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17. Kapitel

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Steve McCoy schob die Hände in die Taschen und blickte auf das erleuchtete Schild. Der Cleopatra Club schien nicht gerade zu den besten Häusern der Stadt zu gehören. Jedenfalls nicht von außen.

Steve entschloss sich hineinzugehen.

Drinnen war es nicht viel besser. Laute Disco-Music dröhnte aus einer Box. Im Hintergrund tanzte ein Go Go-Girl und wand sich in schlangenartigen Bewegungen. Auf der erleuchteten Tanzfläche drehten sich Paare, die nur mit sich selbst beschäftigt waren. Die Luft war zum Schneiden.

Links lag eine lange Bar, verziert mit blitzendem Messing. Zwei Mädchen mit einem Hauch von Kleidung servierten die Drinks. Es war so, wie sich der Farmer aus dem Mittleren Westen die verruchte Großstadt vorstellen mochte.

Keiner kümmerte sich um ihn, als er eingetreten war. Es schien sich tatsächlich um ein gut besuchtes Lokal zu handeln, und nicht um eine Deckadresse. Steve durchquerte den Raum und steuerte auf die Bar zu. Einige Hocker waren noch frei, und er schwang sich hoch.

Sofort eilte eine der leichtbekleideten Damen hinter der Theke auf ihn zu. „Was darf’s denn sein, Mister?“, gurrte sie.

Steve lächelte leicht, als er daran dachte, wie hier wohl die Reaktion sein würde, wenn er wieder eine Cola bestellte. Der Überraschungseffekt würde sicher der gleiche sein. „Ein Glas Rotwein, bitte!“

Das Mädchen runzelte leicht die Stirn, als überlege sie, ob ein solches Getränk überhaupt existiere. Dann nickte sie und entschwand. Es gehörte wohl nicht zu den Getränken, die mit einem Handgriff verfügbar waren. Steve musste einige Minuten warten, aber dann kam das Mädchen tatsächlich mit einem Glas Rotwein in der Hand zurück.

„Es hat etwas gedauert“, entschuldigte sie sich, „aber Rotwein wird bei uns sehr selten bestellt. Ich musste erst eine Flasche aus dem Keller holen.“

„Ist in Ordnung“, entgegnete Steve. „Das Problem kenne ich schon.“

Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und er drehte sich langsam um. „Hallo, Süßer“, raunte die Blonde mit schmelzender Stimme. „Gibst du für mich auch einen Drink aus?“

Sie versuchte, einen mädchenhaften Charme in ihren Gesichtsausdruck zu legen, aber das misslang ihr völlig. Die extrem dick aufgetragene Schminke, das grelle Lippenrot und die gefärbten Haare ließen sie eher wie eine Marionettenpuppe erscheinen. So wie sie sich gab und wie sie sich kleidete, sollte man sie für zwanzig halten – Steve schätzte sie auf Mitte Vierzig.

Sie schob ihre Hand höher und kraulte Steve im Nacken. „Na, wie ist es mit einem Drink? Wir brauchen ihn auch nicht hier zu trinken. Dort drüben sind noch ein paar intimere Räume.“ Sie bewegte leicht den Kopf, und Steve bemerkte einige Türen hinter Vorhängen.

Steve grinste sie an. „Danke, ich habe keinen Bedarf. Aber du kannst mir einen Gefallen tun, und dann gibt’s auch einen Drink.“

„Und das wäre?“

„Ich möchte Scalise sprechen. Joe Scalise.“

In ihre Augen trat schlagartig ein erschreckter Ausdruck. „Scalise?“, flüsterte sie. „Ich glaube nicht, dass du ihn sprechen kannst. Woher weißt du überhaupt, dass er hier ist?“

„Du brauchst keine Angst zu haben. Er hat mir die Adresse selbst gegeben.“ Steve zog die Karte mit der Adresse aus der Tasche. „Hier, sieh selbst.“

Ihr war die Erleichterung deutlich anzumerken, dass sie offensichtlich einen Freund von Scalise vor sich hatte. „Warte hier, ich sage Bescheid“, gurrte sie.

Steve nippte an seinem Rotwein. Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Noch tappte er völlig im Dunkeln. Eigentlich gab es auch keinen Fall, wie es sonst meistens war. Man hatte einen Mafiaboss erschossen, und Alec Greene befürchtete jetzt einen Mafiakrieg. Steve wusste, dass solche Auseinandersetzungen von Zeit zu Zeit aufflackerten, wenn sie auch nie die Ausmaße der Gangsterkriege in den zwanziger und dreißiger Jahren erreichten. Trotzdem war das keine Garantie, dass es nicht eines Tages wieder so weit kommen könnte. Und das musste unter allen Umständen verhindert werden. Leider gab es überhaupt keine Anhaltspunkte, wer gegen wen kämpfte. Es kam sehr selten vor, dass ein so mächtiger Boss wie Fiscetti ausgelöscht wurde. Jeder wusste, dass eine solche Tat schwerwiegende Folgen haben würde.

Steve wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine Reibeisenstimme an sein Ohr drang. „Kommen Sie mit, Scalise will Sie sehen.“

Steve musterte den Sprecher. Es war ein ziemlicher Bulle, dem man seine Funktion auf eine Meile ansah. Früher musste er mal Boxer gewesen sein. Das verriet der Zustand seiner Nase und seiner Ohren.

„Scalise kann doch auch hierher kommen“, antwortete Steve.

Der Boxer lief rot an. „Werd’ nicht frech!“ Er hob leicht seine Arme an und ballte die Hände zu Fäusten.

„Warum sind die meisten Menschen bloß so reizbar“, murmelte Steve und kletterte von seinem Barhocker. „Gut, ich komme. Ich nehme an, dass wenigstens das Glas Wein auf Kosten des Hauses geht.“

Der Boxer zuckte mit den Achseln. „Komm schon!“

Sie verließen das Lokal durch eine Tür im Hintergrund. Sie führte auf einen schwach beleuchteten Gang, von dem mehrere Türen und eine Treppe abgingen. Sie stiegen die Treppe hinauf. Der Boxer trat Steve fast in die Hacken, so dicht blieb er hinter ihm.

Im ersten Stock sahen die Räume schon freundlicher aus. „Hier rein!“, befahl der Boxer.

Steve trat langsam ein, nachdem der andere die Tür aufgerissen hatte. Das Büro war beeindruckend.

Von Wand zu Wand lief ein beiger Spannteppich, auf dem mehrere echte Brücken lagen. Die Möbel waren aus Mahagoni. Das zentrale Stück im Raum bildete der riesige Schreibtisch. Dahinter thronte Joe Scalise. Er trommelte mit den Fingern leicht auf der Schreibtischplatte herum. Hinter ihm stand ein weiterer Mann, der ebenfalls als Gorilla zu erkennen war.

„Hallo!“ Steve trat näher.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell Wiedersehen“, meinte Scalise mit träge klingender Stimme. „Aber ich kenne Typen wie dich. Mein Angebot klang interessant, und du wolltest es dir wenigstens anhören.“

Steve nickte. „So ungefähr.“ Er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Schließlich hatte er diesmal keine sogenannte Legende, also eine komplette Tarnung mit allen notwendigen Papieren, sondern musste improvisieren. Allerdings hatte er auch nicht voraussehen können, dass er so bald Kontakt mit der Unterwelt haben würde. Auf jeden Fall musste er jetzt sehen, wie er durchkam.

Scalise machte eine lässige Handbewegung, und Steve spürte sich an den Armen gepackt und nach hinten gerissen.

„Was soll das?“

Der zweite Gorilla kam um den Tisch herum und tastete Steve ab. Mit unbewegtem Gesicht fischte er die Beretta aus dem Holster und legte sie auf den Schreibtisch.

„Okay, Jungs“, sagte Scalise. „Ihr könnt jetzt gehen.“

Steve wurde losgelassen, und die beiden Typen verschwanden nach draußen. Er massierte sich die Arme. Der Boxer hatte einen Griff wie die Backen eines Schraubstocks.

„Nichts für ungut.“ Scalise starrte seinen Gegner an. „Aber du wirst Verständnis für eine solche Maßnahme haben. In diesen gefährlichen Zeiten kann keiner seines Lebens sicher sein. Du siehst zwar nicht aus wie ein Killer, aber wer will das heute so genau wissen.“

Steve lächelte und zog sich einen Stuhl heran. „Sie haben mich beobachten lassen. Das mag ich nicht.“

Über Scalises Gesicht flog ein Schatten. Er hob beschwichtigend die Hände. „Eine reine Routinemaßnahme. Der Kerl, den ich hinterher geschickt habe, hat dich verloren. Vermutlich hast du ihn bemerkt und abgehängt?“ Er beugte sich lauernd vor.

Steve nickte.

Scalise lehnte sich befriedigt zurück und musterte Steve wie ein interessantes Insekt. „So, so. Ich habe etwas anderes gehört. Mir ist so, als hättest du meinen Mann überfallen und mit ihm gesprochen. Oder irre ich mich?“

Steve zuckte mit den Achseln. Der Typ, der ihn verfolgt hatte, hatte viel zu viel Angst vor Scalise, als dass er ihm nicht alles erzählt hatte. „Na, und? Ich mag es nicht, wenn man mich verfolgt. Ich bin heute nur hierhergekommen, um herauszufinden, weshalb Sie ein solches Interesse für mich an den Tag legen. Irgendeinen Grund müssen Sie doch haben.“

Scalise verzog die Lippen. „Sicher habe ich einen Grund, aber bevor ich ihn verrate, hätte ich gern etwas mehr von dir gewusst. Wie heißt du und woher kommst du?“

Steve hob die Schultern. „Es genügt, wenn Sie mich Steve nennen. Alles andere ist im Moment unwichtig. Mein Name tut nichts zur Sache. Es gibt Leute in den Staaten, die ihn nicht besonders gern hören. Im Übrigen war ich zuletzt im Ausland.“

Scalise nagte an seiner Unterlippe. „Wirst du von der Polizei gesucht?“

Steve schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist erledigt.“ Wenn Scalise wüsste, welche Leute seinen Namen nicht gern hörten, würde er ihn vermutlich auf der Stelle erschießen.

Scalise betrachtete seine Fingernägel. „Ich könnte noch ein paar Leute gebrauchen. Du hast auf mich einen guten Eindruck gemacht. Es wird immer schwerer, Leute zu finden, die außer ihren Fäusten auch den Verstand gebrauchen können.“

„Welche Art von Arbeit hätten Sie denn?“

„Sicherheitsaufgaben.“

„Aha.“

Scalise deutete auf die Beretta. „Kannst du mit einem Schießeisen umgehen?“

„Einigermaßen. Bisher habe ich immer das getroffen, was ich treffen wollte.“

„Okay. Ist die Knarre registriert?“

„Nein. Natürlich nicht. Solche Fehler hab ich mir schon in jungen Jahren abgewöhnt.“

Scalise zog eine Schublade auf und zog einige Papiere heraus. „Wir können gleich einen Vertrag machen. Ich zahle dir fünfhundert Dollar in der Woche, zuzüglich Spesen.“

Steve nickte. „Klingt nicht schlecht.“ Er war sich nicht sicher, ob Scalise wirklich so vertrauensselig war, dass er einen Mann nur auf den ersten Blick hin einstellte, oder ob er so von sich überzeugt war, dass er in dieser Beziehung nie einen Fehler machte. Dass es sich um eine Falle handelte, schloss Steve aus.

„Ich lasse die Papiere fertigmachen. Du kannst sie dir morgen Abend hier abholen und dann gleich anfangen. Buddy wird dich einweisen – das ist der, der dich nach oben gebracht hat. Er ist sehr zuverlässig und wird in der ersten Zeit mit dir zusammenarbeiten.“

In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Scalise nahm ab und meldete sich. Er hörte einige Sekunden zu und wurde plötzlich bleich. Seine Stimme klang heiser. „Alle beide, sagst du? ... Und sie waren sofort tot? ... Hat man schon eine Spur? ... Okay. Danke.“ Er legte auf.

„Eine unangenehme Nachricht?“, erkundigte sich Steve.

„Jetzt wird es ernst“, erwiderte Scalise. „Ich habe jetzt zu tun. Komm morgen Abend wieder.“

Steve nahm seine Beretta und schob sie in das Holster. Dann ging er zur Tür und verließ das Zimmer. Scalise hatte den Kopf in die Hände gestützt und schien ihn überhaupt nicht mehr zu bemerken.

Draußen stand der Boxer. Buddy.

Steve deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Da kam eben ein Anruf. Ich glaube, es gibt Probleme.“

Buddy musterte ihn misstrauisch und verschwand im Zimmer.

Fröhlich pfeifend stieg Steve die Treppe hinunter.