Chicago und befassen sich weiter mit der Sache. Wir müssen verhindern, dass ein Bandenkrieg ausbricht. Finden Sie heraus, wer Fiscetti erschossen hat. Und wenn Sie Spaß daran haben, können Sie auch in den alten Unterlagen wühlen. Ich werde Ihnen eine Erlaubnis für die Akteneinsicht besorgen.“

„Danke“, sagte Steve und verfiel in Nachdenken.