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22. Kapitel

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Tonio Murano blickte bekümmert auf die Handvoll Patronen auf dem Tisch. Er brauchte neue Munition. Sein Vorrat reichte noch nicht einmal für zwei volle Trommeln. Das war jedoch viel zu wenig für das, was er noch tun musste.

Sorgfältig lud er die Waffe und prüfte ihre Funktion. Drei Patronen waren noch übrig. Er schüttelte leicht den Kopf. Es half alles nichts. Er musste sich neue Munition beschaffen.

Der alte Mann versenkte die 44er Magnum tief in einer Tasche seiner Kleidung und stand auf. Er löschte das Licht in dem dunklen, schäbigen Zimmer und schloss hinter sich ab. Es blieb noch Zeit genug für einen Einkauf. Niemand sah ihn, als er die winzige Pension verließ.

Er marschierte die Straße entlang und überlegte, wo er seine Munition bekommen könnte. Er grub in seinem Gedächtnis, bis ihm die Adresse wieder einfiel. Ja, der alte Pringle würde ihm welche verkaufen. Dort hatten sich früher auch schon die Leute eingedeckt. Pringle führte jede Art von Munition – und er stellte keine überflüssigen Fragen, für welche Zwecke sie gedacht war.

Murano bog um die Ecke und blieb erstarrt stehen. Der ganze Häuserblock war verschwunden. Wo sich früher schmalbrüstige Häuser aneinanderdrängten, stand jetzt ein riesiger Kasten aus Glas und Beton. Der alte Mann legte den Kopf in den Nacken, um bis zur Spitze des Hauses emporblicken zu können. Nein, hier gab es keinen Pringle mehr. Wieder riss etwas in Muranos Geist, und er notierte sich in Gedanken, dass er auch für den alten Pringle Rache nehmen musste. Es kam ihm dabei nicht in den Sinn, dass dieser Mann mittlerweile an die hundert Jahre alt sein müsste, wenn er noch leben würde. Für Murano hatten sich Vergangenheit und Gegenwart unlösbar miteinander verwoben.

Er ging weiter, bis er ein Viertel erreichte, das noch so aussah wie früher.

Hier müsste er eigentlich auch das Richtige finden können.

Murano betrachtete aufmerksam die Auslagen der Geschäfte. Auf den Straßen herrschte viel Betrieb. Viele arbeitslose oder arbeitsscheue junge Leute lungerten auf der Straße herum. Sie rauchten, tranken oder spielten mit ihren Messern. Dazwischen tobten Kinder, und Prostituierte lehnten an den Laternenpfählen. Es gab hier viele Schwarze. Eines der vielen Armutsgettos der amerikanischen Großstädte. Keimzellen des Verbrechens und ungelöstes Problem der Nation.

Der alte Mann blieb stehen. Hinter einem Schaufenster, das mit einem starken Stahlgitter gesichert war, glänzten die polierten Läufe von Gewehren und Pistolen. Messerklingen blitzten und brünierter Waffenstahl schimmerte matt. Jagdwaffen, Kleinkalibergewehre, Schrotflinten, Pistolen und Revolver aller möglichen Kaliber. Und Munition.

Der Mann betrat den Laden. Eine altertümliche Glocke bimmelte. Hinter einem Tresen mit einer Vitrine stand ein Mann von Mitte Dreißig, der dem Eintretenden erwartungsvoll entgegensah. Der Laden wirkte nicht so, als würden hier Reichtümer gesammelt. Die ganze Einrichtung sah alt und ungepflegt aus. Das galt allerdings nicht für die Waffen.

„Was soll es denn sein?“, erkundigte sich der Verkäufer. „Wir führen alle bedeutenden Fabrikate. Sie können sich auch in Ruhe umsehen, wenn Sie sich noch nicht genau entschieden haben. Wenn Sie ein Gewehr für die Jagd suchen, kann ich Ihnen dieses Modell empfehlen. Es ist eine Neuentwicklung mit einer ganzen Reihe von Vorteilen.“ Er drehte sich um und wollte ein Gewehr aus einem Wandständer nehmen.

„Ich möchte Munition kaufen“, sagte Murano entschlossen.

„Munition?“, wiederholte der Verkäufer. Seine Stimme klang enttäuscht. Mit Munition war kein so großes Geschäft zu machen. Der Laden warf nicht viel ab, und er hatte schon überlegt, ob er ihn schließen sollte. Aber es gab da ein paar Leute, die ihn daran hinderten. Sie brauchten den Laden, um ein paar Dinge über eine legale Adresse abwickeln zu können. Dinge, die mit Schusswaffen zu tun hatten. Rasch verdrängte der Verkäufer diese unangenehmen Gedanken.

„Was für Munition hätten Sie denn gern? Schrotpatronen? Kleinkaliber? Wir führen verschiedene Marken.“

„44er Magnum!“, bellte der Alte. Der Verkäufer runzelte die Stirn. „44er Magnum“, murmelte er. „Ein ziemlich schweres Kaliber. Für die meisten Schützen ist es zu stark. Man braucht viel Übung, wenn man damit umgehen will.“

„Wenn ich einen Kommentar dazu haben will, sage ich es. Haben Sie die Munition oder nicht?“

„Natürlich. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, falls Sie noch nicht damit geschossen haben. Schließlich will ich meine Kunden auch beraten. Nicht nur verkaufen.“ Er wirkte pikiert.

Der Verkäufer zog eine Schublade auf und holte ein paar Schachteln heraus, die er auf dem Tresen stapelte. „Hier. Sie können sich das Fabrikat aussuchen, das Ihnen am meisten zusagt.“

Murano griff nach einer Schachtel, ohne lange zu überlegen. „Diese hier nehme ich.“

Der Verkäufer nickte. „Remington. Die Packung mit fünfzig Patronen kostet elf Dollar fünfundzwanzig.“

„Zwei Packungen.“

Der Verkäufer betätigte seine Registrierkasse und schob dem alten Mann die zwei kleinen Schachteln hin. „Kann ich noch etwas für Sie tun?“

Murano stopfte die Schachteln in seine: Taschen und verließ wortlos den Laden.

Der Verkäufer sah ihm nach und wartete, bis das Bimmeln der Glocke verstummt war. Dann verschloss er die Eingangstür und nahm den Hörer des Telefons ab. Mit zitternden Fingern wählte er.