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Sein nächster Gang führte ihn zur Redaktion der „Chicago Tribune“, und sein Ziel war dort das Archiv. Von der Anmeldung wurde er über mehrere Stationen weitergeleitet, bis er bei einem kleinen, grauen Männchen landete, der aussah, als sei er selber schon archiviert.
„Sie wollen sich ein paar alte Zeitungen ansehen?“, krächzte das Männchen. „Kommen Sie mit. Es ist alles noch da. Von Anfang an. Ich bin seit über zwanzig Jahren hier im Archiv. Wenn mich einer von den Jungs oben etwas fragt, kann ich es meistens aus dem Kopf beantworten.“
Er meint vermutlich die Redakteure, dachte Steve. Er wusste, wie wichtig ein gutes Archiv für eine Zeitung war. Der Alte musste sich gut auskennen. Vielleicht hatte er tatsächlich einmal Glück und kam ein paar Schritte weiter.
Der Alte winkte ihn in einen gut ausgeleuchteten Gang. „Wichtig ist vor allem die richtige Temperatur. Ich sorge dafür, dass die Unterlagen nicht zu sehr austrocknen und dass sie nicht zu feucht werden. Man muss ein Gespür dafür haben.“
Steve nickte wortlos.
„Auf mein Gedächtnis kann ich mich auch verlassen“, schwatzte der Alte weiter. „Heutzutage hat man zwar überall Computer angeschafft, die angeblich alles schneller erledigen können – aber ich sage Ihnen, bei mir ist hier drin alles noch am besten aufgehoben.“ Er klopfte sich an die Stirn und sah Steve bedeutungsvoll an.
„Mich interessieren alte Ausgaben Ihrer Zeitung aus den dreißiger Jahren.“
Der Alte blinzelte ihm zu. „Haben wir. Sie brauchen noch nicht mal zu blättern. Ist alles auf Mikrofilm.“ Er blieb vor einer Tür stehen. „Hier ist der Leseraum. Setzen Sie sich ruhig schon hin. Ich hole nur das Verzeichnis, dann können Sie sich aussuchen, was Sie brauchen, und ein paar Minuten später haben Sie es vor Augen.“
Steve lächelte gequält.
Ein Mann kam mit wehenden Rockschößen den Gang entlanggeschossen. Er war nicht sehr groß und untersetzt. Das Haar trug er für seinen seriösen Anzug eine Spur zu lang. Er nickte Steve mit gerunzelter Stirn leicht zu und war schon vorbei.
„Das war unser Verlagsleiter“, flüsterte der Archivar. „Er ist oft hier unten. Dann lässt er sich die alten Werbebriefe heraussuchen und schreibt sie ab. Merkt kein Mensch, sagt er.“
„Aha.“ Steve nickte.
Endlich hatte der Alte die Tür geöffnet und ließ Steve eintreten. „Nehmen Sie Platz.“
Der Raum war gemütlich eingerichtet und sah aus, als ob er oft benutzt würde. „So, was darf’s denn sein?“
Steve hatte sich schon vorher überlegt, welche Ausgaben der Zeitung er brauchte, und er nannte sie dem Alten.
Der rieb sich so die Hände, dass Steve erwartete, bald Funken aufsteigen zu sehen. „Haben wir gleich“, murmelte der Alte. „Haben wir gleich.“
Er griff sich einen dicken Band aus einem Regal und blätterte darin herum. Sein Finger glitt suchend über die Seiten. Dann klappte er das Buch wieder zu. „Es dauert nur ein paar Minuten.“
Er verschwand, und Steve setzte sich vor das Mikrofilm-Lesegerät. Es dauerte wirklich nicht lange, bis der Alte wiederkam und den ersten Film einlegte. Er erklärte Steve, wie das Gerät bedient wurde. Es war ziemlich einfach.
Der Alte deutete auf einen Knopf neben der Tür. „Wenn Sie fertig sind, klingeln Sie einfach, dann komme ich Sie abholen.“
„Danke“, erwiderte Steve. Er war jetzt ungeduldig, endlich seine Neugier befriedigen zu können.
Nach zwei Stunden rieb er sich die Augen. Noch hatte er nichts gefunden, was ihn in irgendeiner Form weiterbrachte. Er spannte einen neuen Film ein. Sicher gab es immer wieder Berichte über Auseinandersetzungen zwischen Gangstern, aber es war kein Name darunter, der Steve bekannt vorkam.
Plötzlich stutzte er, und drehte den Film zurück.
Da war der Name wieder. Lombardo! Rasch überflog er den Artikel. Es ging um eine Auseinandersetzung zwischen Al Capone und einem gewissen Lombardo, mit dem Capone früher zusammengearbeitet hatte. Bei einer Schießerei hatte es zwei Tote gegeben. Die Mörder waren wie üblich unerkannt entkommen. Zwar hatte man Lombardo verhaftet, ihn aber wieder laufenlassen müssen, da man ihm nichts nachweisen konnte. Der Reporter hatte noch ein Interview mit Capone geführt, in dem der berüchtigte Gangster sagte, er verstünde es überhaupt nicht, dass sein alter Freund Lombardo plötzlich etwas gegen ihn haben könne.
Zwei Minuten später entdeckte Steve den nächsten Namen. Fiscetti! Auch hier gab es einen Zusammenhang mit Capone. Auch hier hatte es eine Auseinandersetzung mit Toten gegeben.
Steve lehnte sich zurück. Sollte hier der Schlüssel verborgen sein? Nach so langer Zeit? Capones Körper war längst zu Staub geworden. Fiscetti lebte nicht mehr. Der Ermordete war sein Sohn gewesen. Lombardo hatte allerdings noch gelebt – wenn es der gleiche Lombardo war.
Steve sah sich noch ein paar Ausgaben der alten Zeitungen an und notierte sich die Namen, die im Zusammenhang mit ähnlichen Meldungen auftauchten. Ein Name war darunter, der ihm ebenfalls sehr bekannt vorkam.
Scalise.
Es konnte nicht der sein, den Steve kannte. Das Alter stimmte nicht. Aber vielleicht war es der Vater oder ein Onkel. Wenn Steves Theorie richtig war, war auch Scalise bedroht.
Er schaltete das Lesegerät ab und drückte auf den Knopf neben der Tür. Der Alte erschien so schnell, als hätte er vor der Tür gewartet.
„Ich bin fertig.“ Steve stand auf. „Vielen Dank. Vielleicht komme ich noch einmal wieder.“
„Sie sind willkommen“, meinte der Alte. „Das Archiv steht zu Ihren Diensten.“
Steve drückte ihm zehn Dollar in die Hand.