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17. Kapitel

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Haben Sie das endlich begriffen?“, fragte Ernesto Gucci.

Joe Scalise verzog das Gesicht. „Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, dass ich mir nichts vorschreiben lasse. Sie können Ihren Bossen erzählen, was Sie wollen, aber ich lasse mir nicht in mein Geschäft hineinreden. Ich muss mich um meine Leute kümmern und dafür sorgen, dass die Geschäfte weiterlaufen. Außerdem muss ich mich gegen Aurelio zur Wehr setzen, wenn er mich angreift.“

„Er greift Sie nicht an.“ Gucci klang geduldig.

„Sie kennen ihn nicht“, fuhr Scalise hoch. „Sie haben doch überhaupt keine Ahnung von dem, was in dieser Stadt passiert. Es wäre wirklich besser, wenn Sie sich um Ihren eigenen Dreck kümmerten. Gehen Sie lieber zurück nach New York. Dort gibt es sicher genug für Sie zu tun. Hier in Chicago kommen wir schon zurecht.“

„Sie haben offenbar immer noch nicht begriffen.“

„Das habe ich schon.“ Scalise lachte. „Ich werde Ihnen etwas zeigen.“ Er ging zur Wand, klappte ein Bild zur Seite und schloss einen kleinen Wandtresor auf.

Gucci griff zu seiner Waffe, da er fürchtete, dass Scalise eine Dummheit machen könnten. Doch seine Sorge war unbegründet. Scalise holte eine kleine Kassette heraus und streckte sie Gucci mit beiden Händen entgegen.

„Hier drin liegt der Schlüssel zu meiner Macht. Mit dem Wissen, das auf diesen Papieren steht, kann ich über die ganze Stadt bestimmen. Das Material stammt noch von Al Capone. Es ist sorgfältig zusammengetragen. Keiner kann mir etwas anhaben, solange ich diese Papiere besitze.“

Gucci lachte leise. „Von Al Capone! Es muss sich da um sehr aktuelles Material handeln. Wissen Sie, wie lange Capone schon tot ist? Sie betrügen sich doch selber! Kein Mensch wird sich für Geschichten aus der Vergangenheit interessieren. Allerdings glaube ich viel eher, dass man sich mit Ihnen einen Scherz erlaubt hat.“

„Das ist Capones Vermächtnis!“, schrie Scalise. „Und es gehört mir!“

„Capone hat nichts hinterlassen, was von irgendwelcher Bedeutung wäre. Sie sind verrückt, auf einen solchen Unfug hereinzufallen.“

„Sie werden es schon merken! Ich werde sein Erbe antreten. Die ganze Organisation kann mir gestohlen bleiben. Sagen Sie Ihren Bossen, sie sollen mich in Ruhe lassen, sonst ...“

„Sonst ...?“, fragte Gucci sanft.

„Ich will niemandem drohen. Ich werde den Großen schon nicht auf die Nerven fallen, aber diese Stadt wird mir gehören. Sie werden nichts dagegen tun können. Und dieser verdammte Aurelio auch nicht. Er wird sich verrechnen. Alle werden sich verrechnen.“

„Sie sind also nicht bereit, Vernunft anzunehmen?“

„Ich schon. Ich scheine der einzige Vernünftige hier zu sein. Nur Sie wollen mir nicht glauben.“

Gucci ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. „Sie erklären also, dass Sie die gut gemeinten Ratschläge der Organisation, in deren Auftrag ich hier bin, missachten. Dass Sie im Gegenteil Ihre bisherige Handlungsweise fortsetzen wollen und damit die gesamte Organisation gefährden.“

Scalise grinste. Er hielt immer noch die Kassette in der Hand. „Sie reden ziemlich geschwollen. Aber was auch immer Sie damit sagen wollen, es interessiert mich nicht. Sie können nach New York zurückkehren und Ihren Bossen sagen, ich lege keinen Wert auf ihre Ratschläge.“

Der Vollstrecker umklammerte den Kolben seiner Automatic. „Das ist Ihr letztes Wort?“

„Ja.“

„Sie müssen ein sehr dummer Mensch sein“, sagte Gucci und erschoss Scalise ohne Bedauern.

Auf Scalises Gesicht lag immer noch das Grinsen, als ihn die Kugel traf und auf der Stelle tötete. Er fiel einfach nach hinten und blieb mit ausgebreiteten Armen auf dem Teppich liegen, die Kassette immer noch mit einer Hand umklammernd.

Gucci betrachtete den Toten nachdenklich, ohne die Kassette eines Blickes zu würdigen. Er glaubte als realistischer Mensch nicht an das Märchen von Al Capones Vermächtnis. Er konnte nicht wissen, dass er damit sein eigenes Schicksal unabwendbar beeinflusst hatte. Später würde es eine Sekunde in seinem Leben geben, in der er daran dachte, dass alles anders gekommen wäre, wenn er Scalise geglaubt hätte.

Die Tür wurde aufgerissen, und Marengo erschien, den Revolver in der Faust. Sein Blick streifte flüchtig über den Toten und heftete sich dann auf den Vollstrecker.

„Das ist schneller gegangen, als ich gedacht habe. Die Organisation scheint einen entschlossenen Mann geschickt zu haben.“ Marengo blickte auf den Toten und ließ den Revolver sinken. „Bedauerlich für ihn. Doch für uns alle ist es das Beste.“

Gucci lächelte schwach. „Man hat mir sehr klare Anweisungen gegeben. Trotzdem war ich verpflichtet, mich selbst zu überzeugen. Sagen Sie jetzt den anderen Männern Bescheid, was passiert ist. Sie werden provisorisch den Posten von Scalise übernehmen, bis man oben entschieden hat, wie es weitergeht. Der Tod Scalises muss noch für eine gewisse Zeit geheim bleiben, ehe die anderen Chicagoer Familien die Situation auszunutzen versuchen. Wir wollen Ruhe in die Stadt bringen.“

In Marengos Augen leuchtete es. Er hatte sofort begriffen, welche Chance sich ihm bot. Wenn er jetzt zur Zufriedenheit der Bosse arbeitete, würde man ihn nicht vergessen. Er hatte die Möglichkeit, in der Hierarchie ein Stück nach oben zu klettern. „Ich werde mich sehr genau an die Anweisungen halten.“

An der Tür klopfte es. Gucci machte eine Kopfbewegung. „Sie können damit anfangen. Draußen sind Ihre Leute.“