Lucio Aurelios Gesicht sah aus, als hätte er zu lange unter der Höhensonne gelegen. Die Zornesadern auf seiner Stirn schwollen an. Er schien kurz vor dem Platzen zu stehen. Seine linke Hand umklammerte den Telefonhörer wie ein Schraubstock.
Carlo Coletti blickte seinen Boss besorgt an. Er kannte Aurelio lange genug. Wenn er so aussah, war er unberechenbar. Da musste etwas ganz verflucht schiefgegangen sein. Wer sich in diesen Augenblicken in Aurelios Nähe befand, war höchst gefährdet.
Coletti spürte, wie sich in seinem Nacken Schweißtropfen sammelten. Er zog ein blütenweißes Tuch aus der Tasche und tupfte sich über das Gesicht. Sein taubenblauer Anzug schien ihm plötzlich zu eng zu werden, und der modische Kragen des ockerfarbenen Hemdes drohte ihn zu ersticken. Er versuchte, unauffällig in die Nähe der Tür zu gelangen.
Aurelio würgte an seinen eigenen Worten, und Coletti sah ganz deutlich, dass sein Boss Schaum vor dem Mund hatte. Es war noch schlimmer als sonst. Er berechnete die Entfernung zur Tür.
„Bleibt, wo ihr seid!“, brüllte Aurelio. „Wir kommen sofort. Den Kerl schnappen wir uns!“
Er warf den Hörer auf die Gabel und stampfte mit schweren Schritten zu Coletti hinüber, der erstarrt stehengeblieben war.
„Das war Tony“, grollte Aurelio. „Er und Giorgio sollten auf Gucci aufpassen, diesen verdammten Hurensohn von der Commissione. Wir hatten vor einigen Tagen seinen Schlupfwinkel entdeckt, und die beiden haben heute Abend dort Stellung bezogen. Sie sollten nur beobachten, damit ich informiert bin, wo sich dieses Stinktier aufhält.“
„Ja, ich weiß. Wir haben darüber gesprochen.“
„Die beiden sitzen also friedlich vor dem Haus, da kommt dieser Kerl und hält ihnen eine Kanone vor die Nase. Tony denkt, er war kurz davor, sie umzulegen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als abzuhauen. Sie hatten keine Chance. Dann besitzt der Kerl noch die Frechheit, mir zu drohen. Mir! Ich soll nicht noch einen Fehler machen! Das ist zu viel, sage ich dir. Das werde ich ihm heimzahlen!“
„Tony und Giorgio gehören zu unseren besten Leuten. Wie konnte er sie einfach überraschen?“
„Das werden wir die beiden auch noch fragen. Doch erst ist Gucci dran.“
„Und was tun wir jetzt?“
„Verdammt noch mal, Carlo, manchmal stellst du dich ganz schön blöd an. Wir fahren natürlich hin und erledigen den Kerl. Ich habe jetzt die Nase voll. Es ist mir völlig egal, wie die Commissione das findet – wenn sie überhaupt davon erfährt.“
„Sie wird nichts davon erfahren“, beeilte sich Coletti zu versichern.
„Worauf wartest du dann noch?“, blaffte Aurelio ihn an. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, ehe der Vogel wieder ausfliegt. Wahrscheinlich bekommen wir die Gelegenheit nicht noch einmal.“
„Okay, Boss. Ich trommle die Leute zusammen.“
„Wir nehmen jeden mit, der bei einem Revolver weiß, wo vorne und hinten ist. Und wenn dieser Kerl noch so gut mit dem Schießeisen umgehen kann – wir werden ihn mit einer Übermacht einfach erdrücken.“
„Die Jungens werden sich freuen“, meinte Coletti. „Sie hatten lange keinen Erfolg mehr. Dass uns dieser andere Kerl in der Lagerhalle entwischt ist, hat sie ziemlich geärgert.“
„Dann können sie jetzt zeigen, was sie auf dem Kasten haben. Und sie sollen nicht vergessen, die Kanonen zu entsichern.“
Coletti zog die Stirn in Falten, weil er nicht genau wusste, ob Aurelio diese Bemerkung ernst meinte. Es war besser, ihn nicht danach zu fragen, denn der Boss hatte immer noch eine Stinklaune. Sie würde sich erst bessern, wenn sie Gucci erwischt hatten. Coletti wollte die Führung persönlich übernehmen. Diesmal durfte nichts schiefgehen. Er konnte sich leicht ausmalen, was Aurelio ihm dann erzählen würde.
Er verschwand nach draußen, um seine Leute zu alarmieren. Es würde ihnen nicht schaden, für eine Weile das Pokerblatt aus der Hand zu legen. Sonst vergaßen sie noch ganz, was Arbeit hieß.
Aurelio steckte sich eine Zigarre zwischen die Zähne und biss wütend darauf herum, ohne sie anzuzünden. Er war der große Boss in Chicago, und das sollte auch so bleiben. Wer ihm jetzt noch in die Quere kam, hatte sich das selbst zuzuschreiben.
Fünf Minuten später waren die Wagen unterwegs. Drei Autos, und in jedem saßen vier Mann. Das sollte eigentlich für einen einzelnen Mann reichen. Am Treffpunkt würden Tony und Giorgio noch dazu stoßen. Es war eine ziemlich beeindruckende Streitmacht.