Steve ließ sich aufatmend in die Polster sinken.
„Wohin?“, fragte der Fahrer.
„Central Station“, antwortete Steve ihm.
Dort lagen die Papiere in einem Schließfach. Der Schlüssel dazu befand sich in seinem rechten Schuh. Ein Versteck, das man bei einer flüchtigen Durchsuchung nicht so leicht finden würde.
Steve döste etwas vor sich hin. Bis zur Central Station war es eine ziemliche Strecke. Plötzlich bemerkte er, dass ihn der Fahrer im Rückspiegel ständig anstarrte. Er löste rasch seinen Blick, als Steve ihn ansah. Steve spürte, dass der Fahrer nervös war.
„Ist was?“, erkundigte er sich.
Der Driver zuckte zusammen und fuhr herum. „Wieso? Was soll sein? Das hier ist die kürzeste Verbindung.“
„Das bezweifle ich nicht. Sie sollten sich mehr auf die Straße konzentrieren als auf Ihre Fahrgäste.“
Der Fahrer schwieg und blickte wieder nach vorn. Seine Hände am Lenkrad zitterten leicht.
Steve lehnte sich wieder zurück und. schloss die Augen. Allerdings behielt er den Fahrer durch einen winzigen Spalt im Auge. Wieder sah er dessen Blick im Rückspiegel.
Der Driver zögerte, dann nahm er das Mikrofon seines Funksprechgerätes in die Hand und hielt es dicht vor die Lippen. Er drückte die Ruftaste und flüsterte hinein: „Ich habe eine Fracht für CC. Was soll ich damit machen?“
Steve verstand jedes Wort, ließ aber nicht erkennen, dass er das Gespräch verstand. CC musste irgendeine Code-Bezeichnung sein, und mit der Fracht war offensichtlich er selbst gemeint. Sollten auch die Taxifahrer auf der Lohnliste der Organisation stehen? Sie sahen und hörten viel und konnten unauffällig Kurierdienste übernehmen. Sicher waren sie keine festen Mitglieder, sondern erhielten nur bei Bedarf entsprechende Aufträge. Bei der derzeitigen Konjunkturlage für die Fahrer ein kleiner Nebenverdienst.
Steve hörte nicht, was am anderen Ende geantwortet wurde. Der Fahrer hatte den Lautsprecher extrem leise gestellt. Außerdem lief das Radio. Der Driver warf wieder einen raschen Blick nach hinten. „Okay“ murmelte er und hängte das Mikrofon wieder in die Halterung.
Sie hielten gerade an einer Ampel, und der Fahrer wollte bei Grün beschleunigen, als er erstarrte.
„Fahren Sie ruhig weiter“, befahl Steve leise, ließ jedoch die Mündung der Beretta dort, wo sie den Fahrer so erschreckt hatte, nämlich in seinem Nacken.
„Wenn das ein Überfall sein soll – ich habe höchstens zwanzig Dollar bei mir.“ Die Stimme des Fahrers klang heiser. „Das Geschäft war in dieser Nacht nicht besonders.“
„Ich weiß nicht, wer hier wen überfällt, doch es wäre für Sie in jedem Fall gesünder, wenn Sie mich dorthin bringen, wohin ich will. Und das Mikrofon lassen Sie auch dort, wo es hingehört.“
„Ich verstehe nicht, was das heißen soll? Wir fahren doch zur Central Station.“
„Ich hab’s mir anders überlegt“, sagte Steve. „Ich werde vorher aussteigen.“
Der Fahrer zuckte mit den Schultern und tastete nach dem Mikrofon. Steve verstärkte den Druck mit der Pistole, und der Driver nahm seine Hand zurück. „Wo wollen Sie denn aussteigen?“
„Das sage ich Ihnen schon noch. Fahren Sie erst mal weiter.“
Sie kamen allmählich in belebtere Gegenden. Steve nahm die Beretta vom Nacken des Fahrers und hielt sie locker in der Hand. Er musterte die Straßen, durch die sie fuhren. Er brauchte unbedingt ein Quartier für die Nacht, und ein paar Stunden Schlaf würden ihm guttun. Er spürte, dass er ziemlich am Ende seiner Kräfte war. Und das bedeutete, dass er bei der nächsten Auseinandersetzung Fehler machen würde. Fehler waren in seinem Geschäft jedoch tödlich. Er durfte sich keinen leisten – und die nächste Begegnung mit dem Mob kam bestimmt sehr bald.
Die Straßen waren zu dieser Stunde schon ziemlich leer. Die meisten Geschäfte hatten ihre Schaufenster beleuchtet, sodass es nicht ganz so trostlos aussah. Nur die Gitter vor den meisten Läden störten. Sie gaben dem Ganzen den Anstrich einer belagerten Festung. Hier wurde wieder deutlich, wie unsicher die Großstädte in den Vereinigten Staaten waren. Nachts traute sich allein kaum noch jemand auf die Straßen. Geschäfte wurden am laufenden Band ausgeraubt, und selbst Privatwohnungen in Hochhäusern waren vor ständigen Überfällen nicht sicher.
Steve wusste allerdings, dass diese Art der Kriminalität selten vom organisierten Mob ausging. Das waren für die großen Bosse nur kleine Fische. Damit gaben sie sich nicht ab.
Die kleinen Gangster und Rowdys, die Banden von Jugendlichen und sogar Kindern, die Gangs der Schwarzen oder Puerto-Ricaner oder anderer Minderheiten waren zu einer echten Bedrohung geworden. Es war nicht Steves Aufgabe, diese Leute zu jagen, aber er sagte sich, dass hier nur eine Operation an den Wurzeln half. Solange sich die sozialen Bedingungen in den Städten nicht änderten, ja sogar schlechter wurden, würde das Verbrechen wie ein Krebsgeschwür wuchern.
Weiter vorn sah Steve das beleuchtete Schild eines Hotels. Es hatte keinen Sinn, weiter durch die Stadt zu fahren. Er konnte dieses Hotel ebenso gut nehmen wie jedes andere. Ein Risiko war es in jedem Fall. Er musste es eingehen!
Er wartete, bis sie daran vorbeigefahren waren, sodass der Fahrer keinen Anhaltspunkt bekam, wo sein Ziel lag. Denn Steve war sicher, dass er ihn an die Mafia geliefert hätte oder an den Mann, der ihm den Auftrag gegeben hatte. Nach Lage der Dinge konnte es sich dabei nur um Lucio Aurelio und seine Leute handeln.
Sie waren mindestens dreihundert Yards weitergefahren, als Steve dem Fahrer auf die Schulter tippte. „Halten Sie hier.“
Der Fahrer trat auf die Bremse. „Wo wollen Sie denn hin? Ich gebe Ihnen gerne ein paar Tipps.“
„Das glaube ich“, entgegnete Steve. Der Fahrer tat so, als sei die Situation völlig normal.
„Was bekommen Sie?“
„Genau neun Dollar“, antwortete der Fahrer missmutig. Er überlegte wohl schon, wie er seinem Fahrgast unauffällig auf der Spur bleiben konnte.
„Hier sind zwanzig Dollar. Die Differenz wird ja wohl für ein neues Mikrofonkabel reichen.“ Er beugte sich über die Vordersitze und riss das Mikrofon mit einem heftigen Ruck vom Gerät ab.
„Aber ...!“
„Schön ruhig“, meinte Steve. „Es ist besser, Sie berichten Ihren Freunden nichts mehr. Und wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen noch ein Loch in Ihre hübschen Reifen schieße, dann fahren Sie jetzt schnell geradeaus weiter.“
Steve steckte die Beretta ein und öffnete die Tür. Der Fahrer funkelte ihn in ohnmächtiger Wut im Rückspiegel an, sagte jedoch nichts und knirschte nur mit den Zähnen. Wenig später waren die Rücklichter des Taxis nur noch rote Punkte auf der Straße, die schnell kleiner wurden.
Steve schlenderte langsam die Straße zurück. Er sah sich häufig um – das Taxi kam nicht zurück. Seine Drohung hatte den Fahrer offenbar doch beeindruckt.
Vor dem Hotelschild blieb Steve stehen. Das Etablissement sah nicht sonderlich vertrauenerweckend aus, doch das störte ihn nicht. Er brauchte nur ein Bett für eine Nacht und ein paar Stunden Schlaf. Dann würde alles schon viel besser aussehen.
An der Rezeption befand sich ein älterer Schwarzer, der fest schlief. Er hatte den Mund halb geöffnet und schnarchte ziemlich laut. Kopf und Arme lagen auf dem Tresen, quer über dem Gästebuch. Steve studierte das Schlüsselbrett. Es hingen noch genügend Schlüssel da, also mussten auch noch Zimmer frei sein.
Er hieb mit der flachen Hand auf die Glocke, die auf dem Tresen stand, und der Mann an der Rezeption zuckte zusammen, sodass sein Kopf auf das Holz des Tresens schlug.
Verwirrt blickte sich der Mann um. „Ja, bitte?“, stammelte er.
„Ich hätte gern ein Zimmer“, wünschte Steve.
„Ein Zimmer? Natürlich. Wir haben noch einige frei. Sie haben Glück, sonst sind wir immer ausgebucht.“
Ausgerechnet, dachte Steve. Wahrscheinlich lebte das Hotel von einigen Stammgästen, die sich nur ein billiges Quartier leisten konnten. Für Touristen kam es wohl kaum in Frage. Außerdem lag es zu weit abseits, und für Handlungsreisende einigermaßen florierender Unternehmen war es zu schäbig. Für Steve war es heute gerade richtig.