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Teil 2 – Mafiakrieg in Chicago

Die Wette gilt

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Sommer 1985

Der Mann am Eingang zum angesagtesten Golf-Club der Stadt versperrte ihm den Zutritt und musterte ihn leicht angewidert von oben bis unten. „So wollen Sie hier rein?“

Steve McCoy starrte zurück. „Gilt die Kleiderordnung auch für die Lobby? Für den Platz besorge ich mir schon ein paar neue Klamotten.“

Der Typ prüfte seinen Golf-Ausweis, der ihm erlaubte, auf anderen Plätzen zu spielen, kassierte die happigen Gebühren und deutete mit dem Daumen nach hinten. „Da ist der Shop.“

Steve marschierte an ihm vorbei, seine Tasche mit den Golf-Schlägern über der Schulter. Die Preise im Golf-Shop ließen ihn allerdings erblassen. Aber sein Boss Colonel Greene hatte gesagt, er solle bloß nicht auffallen und sich benehmen wie jeder andere professionelle Golfspieler.

Der Colonel hatte betont, dass dieser Auftrag eine Art Kurzurlaub in Florida sein würde. Viel Sonne und keine der üblichen Gefahren. Steve hatte das schon mehrfach gehört, und es hatte selten gestimmt. Aber diesmal sah es wirklich nach einem entspannten Job aus.

Er war gerade von einem Auftrag aus Chicago zurückgekommen. Dort hatte er sich einem gefährlichen Killer gegenüber gesehen, der einen Privatkrieg gegen die Mafiafamilien der Stadt losgetreten hatte. Dabei war es um ein angebliches Vermächtnis von Al Capone gegangen. Nachdem der Tod in Chicago reiche Ernte gehalten hatte, war der Killer gestorben, und Steve dachte, dass damit sein Auftrag beendet war. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, wie sehr er sich irrte.

Die Kosten für diesen Job würde natürlich sein Auftraggeber übernehmen. Der Colonel hatte ihm für diesen Auftrag eine Kreditkarte gegeben. Der Kreditrahmen würde hier ganz schön ausgereizt werden.

Der Shop war gut sortiert. Er entschied sich für ein klassisches Outfit und krönte das Ganze mit einer Schirmmütze. An Tarnung war er durch seinen Job als Geheimagent gewöhnt. Seine Beretta gehörte diesmal nicht zu seiner Standardausrüstung. Insofern fühlte er sich nicht ganz komplett bekleidet.

Steve McCoy befand sich auf einem der zahlreichen Golfplätze der Stadt Naples in Florida. Hier lebten pro Kopf der Einwohner mehr Millionäre als in jeder anderen amerikanischen Stadt. Es gab protzige Villen, riesige Jachten an eigenen Liegeplätzen direkt vor dem Haus – und eben jede Menge Golfplätze.

Gleich nach seiner Ankunft am Flughafen Miami hatte ihm ein Kontaktmann eine stark gebrauchte Golftasche mit Inhalt übergeben, die Schlüssel für einen Leihwagen in die Hand gedrückt und die Adresse eines Golfplatzes in Naples genannt. Von seinem Boss hatte er den Auftrag erhalten, um Punkt fünfzehn Uhr am ersten Abschlag zu erscheinen. Dort würde er auf seine Zielperson treffen. Alles Weitere läge dann in seiner Hand.

Der Leihwagen war ein Lincoln Town Car – länger als ein Cadillac, aber trotzdem unauffällig. Für seine Größe von einem Meter achtzig fand er zumindest genügend Platz. Steve brauchte für die Fahrt quer über die Halbinsel auf der gut ausgebauten Straße knapp drei Stunden. Er genoss die Fahrt am Rande der Everglades.

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ALS ER JETZT AUS DER Tür des Clubhauses auf den Platz trat, spürte er die feuchte Hitze nach dem klimatisierten Gebäude deutlich. Florida – der Sunshine State – machte seinem Namen alle Ehre.

Wenig später erschien auch seine Zielperson. Steve erkannte ihn sofort von den Fotos, die ihm der Colonel gezeigt hatte. David L. Harding, Geschäftsmann aus New York mit einem protzigen Büro im Empire State Building. Vordergründig Manager eines Investmentfonds, in Wahrheit aber ein ausgekochter Betrüger und Erfinder eines speziellen Schneeballsystems, mit dem er seine Kunden um ihr Geld brachte. Er selbst hatte dabei viele Millionen Dollar auf seinen Privatkonten untergebracht.

Harding war ganz in Weiß gekleidet und trug einen breitkrempigen, extravaganten, weißen Hut auf dem Kopf. An seinem Handgelenk blitzten Gold und Brillanten. Ein Caddy wieselte um ihn herum und verstaute die Golf-Ausrüstung auf einem Elektrowagen.

Der Geschäftsmann war nicht allein. Zwei schrankbreite Typen in dunklen Anzügen waren offensichtlich seine Leibwächter. Neben ihnen wirkte ein weiterer Mann in Golfkleidung winzig. Dieser hatte die fünfzig weit überschritten und trug eine viel zu große Hornbrille. Er sah aus wie ein Buchhalter, und vermutlich war er auch so etwas Ähnliches.

Steve McCoy schlenderte auf die Gruppe zu und baute sich vor Harding auf. „Ein wunderbarer Tag für eine Runde Golf.“

Er streckte die Hand aus, und Harding betrachtete ihn, wie ein Forscher eine seltene Spezies. Er sah einen Mann, schlank und durchtrainiert, mit gut geschnittenen dunklen Haaren und grauen Augen.

Harding verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wer sind Sie?“

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MEIN NAME IST JEFF Forrester. Ich bin Anwalt hier in Naples. Meine Klienten brauchen mich nur in Notfällen, und so kann ich mir viel Zeit zum Golfen erlauben. Naples hat in dieser Beziehung viel zu bieten.“

„Ist ja sehr interessant, aber was hat das mit mir zu tun?“ Harding stieg in den Golfwagen, und die beiden Schränke rückten näher an Steve heran.

„Ich würde gern mit Ihnen wetten, dass ich Sie mit zehn Punkten schlagen kann.“ Steve hatte von Colonel Greene erfahren, dass Harding ein ziemlich guter Spieler war und dass er ungern verlor. Und vor allem: Dass er einer Wette – wenn sie hoch genug war – schwer widerstehen konnte.

Hardings Interesse war zwar geweckt, aber überzeugt war er nicht. Man sah es seinem Gesicht an. „Wenn ich wette, dann nicht um Kleingeld, und nicht mit Menschen, die ich nicht kenne.“

„Das habe ich mir schon gedacht“, erwiderte Steve. „Damit wir uns besser kennen lernen: Was halten Sie von zehntausend Dollar – hier und jetzt?“

Harding sah den Bebrillten an. Der zuckte nur mit den Achseln. Die beiden Schränke wurden sowieso nicht gefragt. „Woher wissen Sie denn, dass ich überhaupt an Wetten interessiert bin?“

Steve lächelte. „Ich bin häufiger auf Golfplätzen in der Gegend. Eine ganze Reihe Spieler wissen, dass Sie gelegentlich beim Golfen wetten. Also dachte ich, dass ich es auch mal versuchen könnte.“

Harding stieg wieder aus seinem Golfwagen aus, trat dicht an Steve heran und bohrte ihm seinen Zeigefinger gegen die Brust. „Hören Sie! Ich bin nicht interessiert!“

Steve behielt sein Lächeln bei. „Wissen Sie, ich habe in den hiesigen Golf-Clubs schon erzählt, dass ich mit Ihnen wetten werde. Was werden Ihre Freunde sagen, wenn sie erfahren, dass Sie gekniffen haben?“

Harding starrte ihn wütend an. Dann deutete er mit dem Daumen nach hinten. „Nehmen Sie den nächsten Wagen. Wir treffen uns am ersten Abschlag.“

Er drehte sich noch einmal um. „Und noch eines – ich denke, wir verdoppeln die Summe.“

Steve nickte stumm. „Die Wette gilt!“

Der Colonel hatte ihm für die Summe einen großzügigen Spielraum gestattet. Jetzt grinste Harding breit. „Dann geben Sie sich Mühe, Mister Forrester. Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute beim Golfen Geld verdienen kann.“

„Werden wir noch sehen“, murmelte Steve leise und bestieg den nächsten freien Elektrowagen.

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AM ERSTEN ABSCHLAG hatte Steve McCoy keine Ahnung, in welche Richtung er den Ball hätte schlagen sollen, also ließ er Harding großzügig den Vortritt. Der nahm Schwung, und der Ball stieg weit in den blauen Himmel. Aus Hardings Begleitung kam begeisterter Beifall.

Steves Ball war weniger gelungen, er kam nicht halb so weit wie der seines Gegners. Harding grinste breit. „Da fehlt wohl der richtige Schwung!“

Steve nahm die Schadenfreude seines Wettpartners gelassen. Er wusste, dass es auf etwas ganz anderes ankam. Doch das durfte Harding auf keinen Fall erfahren. Steve bemühte sich, so gut zu spielen wie er nur konnte. Aber es war offensichtlich, dass er für Harding kein wirklicher Gegner war. Der spielte inzwischen sehr gelöst und machte gelegentlich sogar einen Fehler. Seine Begleiter wirkten entspannt.

Steve war mit der Punktzahl inzwischen weit ins Hintertreffen geraten, und seine Miene verdüsterte sich. Als sein nächster Ball im Bunker landete, warf er entnervt sein Eisen auf den Rasen. „Ich gebe auf, das hat heute keinen Sinn.“

Harding hatte sich an den Golfwagen gelehnt. „Dann brauchen wir die Punkte nicht zu zählen. Ich denke, es ist klar, dass Sie verloren haben. Das heißt, Sie schulden mir zwanzigtausend Dollar.“

„Das ist wohl so. Heute hatte ich einen besonders schlechten Tag. Vielleicht können Sie mir bald eine Revanche gewähren.“

„Immer, mein lieber Freund, immer. Doch jetzt wäre es an der Zeit, die Schulden zu bezahlen.“

Die beiden Schränke waren wieder näher gerückt.

Steve griff nach seiner Brieftasche und nahm ein Scheckheft heraus. Es tat weh, diesem Kerl zwanzigtausend Dollar in den Rachen zu werfen, aber es gab gute Chancen, dass sich der Aufwand lohnte. „Bar habe ich das Geld natürlich nicht bei mir. Ich stelle Ihnen einen bankbestätigten Scheck aus.“

Er füllte den Scheck aus, und Harding nahm ihn stirnrunzelnd entgegen. Dieser reichte ihn an seinen schmächtigen Begleiter weiter. „Was hältst du davon?“

Der Bebrillte – also wohl doch der Buchhalter – studierte das Schriftstück. „Ich kenne die Bank. Das ist eine sehr seriöse Adresse. Ich denke, das geht in Ordnung.“

Steve atmete insgeheim auf. Auch diese Hürde war genommen. Er schüttelte Harding die Hand. „Dann sind wir hier fertig. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Wir sehen uns.“

Er bestieg seinen Wagen und machte sich auf den Rückweg zum Clubhaus.

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ZWEI TAGE SPÄTER WAR Steve McCoy bereits wieder in Washington. Für die paar Meilen vom Washington National Airport ins Zentrum brauchte er nicht lange. Der Taxifahrer setzte ihn direkt vor dem Gebäude des Department of Social Research ab. Die Tarnadresse der Behörde, die sich in Wahrheit mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen befasste. Das Department unterstand dem Justizministerium. Seine Agenten waren meist verdeckt im Einsatz und besaßen mehr Spielraum bei ihren Ermittlungen als die Kollegen vom FBI. Die beiden Organisationen arbeiteten jedoch eng zusammen.

„Was macht denn die Sozial-Forschung so?“, fragte der Fahrer.

„Gesellschaftlich relevante Studien“, entgegnete Steve und stieg aus. Er musterte die nichtssagende Fassade des Bürogebäudes, in dem außer dem Department einige weitere Firmen auf den unteren Etagen residierten. Steve musste einen speziellen Lift benutzen, der nur mit einem Zahlencode zu starten war. Der Lift brachte ihn auf direktem Weg zum Empfangsbereich seiner Behörde.

Colonel Alec Greene, langjähriger Leiter der Organisation, erwartete ihn bereits in seinem Büro. „Hallo, Steve, ich hoffe, dieser Ausflug nach Florida war mal eine erfreuliche Abwechslung nach den Schwierigkeiten in Chicago.“

Steve nickte. „Ich hätte mir gern gelegentlich eine etwas kühlere Temperatur gewünscht. Aber ansonsten war es fast wie Urlaub, und ich konnte sogar eine Runde Golf spielen – obwohl mir der Sport in Wirklichkeit nicht sehr viel bedeutet.“

„Nun, wie auch immer. Ihr Einsatz war erfolgreich.“

Greene drehte den kleinen Monitor auf seinem Schreibtisch herum. „Harding hat gleich am nächsten Tag seinen unverhofften Wettgewinn realisiert. Ihr Scheck wurde eingelöst und sofort einem Konto einer Bank auf den Cayman Inseln gutgeschrieben. Seinem Privatkonto, auf dem er all seine ergaunerten Millionen versteckt hat!“

„Dann war es das?“

Der Colonel nickte. „Das FBI hat schon lange nach diesem Konto gesucht. Deshalb hat man uns ja auch um Hilfe gebeten. Den Rest werden jetzt das FBI mit seinen Spezialisten und die Justiz übernehmen. Die Golf-Wette mit Ihnen wird sich für Mister Harding noch als ein sehr teurer Gewinn herausstellen. Und viele Geschädigte werden ihr Geld zurückbekommen.“

Alec Greene ging zu einem Schränkchen hinter seinem Schreibtisch und nahm zwei Gläser heraus. „Zeit für einen Drink!“

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