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Das schabende Geräusch wiederholte sich. Diesmal war es etwas näher. Steve rührte keinen Muskel.
Der Vollstrecker hatte sich auf die Knie erhoben. Er stöhnte immer noch leise.
„Still!“, zischte Steve und deutete Richtung Treppenhaus.
Der Gangster versteifte sich und hielt ebenfalls den Atem an. Er hatte sofort begriffen. Im Zimmer war es immer dunkler geworden. Die Umrisse waren jetzt nur noch schattenhaft zu erkennen.
Der Killer blickte Steve fragend an.
Steve schüttelte den Kopf. „Wenn es die Leute sind, an die ich denke, bin ich an einem Gespräch nicht interessiert“, flüsterte er. „Du musst selbst sehen, wie du mit ihnen fertig wirst.“
„Ich kann mich kaum wehren“, murmelte der Killer. „Du hast mich ganz schön zusammengeschlagen.“
„Das kannst du mir wohl kaum zum Vorwurf machen“, entgegnete Steve leise. „In deinem Job musst du mit solchen Zwischenfällen schon rechnen. Es kann nicht alles klappen.“
„Wir sehen uns wieder“, stellte Ernesto Gucci fest. „Dann werde ich dich töten.“
„Sicher“, flüsterte Steve. „Für deine Gesundheit wäre es immerhin besser, wenn du mir nicht mehr begegnest.“ Er hatte keine andere Wahl, als den Killer laufenzulassen. Schließlich konnte er ihn nicht erschießen. Und mitnehmen auch nicht.
„Du wirst nicht durchkommen.“ Der Killer schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich sind es Aurelios Leute. Wie ich ihn kenne, rückt er mit einer ganzen Kompanie an. Sie werden dich abknallen wie einen Hasen.“
„Wir werden sehen“, meinte Steve ruhig, zog die Beretta und huschte zur Tür. Er legte das Ohr an das Holz und lauschte. Sie mussten sich noch draußen im Treppenhaus befinden. Sie wussten ja auch nicht, wo genau sich ihr Wild aufhielt.
Der Vollstrecker richtete sich schwankend auf.
„Dein Revolver liegt dort drüben.“ Steve deutete in die Richtung. „Vielleicht kannst du dir die Gegner damit vom Leibe halten, wenn du wirklich so gut bist, wie du behauptest.“
Er öffnete die Tür und verschwand durch den Spalt. Die Würfel waren gefallen.
Draußen war es stockdunkel. Nur ein schwacher Lichtschimmer verriet, wo sich die zweite Tür befand, die ins Treppenhaus führte.
Die Geräusche waren jetzt deutlicher. Steve hörte auch flüsternde Stimmen, konnte jedoch keine einzelnen Worte verstehen. Kein Zweifel, im Treppenhaus befanden sich mehrere Leute. Und was sie suchten, lag auf der Hand. Irgendwie mussten sie das Versteck von Ernesto Gucci herausgefunden haben. Vermutlich hatten sie ihn vorher schon beschattet. Er wusste auch nicht, wo Gucci gewesen war, als er ihn kurz verlassen hatte. Irgendetwas hatte ihn beunruhigt.
Steve schlich vorsichtig bis zu der anderen Tür und spähte ins Treppenhaus. Lampen brannten nicht, aber es war etwas heller, da durch die schmutzigen Fenster Licht von der Straße hereindrang.
Zwei oder drei Männer befanden sich ein Stockwerk über ihm. Sie bemühten sich zwar, leise zu sein, aber das hatten sie wohl nicht gelernt. Auf diesem Treppenabsatz war niemand. Steve vermutete, dass weiter unten die nächste Abteilung lauerte. Wahrscheinlich wollten sie erst oben mögliche Fluchtwege über das Dach abriegeln, ehe sie die einzelnen Stockwerke durchkämmten.
Das war genau richtig, Steve hätte es nicht anders angefangen. Er war froh, das Geräusch rechtzeitig gehört zu haben. So hatte er noch eine Chance, wenn auch eine kleine.
Steve trat ins Treppenhaus, die Beretta in der Faust. Die steinernen Treppenstufen konnten nicht knarren. Das war immerhin ein Vorteil. Er drückte sich eng an die Wand und bewegte sich langsam nach unten.
Auf dem nächsten Absatz duckte er sich, um nicht als Schattenriss vor dem Fenster aufzutauchen. Er blieb stehen. Der erste Mann befand sich keine fünf Yards von ihm entfernt.
Er rauchte, und das war ein Fehler. Erstens verriet er seine eigene Position, und zweitens konnte er schlechter sehen, weil selbst die winzige Glut der Zigarette in der Dunkelheit blendete.
Steve hielt den Atem an und tastete sich vorsichtig weiter. Noch vier Yards!
Dann bemerkte er den zweiten Mann. Er stand ein Stück entfernt, und man sah deutlich, wie sich das schwache Licht auf dem brünierten Lauf einer Pistole spiegelte.
Hier half nur der Überraschungseffekt. Er wollte gerade die letzten Yards mit einem Sprung überwinden, als einer der Männer etwas flüsterte: „Sie müssen bald oben sein.“
„Klar“, meinte der Zweite. „Dann sitzt das Schwein in der Falle. Tony und Giorgio überwachen den Hof, falls er sich aus einem Fenster abseilen will. Drei Mann sind noch draußen, sie haben die Vorderfront im Auge.“
„Ein guter Plan“, freute sich der Erste.
Steve lächelte. Die beiden gehörten nicht zu den Intelligentesten. Sie waren vermutlich einfache Schlägertypen, die nicht dazu angestellt waren, ihren Kopf zu gebrauchen. Die Mafia beschäftigte zahlreiche kleine Gangster für die einfachen Aufgaben. Diese Ganoven waren meist froh, bei einer so mächtigen Organisation untergekrochen zu sein, die ihnen Schutz gewährte wie jedem, der der Organisation angehörte. Andernfalls hätte man die Typen vermutlich schon geschnappt, wenn sie einer Frau auf der Straße die Handtasche wegrissen. Zu mehr reichte ihre verbrecherische Phantasie meistens nicht.
Der Typ mit der Zigarette blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr – Steve konnte es deutlich erkennen – und murmelte: „Jetzt muss es gleich losgehen, wenn wir im Zeitplan bleiben wollen.“
„Geht schon“, murmelte Steve und stieß sich ab.
Den Kerl mit der Zigarette riss er einfach um. Er sah nur aus den Augenwinkeln, wie er gegen die Wand prallte und wie die Glut seiner Zigarette einen feurigen Halbkreis durch die Luft zog.
Der Zweite versuchte verzweifelt, seine Pistole in Schussrichtung zu bekommen, Steve bewegte sich jedoch viel zu schnell für ihn. Er schlug kurz und hart zu, und der Kerl knallte ebenfalls gegen die Wand. Seine Pistole schrammte über den Putz.
„Hier ist er!“, brüllte er aus vollem Hals, und sofort setzte weiter oben ein heftiges Fußgetrappel ein.
Steve verpasste ihm einen zweiten Handkantenhieb, und der Rest des Satzes ging in ein Gurgeln über.
Der Erste hatte sich wieder aufgerappelt und schüttelte benommen den Kopf. Steve hatte keine Zeit für Feinheiten, sondern schickte ihn ebenfalls ins Aus. Der Mann ruderte mit den Armen und fiel wieder um.
Jetzt wurde es höchste Zeit, denn die anderen kamen rasch näher. Steve spurtete die letzten Treppen hinunter und riss die Haustür auf. In dem dunklen Torweg befand sich niemand.
Aber vom Hof her klang sofort eine Stimme: „Bist du das, Eddie?“
Tony oder Giorgio, dachte Steve. Sie sollten ja den Hof überwachen. Und gleichzeitig fiel ihm ein, dass sich der Vollstrecker wahrscheinlich ins Fäustchen lachen würde. Steve lenkte die ganze Truppe von ihm ab, und diese Zeit würde der Killer zu nutzen wissen.
Steve rannte durch den Torweg zur Straße.
„Passt auf!“, brüllte hinter ihm jemand, und dann krachte auch schon ein Schuss. Die Kugel klatschte irgendwo gegen die Mauer.
Eine zweite Waffe krachte. Zwei-, dreimal hintereinander. Die Geschosse zogen funkensprühende Furchen in den Boden aus Steinplatten.
Plötzlich brach die Hölle los. Steve warf sich hin, rollte sich herum bis zur Hauswand und stand wieder auf. Zurück zu feuern war sinnlos, denn der Gegner hatte eindeutig die überlegene Feuerkraft.
Er hatte die Straße erreicht und sah sofort den Wagen. Die Türen der protzigen Karosse standen offen, und drei Leute verteilten sich gerade auf der Straße.
Einer sah ihn und schoss augenblicklich, zielte schlecht. Steve merkte nicht einmal, wo die Kugel einschlug. Die beiden anderen reagierten und feuerten ebenfalls. Zum Glück hatte sie alle nur Revolver und keine Maschinenwaffen. Mit einem Revolver auf diese Distanz und bei der Beleuchtung zu treffen war schon ein Kunststück.
Steve gab zwei Schüsse ab, um die anderen wenigstens vorübergehend in Deckung zu zwingen, und rannte los, als sei der Teufel hinter ihm her. Er hörte Wagentüren schlagen und einen Motor aufheulen. Sie wollten ihn verfolgen.
Mit kreischenden Reifen wendete der Wagen und kam schleudernd hinter ihm her. Steve warf einen raschen Blick über die Schulter. Die Scheinwerfer blendeten auf und zeichneten seinen Schatten riesig an die Hauswand. Auf der Straße war er verloren, er musste eine Deckung finden.
Er stürzte in die nächste dunkle Einfahrt. Sekunden später bremste der Wagen und die Türen flogen auf.
Steve rannte durch einen Torweg, ähnlich dem, durch den er gerade gekommen war. Auch hier gab es einen Innenhof, der ebenfalls reichlich mit Gerümpel vollgestellt war. Er sah mehrere Autowracks und stapelweise abgefahrene Reifen. Vielleicht befand sich hier eine Reparaturwerkstatt.
Er kletterte über ein paar kleinere Hindernisse und zwängte sich zwischen zwei rostige Wracks, die völlig ausgeschlachtet waren. Die Verfolger tauchten bereits im Torweg auf.
Steve gab zwei Schüsse ab, sodass die drei wieder in der Deckung verschwanden. Auf Dauer konnte er sie nicht aufhalten, in Kürze würde die Verstärkung hier sein.
Für einen Augenblick fragte sich Steve, ob sich in Chicago sein Schicksal erfüllen würde. Es kam selten vor, dass man ihn so ausdauernd und intensiv hetzte wie in dieser Stadt.
Ein Schatten sprang aus dem Torweg und warf sich sofort wieder in eine sichere Deckung. Es ging so schnell, dass Steve nicht rechtzeitig reagieren konnte. Sie wollten ihn haben.
Steve schob sich ein Stück nach vorn und hob seine Waffe. Es gab kein Ziel für ihn. Er musste weiter. Wenn es den anderen gelang, sich vorzuarbeiten, hatten sie ihn bald in der Zange. Er sah sich um. An der Rückseite begrenzte den Innenhof eine Mauer. Rechts wurde er von einer fensterlosen Hauswand abgeschlossen, und links gab es einen Bretterzaun, hinter dem ein weiterer Innenhof lag.
Die besten Chancen schien die Mauer zu bieten. Steve zog sich vorsichtig zurück. Wieder krachten Schüsse. Ein weiterer Mann robbte vorwärts. Sie wussten allerdings nicht genau, wo er sich befand, denn die Geschosse schlugen irgendwo anders ein.
Steve erreichte die Mauer und sprang aus seiner geduckten Stellung hoch. Mit den Fingerspitzen bekam er gerade noch die Mauerkrone zu fassen. Er zog sich hoch und spürte, wie die Haut von den scharfkantigen Steinen aufgerissen wurde. Endlich hatte er sich hochgehangelt und schwang ein Bein über die Mauer.
„Da ist er!“, schrie eine Stimme. Gleichzeitig fiel ein Schuss, und die Kugel schlug verdammt dicht neben ihm ein.
Steve rollte sich gänzlich auf die Mauer und ließ sich auf der anderen Seite einfach fallen. Mehrere Schüsse gingen ins Leere. Das war ziemlich knapp gewesen.
Steve fing den Sturz ab und kam wieder auf die Beine. Er befand sich auf einer Art Fabrikgelände. Auch hier sah alles reichlich verkommen und unbenutzt aus. Schräg gegenüber standen einige langgestreckte Hallen, dazwischen lag freies Gelände. Hinter den Hallen führte eine Straße vorbei. Man erkannte die Beleuchtung.
Steve zögerte einen Moment, in welche Richtung er sich wenden sollte. Die Verfolger nahmen ihm die Entscheidung ab. Er hörte den Ersten über die Mauer klettern. Er rannte los in Richtung Straße. Das Gelände hatte einen Vorteil: Es war so groß, dass es nicht leicht abzuriegeln war. Wenn er sich vorsichtig genug bewegte, hatte er eine reelle Chance.
Dann bekam er Hilfe von unerwarteter Seite. In der Ferne klangen Polizeisirenen auf. Die Schießerei hatte also doch jemanden wachgerüttelt, obwohl man in dieser Gegend die Polizei lieber von hinten sah. Für Steve war eine Polizeisirene Musik in seinen Ohren.
Mit weit ausgreifenden Schritten lief er auf die Hallen zu. Kein Schuss fiel hinter ihm. Vielleicht gaben die Verfolger jetzt auf. Ein Feuergefecht mit der Polizei würden sie sicher nicht riskieren.
Wenige Minuten später war Steve aus der unmittelbaren Gefahr heraus. Doch er befand sich immer noch in Chicago. Er hatte keinen Wagen zur Verfügung und konnte es kaum riskieren, sich in einem Hotel einzuquartieren. Er musste damit rechnen, dass man ihn dort sofort wieder entdeckte. Der Mob hatte bestimmt die gesamte Unterwelt mobilisiert, um nach ihm Ausschau zu halten.
Es war eine neue Erfahrung für ihn. Zu Fuß in einer Großstadt, die er nicht sonderlich gut kannte. Er brauchte die Papiere, um endlich aus der Stadt zu verschwinden. Seinen Auftrag hatte er erfüllt. Er musste unbedingt versuchen, mit Alec Greene Kontakt aufzunehmen. Vielleicht konnte einer seiner Kollegen von Department die Papiere übernehmen.
Steve marschierte auf der Straße entlang und dachte über seine Situation nach, als er das Taxi bemerkte. Er blieb stehen und hob die Hand.